Mittwoch, 3. Januar 2018

John Fante: Der Weg nach Los Angeles

Quelle: Pixabay/ArtsyBee
Wie bewertet man ein schlechtes Buch, dessen Autor man bisher als hervorragenden Schriftsteller erlebt hat, der sich aber in diesem Fall einen literarischen Fehltritt geleistet hat? Ganz klar: mit Bedauern, viel Grübelei, aber am Ende ehrlich. Denn schließlich gilt, nicht das Gesamtwerk zu beurteilen, sondern dieses eine Buch: "Der Weg nach Los Angeles" von John Fante.
John Fante war ein amerikanischer Schriftsteller (*1909; †1983), der 1938 seinen ersten Roman ("Warte bis zum Frühling, Bandini") veröffentlicht hat. 1939 kam die Fortsetzung "Ich - Arturo Bandini". Fante war zu diesem Zeitpunkt Ende Zwanzig. Beide Romane zeigten autobiografische Züge, behandelten sie doch das Leben eines Schriftstellers mit italienischen Wurzeln (wie Fante) im Amerika der 30er Jahre. Später veröffentlichte Fante weitere Romane, konnte jedoch nicht an den Erfolg der ersten beiden Bücher anknüpfen. Fante wird als Kultautor gehandelt, wodurch auch die Meinung eines weiteren kultigen Kollegens - Charles Bukowski - beigetragen hat ("Er war mein Gott"). Nach Fantes Tod (1983) wurden 3 weitere Romane von ihm veröffentlicht. Eines davon ist sein Erstlingswerk "Der Weg nach Los Angeles". Ich bin der festen Überzeugung, dass Fantes Ruhm dazu beigetragen hat, dass dieses Buch posthum überhaupt eine Chance hatte. Wäre es einem Verlag von einem unbekannten Autor angeboten worden, hätte man es mehr oder weniger höflich abgelehnt - wie Fante zu Lebzeiten selbst feststellen musste. Denn als er 1936 mit eben diesem Roman einen Verlag suchte, hat man ihn schlichtweg abblitzen lassen.
Quelle: Blumenbar

Aber warum?

Die Geschichte ist nicht schlecht: Der 18-jährige Arturo Bandini lebt mit Mutter und Schwester in der Nähe von Los Angeles. Mit seinen jungen Jahren ist er der Ernährer der Familie. Der Vater ist verstorben. Arbeit gibt es genug für ihn, leider in der Regel nur Gelegenheitsjobs. Wenn es jedoch darum geht, sich und die Familie durchbringen zu müssen, sollte man(n) nicht zimperlich sein. Arturo ist es aber. Er träumt von Höherem. 
"Ich hatte schon immer weggehen oder alles verändern wollen, und schon immer hatte ich mir vorzustellen versucht, wie das wohl wäre, wenn alles anders wäre. Aber was ich hätte tun können, damit sich etwas änderte, wusste ich nicht." (S 17)
Arturos Problem ist sein übermächtiges Geltungsbedürfnis. Er fühlt sich seinem Umfeld gegenüber intellektuell weit überlegen und möchte diese Überlegenheit durch einen angemessenen Beruf untermauern. Die Arbeit in einem Laden oder in einer Fischfabrik ist nicht angemessen. Schriftstellerei wäre dies jedoch. Nur blöd, wenn man dermaßen talentfrei wie Arturo ist. Am Ende hat er die zündende Idee, sein Glück in Los Angeles zu versuchen. Hier erhofft er sich die Inspiration für ein grandioses Werk, die ihm bisher verwehrt war. Und hier endet der erste Roman von John Fante. 

