Samstag, 17. November 2012

Steven Gilbar: Bibliomania - Ein listenreiches Buch

Wenn man mal das Vorwort außer Acht lässt, beginnt es mit den "zehn unantastbaren Rechten des Leser", die Daniel Pennac schon in seinem Buch "Wie ein Roman - Von der Lust zu lesen" preisgibt und die ich hier mal aufführen möchte:

1. Das Recht, nicht zu lesen
2. Das Recht, Seiten zu überspringen
3. Das Recht, ein Buch nicht zu Ende zu lesen
4. Das Recht, noch einmal zu lesen
5. Das Recht, irgendwas zu lesen
6. Das Recht auf Bovarysmus (d. h. den Roman als Leben zu sehen)
7. Das Recht, überall zu lesen
8. Das Recht, herumzuschmökern
9. Das Recht, laut zu lesen
10. Das Recht, zu schweigen

Dann geht es weiter mit Buchanfängen und hört logischerweise mit Buchschlüssen auf. Dazwischen ist das Buch gespickt mit Listen, Begriffen und Zitaten.

Hier ein paar Beispiele:
- Dreizehn unvollendete Werke
- Fünfzehn Schriftsteller, die Linkshänder waren 
- Zwölf Klassiker der Kriminalliteratur
- Elf Ermittlerduos in angelsächsischen Krimis
- Das älteste Buch in deutscher Sprache
- Die Geschichte des Buches
- Das erste gedruckte Buch

und unzählige mehr. 

Es ist ein wahres Vergnügen, sich durch dieses Buch zu stöbern. Man kann es von vorne nach hinten lesen, von hinten nach vorne oder es einfach mittendrin aufschlagen. 
Es inspiriert vielleicht dazu, sich eigene Listen anzulegen oder man entdeckt für sich einen neuen Schriftsteller oder man hat einfach nur Spaß an diesem Buch.


Freitag, 2. November 2012

Ian Sansom: Bücher auf Rädern - Ein Roman aus der irischen Provinz

Die Nordwest Zeitung urteilt: "Durchgeknallter Lesespaß mit schrulligem Muttersöhnchen, das unfreiwillig zum Ermittler mutiert und sich haarsträubende, höchst vergnügliche Wortduelle liefert."
Na, mal schaun, bei seinem ersten Gespräch in Irland ist noch nichts von "Wortduell" zu spüren. Aber der Schreibstil von Ian Sansom gefällt mir sehr gut.
Israel Armstrong ist Nachwuchsbibliothekar und hat in London absolut kein Glückshändchen, was einen Job anbelangt. So macht er sich auf nach Irland, wo er in einer Kleinbibliothek anfangen soll.
Aber das Glück scheint ihm nicht hold zu sein: Nach zehn Stunden Busfahrt und einer achtstündigen Fährfahrt muss er erfahren, dass die Bibliothek geschlossen wurde. Und was bietet man ihm an? Eine Fahrbücherei. Und was für eine.
Ted Carson, Taxiunternehmer, zeigt sie ihm. Das Vehikel (ohne Regale, ohne Bücher) steht seit fünf Jahren in einer Scheune, verborgen unter einer feuchten Plane voll Hühnerdreck. Total verrostet und fahruntauglich.
Das erste Gespräch mit Ted erstreckt sich über 19 Seiten lang. Und wenn die Nordwest Zeitung das unter einem vergnüglichen Wortduell versteht, dann weiß ich ja nicht. Wenn Iren sich wirklich so unterhalten, möchte ich keinen kennenlernen. Aber wer weiß, vielleicht finde ich ja noch Geschmack dran, mal abwarten.
Aber auch die nächsten beiden Menschen, die Israel erlebt, sind nicht freundlicher.

Edit

So gerne ich Bücher lese, die in Irland spielen, aber "Bücher auf Rädern" habe ich jetzt abgebrochen. Bis Seite 75 gab es bisher nur einen schlecht gelaunten Bibliothekar und ein schmutziges Irland und grässliche Dialoge. "Arrr", "Jepp", "Gut" sind dabei die Wörter, die am häufigsten vorkommen.
Für die Nordwest Zeitung mögen das ja "vergnügliche Wortduelle" sein, ich finde sie langweilig.

Dienstag, 30. Oktober 2012

Derek Landy: Skulduggery Pleasant - Der Gentleman mit der Feuerhand

"Skulduggery Pleasant", das Buch ist mir im Buchladen aufgefallen, weil es quer stand und mir die knallig orangenfarbenen Seitenkanten ins Auge gestochen sind. Ich habe ein bisschen drin geblättert, mir den Klappentext durchgelesen und die drei Bände, die dastanden, mitgenommen. Beim Durchblättern habe ich nämlich im Laden laut loslachen müssen. Das ist schon eine Weile her, mittlerweile habe ich den vierten Teil und weiß, dass mindestens noch zwei kommen.
Ich bin jetzt in den 80er-Seiten und habe leider die Stelle noch nicht gefunden, über die ich so lachen musste. Mal schaun, wann es klickt.

Hier dann mal den Klappentext:
Eine Kleinigkeit wie der Tod wird ihn nicht aufhalten
Er ist kein gewöhnlicher Detektiv. Er ist Zauberer und Meister der kleinen schmutzigen Tricks, und wenn die Umstände es erfordern, nimmt er es mit dem Gesetz nicht so genau. Er ist ein echter Gentleman. Und ... er ist ein Skelett.
Als Stephanie Skulduggery Pleasant das erste Mal sieht, ahnt sie noch nicht, dass sie ausgerechnet mit ihm eines ihrer größten Abenteuer erleben wird.
Denn um den mysteriösen Tod ihres Onkels aufzuklären, muss sie Skulduggery in eine Welt voller Magie begleiten - eine Welt, in der mächtige Zauberer gegeneinander kämpfen, Legenden plötzlich zum Leben erwachen und in der das Böse schon auf Stephanie wartet...
Eine tolle Widmung hat er vorangestellt:


Dieses Buch ist meinen Eltern John und Barbara gewidmet. Dad - dir danke ich für deine abwegig konsequente Unterstützung und deinen unbeirrbaren Glauben an mich. Barbs - dein Name steht hier wegen deines Gesichtsausdrucks, als ich dir die gute Nachricht überbrachte.
Euch verdanke ich ausnahmslos alles und ich denke, es könnte sehr gut sein, dass ich so etwas wie, na ja, Zuneigung für euch empfinde...

Herrlich.

Mitten während der Arbeit an seinem neuen Buch "Und Dunkelheit brach über sie herein" stirbt Gordon Edgley, Stephanies Onkel. Sein letzter Gedanke: "Ein tragischer Verlust."
Bei der Beerdigung fällt Stephanie ein Gentleman in einem braunen Überzieher auf, der so vermummt war, dass man nichts von ihm sehen konnte. Riesige Sonnenbrille, eine Lockenmähne unter einem breitrandigen Hut. 
Sie kommen ein wenig ins Gespräch und dann sieht Stephanie ihn wieder bei der Testamentseröffnung, zu der sie überraschenderweise auch geladen ist. Und zur großen Überraschung aller ist sie die Haupterbin, erhält den gesamten Besitz, Vermögenswerte und Tantiemen.
Und nun verbringt Stephanie die erste Nacht in Gordons Landgut. Und das soll eine abenteuerliche Nacht werden, die sie wohl so schnell nicht vergessen wird. Gleichzeitig wird diese Nacht der Auftakt für die Abenteuer, die sie wohl noch mit Skulduggery, der sich als Skelett erweist, was Stephanie dann erst einmal doch im wahrsten Sinne des Wortes von den Füßen reißt, erleben wird.

Edit

Die Gewalt hält sich in Grenzen, das habe ich in "Tintenherz" ja ganz schlimm empfunden. Aber hier wird es nur kurz angedeutet und dann kommt ein Schwenk zu einer anderen Szene.
Das Buch ist sehr dialoglastig, aber wunderbare Gespräche, auch mit viel Humor. Ich freue mich schon auf den nächsten Teil.

Dienstag, 2. Oktober 2012

Kitty Ray: Nells geheimer Garten

Schon gleich zu Beginn sind wir am rechten Platz: in Ellis Cottage. Ich bin gleich inmitten der Geschichte. Und ich finde es schön, dass der Abschnitt mit der Schüler-Lehrerin-Beziehung nicht so aufgebauscht und ausführlich beschrieben wird, obwohl ja ein bleibendes Andenken erscheinen wird. Interessanter ist da natürlich das Tagebuch von "Tante" Nell, das im Zweiten Weltkrieg beginnt. Spannend auch das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern. Violet, die Schöne, und Nell, na ja, was soll man zu ihr sagen. Sie weiß schon ganz genau was sie will, kann sich aber noch nicht durchsetzen. "Warum kannst du nicht ein wenig sein wie Violet", grausam finde ich solchen Satz von der Mutter.
Und Laurence, der sympathische Typ, Ehemann von Violet? Nell scheint sich in ihn zu verlieben. Wie kann die Mutter Nell nur in diesen Haushalt schicken? Ich hoffe, sie bekommt noch ihre Abreibung. Ich hasse Menschen, die anderen das Recht absprechen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Und was für eine Dramatik. Bei "Kristin Lavranstochter" zog sich ja alles dahin. Nicht im negativen Sinne. Da wurden viele Landschaftsbeschreibungen eingeflochten, aber dieses Buch. Ich habe beim Lesen das Gefühl, in einem Intercity-Zug zu sitzen und dahinzubrausen.
Die Violet erinnert mich ein wenig an "Melanie Wilkis" aus "Vom Winde verweht" - die über alles Erhabene.
Laurence finde ich irgendwie nicht mehr so sympathisch. Zu feige, reinen Tisch zu machen. Violet alles zu erzählen benutzt er doch nur als Druckmittel, damit Nell dableibt. Er denkt überhaupt nicht daran, wie es für Nell sein muss, weiter in diesem Haushalt zu leben. So etwas Egoistisches von Kerl.
Nell kann sich ja unter den Umständen glücklich schätzen. Sie kann ihre Schwangerschaft verleben, ohne irgendwelche Existenznöte zu haben. Laurences Mutter bringt ihr alles Notwendige und sie ist weit genug entfernt vom Kriegsgetümmel, dass sie sich in ihre Fantasiewelt zurückziehen kann.
Ich staune ja darüber, wie unterschiedlich ein Schriftsteller schreiben kann. Von Kitty Ray habe ich "Rückkehr nach Manor Hall" gelesen und fand es sooo langweilig. Da ging es um zwei schüchterne Menschen und ob sie sich kriegen oder nicht. Das zog sich echt wie Kaugummi. Und dieses Buch ist so fantastisch und spannend.
Obwohl: Es erinnert mich ein bisschen an "Der verborgene Garten" von Kate Morton. Ha, die Großmutter bei Kate Morton hieß auch Nell.

Und wenn ich jetzt nicht die Reißleine ziehe, erzähle ich Euch noch die ganze Geschichte. Wer für Familiengeschichten und insbesondere für Familiengeheimnisse was übrig hat, dem empfehle ich guten Herzens dieses wunderbare Buch.

