Donnerstag, 16. März 2017

Olivier Bourdeaut: Warten auf Bojangles

Quelle: Pixabay / AliceKeyStudio
Es war einmal eine Familie - Vater, Mutter, Sohn -, die war so herzerfrischend unkonventionell und bedingungslos in ihrer Liebe zueinander, dass es eine Wohltat war, an ihrem Familienleben teilzuhaben. Am liebsten wurde gelacht, hauptsächlich über das Leben. Es schien, als ob nichts dieses Dreigespann auseinander bringen konnte. Vater und Mutter waren glücklich und hatten im Partner die Liebe ihres Lebens gefunden. Der Sohn schien das Glück perfekt zu machen....

Dies erwartet den Leser in dem Roman "Warten auf Bojangles" des Franzosen Olivier Bourdeaut. Die Geschichte wird zunächst aus der Sicht des Sohnes erzählt. Der Alltag in dieser Familie ist von Spaß und Lachen geprägt. Man setzt sich über sämtliche Konventionen hinweg. Die Außenwelt scheint nur die Bühne für das Schauspiel dieser Familie zu sein, das als Komödie beginnt und zum Ende des Buches als Tragödie endet.

Wenn der Sohn über den Alltag der Familie berichtet, schwankt man als Leser zwischen Unglauben und Faszination; zu fantastisch und urkomisch sind die Dinge, die der Junge über seine Familie berichtet. Was spielt sich also in der Fantasie des Jungen ab, und was ist Wirklichkeit? Doch letztendlich ist die Antwort auf diese Frage unwichtig, denn man lässt sich gern von der Ungezwungenheit dieser Familie verzaubern. Vielleicht wird man auch ein bisschen Neid empfinden. Denn wer würde nicht auch gern unbeschwert und sorglos leben, ungeachtet aller Konventionen. Nur leider steht einem meistens die eigene Vernunft im Weg.
"In einer Ecke des Eingangsflurs türmte sich ein Briefberg, der entstanden war, weil meine Eltern alle Post, die sie erhielten, ungeöffnet dort hinwarfen. Der Berg war so eindrucksvoll groß, dass ich mich auf ihn schmeißen konnte, ohne mir wehzutun; es war ein lustiger, weicher Berg, und er war Teil der Einrichtung. Manchmal sagte mein Vater zu mir: 'Wenn du nicht brav bist, lass ich dich die Briefe öffnen und sortieren!'" (S. 19)
Der Erzählstil von Olivier Bourdeaut hat etwas Schelmenhaftes und überzeugt durch seine Leichtigkeit. Das Leben wird hier nicht besonders ernst genommen. Am liebsten wird gelacht, und der Leser lacht mit.
Im Verlauf der Geschichte wechselt die Erzählperspektive zeitweilig auf den Vater. Von ihm erfährt der Leser, wie sich das Ehepaar seinerzeit kennengelernt hat.

Die Mutter ist eine sehr charismatische Person. Sie ist witzig und originell. Mit ihrem natürlichen Charme erobert sie Herzen im Sturm. So auch das ihres Mannes. Sie ist aber auch ein sehr emotionaler und launischer Mensch. Sie pfeift auf die anderen, einzig ihre Familie ist wichtig. Sobald das Wohlergehen ihrer Familie bedroht ist, wird sie zur Furie. Man sollte sich also nicht mit ihr anlegen.
Oft hat der Leser den Eindruck, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Häufig wirken ihre Launen unberechenbar.
Dieser Verdacht wird sich zum Ende des Romanes leider bewahrheiten. Denn die Mutter leidet unter einer psychischen Erkrankung, die für die unkontrollierbaren Gefühlsschübe verantwortlich ist und auf Dauer das Glück der Familie bedrohen wird.

Quelle: Piper
"Ich hatte eine Doña Quichotte in Rock und Stiefeln getroffen, die sich jeden Morgen auf ihren Gaul schwang, mit noch halb geschlossenen und geschwollenen Augen, und ihm wie wild auf die Flanken schlug, um ihre fernen, täglichen Mühlen im Galopp zu nehmen. Sie hatte es geschafft, meinem Leben einen Sinn zu geben, indem sie es in ein einziges fortwährendes Chaos verwandelte." (S. 57)
Wenn der Leser das Ehepaar durch die Augen des Sohnes betrachtet, sieht er zwei glückliche Menschen, die in dem anderen einen Seelenverwandten gefunden haben. Die beiden lieben sich aus tiefster Seele. Der Vater scheint ein Vernunftmensch zu sein, der erst durch seine Frau gelernt hat, das Leben mit seiner Leichtigkeit zu genießen. Er trägt sie auf Händen und sieht ihr ihre Gefühlsausbrüche nach. Sie bringt ihn zum Lachen. Er ist der Ruhepol in ihrem Leben. Die beiden scheinen füreinander geschaffen.
Und die beiden tanzen .... Wenn der Sohn an seine Eltern denkt, sieht er ein elegantes und harmonisches Tanzpaar, das gern zum Lieblingslied der Mutter tanzt: Bojangles von Nina Simone.
Dieser Song, der ursprünglich 1968 von dem Folk-Sänger Jerry Jeff Walker zu Ehren des gleichnamigen Schauspielers und Tänzers Bill "Bojangles" Robinson geschrieben wurde, verkörpert gleichzeitig Traurigkeit und Heiterkeit und passt somit perfekt zu diesem wundervollen tragisch-komischen Roman.

Fazit:
Eine mitreißende Geschichte mit Protagonisten, die man schnell in sein Herz schließt. Heiterkeit und Traurigkeit liegen in diesem Buch sehr dicht beieinander. Ein sehr berührendes Buch, das ich gerne weiterempfehle.

© Renie





Über den Autor:
Olivier Bourdeaut wurde 1980 in Nantes geboren. Er verdingte sich als Helfer bei der Fleur-de-Sel-Ernte, als Hausmeister eines Verlags und als Immobilienmakler. Nach dem letzten Jobverlust zog er sich nach Spanien zurück und schrieb dort sieben Wochen lang an einem Roman, der die Franzosen in Aufruhr versetzte: »Warten auf Bojangles« erschien bei einem kleinen Verlag aus Bordeaux und war kurz darauf in aller Munde. Er gewann alle wichtigen Literaturpreise des Frühjahrs, führte die Bestsellerliste an und verkaufte sich in mehr als 30 Länder. (Quelle: Piper)