Donnerstag, 23. März 2017

Bernd Schroeder: Warten auf Goebbels

Quelle: Pixabay/PDPics
In dem satirischen Roman "Warten auf Goebbels" von Bernd Schroeder wird - wie der Name schon sagt - gewartet, nicht nur auf Goebbels, sondern auch auf das Ende des 2. Weltkrieges. Wir befinden uns im Jahr 1944. Und während wir warten, lässt uns der Autor an den Dreharbeiten zu einem Propagandafilm teilhaben, dessen Drehbuch Goebbels geschrieben haben soll. Das munkelt man zumindest. Dieser Film soll rechtzeitig zum Ende des Krieges fertig sein, um dem heroischen deutschen Sieg über den Rest der Welt ein filmisches Denkmal zu setzen. Das ist zumindest der Plan....
"Höhepunkt des Films wird ein großes Siegesfest sein, mit allen verfügbaren Vereinen und Formationen und der Ehrung der Helden, mit Musik und einem Gastredner aus der Spitze der Partei. Wer das sein wird, teilt man rechtzeitig mit." (S. 21)
Irgendwo in der Lüneburger Heide, in einem kleinen Ort namens Altenburg, hat sich die Filmcrew einquartiert: Schauspieler, Regisseur, Produktionsleiter, nebst Assistenten sowie Kameramann, und wer sonst noch bei einem Filmdreh benötigt wird. Sie alle sind Deutsche von Goebbels Gnaden. Hitlers Propagandaminister hat eine Auswahl der - seiner Meinung nach - fähigsten Cineasten getroffen. Glücklich können sich diejenigen preisen, die er auserwählt hat, denn das Engagement bewahrt sie vor dem Einsatz an der Front bzw. vor dem Dienst in der Waffenindustrie. Es sind nicht unbedingt die Talentiertesten, die Deutschlands Filmwelt zu bieten hat, aber es sind Goebbels Liebsten, was Qualifikation genug ist.

Nicht alle sind von der Ideologie des Nationalsozialismus vereinnahmt worden. Kaum einer glaubt noch an den prophezeiten Endsieg Hitlers. Was zählt, ist, dass jeder, der zur Filmcrew gehört, in Sicherheit ist. Denn Altenburg kommt dem "Ort, in dem die Welt noch in Ordnung ist" im kriegsgebeutelten Deutschland noch am nächsten. Die Angriffe der Jagdbomber der Alliierten sind zwar lästig. Aber so, wie sie angeflogen kommen, verschwinden sie auch wieder. Die verursachten Schäden halten sich dabei in Grenzen, denn sicher gibt es lohnendere Ziele als ein Dorf irgendwo in der Heide.

Es geht das Gerücht, dass Goebbels der Verfasser des Drehbuchs ist. Im Großen und Ganzen geht es um die Heimkehr eines Soldaten von der Front, der wieder glücklich in den Schoß seiner Familie zurückkehrt. Deutschland steht kurz vor dem Endsieg und ist daher in Feierstimmung. Irgendwo hat sich Goebbels in das Drehbuch hineingeschrieben. Daher liegt die Vermutung nahe, dass der eitle Minister sich selbst spielen wird. Der Dreh der Goebbels-Szene wird hinausgezögert. Denn man wartet darauf, dass er endlich auftaucht.
"' ..., ob Goebbels wirklich hierherkommt, das steht doch ohnehin in den Sternen. Womöglich hat der doch in diesen Zeiten Wichtigeres zu tun. Obwohl, die Eitelkeit!'" (S. 117)
Quelle: Hanser
Nicht nur die Filmcrew wartet, der Leser wartet auch. Und in der Zwischenzeit wird dem Leser die Wartezeit mit einer satirischen Handlung versüßt, die viele komische Momente hat, aber auch nachdenklich stimmt.

Hauptsächlich konzentriert sich die Handlung auf die Filmarbeit. Es werden unterschiedliche Szenen gedreht, die sich zunächst kaum von der eigentlichen Handlung unterscheiden. Erst, wenn man ein paar Sätze gelesen hat, stellt man fest, dass man sich tatsächlich in einer Filmszene befindet. Die Filmcrew ist ein bunter Haufen eitler Charakterköpfe. Derjenige Charakter, der mir den größten Spaß bereitet hat, ist der Hauptdarsteller des Films: Karl Molitor, despektierlich Molli genannt. Der Autor Bernd Schroeder stellt ihn sehr gelungen als Witzfigur dar: ein quengeliger, übergewichtiger, sich selbst überschätzender Schauspieler, dessen bessere Zeiten längst vorbei sind. Zudem noch eine Fehlbesetzung für die Rolle des schneidigen und heroischen Filmhelden, die eigentlich für Hans Albers vorgesehen war. Doch der hatte Besseres zu tun.