Und wem das Buch vielleicht doch nicht so gefällt, kann daraus eines mitnehmen: Beurteile niemals eine Sache auf den ersten Blick. Alles hat seine zwei Seiten

Dienstag, 25. September 2012

Leona Rostenberg und Madeleine Stern: Zwei Freundinnen, eine Leidenschaft - Unser Leben für seltene Bücher

Welcher Antiuariatsbuchhändler kann heute noch solche Geschichten erzählen? Diese beiden Frauen, beide aus jüdischen deutsch-amerikanischen Familien stammend, haben fast ihr ganzes Leben seltenen Büchern gewidmet.
In dieser Doppel-Biografie erzählen Leona Rostenberg und Madeleine Stern abwechselnd über ihr Leben. Doch vorher berichten sie im Prolog, wie es dazu kam:

Leona Rostenberg und Madeleine Stern (im Weiteren schreibe ich nur Leona und Madeleine) befinden sich 1995 in ihrem für den Sommer gemieteten Landhäuschen in East Hampton, als das Telefon klingelt und sich der Doubleday-Verlag bei ihnen meldet. Die haben einen Artikel über die beiden Frauen in der Times gelesen und fragen nun an, ob sie für den Verlag ein Buch schreiben wollen. Eine gemeinsame Autobiografie etwa. Da das Buch ja erschienen ist (was für ein Verlust, wenn es nicht dazu gekommen wäre), lautete die Antwort nach reiflichen Überlegungen ja.
Im Prolog erfahre ich noch etwas über ihrer beider Herkunft, dass Madeleine schriftstellerisch tätig war und Leona

die überraschende Entdeckung von Louisa Alcotts Pseudonym und ihrer unter Pseudonym veröffentlichten Sensationsromane
machte.
Madeleine spürte diese Romane auf und stellte sie zu einer Serie von Anthologien zusammen.

Wunderschön, wie (wer schrieb nun eigentlich den Prolog, hier ist immer von "wir" die Rede) sie ihr Geschäft, den Handel mit seltenen Büchern, beschreiben:


Es ist ein Geschäft, bei dem Wissen Macht bedeutet und detektivische Fähigkeiten oft eine wichtige Rolle spielen. Das elektrisierende Gespür dafür, was an einer Erstausgabe oder einem frühen Druck besonders bemerkenswert ist, wird in unserer Branche als Fingerspitzengefühl* bezeichnet. Wenn Fingerspitzengefühl* sich mit glücklichem Zufall paart, dann öffnet sich für diejenigen, die mit dem Alten und Seltenen handeln, die Pforte zum Paradies. Leona hat diese Faszination während einer langen Lehrzeit kennen gelernt, und Madeleine hat sie von ihr gelernt. Alle beide sind wir seit einem halben Jahrhundert dieser Faszination erlegen und werden ihr auch weiterhin immer wieder aufs Neue erliegen.

Hach, liest sich das nicht wundervoll?

(Anm. d. Übers.: "Ausdrücke, die im Original auf Deutsch stehen, werden durch * gekennzeichnet.")

Und dann beginnen sie zu erzählen, beginnend bei ihrer Kindheit und immer mit einer Prise Humor. Leona reichte mit zwei Jahren bis zum untersten Regal des Bücherboards, und ihre Mutter prophezeite, dass sie eines Tages eine Schriftstellerin werden würde. Sie liebte Bücher von klein auf und lag ihrer Mutter permanent in den Ohren, in die "Bibothek" zu gehen. Ihre Wahl fiel auf ein "Bilderbuch unserer großen Führer".


Stolz marschierte ich mit meiner Wahl von dannen, noch immer den muffigen, staubigen Geruch von Büchern in der Nase, ein Geruch, der irgendwie warm, beruhigend und aufregend zugleich war und der mich für immer begleiten sollte.

Auch Madeleine denkt vielleicht schon in Kindertagen daran, eines Tages eine Schriftstellerin zu werden. Zu ihrem 6. Geburtstag schreibt sie:

Eines der Geschenke, von der Kusine meiner Mutter, war, was ich meine Schatzkiste nannte. Das war eine braune Schatulle, die in Dutzende von Fächern unterteilt war, und in jedem von ihnen fand sich eine Auswahl an Schreibutensilien. Es gab Büroklammern, Kärtchen und Schlüsselringe, es gab Etiketten, Gummibänder und Schreibfedern, es gab alles, wovon eine Schriftstellerin träumen konnte, und vielleicht sah ich mich damals sogar schon als Schriftstellerin. Ich besaß diese Schatulle viele Jahre lang und hielt sie in Ehren.

Sie berichten, wie sie sich kennenlernen und zusammen arbeiten, sich erst gar nicht sooo sympathisch waren, sich wieder trennen, um eigene Wege zu gehen, die im Endeffekt dorthin führen, wo sie sich wieder treffen und ihr weiteres Leben miteinander verbringen. Als Leona eines Tages wirklich nicht mehr wusste, in welche Richtung sie gehen sollte, macht Madeleine ihr ein Geschenk, das ihre Zukunft bestimmt.

Dass ich die meisten alten Buchtitel und Autoren nicht kenne, tat meinem Lesespaß absolut keinen Abbruch. Dieses Buch erhält von mir die höchste Wertung und ist per sofort meine Lieblings-Biografie.

Samstag, 15. September 2012

Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter 7

In diesem Kapitel wird es nun politischer und wieder sehr religiös. Es geht nicht mehr nur um die kleine Familie. Naakkve ist zehn Monate alt und Lavrans kommt zu Besuch. Und Kristin hört ihren Vater das erste Mal über Politik sprechen, worüber sich selbst Erlend wundert. Da ich darüber aber nun wirklich nicht Bescheid weiß, werde ich mich dazu nicht äußern. Das Thema zieht sich über einige Seiten hin. Als Erlend dann zu Kristin ins Bett schlüpft und sie dort schlafen sieht, geht ihm einiges durch den Kopf: Etwas über ein Jahr ist er verheiratet. "Schwangerschaft, Buße und Fasten, und jetzt nichts anderes als der Knabe an allen Ecken und Enden, Tag wie Nacht." Aber: Wenn er es schafft, dass sie für einen Moment den Pfarrer und das Baby vergisst, ist sie die gleiche, süße, junge Kristin.
Erlend ist viel unterwegs und als er erfährt, dass Kristin wieder schwanger ist, meint er: "Ich glaubte, wenn ich dich einmal bekommen würde, so sollte es wie ein immerwährendes Weihnachtsgelage sein. Aber es hat den Anschein, als würden es beinahe nur lange Fasten." - Das ging ihr ordentlich zu Herzen.
Sie bekommen einen Jungen, Björgulf, nach Lavrans Vater. Den nimmt man ihr weg und gibt ihn an eine Pflegemutter. Als er elf Monate alt ist, spürt Kristin schon wieder, dass sie schwanger ist. Und sie hat sich geschworen, dieses Kind nicht herzugeben.
Gegen Weihnachten, taucht Kristin mit Orm bei Gunnulf auf. Erlend, der bei einem Gastgelage ist, weiß nicht, dass sich die beiden auf den Weg gemacht haben.
Obwohl Kristin doch den Weg der Buße gegangen ist, ist sie wieder voller Zweifel, Ungeduld, Zorn und Furcht.
Orm hat sie liebgewonnen wie ein eigenes Kind. Aber mit Margret wird sie einfach nicht warm. Mit ihren neun Jahren sieht sie der Mutter Eline aus wie aus dem Gesicht geschnitten. Aber die Lütte ist auch eine hochmütige Göre. Sie kann anstellen, was sie will, Erlend verwöhnt sie von vorne bis hinten. Und er lässt es nicht zu, dass Kristin versucht, das Mädchen ein bisschen zu erziehen.
Zwischen Vater und Sohn klappt es auch nicht so. Orm ist nicht so männlich, wie Erlend es sich wünscht. Er ist eher ein Denker und würde gerne Priester werden.
Gunnulf und Kristin führen wieder lange Gespräche.
Am nächsten Morgen erscheint ein wütender Erlend.

Mittwoch, 12. September 2012

Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter 6

Hier habe ich einen Satz gefunden, der Erlend ganz gut charakterisiert: „Gott steh mir bei, Kristin, hast du jemals von mir gehört, daß ich das tat, was zu meinem Besten war?“

Nein, das hat er wahrlich nicht. Und so lange er alleine war, wäre dagegen auch nichts einzuwenden gewesen. Aber jetzt hat er eine Familie, für die er verantwortlich ist. Oftmals muss er auf alles aufmerksam gemacht werden, zum Beispiel als Kristin kurz vor der Geburt stand und keine Nachbarsfrauen im Haus sind. „Es ist schlimm, daß ihr sie nicht rechtzeitig hergeholt habt, die Frauen, die ihr helfen sollen.“ Und als sich Erlend rechtfertigte, dass Kristin meinte, sie bräuchte nur die Mägde, die im Haus sind, fuhr Gunnulf auf: "Du bist nicht ganz bei Trost! ... Jedes Häuslerweib hat die Nachbarsfrauen bei sich, wenn ihre Stunde kommt – soll dein Weib sich in den Winkel verkriechen und sich verstecken wie eine Katze, die werfen will? Nein, Bruder, so viel Manns mußt du sein, daß du die besten Hausfrauen im Tal für Kristin herbeiholst.“ Und voller Scham macht sich Erlend auf den Weg.
Kristin möchte unbedingt Audfinna Audunstochter bei sich haben, jene Bäuerin, bei die sie seit Langem das erste Mal wieder lachen konnte. Es schickte sich zwar nicht, aber ihr Wunsch wird ihr erfüllt, obwohl sich die Bäuerin später, als die anderen Frauen da sind, in den Hintergrund zurückzieht.
Kristin hat eine sehr schwere Geburt vor sich. Gunnulf ist noch bei ihr und als er sie verlassen will, weil es nun fast so weit ist, erzählt sie ihm, wie die Sache mit Eline wirklich war. Sie beichtet ihm alles.
Zu was hat Erlend sie da nur getrieben. Heutzutage ist es nichts Unnormales, wenn jemand fremdgeht und und und. Aber Kristin ist so gläubig erzogen worden, alle hatten sie es mit der Kirche, mit dem Beichten und spenden. Über den Glauben wurde viel gesprochen. Und sie hatten Gesetze, dass zum Beispiel ein unehelich gezeugtes Kind nicht erbberechtig ist. Ja, was ist denn Kristin und Erlends erstes Kind. Das wurde unehelich gezeugt. Und trotzdem wurde es getauft, da hatten sie wohl Glück, dass sie die richtigen Leute kannten.
Und mit all diesen Gedanken im Kopf, wie soll die junge Kristin da auch glücklich leben können.
Die ganze Nacht liegt Kristin nun schon in den Wehen. Am nächsten Tag schicken sie Erlend zu ihr rein. Es heißt, ein Kind, das heimlich gezeugt wurde, kommt besser, wenn die Frau auf des Mannes Schoß sitzt. Und auch hier lassen sie die Gedanken an Eline nicht in Ruhe. Den Tag und noch die ganze Nacht dauert der Kampf, bis ihr Sohn kommt.
Und wieder muss Erlend von Gunnulf darauf gebracht werden, dass es wohl an der Zeit ist, Kristins Eltern die Botschaft zu bringen, dass sie Großeltern geworden sind. Ja, er macht sich sogleich auf den Weg, aber er kommt nicht von allein auf den Gedanken.
Für Lavrans kommt diese Botschaft überraschend, für Ragnfrid natürlich nicht. Aber als Erlend wieder nach Hause muss, macht sich Lavrans mit auf den Weg, um die Tochter zu sehen.
Als er sah, dass Erlend anfing, seinen Hof in Schuss zu bringen, trennte er sich nach einiger Zeit in Liebe und Freundschaft von Kristin und ihrem Mann.

