Donnerstag, 22. November 2018

John Jay Osborn: Liebe ist die beste Therapie

Quelle: Pixabay/geralt
Himmel, wer hat sich nur diesen Titel ausgedacht? Ein Titel wie "Liebe ist die beste Therapie" weckt bei mir abschreckende Assoziationen: Sie trifft ihn, er trifft sie, Schmetterlinge im Bauch  ... Probleme ... Probleme gelöst ... das Ganze mit viel Kitsch und Schmalz zugekleistert ... und am Ende kriegen sie sich. Also kein Buch, das ich lesen würde - Liebesschnulzen sind halt nicht mein Genre.

ABER .... der Verfasser dieses Romans, John Jay Osborn, scheint mir kein typischer Schnulzenschreiber zu sein. Er ist Anwalt und Jura-Professor. Jemand mit diesem Hintergrund schreibt doch keine kitschigen Liebesromane, oder etwa doch? Jetzt will ich es wissen.

Sie trifft ihn, er trifft sie, Schmetterlinge im Bauch ... Die Protagonisten dieses Romanes habe diese Phase bereits abgeschlossen. Mittlerweile sind sie verheiratet, haben zwei niedliche Kinder, sind finanziell gut aufgestellt.

Probleme ... Aber sicher, das Ehepaar lebt getrennt. Er ist fremdgegangen, was sie sich nicht hat bieten lassen. Und schon sitzen die Beiden bei der Paartherapeutin Sandy. Vielleicht lässt sich die Ehe doch noch retten. Die Chancen sind jedoch minimal.
"Wenn man einmal so weit gekommen war wie Steve und Charlotte, war es sehr schwer, den Scheidungszug noch aufzuhalten."
Quelle: Diogenes
Der Roman beschreibt die Paartherapie, die über mehrere Monate geht. Der Schauplatz ist das Therapiezimmer mit der modernen Ikea-Sitzgruppe (3 Stühle) sowie einem alten grünen Sessel, der so gar nicht in das Einrichtungskonzept passt und während der Sitzungen immer unbesetzt bleibt. Es geht ausschließlich um die Gespräche, die in diesem Raum stattfinden, entweder in der Dreier-Konstellation oder in Einzelgesprächen zwischen Sandy und einem der Eheleute, wobei sich der alte grüne Sessel als Symbol erweisen wird.

Kaum zu glauben, dass ein Roman mit solch einer reduzierten Handlung funktioniert. Aber das tut er ganz hervorragend. Sandy ist für mich dabei der herausragende Charakter. Sie seziert das Verhalten der Eheleute und lockt sie durch eine unkonventionelle Fragestellung aus der Reserve. Ich habe mich oft dabei ertappt, dass ich durch ihre Fragen selbst verblüfft wurde und das eine oder andere Aha-Erlebnis hatte. Sandy spricht Dinge aus, die in jeder Beziehung selbstverständlich sein sollten, aber gern unter dem Deckmantel der Gewohnheit verborgen sind. Das macht den Reiz dieses Buches aus. Denn jeder, der in einer Beziehung ist, wird sich und seinen Partner hier wieder finden.
"'... Was für eine Beziehung wollen Sie am Ende haben? Eine mit einem Regelkatalog, was alles erlaubt ist und was nicht? Es gibt nun mal kein Richtig und kein Falsch in einer Beziehung!'"
Probleme gelöst .... In gewisser Weise schon, das Ehepaar ist zumindest auf dem richtigen Weg.

Das Ganze mit viel Kitsch und Schmalz zugekleistert ... Auf gar keinen Fall!!! Spätestens mit dem Sprachstil hebt sich dieser Roman mehr als deutlich von einer Liebesschnulze ab. Auf die Tränendrüse drückt dieser Roman erst recht nicht. Die Einzige, die heult, ist die Ehefrau, wenn sie emotional mal wieder an ihre Grenzen getrieben wird; doch die Kleenex-Dose ist immer in greifbarer Nähe (ein Klischee muss schließlich sein ;-)); John Jay Osborn schafft es, jegliche Gefühlsduselei zu vermeiden. Stattdessen hat er mich durch einen sehr geradlinigen und schnörkellosen Sprachstil begeistert.

Und am Ende kriegen sie sich ... Wer weiß?!
"' ... Sie haben gemeinsam etwas geschaffen, und es ist Ihnen sicher nicht in den Schoß gefallen. Sie haben eine Ehe aufgebaut. Und auf deren Seite bin ich, für sie spreche ich, weil von Ihnen niemand für dieses unsichtbare Gebilde einsteht, das Sie gemeinsam gebaut haben.'"
Um das klarzustellen: Ich habe diesen Roman geliebt, wozu Sprachstil des Autors sowie die sehr anregenden Therapiegespräche beigetragen haben. Man kann nicht anders, als sich in den vielen Aspekten einer Beziehung wiederzufinden.

Bleibt am Ende nur die Frage, wie ein Jurist einen Roman über solch ein Thema schreiben kann. Hier hätte man doch eher einen Thriller erwartet, bestenfalls über einen Rosenkrieg. Stattdessen begibt sich der Jurist mit Bravour auf die psychologische Ebene und schildert die Arbeit der Therapeutin auf sehr authentische Weise. Wahrscheinlich steckt insgeheim in jedem Juristen ein Psychotherapeut.

© Renie




Über den Autor:
John Jay Osborn, geboren 1945, ist ein US-amerikanischer Anwalt, Jura-Professor und Autor. Während seines Studiums an der Harvard Law School schrieb er seinen ersten Roman, der unter dem Titel ›Zeit der Prüfungen‹ mit Timothy Bottoms und John Houseman verfilmt und mit einem Oscar prämiert wurde. John Jay Osborn lebt in Palo Alto. (Quelle: Diogenes)