Sonntag, 12. September 2021

Daniela Krien: Der Brand

Gegensätze ziehen sich an. Diese Binsenweisheit bewahrheitet sich immer wieder, insbesondere bei Ehepaaren. In Daniela Kriens Roman "Der Brand" fühlten sich vor vielen Jahren Rahel und Peter zueinander hingezogen. Zunächst waren die Gegensätze noch nicht offensichtlich. Die Gemeinsamkeiten überwogen. Beide Akademiker, beide in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Sie teilten die gleichen politischen Ansichten, liebten es, über Gott und die Gesellschaft zu diskutieren. Die Beiden haben geheiratet, zwei Kinder bekommen, sind mittlerweile Großeltern und stellen nun fest, dass über die Jahre Gegensätze zutage getreten sind, die das Eheleben verändert haben. Die Ehe von Rahel und Peter steht heute an einem Scheidepunkt. Doch die Beiden haben zulange miteinander gelebt, um die Ehe einfach abzuschreiben. Ein gemeinsamer Urlaub soll die Beziehung retten.
Das Vorhaben wird zunächst durch einen dummen Zufall gefährdet. Ein Brand hat die idyllische Unterkunft in den Bergen, die prädestiniert war, um müde Ehen wieder lebendig zu machen, zerstört. Als Alternative wird das Haus von Freunden herhalten, das Rahel und Peter hüten sollen. In diesem Haus sagen sich Pferd und Katze sowie ein einbeiniger Storch Gute Nacht. Also ziehen Rahel und Peter hier ein und werden die nächsten drei Wochen mit dem Versuch verbringen, ihre Ehe wieder auf Vordermann zu bringen. 
Quelle: Diogenes
"Hinter seinem Lächeln verbirgt sich etwas, und Rahel denkt, dass besonders in einer Ehe die Summe des Nichtgesagten die Summe des Gesagten bei weitem übertrifft."
Dieser Roman erzählt also die Geschichte eines Rettungsversuchs. Dabei legt die Autorin den Fokus auf die zu rettenden Personen.

Rahel, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, ist Psychologin. Im Verlauf der Handlung wird man den Eindruck nicht los, dass sie den Beruf verfehlt hat. Wenn sie an ihre Patienten denkt, werden ihre Gedanken von überheblichen Schwingungen begleitet. Und sie, die aufgrund ihrer Ausbildung in der Lage sein sollte, das Seelenkostüm anderer Menschen zu analysieren, scheitert an sich und den eigenen Familienmitgliedern. Denn Rahel hat ein gestörtes Verhältnis zu Tochter Selma, die übrigens auf Stippvisite bei den Eltern vorbeikommt, zusammen mit deren Enkelkindern, und die sich in diesem Roman als sprunghafte Dramaqueen präsentiert, was ihre Psychologen-Mutter überfordert.
Rahel hat Schwierigkeiten, sich mit den örtlichen Gegebenheiten zu arrangieren. Ihr fehlt die geordnete Struktur ihres Alltags zuhause, die kaum etwas dem Zufall überlässt.
Wohingegen Peter die Einfachheit, die das Tagesgeschehen in diesem Haus der Freunde bestimmt, mehr und mehr genießt. Er scheint sich selbst genug zu sein, ruht in sich selbst. Er scheint Rahel nicht zu brauchen, aber Rahel braucht einen Partner an ihrer Seite.
"Wegen des Virus begannen die Menschen, große Bögen umeinander zu machen. Sie sei eine dieser Personen, denen man ausweicht, während er zu jenen gehöre, die anderen den Vortritt ließen."
Trotz der Ernsthaftigkeit der Ehekrise und den gemeinsamen schweren Anstrengungen eines Rettungsversuchs der Eheleute, erzählt Daniela Krien diese Geschichte mit viel Humor. Denn man wird das Gefühl nicht los, dass sie sich bewusst vieler Klischees bedient, die man mit einem Akademiker-Ehepaar, das Anfang 50 ist, in Verbindung bringt. Hier wird guter Wein getrunken, gut gegessen, man ist mit den modernen technischen Errungenschaften überfordert und sehnt sich nach dem Urtümlichen. Das aber bitte politisch korrekt. Dieser Humor verleiht der ernsten Geschichte eine große Leichtigkeit, die ich mit großem Vergnügen gelesen habe. 

Leseempfehlung!

© Renie