Später ist es wieder Kristin, die Erlends Suppe auslöffeln muss. Sie macht sich mit dem Baby auf den achtstündigen Fußmarsch zum Erzbischof, um „reingewaschen“ zu werden. Ja, zerknirscht ist er wieder, aber hat er damals einmal über die Folgen nachgedacht?

Sonntag, 9. September 2012

Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter 5

Nun befindet sich Kristin auf der weiten Reise in ihre neue Heimat. Von ihrer Schwangerschaft weiß niemand. Sie muss reiten und hat eine Schiffsreise vor sich, von der sie sich tagelang nicht erholt. Als sie sich den Hof, auf dem sie nun leben, schalten und walten soll, genauer beschaut, sieht sie überall Dreck, Schmutz und Verwahrlosung. Sie hat also nicht wenig Arbeit vor sich. Und manchmal, wenn sie in sich hineinhört, hat sie Angst. Angst, weil sie das Baby nicht spürt, das sich längst in ihr bewegen müsste. Sie verheimlicht ihren Zustand immer noch, selbst vor ihrem Mann.
Als er es dann bei einer Umarmung selbst spürt, ist eine Ausrede fällig. Aber Tage sollen noch vergehen, bis Erlend ihr einen Hof zeigen möchte, der zu ihrer Morgengabe gehört.
Auf dem Rückweg beginnen sie ein Gespräch, das sie aber erst daheim richtig zu Ende führen. Sie sprechen sich aus, sprechen auch von Erlends Kindern. Dass er sie gern sehen wollte und ob Kristin damit einverstanden wäre, wenn er sie zu Weihnachten zu ihnen holen würde.
So macht er sich auf den Weg und Kristin bereitet derweil alles für die Weihnachtszeit vor. Und sie erinnert sich an Weihnachten zu Hause, als sie noch klein war.
Und je näher der Termin ihrer Entbindung rückt, desto mehr scheint es ihr, dass ihre Mutter kommen müsse, die eine erfahrene Geburtsfrau ist. Sie müsse ihr doch daheim ihren Zustand angesehen haben und kommen, ihr jetzt zu helfen.
Und vor lauter Heimweh und Sehnsucht läuft Kristin jeden Tag durch den Wald, der gefährlich ist, da sich dort Wölfe rumtreiben. Eines Tages wird sie von einer Bäuerin auf ihren kleinen Hof gebracht und dort konnte sich Kristin das erste Mal richtig aussprechen. Sie konnte lachen und weinen und wieder lachen.
Und als Erlend sie voller Angst dort findet und sicher nach Hause bringt, kann sie ihn seit langer Zeit das erste Mal von sich aus umarmen.

Kristin ist nicht richtig glücklich. Vieles auf ihrem neuen Hof geschieht, wie sie es von zu Hause aus nicht kennt. Das Gesinde ist faul, die Männer haben sich nicht in der Gewalt.
Und ein Eheleben ist es nicht, was die beiden führen. Sie arbeitet jede freie Minute und Erlend liegt abends faul rum. Sie haben nichts miteinander zu reden. 

Freitag, 7. September 2012

Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter 4

So, das erste Buch habe ich nun fertig. Oh man, ob das alles ein gutes Ende finden wird. Ich kann es kaum glauben. Nun ist es doch soweit gekommen; Lavrans gibt sein Einverständnis. Und noch vor der Hochzeit ist sich Kristin sicher, schwanger zu sein. Und während die Familie alle Vorbereitungen trifft, kann Kristin nur daran denken, was es für Gerede geben wird. Warum auch konnte Erlend sie nicht in Frieden lassen.
Kristin und Erlend haben geheiratet, und nach der Sitte wurden sie nach den Feierlichkeiten nacheinander ins Schlafzimmer geleitet. Als Kristin im Bett saß und man Erlend hereinbrachte schaute sie zu ihm auf. Diesen Blick hat ihr Vater gesehen und somit weiß er nun, dass sie keine Jungfrau mehr ist. Oh oh, wenn er auch noch wüsste, dass sie schwanger ist.
Am Ende kam es zwischen Kristins Eltern zu einem ernsten Gespräch, in dem ich Lavrans endlich näher kennenlerne. Wie es um die Liebe oder die nicht vorhandene Liebe zu seiner Frau steht. Und er erfährt in dieser Nacht etwas über seine Frau, das ihm nicht gefallen kann.

Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter 3

Dieses Kapitel verdichtete sich irgendwie zusehends: Vater und Tochter kämpfen fast wortlos gegeneinander. Wird Lavrans seine Tochter freigeben. Vor allem, wird Erlend diesen Kampf wert gewesen sein? In den letzten Sätzen ist die Sprache von einer Prophezeiung: Kein Hof liegt so gefährdet wie Jörundhof und der Fluß soll diesen Hof einmal mitreißen.

Es bleibt spannend.

Mittwoch, 5. September 2012

Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter 2

Erlend von Husaby heißt der junge Mann, in den sich Kristin verliebt und dem sie sich hingegeben hat. Während sie erst beunruhigt darüber ist, schwanger zu werden, ist sie ihm fast böse, als sie es doch nicht wurde. Eines Tages holt sie die Familie des Bräutigams zu sich, aber als Simon des Nachts versucht, sich ihr zu nähern, weist sie ihn ab.
Kristin liebt Erlend, und sie hat Angst davor, dass er in den Norden reisen müsse, zu seinem Hof und seine Buhle, von der er sich getrennt hat, die aber mit den Kindern bei ihm lebt. Sie hatte weniger Angst, mit Erlend ertappt zu werden, als ihrem Verlobten reinen Wein einzuschenken. Und dann wünschte sie sich, dass man sie am liebsten erwischte, damit alles ein Ende hätte.
Und dann kommt es, dass zumindest schon mal Simon erfährt, wie es um ihr Herz steht. In dem Gespräch mit ihm erkennt man, dass Kristin doch noch sehr jung ist, sie hat keine Menschenkenntnisse. Mir kommt es wie das Gespräch zwischen einem Mann und einem jungen Mädchen vor. Was es ja wohl auch ist. Ihr Klosterjahr neigt sich dem Ende, und sie hat sich keine Gedanken darüber gemacht, dass man daheim alles vorbereitet für das Verspruchsfest und die Hochzeit.
Nach diesem Gespräch steht ihr noch das mit ihrem Vater bevor, der sie in Kürze aus dem Kloster abholen kommt. Der ist natürlich enttäuscht und auch böse, aber er möchte seine Tochter auch nicht zwingen, jemanden zu heiraten, den sie nicht liebt. Und Kristin mag nicht sagen, um wen es sich handelt, bevor sie sich nicht sicher ist, ob derjenige auch bei ihrem Vater vorspricht. So verbleiben Vater und Tochter erst einmal.

Dienstag, 4. September 2012

Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter 1

Kristin Lavranstochter besteht aus drei Büchern: Der Kranz, Die Frau und Das Kreuz. Das Buch wurde von der wunderbaren Liv Ullmann verfilmt. 179 Minuten lang ist der Film, den es allerdings nur in Norwegisch mit englischen Untertiteln gibt. Zumindest habe ich keine deutsche Fassung gefunden.

Die Geschichte beginnt im Jahre 1306. Lavrans und seine Frau Ragnfrid werden vorgestellt und die kleine Tochter Kristin. Das Ehepaar sind besonders fromme und gottesfürchtige Menschen. Sie leben auf Jörundhof, wo Kristin behütet aufwächst. Sie ist sieben Jahre alt, als sie ihren Vater das erste Mal auf die Alm begleiten darf. Sie kannte bisher nur den Jörundhof und als sie nun in den Bergen waren und sie über die Täler schauen konnte, hatte sie eine erste Ahnung davon, dass die Welt doch nicht so klein ist, wie sie bisher dachte.

Das Buch liest sich so wunderschön. An den Natur- und Personenbeschreibungen hält sich Sigrid Undset nicht lange auf, sie sind einfach in die Geschichte eingebettet.

Am Abend, als alle zusammen ums Feuer saßen und aßen, gab Lavrans seiner Tochter Met zu trinken. Am Morgen, als sie wach wurde, alle anderen schliefen noch fest, ging sie mit dem Pferd an ein Gewässer, um zu trinken. Im Wasserspiegel sah sie außer sich selbst plötzlich noch eine Frau, ein Zwergenmädchen, wie sie ihrem Vater panisch erzählt. Sie wird von dem vielen Met noch nicht wieder ganz nüchtern sein und Gespenster gesehen haben.

Trotz dieses Abenteuers sollte Kristin bald wieder auf Reisen gehen, nach Skog, wo sie geboren wurde. Sie lernt unterwegs viele Menschen kennen.
Nach dieser Reise, im Frühling, bekam Kristin ein Schwesterchen. Doch als die Kleine drei Jahre alt war, geschah auf dem Hof ein Unglück. Sie wurde unter einem Balken begraben, wobei der Rücken etwas abbekam. Sie hatte wahnsinnige Schmerzen und konnte sich nicht mehr bewegen. Später dann klappte es einigermaßen auf Krücken, aber sie wurde nicht mehr gesund.

Als Kristin 15 Jahre wurde, sprach ihr Vater mit dem Ritter Anders Gudmundssohn. Sie sprachen darüber, Kristin mit dessen Sohn Simon zu verloben. Ob sie wirklich schon verstand, was da vor sich ging? Sie nahm es gelassen hin. Aber ihr Herz war noch sehr sprunghaft.

Als Arne, ihr Freund seit Kindertagen, verreisen musste, nahm er ihr das Versprechen ab, sich am nächsten Abend alleine von ihr verabschieden zu können. Er sprach davon, dass sie mit ihrem Vater reden möge, damit die Verlobung mit Simon nicht stattfindet.
Als Kristin auf dem Heimweg ist, wird sie von Bentein eingeholt, der betrunken war und sich an ihr vergehen wollte. Doch sie schaffte es, ihn abzuwehren und zu fliehen. Doch sie fühlte sich zerstört.

Gleich nach der Weihnachtszeit erhielt man auf Jörundhof die Nachricht, dass Arne von Bentein umgebracht wurde. Das versetzte Kristin nun so einen Stich, dass sie ihren Vater bat, für ein Jahr ins Kloster gehen zu dürfen. Als Lavrans mit Simon darüber sprach, zeigte der sich verständig.

Und während ihres Aufenthalts im Kloster lernte sie schon den nächsten Mann kennen und lieben.


Fortsetzung folgt...

