Donnerstag, 19. September 2019

Thure Erik Lund: Das Grabenereignismysterium

Quelle: Pixabay/TitanicaArt
In dem Klappentext zu dem Roman mit dem fast unaussprechlichen Titel "Das Grabenereignismysterium" des Norwegers Thure Erik Lund findet sich folgender Hinweis:
"Das Grabenereignismysterium ist eine skurrile, böse Satire auf Norwegen und das Norwegischsein - 'ein Buch, das sich kein Norweger wünscht, wir aber alle verdienen.' (Dagens Næringsliv)"
Augenscheinlich handelt es sich hierbei also um ein Buch für und über Norweger. Rückblickend kann ich dies bestätigen. Norweger bzw. Seelenverwandte der Norweger werden sich diesem Buch verbunden fühlen.

Da wird ein Norweger, der sich selbst als Geistesmensch bezeichnet, vom norwegischen Kulturministerium damit beauftragt, ein Gutachten über die Kulturdenkmäler Norwegens zu erstellen: Welche gibt es? In welchem Zustand befinden sie sich? Wie können sie der Welt zugänglich gemacht werden? Welches Potenzial haben sie hinsichtlich touristischer Attraktivität. Also begibt sich der Norweger auf eine 5-monatige Reise, während der er ausreichend Gelegenheit findet, über Land und Leute zu philosophieren. Das Gutachten fällt nicht so aus, wie die Politik es sich erhofft haben. Für die Geisteshaltung, die der begutachtende Norweger an den Tag legt, wird er angefeindet und ist gezwungen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. 
Quelle: Droschl

Dies ist die Schmalspurzusammenfassung des Inhalts dieses Romans. Hätte der Autor an meiner Stelle eine Beschreibung wiedergegeben, wäre diese wahrscheinlich viel ausschweifender und kurioser ausgefallen. Denn er legt in diesem satirischen Roman einen unnachahmlichen Sprachstil an den Tag: eigentümliche Wortkreationen, die jedes Scrabblebrett sprengen würden; Schachtelsätze in rekordverdächtiger Länge. Man ahnt es.... Das Lesen dieses Buches ist eine Herausforderung. Im Nachhinein schwanke ich zwischen Faszination über die Kreativität des Autors bei der Wortschöpfung und leider aber auch Langeweile. Denn machen wir uns nichts vor, von Lesefluss kann bei der Lektüre keine Rede sein. Dafür zwingt einen der ausufernde Sprachstil des Autors in die Knie.
"... und so bekam das Gutachten eine dramatischere Ausprägung, ja, in Wirklichkeit war es eine lange Beschimpfung des Norwegischen, nicht des falschen urtümlichen Norwegischen, dessen Definition Touristen, Filmproduzenten, Featureschreiberlinge und erlebnisorientierte Verbrauchsmenschen zustande gebracht hatten, sodass sie es mochten, und die es deshalb für passend hielten, sondern dieses andere, das schwache, unsichere, doppelgesichtige, genierte, zurückgezogene Norwegische, das gegenüber allen anderen auch fremdenfeindlich, nicht gastfreundlich, unwirtschaftlich, isolationistisch, selbstbewusst war ..."
Was den satirischen Aspekt dieses Romans betrifft: Dieser Roman ist für Norweger gemacht. Ich habe keinen Bezug zu Norwegen, bin daher auf das angewiesen, was man sich über die Mentalität der Norweger anlesen kann. Ist der hier beschriebene Umgang der Norweger mit ihren Kulturgütern typisch norwegisch? Ich glaube nicht. Die hier geschilderten Ambitionen sind meines Erachtens typisch für jedes touristische Land: Man will zeigen, was man hat. In einer Art und Weise, die sich am Ende auszahlt. Auch der Typ Mensch, den der Protagonist verkörpert – er bezeichnet sich als Geistesmensch, ich bezeichne ihn als Eigenbrötler – ist eine Spezies, die Norwegen nicht allein für sich beanspruchen kann.

Vielleicht ist dieser Roman daher doch nicht so norwegisch, wie es anfangs scheint. Auf jeden Fall war es schwierig für mich, die Satire vollständig zu verstehen. Über einige  wenige Ansätze bin ich leider nicht hinausgekommen.

Kann ich diesen Roman empfehlen? Jein. Er ist amüsant, wortschöpferisch kreativ, aber auch stellenweise langweilig. Und natürlich mehr oder weniger norwegisch.Tatsächlich ist dieser Roman in seinem Heimatland hochgelobt. Eine renommierte norwegische Tageszeitung setzte ihn auf die Liste der 25 besten Bücher der letzten 25 Jahre. Die Norweger werden wissen, warum.

© Renie