Bernd Schroeder stellt uns die einzelnen Crewmitglieder vor, in dem er ihnen eigene Kapitel widmet, in denen ihre Herkunft, ihr Werdegang und ihre Gesinnung beleuchtet werden.

Erwartungsgemäß gehen die Mitglieder der Filmcrew nicht gerade zimperlich miteinander um. Konkurrenzgehabe ist an der Tagesordnung. Insbesondere Regisseur und Produktionsleiter sind sich spinnefeind und belauern sich. Der Herr Produktionsleiter gehört zu den Linientreuen in der Crew und überwacht misstrauisch die Gesinnung seiner Kollegen. Der Regisseur Konrad Eisleben hat schon längst seinen Glauben an den Nationalsozialismus verloren - wenn er ihn denn überhaupt jemals hatte. Er sieht sich in der Verantwortung, seine Mitarbeiter vor dem Fronteinsatz zu bewahren, zu dem sie unweigerlich eingezogen werden, sobald ihr filmisches Engagement beendet ist. Daher entwickelt Eisleben nahezu meisterhafte Strategien, um dieses Engagement hinauszuzögern. Er schreibt Rollen um, baut sie aus und macht Mitarbeiter somit unverzichtbar für den Erfolg des Filmes.
"..., dass keiner der Regisseure, mit denen sie gearbeitet habe, so viel Wert auf beste Drehbücher, geschliffene Dialoge, auf Qualität gelegt habe wie er, und nun mühe er sich hier unter seinem Niveau an einer Schmonzette ab, die sich irgendein Arsch im Propagandaministerium ausgedacht habe, möglicherweise Humpelstilzchen selbst. 

Ob sie denn noch immer nicht begriffen habe, dass es hier nicht um filmische Qualität, um Kunst gehe, sondern ums nackte Überleben." (S. 130)
Zu einem authentischen Propagandafilm der Nationalsozialisten gehören natürlich auch Juden. Der Feind braucht schließlich ein Gesicht. Doch wir befinden uns im Jahre 1944. Es gibt keine vorzeigbaren Juden mehr in Deutschland. Die Nazis haben ganze Arbeit geleistet. Und, dass ein Arier einen Juden spielt, ist undenkbar. Also lässt man ein jüdisches Schauspieler-Ehepaar aus dem KZ holen. Und auch hier greifen wieder Eislebens Überlebensstrategien. Das Ehepaar muss erst wieder aufgepäppelt und vorzeigbar gemacht werden, bis es die zugedachten Rollen im Film übernehmen kann. Und das kann dauern ....

Die Handlung dieses Romans wird immer wieder unterbrochen von Berichten über Angriffe der Alliierten und den Schäden, die die deutsche Städte und ihre Bevölkerung dabei davongetragen haben. Und auch wenn jeder auf Goebbels wartet, ist er doch immer präsent. Denn Bernd Schroeder porträtiert den Propagandaminister in mehreren Episoden, die die eigentliche Handlung unterbrechen und skizziert somit das Bild eines eitlen und machtbesessenen Opportunisten.
Diese Unterbrechungen der Handlung sind notwendig und gelungen, rufen sie dem Leser doch in Erinnerung, dass trotz aller Komik, die dieser Roman zu bieten hat, die Geschichte einen ernsten Hintergrund hat.

Fazit:
Dieser Roman hat mich begeistert. Trotz aller Komik ist es doch ein Buch "Gegen das Vergessen". Und das muss ein Autor erst mal hinbekommen: mit viel Witz an ein ernstes Thema heranzugehen und trotzdem respektvoll zu bleiben. Genau das ist Bernd Schroeder gelungen. Ganz großes Kino!

© Renie





Über den Autor:
Bernd Schroeder, geboren 1944 im heute tschechischen Aussig, wuchs im oberbayerischen Fürholzen auf. Er lebt in Berlin. Als Autor und Regisseur zahlreicher Hör- und Fernsehspiele erhielt er 1985 den Adolf-Grimme-Preis und 1992 den Deutschen Filmpreis. Zuletzt erschienen bei Hanser: Hau (Roman, 2006), Alte Liebe (Roman, 2009, mit Elke Heidenreich), Auf Amerika (Roman, 2012), Wir sind doch alle da (Roman, 2015) und Warten auf Goebbels (Roman, 2017). (Quelle: Hanser)