Mittwoch, 29. August 2012

Margaret Skjelbred: Die Vestfold-Saga

"Die Vestfold-Saga", besteht aus drei Büchern. Als ich im Buch die Beschreibung der einzelnen Bücher las, klickte es auf einmal bei mir. Das Buch "Windgesang" habe ich seit Längerem in meinem Regal stehen. Ich weiß nicht mehr woher ich es habe, möglicherweise auf einem Flohmarkt gefunden. Der Klappentext hatte mir damals gefallen und nun erfahre ich, dass es zu dieser Saga gehört. Da bin ich froh, dass ich es bisher noch nicht gelesen habe.

Das erste Buch, "Lerchenherzen", begann ganz verwirrend. Der Ich-Erzähler, oder wohl eher die Erzählerin, schmeißt mit Namen um sich, über die ich sofort den Überblick verliere. Aber nach den ersten sehr kurzen Artikeln schälen sich einige Personen heraus, über die dann ausführlich erzählt wird. Und mittlerweile macht das Lesen Spaß. Wenn ich auch bis zum Schluss nicht den totalen Durchblick erhalten habe, was die vielen Personen anbelangt. Kein Wunder, umfasst dieses Buch doch fast ein ganzes Jahrhundert. Ein anderes Buch hätte ich wahrscheinlich abgebrochen, aber hier konnte ich es einfach nicht. Es war wie ein Sog, ich musste einfach weiterlesen.
Und zum Schluss fügte sich vieles zusammen, wurden einige Fragen, die ich mir beim Lesen stellte, beantwortet.
Einen tollen Schreibstil hat Margaret Skjelbred. Es ist, als wenn dir jemand gegenübersitzt und aus früheren Familiengeschichten erzählt. Herrlich.

In "Windgesang" herrscht weiterhin der schöne Erzählstil vor. Die Geschichte dreht sich nun hauptsächlich um Solfrid, deren Mann Nils-Jan im ersten Teil gestorben ist, und ihren Sohn Jakob. Solfrid lernt Eric kennen, von allen jungen Frauen umschwärmt. Sie verbringen einen wundervollen Sommer. Durch Eric wird ihr Horizont erweitert. Er studiert an einer Uni. Interessiert sich für die Weltpolitik, während Solfrid bisher nur den lokalen Teil ihrer Zeitung las.
Der dünne Trauerpanzer, den sie bisher noch trug, fällt diesen Sommer von ihr ab, und sie sucht nach einer sinnvolleren Tätigkeit. Sie möchte Krankenpflegerin werden.

Alle paar Kapitel kommt auch der kleine Jakob, dreieinhalb, zu Wort. Seine Gedanken sind in Kursivschrift abgedruckt. Ich werde noch nicht schlau daraus, was das zu bedeuten hat. Ihm fehlt der Vater. Er spricht über ihn als einen Ton in der Flasche. Und er versteht die Erwachsenen nicht. Er mag es nicht, wenn seine Mutti traurig ist. Und er merkt schon einen Unterschied: Wenn sich die Großen über tote Menschen unterhalten, verhält sich seine Mutti unterschiedlich. Bei den anderen weint sie nicht. Schaut sie sich zusammen mit Jakob aber Bilder vom Papa an, weint sie immer. Und das mag er nicht.

Das Buch springt zeitlich viel hin und her. Zwischendurch wird dann über Personen, die bisher nur namentlich aufgeführt werden, auch was erzählt.
Zum Beispiel die Geschichte von Evine. Evine, die ganz abgesondert von all den Einwohnern lebt. Sich keinem Menschen angeschlossen hat. Kaum den Mund aufmacht.
Sie hatte eine schreckliche Kindheit. Mit einem schlagenden Vater. Musste mit ansehen, wie der ihre Mutti geprügelt hat, bis sie blutete. Der auf dem Hof Vögel aus reinstem Spaß abschoß und der dann verlangte, dass sie sich darum kümmerte. Sie hat die toten Vögel dann vergraben, damit die Katze sie nicht aufspürt. Sie weiß genau, wenn der Vater die Katze mit einem blutigen Maul erwischt, wird er auch die töten. Eine Kindheit also voller Angst und Schrecken für ein kleines, zartes Mädchen.

Und diese Evine trifft jetzt als alte Frau auf Lars, Vater von Solfrid. Der seit dem Tod von Solfrids Mann Nils-Jan mit dem Leben wohl nicht mehr klarkommt. Es scheint aber noch mehr dahinterzustecken. Er kämpft anscheinend mit bösen Erinnerungen aus dem Krieg, bekommt immer öfter Herzrasen, dass er Angst hat zu sterben.
Nun hat er sich im Wald zurückgezogen. Mit einem Gewehr. Den Lauf unter seinem Kinn. Und in dieser Position kommt Evine auf ihn zu.
Und Lars, der mit seiner Frau nicht darüber reden konnte, erzählt Evine seine Erlebnisse während des Krieges. Erzählt über die Angst, die in den Augen jedes einzelnen Mannes zu lesen war. Und über eine Frau und deren zwei Töchter, mit der er die vier Jahre zusammen war.
Alles redet er sich bei Evine von der Seele.

Und nun ist Evine tot. Man hat sie in der Ortschaft lange vermisst, bevor sich Ragnhild und Solfrid auf den Weg machen zu ihrem entlegen liegenden Hof. Und dort finden sie Evine tot im Schnee liegen. Und Lars erweist ihr einen letzten Dienst: Er holt sie mit dem Wagen vom Hof runter, damit sie beerdigt werden kann.

Es sind einfach zu viele Menschenschicksale, als dass ich hier über alle berichten kann. Da wäre auch noch Inger zu erwähnen, die in ihrer Ehe mit Hans immer unglücklicher geworden ist. Die älteste ihrer Töchter schaut niemanden von beiden ähnlich. Da hat sich Inger früher mal gehenlassen und die Quittung für bekommen. Sie schafft es aber einfach nicht, ihren Mann zu verlassen.

Solfrid vermisst Eric. Nach dem Klappentext hatte ich eigentlich gedacht, dass dieser nicht nur einen Sommer lang in der Geschichte vorkommt. Seinbe Hauptrolle bestand darin, Solfrid aus ihrer Trauer ins Leben zurückzuholen. Das wurde auch Zeit. Sie ist jung und sollte noch etwas vom Leben haben. Ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin läuft. Und wie durch Zufall lernt sie während ihrer Ausbildung den Mann kennen, mit dem Inger damals ins Bett gehüpft ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich da noch etwas ergibt.

Zum Ende des Buches muss Lars dem kleinen Jakob noch das Leben retten, der von einer hohen Leiter fällt. Ich hatte schon die Befürchtung, dass Solfrid nach ihrem Mann nun auch noch den Sohn verliert. Aber das ist glücklicherweise noch einmal gut gegangen.

Der dritte Teil der Vestfold-Saga beginnt damit, dass Mutter und Sohn, Solfrid und Jakob, Urlaub machen auf Elvines ehemaligem Hof. Unter der Bedingung, dass er später an Jakob weitergegeben wird, wurde er nun erst einmal Solfrid überschrieben. Dorthin geht sie mit ihrem Sohn, wenn sie Ruhe braucht. Und um das bisschen freie Zeit, die sie hat, mit ihm ganz allein zu verbringen. Sie braucht ihn dort nicht mit den Großeltern zu teilen, die sich unter der Woche, während ihrer Ausbildung, um ihn kümmern. Und die beiden genießen diese Zeit.

Carlos L. Dews: Carson McCullers - Die Autobiographie

Carson McCullers Die Autobiographie
Illumination and Night Glare

Carson und Reeves McCullers Kriegsbriefe 1944-1945
Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Carlos L. Dews
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Walitzek

Mit zahlreichen Photographien

Das Buch wird eingeleitet mit einem Zitat von William S. Burroughs:

       Eine Rückschau auf ein Leben ist keine wohlgeordnete Aufzählung von Ereignissen von der Zeugung bis zum Tod. Vielmehr Bruchstücke daraus von hier und da.

Carsen McCullers wurde nur 50 Jahre alt. Ihren letzten Geburtstag (17. Februar 1967) feierte sie im New Yorker Plaza Hotel, wo sie auch noch Interviews gab. Unter anderem erklärte sie, warum sie eine Autobiographie schreibt:

   Ich denke, daß es für zukünftige Generationen von Studenten wichtig ist zu wissen, wieso ich manche Dinge tat, aber es ist auch für mich selbst wichtig. Ich wurde über Nacht zu einer etablierten literarischen Persönlichkeit, und ich war viel zu jung, um zu verstehen, was da mit mir geschah oder welche Verantwortung damit verbunden war. Ich muss unerträglich gewesen sein. Das, im Zusammenspiel mit all meinen Krankheiten, hätte mich fast zugrunde gerichtet. Aber wenn ich die Auswirkungen, die dieser Erfolg auf mich hatte, zurückverfolge und für zukünftige Generationen dokumentiere, hilft es ihnen vielleicht dabei, besser mit Erfolgen umzugehen.

Auf den ersten Seiten gibt es etwas Biographisches. Die Eltern und Geschwister werden erwähnt. Mit neun Jahren begann sie ein Klavierstudium, musste ihren Traum einer Konzertpianistin aber aufgeben, als sie krank wurde. Später diagnostizierte man bei ihr rheumatisches Fieber. So begann sie heimlich zu schreiben, da sie niemanden enttäuschen wollte. Sie reist später nach New York, um an Kursen teilzunehmen und arbeitete nebenbei für den Lebensunterhalt. Sie heiratete James Reeves McCullers jun., doch die Ehe war durch verschiedene Probleme belastet. Ihr Mann wollte sie sogar zum Selbstmord überreden, doch sie flüchtete. Er nahm sich dann alleine das Leben.
In ihren letzten 15 Jahren wurde Carson McCullers immer kranker. Literarisch hatte sie kaum noch Erfolg. Als sie mit der Autobiografie begann, war sie schon ans Haus und Bett gefesselt. Vom 18. April bis zu ihrem letzten Schlaganfall am 15. August diktierte sie den Entwurf einer Menge Menschen: Freunden, Familienmitgliedern, studentischen Hilfskräften. Es ist nicht mehr möglich, alle Identitäten festzustellen, die an dieser Arbeit mitgewirkt haben.

Der Name Annemarie Schwarzenbach taucht auf. In meinem SuB habe ich das Buch "Fast eine Liebe – Annemarie Schwarzenbach und Carson McCullers" von Alexandra Lavizzari stehen, in dem es um diese beiden Frauen geht:

    Carson spricht nicht direkt über ihre bisexuellen oder lesbischen Neigungen, fügt aber, wenn auch in leicht verschleierter Form, Einzelheiten über ihr Hingezogensein und ihre Beziehung zu der Schweizer Erbin Annemarie Clarac-Schwarzenbach ein. Über ihre erste Begegnung mit Annemarie schreibt Carson: "Sie hatte ein Gesicht, von dem ich wußte, daß es mich bis ans Ende meiner Tage nicht loslassen würde, schön, blond, mit kurzen glatten Haaren". Als weiteren Beweis für die Intensität ihrer Beziehung nahm Carson auch Auszüge aus zärtlichen Briefen von Clarac-Schwarzenbach ins Manuskript von ,Illumination and Night Glare' auf.