Das Lesen dieser Geschichte war anstrengend, wobei dies nicht an Fantes Sprachstil gelegen hat. Denn bereits in seinem Erstlingswerk blitzt seine Sprachgewandheit durch, wenn auch nicht in dem Maße wie ich sie in einem anderen Roman von ihm ("1933 war ein schlimmes Jahr") genossen habe. Aber man stelle sich vor, dass man stundenlang mit einem Menschen zu tun hat, der einem zutiefst unsympathisch ist und über den man sich pausenlos ärgert. Dann weiß man ungefähr, wie es einem bei dem ergeht, was der Ich-Erzähler Arturo Bandini von sich gibt. Arturo fühlt sich zu Höherem berufen. Er stößt die Menschen um sich herum vor den Kopf. Das geschieht mit einer schonungslosen und fast schon brutalen Rücksichtslosigkeit. Wer überheblich und großkotzig daher kommt - was ein Wesenszug von Arturo ist -, erntet keine Sympathie. Auch nicht beim Leser. Was habe ich mir in der Geschichte gewünscht, dass Arturo endlich mal eine Abreibung verpasst bekommt. Ich habe so auf den Helden gehofft, der den Mumm hat, Arturo die Stirn zu bieten (gerne auch auf die Stirn haut). Aber der Held kam nicht. So hat man es als Leser 242 Seiten lang mit einem Arturo zu tun, der mit Abstand zu den unsympathischsten Figuren gehört, die mir bisher in der Literatur begegnet sind. Man sucht seitenlang nach dem kleinsten Fünkchen Hoffnung, dass Arturo sich zu einer positiveren Figur entwickeln wird. Leider vergeblich.
"Erst kam ich mir ein wenig blöd vor, aber dann kamen mir plötzlich die Jungs alle blöd vor. Sie guckten so dümmlich aus der Wäsche. Sie schufteten so hart. Sie hatten Frauen und Schwärme von schmutzigen Kindern, die sie ernähren mussten, und sie hatten Schulden bei der Elektrizitätsgesellschaft und Schulden beim Lebensmittelladen. Wie aus großer Entfernung betrachtete ich sie, wie sie nackt in ihren Overalls am Fließband standen mit ihren stupiden, pockennarbigen und vor Dummheit aufgedunsenen Mexikanergesichtern, und wie sie mich anglotzten, als sei ich hier der Bekloppte in der ganzen Bande." (S. 129)
Es ist nicht nur der Hauptprotagonist, der diesen Roman herunterzieht. Fante verliert sich leider in vielen Wiederholungen. So ist Arturo in seiner Fantasie ein Weiberheld. "Seine" Frauen sind Pin-up-Girls etc. aus diversen Zeitschriften, mit denen er seine gedankliche Zeit verbringt. Wenn Fante dann zum wiederholten Male von Fantasiesituationen und Tagträumen, die Arturo mit irgendeiner der unzähligen "Angebeteten" berichtet, ist das ermüdend. Man neigt dazu, diese Szenen zu überspringen. Genauso wie den Auszug aus Arturos schriftstellerischem Versuch, der ein beeindruckender Beweis für dessen Talentlosigkeit ist. Das muss man sich nicht antun.

Ich habe mir die Frage gestellt, was einen Autor dazu bringt, seinen Hauptprotagonisten dermaßen negativ aufzubauen, dass dieser Eindruck den kompletten Roman dominiert und man als Leser gar nicht willens ist, dem Roman etwas Gutes abzugewinnen. Das grenzt fast an literarischem Selbstmord. Die einzige Erklärung, die ich habe, ist der Enthusiasmus eines jungen Autors, der mit seinem Erstlingswerk ein Zeichen setzen wollte. Nur dass in diesem Fall, das Zeichen in die falsche Richtung deutete. Hätte ich Fante nicht anders kennengelernt, hätte ich nach der Lektüre dieses Romanes nie wieder ein Buch von ihm angerührt. Mit "Der Weg nach Los Angeles" wäre er bei mir unten durch gewesen. Aber ich weiß, dass er es besser konnte. Daher halte ich auch weiterhin an ihm fest und werde Ausschau nach weiteren Veröffentlichungen von ihm halten.

Erwähnen möchte ich noch das hochinteressante Nachwort von Alex Capus, der einiges über die Entstehungsgeschichte dieses Buches berichtet. Damit liefert er ein paar Erklärungen, die ein wenig Verständnis für einen schlechten Roman bewirken.

© Renie




Über den Autor:
John Fante, geb. 1909 in Denver als Sohn italienischer Einwanderer, zog als Mittzwanziger nach L.A. In einer Stadt, die aus Filmträumen bestand, war er mehr als fehl am Platz, und so entstand sein unnachahmlicher Stil aus innerer Zerrissenheit, Großmut und erlösenden Rachegelüsten. Sein erster Roman „Warte auf den Frühling, Bandini“ wurde 1938 veröffentlicht, im Jahr darauf folgte „Warten auf Wunder“. Er starb 1983 an einer Folge seiner Diabetes-Erkrankung. Posthum verlieh man ihm den PEN Award für sein Lebenswerk. (Quelle: Blumenbar)