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Eine Zufallsbekanntschaft aus einem Wiener Kaffeehaus - das ist Suvorin. Der Russe, früher ein berühmter Pianist, ist heute alt, verarmt und vergessen. Die Jahre seines Erfolges liegen schon lange zurück. Suvorin ist einsam. Seine Frau, die ihn ein Leben lang begleitet hat, ist vor ein paar Jahren gestorben. Suvorin ist krank. Seine Vergangenheit als erfolgreicher Pianist und das damit verbundene exzessive Leben fordern mittlerweile ihren Tribut.
Suvorin hat Geschichten zu erzählen. Die Geschichte seines außergewöhnlichen Lebens und die Geschichte seiner Musik.
Diese Geschichten erzählt Suvorin in mehr oder weniger regelmäßigen Treffen mit dem Ich-Erzähler, einem Schriftsteller. Von diesen Treffen und Suvorins Erinnerungen handelt Wolf Wondratscheks Roman "Selbstbild mit russischem Klavier".
Da saß ein heimatloser alter Russe, dem so gut wie jedes Vergnügen von den Ärzten verboten worden war, dem sie Gymnastikstunden verschrieben und, in seinen Augen eine noch schlimmere Zumutung, das Schwimmen in einer Badeanstalt empfohlen hatten, und gönnte sich eine Erinnerung an das Leningrad seiner Jugend, an das von Dichter geschaffene Unvergängliche, Verse einer in dunklen Farben schmelzenden Poesie, gefährlich schön und so, wie er sie aufsagte, selbst Musik.
Ist es anfangs Mitleid, dass den Schriftsteller zuhören lässt, wächst mit der Zeit sein Interesse an Suvorins Leben. Mit steigendem Interesse wächst die Zuneigung für diesen außergewöhnlichen Mann. Und am Ende verbindet die beiden Männer eine Beziehung, die der einer Freundschaft am nächsten kommt.
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Der russische Pianist berichtet von seinen Anfängen in den 60er Jahren, von den Restriktionen und der Kontrolle durch das kommunistische System in der Sowjetunion, von seiner Ehe und natürlich von seiner Musik. Dabei erklärt er seine Leidenschaft für die Musik und welche Bedeutung diese für sein Leben hat. Seine tiefsinnigen Ausführungen zur Musik sind ganz besondere Momente in diesem Roman. Denn sie nehmen fast schon philosophische Ausmaße an. So viel ist klar. Surovin hat keine Musik gemacht, weil ihm der Erfolg viel bedeutete. Stattdessen liegen seine Motive tiefer begründet.
Äußerlich mag Surovin den Anschein erwecken, dass er ein gebrechlicher alter Mann ist. Aber geistig ist er jung geblieben. Er genießt es, von seinem Leben zu berichten. Einmal angefangen ist er fast nicht mehr zu bremsen. Seine Erinnerungen werden zu Monologen, in denen er sich ungern unterbrechen lässt. Und zwischendurch blitzt immer wieder der Schalk in ihm durch, da er sich genüsslich über seine Zeitgenossen und Erlebnisse mit ihnen lustig macht.
Was für eine schöne Sprache das Deutsche sein kann, wenn man es nicht brüllt. Lauschen! Was für ein Wort! Da ist alles drin, die einen Menschen ganz erfüllende Aufmerksamkeit, das Intime, man ist mit dem, was man hört, allein. Wie man Vögeln lauscht, dem Atem eines schlafenden Kindes.
Wolf Wondratschek schildert das Aufeinandertreffen der beiden Männer in einer sehr poetischen Sprache, die eine sehr melancholische, fast schon traurige Stimmung vermittelt. Das Buch lässt sich jedoch nicht leicht lesen. Wörtliche Rede lässt sich kaum als solche erkennen, da der Autor auf Anführungszeichen verzichtet. Daher ist es schwierig, zwischen den Aussagen von Suvorin und denen des Ich-Erzählers zu unterscheiden. Hier ist beim Lesen 100%ige Aufmerksamkeit gefragt. Lässt die Konzentration für einen Moment nach, läuft man Gefahr, den Faden zu verlieren.
Surovin hat ein eindrucksvolles Leben geführt, wie seine Erzählungen beweisen. Und dennoch stellen sich für mich mit der Zeit einige Längen in dem Roman ein. Es scheint, ich bin einem Suvorin-Erinnerungs-Overflow erlegen, der meine Aufmerksamkeit am Ende in die Knie gezwungen hat. Schade.
Fazit:
Eine großartige Geschichte, die der Autor sehr stimmungsvoll umsetzt. Sein Sprachstil ist eigenwillig. Leider tauchen zum Ende einige Längen auf, so dass ich diesen Roman nur bedingt empfehlen kann.
© Renie
Über den Autor:
Wolf Wondratschek wuchs in Karlsruhe auf. Von 1962 bis 1967 studierte er Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie an den Universitäten in Heidelberg, Göttingen und Frankfurt am Main. Von 1964 bis 1965 war er Redakteur der Literaturzeitschrift Text und Kritik. Seit 1967 lebt er als freier Schriftsteller in München. In den Jahren 1970 und 1971 lehrte er als Gastdozent an der University of Warwick; Ende der Achtzigerjahre unternahm er ausgedehnte Reisen unter anderem in die USA und nach Mexiko. Neben München ist seit Mitte der 1990er-Jahre Wien sein zweiter Wohnsitz, wo er gegenwärtig vorwiegend lebt. (Quelle: Ullstein Buchverlage)