Ich beneide Carson McCullers fast um ihre Kindheitserinnerungen:

    Das Muster der Liebe hatte in meiner Kindheit begonnen. Ich vergötterte eine alte Dame, die immer wie ein mit Zitronenkraut gefülltes Duftkissen roch. Ich schlief bei ihr und kuschelte mich im Dunkeln an sie. Oft sagte sie: "Zieh dir den Stuhl bei, Liebchen, und sieh mal in der obersten Kommodenschublade nach", und dort fand ich dann irgendeine Leckerei. Ein kleines Törtchen oder einmal, zu meinem Entzücken, ein paar Kumquats. Diese erste Liebe war meine Großmutter, die ich Mommy nannte.


Der Autobiografie-Teil liest sich leicht und locker weg, aber ein so schönes Leben hat sie nicht gehabt.
Als Kind wurde sie falsch diagnostiziert und so bekam sie mehrere Schlaganfälle. Dann einen Alkoholiker als Mann, der sie nach der Scheidung nicht in Ruhe lies. Er verfolgte sie regelrecht und drohte damit, sich umzubringen, wenn sie ihn nicht wieder heiraten würde.
Am besten ging es ihr anscheinend immer, wenn sie schreiben konnte.

Carson McCullers hatte zwar ein kurzes, aber ein sehr erfülltes Leben. Und sie hatte sehr viele Freunde, was bei ihrem Erfolg sicher nicht selbstverständlich ist.
Robert und Hilda Marks lernte sie unter ungewöhnlichen Umständen auf einer Gartenparty kennen:

    Für mich war der erste Teil dieser Party ein Desaster. Meine Schuhe fühlten sich komisch an, und als ich mit in der Reihe stand, um die Gäste zu begrüßen, fühlten sie sich immer komischer an und taten immer mehr weh. Und in dem Moment, als meine Füße so schrecklich weh taten, lernte ich die Marks kennen. Mein Gesicht war vor Schmerzen ganz verkniffen und meine Freundlichkeit in diesem Moment ziemlich falsch. Hilda bekam einen sehr schlechten Eindruck von mir. Dann, als diese endlose Party vorbei war und ich mich in einen Liegestuhl fallen lassen konnte, sagte John plötzlich: "Ach du meine Güte! Du hast deine Schuhe verkehrt herum an."

Glücklicherweise traf Carson McCullers die Marks später noch einmal wieder und sie wurden Freunde.

Frances H. Burnett: Der geheime Garten

Mary lebt mit den Eltern in Indien. Allerdings wird sie von denen überhaupt nicht beachtet. Kinderliebe oder Fürsorge erlebt sie von ihnen nicht. Hauspersonal kümmert sich um sie, besonders ein Kindermädchen. Von diesen Menschen wird sie allerdings verzogen. Eines Tages herrscht völliges Chaos. Um Mary herum ist alles ruhig. Als sie von einem Mann in Uniform gefunden wird, ist sie die einzig Übriggebliebene auf dem Anwesen. Die Eltern sind an Cholera gestorben, wer noch nicht tot war, ist geflüchtet. Und so kommt sie nach England auf das Schloss ihres Onkels, der als sonderbar galt.
Und nicht nur das. Mary kann anfangs gar nicht glauben, wie das Hauspersonal mit ihr spricht. Besonders das Hausmädchen Martha, die von ihr sogar verlangt, dass sie sich alleine anziehen soll. Und die es wagt, ihr zu widersprechen, wenn sie ihr Befehle erteilen will.
Da es im Haus nichts zum Spielen gibt, bleibt Mary nichts anderes übrig, als nach draußen zu gehen. Und so erkundet sie die nächste Umgebung. Besonders die Gärten, derer vieler es hier gibt. Sie lernt den alten Gärtner Ben Weatherstaff kennen, der genauso grummelig ist wie Mary. Aber so langsam, mit der Zeit, freunden sie sich fast an.
Eines Tages findet Mary den Garten, den schon zehn Jahre niemand mehr betreten haben soll. Und nun ändert sich ihr Leben vollends.

Christine Westermann und Jörg Thadeusz: Aufforderung zum Tanz - Eine Zweiergeschichte

Christine Westermann und Jörg Thadeusz kannten sich kaum, waren aber neugierig aufeinander. Also stürzen sie sich in ein Abenteuer und schreiben zusammen ein Buch. Es macht richtig Spaß, zu lesen, wie sie sich brieflich einander nähern. Sie schreiben übers Älterwerden, Arbeit, Liebe, Treue usw. Halt die großen Themen des Lebens.

Carola Stern : Doppelleben

Carola Sterns "Doppelleben", welch ein Genuss ist es gewesen, über das Leben dieser Frau zu lesen. Sie hat einen einmaligen Schreibstil, das habe ich schon bei ihrer Biografie über Rahel Varnhagen erleben können. Mit den letzten Sätzen in ihrem Buch spricht mir Carola Stern aus tiefstem Herzen:
Doch schmerzt es mich, angesichts wachsender sozialer Ungerechtigkeit am Ende meines Lebens dazustehen ohne Antworten, ohne Perspektive, wie eine menschenwürdige Gesellschaft für alle erreicht werden kann. Es ängstigen mich Eigennutz und Habgier, die Unbarmherzigkeit von Unternehmern, die Resignation Betroffener, ihr Murren, das sich kaum noch in Empörung äußert, ein neuer Rechtsradikalismus und die Gleichgültigkeit, mit der er hingenommen wird. Ich bin einer jener "Gutmenschen" geworden, einer jener törichten Alten, die den Verlust von Werten, von Zivilcourage und Solidarität beklagen und von den Jungen oft belächelt werden. Das kann ich ertragen. Aber den Wandel des Zeitgeistes - ja, den würde ich noch gern erleben.

Walter Kempowski: Somnia - Tagebuch 1991

Ein Wiedervereinigungsplankton:

Wir sind jetzt zwiespältig. Daß sich schon jetzt so viele Widerstände aufgebaut haben gegen die Wiedervereinigung, das macht uns traurig und betroffen. Die Geschäftsleute fürchten um ihre Pfründe, und den westdeutschen Kaufleuten hängt die Zunge aus'm Hals." - 30. Januar 1991 (Somnia)

Ich finde das ganz verständlich. Für einen Großteil der Bevölkerung, wozu ich mich auch zähle, war das, was nach der Wende kam, ein Kulturschock.

Es ist ja schwierig, etwas über ein Tagebuch zu schreiben. Ich beginne jetzt mit dem 12. April 1991:

1961: Juri Gagarin umkreist als erster Mensch die Erde
Zitat:
,Sirius' wird überall gut aufgenommen. Dadurch daß er einen Monat nicht lieferbar war, ist mir ein Schaden von 20000 Mark entstanden.
Verkaufszahl ca. 11000.

2007 13000 Exemplare, Endzustand. Neuerdings rappelt er sich wieder auf.
Den "Sirius" habe ich mir auch gekauft. Vom "Echolot" habe ich noch nicht alle zusammen. Die Arbeit an Letzterem ist in diesem Tagebuch dokumentiert.

Saddam Hussein, Irak-Krieg, Tageszeitung, Filme, Politiker, Schriftsteller, Lesungen, Haus in Rostock, mit dem es nur Ärger gab, Familie, die Hunde und vieles mehr wird fast täglich angerissen. Teils mit ironischen Bemerkungen (das denke ich aber nur, weil ich ihn ja nicht persönlich kenne).

Wie hatte ich hier in Ostfriesland schon öfter einige Frauen beneidet, wenn in der Zeitung so ungefähr stand: "Landfrauen besuchten Walter Kempowski in Nartum". Ich wäre so gerne mal mitgefahren.

Nartum, 27. Juni 1991
Gegen Abend 30 Landfrauen, die unser Haus besichtigen wollten. Ich zog mich zurück und ließ es Frau Schönherr machen, die die Damen ja auch eingeladen hatte.
Unter solchen Umständen muß ich arbeiten. Ein Wunder, daß ich überhaupt etwas zustande bringe. Ich blieb am Schreibtisch sitzen und war ebenfalls zur Besichtigung freigegeben.
Man kann immer wieder rauslesen, wie enttäuscht Walter Kempowski darüber ist, dass seine Arbeit nicht so gewürdigt wurde. Bei Lesungen musste er immer wieder feststellen, dass viele Leute seine Bücher gar nicht gelesen haben.

Dass sein Verleger nicht mit ihm reden will. Dazu ein Eintrag vom 23. August 1991:

"Hier Paeschke?"
"Ja, guten Tag, Herr Paeschke."
"Sie wollten mich sprechen?"
"Ja, wir haben lange nichts voneinander gehört..."
"Ich komme gerade aus dem Urlaub und finde Ihren Zettel..."
"Es ist eigentlich etwas sonderbar, daß man seinen Verleger jahrelang nicht zu sehen kriegt."
"Ich dachte, daß die Betreuung durch Ihren Lektor gut sei?"
"Ja, aber wir müssen uns doch mal darüber unterhalten, wie es nun weitergehen soll."
"Bisher lief doch alles ganz gut, oder?"
Dann die Schwierigkeiten, an Material für den "Echolot" heranzukommen. Wer brauchbares Material hat, mag es nicht herausrücken. Wer freiwillig was weggibt, da passt vieles nicht.

Aber welche Freude, als man in Rostock ein Kempowski-Archiv einrichten möchte. Komischerweise darf es nicht Walter-Kempowski-Haus oder Walter-Kempowski-Archiv heißen. Letztendlich heißt es Kempowski-Archiv. Dazu ein Eintrag vom 22. August 1991:

Robert, dem ich heute von meinen Rostocker Archivplänen erzählte, sagte: "Bravo! Die sollen an unserm Namen ersticken! Hier 'n Blumenkübel, da 'ne Bank auf dem Unterwall."
Recht hat er, finde ich.

Ich bin traurig, dass ich eine derjenigen bin, die seine Bücher zu Lebzeiten nicht gekauft bzw. gelesen habe. Bei entsprechenden Einträgen von ihm kam bei mir immer das schlechte Gewissen hoch. Dabei interessiert mich doch die Rostocker Geschichte. Habe jahrelang Material (Bilder, Postkarten, alte Dokumente, Bücher, Zeitungsausschnitte, postalische Sachen usw.) gesammelt, was noch wartet, aufgearbeitet zu werden. Habe sogar nach dem Umzug nach Ostfriesland diverse Firmen in Rostock und Warnemünde angeschrieben, ob sie mir nicht Geschichtsmaterial schicken. Und von einigen habe ich sogar richtig was bekommen.

Schade, hätte ich dieses Buch zu seinen Lebzeiten gelesen, hätte ich ihm einen Brief geschrieben. Hätte ihm geschrieben, dass sein Verleger Unrecht hatte und Tagebücher doch gelesen werden.

