Donnerstag, 12. August 2021

Annalena McAfee: Blütenschatten

"'Eve Laing verleiht uns durch ihre akribische Beobachtung und unübertroffene Kompetenz die Gabe des Sehens, so dass wir die Welt betrachten, als wäre es das erste Mal. Ihre botanischen Reflexionen umfassen das gesamte Spektrum der Sinne, sie sind ein herrlicher, farbenprächtiger Tribut an die Natur in ihrer ganzen komplexen, unendlichen Vielfalt. Das ist nicht Kunst, die das Leben kopiert, sondern das Leben selbst.'"

Eve Laing macht Kunst, die zu schön ist, um wahr zu sein. Die fiktive Künstlerin ist die Protagonistin des Romans "Blütenschatten" von Annalena Mcafee.

Und wie ein Schatten streift Eve in diesem Roman durch London und verliert sich dabei in Erinnerungen an die letzten Monate, als zunächst ihr Leben noch in Ordnung schien: Erfolgreiche Künstlerin, Anfang 60, die sich in der Malerei und künstlerischen Installation von Blumen verwirklicht, langjährige Ehefrau eines weltweit erfolgreichen Architekten, Mutter einer Tochter. Mittlerweile ist sie sogar Großmutter eines Enkels. 

Jeder andere würde meinen, dass das Leben es bisher gut mit ihr gemeint hat. Doch Eve ist nicht jeder Andere. Sie, die als Künstlerin sehr erfolgreich ist, hat im privaten Bereich weniger Erfolg. Als Mutter hat sie versagt, als Ehefrau hat sie lediglich eine Rolle gespielt. Ihre langjährige Ehe mit Kristof ist zu einer Beziehung aus Gewohnheit geworden. Die Eheleute haben sich mit ihrem langweiligen Miteinander arrangiert. Jeder führt sein eigenes Leben, ohne sich für den anderen zu interessieren. Berührungspunkte bilden nur der gemeinsame Haushalt sowie gesellschaftliche Verpflichtungen. Eve fühlt sich als Frau nicht mehr von ihrem Mann beachtet. Sie stürzt sich in die Arbeit. Das Werk, an dem sie gerade arbeitet, soll die Krone ihres bisherigen Schaffens werden. Als bekannte Künstlerin kann sie sich auf die helfenden Hände vieler fleißiger Mitarbeiter verlassen. Einer davon ist Luka, nur halb so alt wie sie, der ihr aber diejenige Beachtung schenkt, die der Ehemann ihr verwehrt. Und Eve macht den entscheidenden Schritt, der ihrem bisherigen Leben eine Wende geben wird. 

Quelle: Diogenes
"Sie wollte eine Spur hinterlassen und künftigen Generationen ein Gefühl für die zunehmend zerbrechliche Welt von heute vermitteln. Falls es überhaupt zukünftige Generationen geben sollte. Ihre Befürchtung, die Befürchtung aller Künstler ist, dass sie ungeachtet der Anstrengungen, die sie für ihre Mission und die monumentale Natur ihrer Werke aufwenden, niemanden interessieren."

In diesem Roman dreht sich alles um Eve. Meiner bisherigen Beschreibung nach zu urteilen, könnte man in Eve eine Protagonistin sehen, die den Mut hat, ihr Leben zu ändern und somit zu neuem Selbstbewusstsein kommt. Dem ist jedoch nicht so. Denn Eve ist eine Anti-Heldin. Sie liebt nur einen Menschen, und das ist sie selbst. Sie hat sich schon immer selbst in den Mittelpunkt gestellt und geht über Leichen, um sich diesen Platz zu bewahren. Das haben auch Mitstreiterinnen aus Eves jungen Jahren und künstlerischen Anfängen zu spüren bekommen. Sie besitzt keinerlei Einfühlungsvermögen für die Empfindungen anderer Menschen. Schlimmer noch, sie blickt voller Verachtung auf ihre Mitmenschen. Gerade diejenigen, die erfolgreicher sein könnten als sie, können vor Eve nicht bestehen. Die Künstlerin lebt Neid und Missgunst in seiner intensivsten Form. 

Durch ihr mangelndes Einfühlungsvermögen, fehlt ihr auch Menschenkenntnis, so dass sie in anderen Menschen nur das sieht, was sie sehen möchte und sich somit ihre eigene Wirklichkeit schafft, dessen ewiges Zentrum sie und ihre Kunst sind.

"Eve hatte schon immer Mühe gehabt, Menschen zu durchschauen, und deshalb überraschte die Kluft zwischen geäußerter Absicht und tatsächlichem Handeln sie unablässig aufs Neue."

Blütenschatten ist ein Buch, in dem sich alles um Kunst, und zeitgenössischer Kunst im Besonderen, dreht. Die Sprache dieses Romans ist von Bezügen zu Künstlern und ihren Werken durchzogen, genauso wie der Schaffensprozess von Eves letztem großen Kunstwerk im Detail beschrieben wird. Man blickt der Künstlerin dabei förmlich über die Schulter und verliert sich in der schwelgerischen Farbenpracht, die die Autorin Annalena McAfee beschreibt. Gleichzeitig nimmt sich die Autorin den Kunstbetrieb vor. Mit einem bissigen Humor macht sie sich über die Dekadenz und Abgehobenheit der Szene lustig. Das macht Spaß und man wundert sich, woher die Autorin ihre Kenntnisse hat. 

Fazit:

Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, in diesen Roman hineinzukommen. Diese schwellgerische und künstlerisch eingefärbte Sprache hat mich zunächst überfordert. Doch im Verlauf des Romans habe ich diese Detailliebe als stimmig zu diesem Künstlerroman wahrgenommen. Im Verlauf der Handlung entwickelt dieser Roman eine große Dynamik, was nicht zuletzt daran liegt, dass Eves Realität nach und nach in sich zusammenstürzt. Zurück bleibt nur Chaos und ein hochdramatisches Ende.

Leseempfehlung!


©Renie


"Blütenschatten" von Annalena McAfee (Diogenes Verlag, ET April 2021)