Walter Kempowski: Sirius - Eine Art Tagebuch

Ich liebe seine Tagebücher. Der Mann nimmt kein Blatt vor den Mund, schreibt seine Meinung zum Tagesgeschehen, zu seinen Besuchern, spart nicht mit Kritik an Kollegen und übt auch Selbstkritik ("Kempowski ist schwierig.") Er notiert seine Träume (viel von der Haft in Bautzen), was er gerade liest, im TV gesehen hat und welche Musik er hört.

Nartum, Sa 29. Jan 1983

Im Bildarchiv lagern jetzt ca. 200.000 Fotos. Sie machen etwas mehr Arbeit als die Biographien, sie müssen regelrecht gepflegt werden.
"Was wollen Sie mit all diesen Bildern?"
Mit einer solchen Frage kann ich nichts anfangen. Die bloße Bewahrung vor der Vernichtung gibt der Sammlung schon einen Sinn. Genausowenig kann ich sagen, wozu die Sammlung von Biographien und Tagebüchern dienen wird. Bisher ist es noch immer so gewesen, daß ich mit dem, was ich aus subjektiver Getriebenheit tat, etwas Sinnvolles anfangen konnte. Nichts schöner, als eine Biographie lesen, und wundervoll, alte Fotos anzusehen. Die schönsten Fotos suche ich heraus und lege sie unter selbstgeschnittene Passepartouts.

1990: Inzwischen hat sich ganz von selbst ein Projekt ergeben, in das ein großer Teil der zeitgenössischen Berichte eingehen könnte: Das "Echolot", ein kollektives Tagebuch von 1943 - 1949. Damit werde ich mich wahrscheinlich den Rest meiner Tage beschäftigen.


Judith Merkle Riley: Die Zauberquelle

Auch den dritten und bisher letzten Teil habe ich mit Genuss gelesen. Gilberts Vater, wieder einmal in Geldnöten, will an das Erbe seiner Schwiegertochter und deren Töchter. Um Unheil von sich abzuwenden, begleitet die Familie den alten Haudegen auf dessen Burg. Wie sich herausstellt, muss Margaret nicht nur um ihr Hab und Gut kämpfen, sondern auch um das Leben ihres Sohnes.

Schade, ich hätte gerne auch noch einen vierten Teil gelesen.

Judith Merkle Riley: Die Vision

Schon kurz nach der Hochzeit kann Gilbert der Verlockung des kriegerischen Ruhms nicht widerstehen. So zieht er denn mit Bruder Hugo und Vater ins Feld. Und ausgerechnet er, der nun auch noch Chronist des Herzogs ist, wird gefangengenommen.
Die weitere Geschichte schildert, wie Margaret mit ihren Töchtern von der Burg flieht, ihre Freunde zusammentrommelt und sich auf den Weg macht, ihren geliebten Mann zu retten.
Sir Hugo, Gilberts Bruder, wird als ein dermaßen schräger Charakter gezeichnet, dass man oft nur noch schmunzeln kann.
Also auch Margarets Humor lässt weiterhin nichts zu wünschen übrig, obwohl das Schicksal sie oft in fast aussichtslose Situationen versetzt.
Aber Margaret wäre nicht Margaret, wenn sie aufgeben würde. Da es noch einen dritten Teil gibt, kann ich verraten, dass sie es schaffen, ihren Mann Gilbert zu befreien, der auf dem gefahrvollen Rückweg nach England auch noch Vater wird.

Ich bin sehr gespannt, wie die beiden, nun wieder in der Heimat, ihr Leben meistern.Beendet wird diese Geschichte mit einen riesigen Familien-, Freundes- und Nachbarsfest.

Judith Merkle Riley: Die Stimme

Mein erstes Buch dieser Art, und ich bin hin und weg. Frau Rileys Schreibstil ist so leicht und locker, dass man meint, man schwimmt durch die Geschichte. Margaret von Ashbury, die mit dem Kaufmann Roger Kendall verheiratet ist, diktiert Bruder Gregory (der in Wahrheit Gilbert de Vilers heißt) in Rückblenden ihre Lebensgeschichte. Anfangs aus einer Notlage heraus (der Mensch muss ja essen) freut er sich dann doch zusehends über jeden neuen Besuch im Hause der Kendalls.

Ich finde, Margaret ist ihrer Zeit weit voraus. Sie lässt ein Buch schreiben, bittet darum, dass Bruder Gregory ihr das Lesen beibringt, hat einen erfrischenden Humor, lässt sich als Wehmutter ein Gerät herstellen, mit dem sie Kindern auf die Welt hilft, die es nicht von alleine schaffen, will nur aus Liebe heiraten usw.
Das bringt ihr natürlich Schwierigkeiten ein und sie entkommt knapp dem Scheiterhaufen.
Ich bin gespannt auf die Fortsetzung.

Susanna Tamaro: Geh, wohin dein Herz dich trägt

Geh, wohin dein Herz dich trägt schreibt die Großmutter ihrer Enkelin in einem Brief, der wohl nie abgeschickt wird. Um drei Frauen geht es in diesen Briefen: Da ist Olga, die Großmutter, die nach einem Schlaganfall ihrer Enkelin Briefe schreibt, in denen sie von der Familie berichtet. Sie erzählt ein wenig über ihre eigenen Eltern, doch hauptsächlich geht es um die Tochter, die zu früh gestorben ist, und die Enkelin, mit der sie dann zusammengelebt hat.
Doch so ungetrübt war das Zusammenleben der beiden so unterschiedlichen Frauen wohl nicht. Eines Tages entschließt sich die Enkelin, nach Amerika zu gehen und nimmt der Großmutter das Versprechen ab, ihr nicht zu schreiben.

Dienstag, 28. August 2012

Antonio Skármeta: Mit brennender Geduld

Eine Hommage an den großen chilenischen Dichter Pablo Neruda. Sehr schön zu lesen. Poetisch und kraftvoll. Interessant das Umschlagmotiv: "Aus der Tapetenkollektion 'Factory', Casamance".

Peter Gay: Mozart: Biographie

Peter Gay soll ein großer Mozart-Liebhaber sein, habe ich gelesen.
Die Musikstücke, die hier alle aufgeführt werden, kenne ich zumindest vom Namen her nicht. Ich bin nicht der Klassik-Fan. Aber was Peter Gay über Mozart schreibt, ist interessant.
Mozart hat in einer Zeit gelebt, als Kinder wirklich noch in die Welt gesetzt wurden, um die Eltern später mal zu versorgen. Das kommt durch Leopolds, Mozarts Vater, Briefe ganz deutlich zum Ausdruck. Der macht es seinem Sohn wahnsinnig schwer, ein eigenes Leben zu führen. Gibt ihm sogar die Schuld am Tod der Mutter. Damit bekommt er ihn immer wieder klein.
Bis Mozart dann irgendwann doch aufbegehrt und sich sein bisschen Freiheit nimmt.

Was ich als Korrekturleserin wieder höchst faszinierend finde: Peter Gay arbeitet mit vielen Briefzitaten in der Originalschrift. Was für ein deutsch.
Da taucht natürlich wieder die Frage auf, wer uns die Klassiker in eine für unser Auge annehmbare Sprache "übersetzt".

Kathrine Kressmann Taylor: Adressat unbekannt

Gekauft hatte ich es hauptsächlich, weil es in Briefform geschrieben ist. Ich hatte auch schon einige Meinungen zu diesem Buch gelesen und war sehr gespannt, wie die Handlung in dieses dünne Büchlein passen sollte.
Max Eisenstein und Martin Schulse sind Geschäftspartner, Freunde, und führen in San Francisco eine Kunstgalerie, die sehr gut läuft. 1932 siedelt Martin nach München über und wird mit der Zeit mehr und mehr bekennender Nationalsozialist. Diese Entwicklung kann man sehr gut aus seinen Briefen herauslesen. Als eines Tages Max' Schwester Griselle vor Martins Tür steht und Hilfe benötigt, da sie von SA-Männern verfolgt wird, verwehrt er sie ihr. Das ist Griselles Todesurteil.
Max beginnt nun, sich für den Tod seiner Schwester zu rächen. Wie, das verrate ich Euch nicht. Für einige Cents gibt es das Büchlein gebraucht bei Amazon oder.

Das Buch erschien 1938 unter dem Pseudonym Kressmann Taylor, da ihr Verleger meinte, ein politischer Text einer Frau würde nicht ernst genommen.

Montag, 27. August 2012

Andreas Kieling: Durchs wilde Deutschland - Von den Alpen bis zum Wattenmeer

Dokumentationen dieser Art gesehen habe ich ja schon sehr viele und ich schaue die auch sehr gerne. Als Buch lese ich so etwas das erste Mal. Ein wenig Bammel hatte ich schon vor den ganzen biologischen Fachausdrücken, aber das hält sich in Grenzen. Kieling benutzt sie da, wo es nötig ist, ansonsten ist er ein toller Erzähler. Ein bisschen Humor schwingt auch mit durch. Das Buch ist einfach super. Das ist zwar mein erstes Buch von Andreas Kieling, aber sicher nicht mein letztes. Der Mann kann so toll erzählen.
Das Buch ist ja gegliedert in einige Kapitel, in denen er jeweils von einem Abenteuer berichtet. Aber er bleibt nicht stur bei dem einen Thema. Er schweift auch schon mal kurz ab, wenn es gerade passt. Ist dann aber auch schnell wieder beim ursprünglichen Thema.
Und einen feinen Humor hat er. An so mancher Stelle habe ich schon laut aufgelacht.

Zum Beispiel, als er im ersten Kapitel in den Bergen auf der Suche nach Steinböcken war:
Eine überdurchschnittlich große Lunge befähigt das Gamswild nämlich zu außergewöhnlichen Leistungen, was ein Bock vor unseren Augen eindrucksvoll unter Beweis stellte. Wir beobachteten, wie zwei Böcke sich um eine Geiß rangelten, die wohl gerade in die Brunft kam. Die beiden sprangen in einem solchen Tempo aufeinander zu und hakelten sich derart vehement mit ihren scharfen Hörnern, dass es nur so krachte und der Schnee nach allen Seiten stob. Schließlich gab der eine auf und flüchtete. Damit gab sich der Sieger aber nicht zufrieden, und er jagte den unterlegenen Konkurrenten in einem Affenzahn mindestens 200 Meter den Berg hinunter, bis er sicher sein konnte, den anderen wirklich in die Flucht geschlagen zu haben. Dann hetzte er mit unverminderter Geschwindigkeit den Berg wieder hoch, machte nur einmal fft, fft - so eine Art Flämen -, besprang die Geiß, ruckelte kurz, schüttelte sich und stand dann da, als wäre nichts gewesen. Ist der fit, der Junge, dachte ich, ist ja unglaublich. Mir hinge nach einer solchen Aktion die Zunge bis zu den Knien, und der atmete nicht mal schwer! Da gehen einem als Mann seltsame Dinge durch den Kopf, mir zumindest.

In einem anderen Kapitel ist er auf der Suche nach dem gemeinen Feldhamster, der, man soll es nicht glauben, auf der Roten Liste steht.
Und immer in Begleitung seiner Hündin Cleo. Cleo mag es übrigens überhaupt nicht, wenn Herr Kieling sich ans Tauchen macht. Und ganz wild wird sie dann, wenn Blubberblasen aufsteigen. Als er in voller Tauchermontur sich auf die Suche nach Riesenwelsen macht, lässt er Cleo bei seinem Begleiter am Ufer zurück. Der soll die Hündin ja festhalten, da sie sonst ins Wasser springt. Und das kann er ja beim Unterwasserfilmen gar nicht gebrauchen. Also watet er los und als er unter Wasser ist, und die Kamera in Positur bringt, sieht er was? Vier Pfoten oben, die auf ihn zugeschwommen kommen. Also muss er Cleo erst wieder rausbringen, aber die schafft es dreimal, sich von dem Begleiter loszureißen. Sie muss wirklich weiter weg an einem Baum festgebunden werden.

Vieles von dem Wissenswerten ist bei mir nicht hängengeblieben. Wie denn auch, wo ich mich mit der Materie ja nicht so intensiv beschäftige, wie z. B. Andreas Kieling.
Aber das Buch habe ich wirklich mit Vergnügen gelesen und werde auch seine anderen Bücher noch verschlingen, da bin ich ganz sicher.

Maria Nurowska: Das Mädchen im Elfenbeinturm

Es ist nicht leicht für Anka. Ihr Leben wird von ihrer Herzkrankheit bestimmt. Bei ihr läuft alles langsamer ab. Strengt sie sich an oder regt sie sich auf, wird das in der Regel sofort mit einem Anfall bestraft. Es gäbe eine Möglichkeit, dem ein Ende zu machen; eine Herz-Operation soll ihr helfen. Aber die Eltern sind noch dagegen. Besonders ihre Mutter ist übervorsichtig mit ihr. Hat ihr eigenes Selbst aufgegeben.
Als Anka Marek kennenlernt und sie Freunde werden, klappt das ganz gut, solange Marek nichts von ihrer Krankheit weiß. Doch eines Tages kommt er dazu, nachdem sie einen Anfall hatte und sich ein alter Mann um sie kümmerte. Seitdem sehnt Anka die Operation herbei.
Als ihre Mutter für einige Zeit ins Ausland verreist, ist das ihre Chance. Gemeinsam mit Marek tüftelt sie einen Plan aus...
Ich habe keine Erinnerung mehr daran, ob mich das Buch damals als Jugendliche vom Hocker gerissen hat. Heute tat es das nicht. Das Spannendste waren die Tochter-Vater-Gespräche. Ansonsten ist es eine nette Lektüre.

Nikolai Ostrowski: Wie der Stahl gehärtet wurde

Mit ca. vierzehn Jahren habe ich dieses Buch als Schullektüre lesen müssen. Ich kann mich nicht mehr dran erinnern, ob ich damals wusste, dass Nikolai Ostrowski hier über sich selbst schrieb. Ich weiß aber, dass ich von dem Buch beeindruckt war. Beeindruckt davon, dass Pawel schon in jungen Jahren an der Revolution teilnahm. Beeindruckt auch davon, dass dieser junge Mensch noch vor seinem älteren Bruder Artjom politisch schon so gefestigt war. Und vor allem nur für die Arbeit und die Partei lebte.
Der erste Teil des Buches wird mit einem Wort vom französischen Schriftsteller Romain Rolland eingeleitet:
Alles in Ostrowski ist Flamme der Aktion und des Kampfes - und diese Flamme wuchs und dehnte sich aus, je enger Nacht und Tod ihn umringten. Er strömte von unermüdlichem Lebensmut und Optimismus über. Und diese Freude verband ihn mit allen kämpfenden und vorwärtsschreitenden Völkern der Erde. 

Diese Sätze passen voll auf Kortschagin/Ostrowski. Je kränker Pawel wurde, desto größer sein Kampfgeist und der Wille, nicht außen vor zu stehen.

Zu Beginn des zweiten Teils gibt es ein Wort von Julius Fucik, einem tschechischen Autoren und Antifaschisten:
Ein Kommunist fürchtet nichts - das ist die Schlussfolgerung aus diesem Buch, das ist die Bilanz des Lebens des Verfassers.

 Aber fürchtet ein Kommunist wirklich nichts? Oder sind alle Bücher dieser Art nur Propaganda? Wie ich einmal gelesen habe, soll es ja Schriftsteller gegeben haben, die eigens dafür bezahlt wurden, solche Bücher zu schreiben. Die Liebe zur Heimat, zur Familie, Mütterchen Russland, der unerschütterliche Glaube an den Frieden und die Freiheit.
Gehörte Nikolai Ostrowski auch zu denen, die dafür bezahlt wurden, solch ein Buch zu schreiben? Oder gibt oder gab es wirklich solche Helden? Die nie schwach wurden, nie wankten, nie Fehler machten?

Die bekanntesten Sätze in diesem Buch kommen von Pawel:
Das Wertvollste was der Mensch besizt, ist das Leben. Es wird ihm nur einmal gegeben, und er muss es so nützen, dass ihn sinnlos vertane Jahre nicht qualvoll gereuen, die Schande einer unwürdigen, nichtigen Vergangenheit ihn nicht bedrückt und dass er sterbend sagen kann: Mein ganzes Leben, meine ganze Kraft habe ich dem Herrlichsten auf der Welt - dem Kampf um die Befreiung der Menschheit - gewidmet. 
 Ich finde, sie sind heute noch so gültig wie damals.

Mario Adorf: Der Fenstersturz - Merkwürdige Geschichten

Hör oder les ich den Namen Mario Adorf, denke ich zuerst an "Der große Bellheim" und dann an "Die Blechtrommel". Ersteren Film finde ich super, möchte ich gerne noch einmal sehen. "Die Blechtrommel" kann man irgendwie nicht vergessen, egal wie lange es her ist, dass man den Film gesehen hat. Ansonsten ist mir Mario Adorf als Schauspieler nicht haften geblieben.
Als Geschichtenerzähler gefällt er mir ausnehmend gut. Wie lernte er Romy Schneider und Alain Delon kennen? Wie unausstehlich war Klaus Kinski? Konnte Klaus Jürgen Wussow keinen Alkohol vertragen? Diese und andere Anekdoten erzählt er auf seine eigene, herzerfrischende Weise.

Sonntag, 26. August 2012

John Cleland: Die Memoiren der Fanny Hill

John Cleland wurde 1709 in Kingston upon Thames, Surrey, geboren und starb am 23. Januar 1789 in London. Er war ein englischer Schriftsteller, der aufgrund hoher Schulden 1748 in das Londoner Newgate-Gefängnis kam. Der Verleger Ralph Griffiths bot ihm für einen erotischen Roman 20 Guineen. Um aus der Haft entlassen zu werden, nahm er dieses geringe Angebot an.
So vollendete er noch im Gefängnis Die Memoiren der Fanny Hill, die er schon Jahre zuvor begann und wurde entlassen. Wegen der Veröffentlichung des Buches kam er wieder ins Gefängnis. Weil er aber glaubhaft nachweisen konnte, dass die Veröffentlichung aus einer finanziellen Not heraus geschah, wurde er nur verwarnt und erhielt von Lord Granville sogar eine Pension von 100 Pfund pro Jahr.

Einige erotische Bücher habe ich gelesen: Emmanuelle, die Mutzenbacher und noch so einiges. Aber das schönste war bis jetzt die Geschichte über Fanny Hill.
Sie kommt als 15-jährige Waise nach London und wird von einer Kupplerin aufgenommen. Von einer Frau soll sie als Prostituierte ausgebildet werden. Der junge Gentleman Charles rettet sie aus dem Bordell, wird von seinem Vater allerdings auf Reisen geschickt und so muss Fanny Hill nun wirklich als Prostituierte arbeiten, um zu überleben...
Mal davon abgesehen, dass hier die Notlage eines jungen Mädchens ausgenutzt wurde, kommt dieser Fakt überhaupt nicht rüber. Und wenn man die Umstände bedenkt, unter denen dieses Buch geschrieben wurde, sind die Liebesszenen wunderbar beschrieben, wie überhaupt das ganze Buch eine schöne Sprache hat.

Selma Lagerlöf: Das Mädchen vom Moorhof

Das Buch ist die Nr. 285 von der Insel-Bücherei. Ich liebe diese kleinen Büchlein. Es geht in dieser Novelle um die Dienstmagd Helga Nilsson, die auf einem Thing (vor Gericht) einen Erziehungsbeitrag für ihr Baby einklagen will. Der Vater des Kindes ist ein verheirateter Mann, der behauptet, zu Unrecht beschuldigt zu werden. Der Richter fragt ihn, ob er bereit sei, einen Eid zu schwören, was er bejaht.
Da zuckt Helga zusammen und bevor er den Eid ablegen kann, schreitet sie ein. Sie reist die Bibel an sich. Bevor er seine Seele verschwören kann, zieht sie die Klage zurück. Der Richter ist beeindruckt von ihr. Und obwohl sie nun ohne Geld dasteht, geht sie als moralische Siegerin aus dem Gerichtssaal.
Ob ihr das im weiteren Leben hilft?

Joe Coomer: Der Papagei, das Telefon und die Bibliothekarin

Eines Tages im Winter fliegt Lyman ein Papagei zu. "Halt die Klappe", war das erste, was er von ihm zu hören bekam. In der Bibliothek, in der er für die verschiedensten Kurse lernt und wo er nun etwas über Papageien erfahren will, läuft ihm Fiona über den Weg, die ihn, seit sie hier arbeitet, nicht in Ruhe lässt. Wir erfahren, dass Lyman schon als Baby seine Eltern bei einem Autounfall verlor. Noch dazu wusste er nicht mal, ob die beiden auch verheiratet waren und ob er überhaupt ihr Kind war. Er war lange im Krankenhaus und dann bei Pflegeeltern.
Lyman arbeitet bei der Verkehrswacht und sorgt nachts dafür, dass die Straßen frei sind.
Als der Papagei nun sogar einen Satz aus der Bibel plappert, wird Lyman richtig neugierig. Er versucht zurückzuverfolgen, wo der Vogel ursprünglich herkommt. Seine Spuren führen ihn dabei immer weiter in die Vergangenheit und er lernt die verschiedensten Menschen kennen.
Doch was ist mit Fiona? Am Anfang hilft sie ihm bei den Recherchen, aber irgendwann macht sich Lyman allein weiter auf die Suche. Ob sie ein Pärchen werden? Das wird nicht verraten.

Das Buch habe ich mir gekauft wegen der Bibliothekarin im Titel. Ist ja meine Lieblingsrichtung. Dann war ich erst etwas enttäuscht, weil das gar nicht so die Hauptrolle spielte.
Am Anfang bin ich auch gar nicht so gut reingekommen, aber dann fesselte mich die Geschichte doch.
Eine klassische Liebesgeschichte darf man nicht erwarten, aber man darf sich auf einen feinen Humor freuen.

Paulo Coelho: Der Zahir

Über den Autoren habe ich schon so einige Meinungen gelesen. Irgendwie wird er entweder in den Himmel gehoben oder in die Hölle gewünscht. Ich Glaube, ich muss mich mal mit seiner Biografie beschäftigen. Die Geschichte gefiel mir sehr gut. Sie klingt irgendwie banal. Da treffen sich zwei Menschen, verlieben sich, leben zusammen und leben sich irgendwann auseinander. Und auf einmal verschwindet ein Partner. Einfach so, ohne Abschied. Und so banal sie klingt, man mag irgendwie nicht aufhören zu lesen.
Der Autor schreibt in der Ich-Form. Der Hauptdarsteller ist Schriftsteller. Man ist geneigt zu denken, es ist eine wahre Geschichte. Da muss ich wirklich mal nachforschen, inwieweit und ob sich hier Fiktion und Wirklichkeit vereinen.
Mein Buch ist vom Diogenes Verlag. Ich finde die Buchgestaltung dieses Verlages sehr schön.

Joke J. Hermsen: Die Gärten von Bloomsbury

Dieses Buch ist aus meiner Lieblingssparte, Schriftsteller spielen darin mit. Eliot, Woolf und noch so einige. Um Martha dreht sich die Geschichte. Martha, die zur Beerdigung ihrer Oma aus Amsterdam nach England kommt. Und auch gleich hierbleibt. Sie möchte etwas über das Verschwinden ihres Vaters erfahren. Der erste Weltkrieg ist ein paar Jahre vorbei. Er wurde einfach von der Straße wegrekrutiert und dann hat die Familie ihn nicht wiedergesehen, seit acht Jahren nicht mehr. Ein paar Briefe, das waren die einzigen Lebenszeichen von ihm.
In der Buchhandlung "Old and New Books, Mr. Silberberg" begegnet sie Sam Eliot und bekommt nach einem kurzen Gespräch mit ihm gleich Arbeit und ein Zimmer von Mrs. Silberberg.
Mit diesem Buch kam ich überhaupt nicht klar. Das einzig Klare ist für mich der rote Faden "Martha". Ansonsten werden verschiedene Stränge gesponnen. Einer über das Ehepaar Eliot, einer über Virginia Woolf, Colette taucht auf, der Rest ist mir schon entfallen. Sie gehören zu der Londoner Bloomsbury-Gruppe der 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Bis auf die Geschichte von Martha entschließt sich mir der Sinn dieses Buches nicht. Vielleicht bin ich ja auch nicht intellektuell genug, um es zu verstehen.
Ich habe das Buch nicht zu Ende gelesen. Allerdings werde ich es noch nicht verschenken. Irgendwann versuche ich noch einmal mein Glück damit.

Insa Segebade: Die Rückkehr

Mal schaun, wie lange ich für die knapp 200 Seiten brauche, habe ich mir gedacht. Und nun habe ich es innerhalb von 24 Stunden ausgelesen. Insa Segebade erzählt uns auf spannende Weise etwas über unsere Region, über einen friesischen Häuptlingssohn, wie er damals gelebt hat. Die Klosterkirche Ihlow, die vollkommen zerstört war und jetzt wieder neuerbaut wurde, spielt eine Rolle. Am Rande erscheint auch noch Klaus Störtebeker. Es geht um Liebe, Vertrauen und auch um Tierliebe.

Ein sehr kurzweiligen Buch für Kinder ab 12 Jahren.

Michael Cunningham: Die Stunden

Oh ja, den Film mit Meryl Streep, Nicole Kidman und Julianne Moor fand ich zauberhaft. Aber das Buch, ich bin bis zum Schluss einfach nicht mit ihm warm geworden. Vielleicht lag es daran, dass ich vorher den Film gesehen habe? Ich weiß es nicht.
Die Idee an sich finde ich toll. Da wird abwechselnd über drei Frauen, die in unterschiedlichen Zeiten leben, berichtet. Über einen einzigen Tag aus ihrem Leben. Und alle verbindet etwas mit "Mrs Delloway".

Ich kam nur langsam rein in die Geschichte. Schon der Prolog ist sehr traurig und beklemmend.
Clarissa will am Abend eine Party für ihren todkranken Freund Richard geben. Er ist Schriftsteller und soll mit einem Preis ausgezeichnet werden. Er nennt sie Mrs. Delloway.
Virginia setzt sich, nachdem sie aufgestanden ist und sich einen Kaffee geholt hat, in einen Sessel und ohne zu wissen, wie sie beginnen soll, greift sie zur Feder und schreibt: "Mrs. Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen."
Laura Brown ist verheiratet, hat einen Sohn und sollte eigentlich aufstehen, da ihr Mann Geburtstag hat. Doch sie liest "Mrs. Dalloway".

Jede der Frauen hat zu kämpfen. Mit guten und schlechten Momenten. Solche Geschichten liebe ich eigentlich.
Auf jeden Fall werde ich das Buch noch einmal lesen. In ein paar Jahren. Vielleicht habe ich dann einen besseren Zugang und kann es auch genießen und vor allem den Pulitzerpreis würdigen, den es erhalten hat.

Eva Ibbotson: Die Vertraute

Ein Jahr lang gibt uns Susanna in Form eines Tagebuchs Einblick in ihr Leben. Susanna hat in Wien auf dem Madensky-Platz ihren Modesalon. Und durch ihren Tagesablauf lernen wir die verschiedensten Menschen kennen: Die Gräfin Metz: Die alte Frau kann die Kleider kaum mehr bezahlen. Trotzdem näht Susanna weiter für sie, weil die Gräfin Kleider um der Kleider willen liebt. Frau Schumacher erhofft nach sechs Mädchen endlich einen Buben, damit der Mann einen Nachfolger in der Firma bekommt. Wie wird er reagieren, wenn wieder ein Mädchen kommt.
Es wäre zuviel, alle aufzuzählen. Ein Geheimnis hat Susanna, das ihr keine Ruhe lässt. Als junges Mädchen musste sie ihr geborenes Kind zur Adoption freigeben. Nur ihre Freundin Alice Springer und ihr Geliebter Gernot wissen davon.
Eines Tages gerät Susannas Salon in Gefahr. Wird sie ihn retten können und warum zieht sich Gernot so plötzlich von ihr zurück. Liegt es wirklich daran, dass sie eine Verabredung nicht einhalten konnte?
Diese Geschichte zu lesen, hat mir Vergnügen bereitet.

Edith Templeton: Gordon

Ich dachte, ich beginne ein erotisches Buch zu lesen. Allerdings hat diese Geschichte mit Erotik, wie ich sie verstehe, recht wenig bis gar nichts zu tun. Louisa lebt im London der Nachkriegszeit. In einer Kneipe trifft sie Gordon, einen Psychiater. Sie mag ihn nicht mal. Trotzdem geht sie mit ihm mit und lässt sich von ihm verführen. Sie treffen sich regelmäßig und der Sex findet immer zu den Bedingungen von Gordon statt. Dabei gibt es keine Zärtlichkeit. Er nimmt sie einfach und sie lässt es geschehen. Und obwohl sie sich einerseits beschämt fühlt und wütend wird, erfüllt er sie andererseits mit "einer tiefen, außerordentlichen Seligkeit und Befriedigung", die sie noch nie zuvor gespürt hat.
Im Verlauf dieser Affäre erzählt Louisa, die von Gordon nie mit ihrem Namen angesprochen wird, viel Persönliches. Anhand dieser kleinen Erzählungen kehrt er ihr Innersten nach außen, lässt sie sich an Dinge erinnern, die sie tief in sich vergraben hat...

Edith Templeton hat das Buch 1966 unter dem Pseudonym Louise Walbrook herausgebracht. Es wurde wegen Anstößigkeit verboten - allerdings erst, nachdem es sich gut genug verkauft hatte, um die Aufmerksamkeit der Olympia Press auf sich zu lenken. Erst 2001 wurde das Buch noch einmal unter ihrem richtigen Namen verkauft.
Ich bin mit der Louisa irgendwie nicht klargekommen. Sich einem Menschen so auszuliefern, ist für mich befremdlich. Mir fehlt auch ein bisschen was von ihrem sonstigen Leben. Sie war ja nicht jeden Tag mit Gordon zusammen. Aber nur über diese Tage wird berichtet.
Während des Lesens habe ich mich manchmal gefragt, ob sie von Gordon persönlich abhängig ist oder von dem Gefühl, das er ihr vermittelt. Dazu gibt es am Schluss eine Auflösung.

Fazit: Für mich war es eine kurzweilige Geschichte, die aber keinen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Knut Hamsun: Hunger

Dieses Buch erschien zwar schon 1890, ist aber bis heute absolut aktuell geblieben. Überall auf der Welt gibt es Menschen, die hungern müssen. Selbst in so reichen Ländern wie Deutschland. Da brauchen wir gar nicht so weit weg schauen.
Im Sommer 1888 war Knut Hamsun per Schiff auf der Rückfahrt von seinem zweiten Amerikaaufenthalt nach Kopenhagen. In Kristiania wurde ein Zwischenstopp eingelegt. Diese Stadt ist ihm noch sehr gut in unangenehmer Erinnerung, durchlebte er hier doch 1886 arbeitslos eine schwere Hungerzeit. Er verließ das Schiff nicht und in der Nacht schrieb er die ersten denkwürdigen Zeilen:
Es war in jener Zeit, als ich in Kristiania umherging und hungerte, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verlässt, ehe er von ihr gezeichnet worden ist.
Als er in Kopenhagen angekommen war, schrieb er in einer gemieteten Dachkammer weiter. Wieder unter Hunger.

Edvard Brandes, Feuilletonredakteur der Zeitung "Politiken", war von dem noch unfertigen Manuskripot tief ergriffen. Er überredete Carl Behrens, es in der dänischen Zeitschrift „Neue Erde“ im November in Bruchstücken anonym zu veröffentlichen. Und es erregte sofort Aufsehen. Zwar lüftete die "Dagblad" bald das Geheimnis des Autoren, aber das fertige Werk wurde 1890 immer noch anonym herausgegeben. Im selben Jahr schon veröffentlichte Samuel Fischer es in deutscher Übersetzung.

Hunger ging mir ganz schön unter die Haut. Die Geschichte wird in der Ich-Form erzählt. Und ich erlebe hautnah mit, wie sich der arme Redakteur durchs Leben schleicht. Ein Zimmer zur Miete, das er sich nicht mehr leisten kann, die erste Nacht, die er in einem Wald geschlafen hat, wie er hungrig durch die Stadt streift. Und was ihm dabei alles so durch den Kopf geht, ist unbeschreiblich. Und oftmals für mich unverständlich.
Als Leser leide ich mit diesem Menschen. Dabei kenne ich diese Person, die da erzählt gar nicht. Er bleibt namenlos. Ich weiß nicht, ob er Familie hat. Ist er verheiratet, hat er Kinder, Geschwister, Eltern? Nichts von dem habe ich erfahren. Nur dass er vergeblich versucht, seine Schreibereien an den Mann zu bringen und weitere neue Sachen zu schreiben, um damit Geld zu verdienen. Um sich etwas zum Essen kaufen zu können, um ein Dach über dem Kopf zu haben.
Er versucht aber nicht, sich anderweitig Arbeit zu verschaffen. Wartet nur darauf, dass ihm die Geschichte gelingt. Ganz am Ende lässt mich dieser namenlose Journalist irgendwie nachdenklich, verwirrt und ratlos zurück.