Samstag, 8. Februar 2020

Isabela Figueiredo: Roter Staub - Mosambik am Ende der Kolonialzeit

Quelle: Pixabay/jeanvdmeulen
"Als Kolonialismus wird die meist staatlich geförderte Inbesitznahme auswärtiger Territorien und die Unterwerfung, Vertreibung oder Ermordung der ansässigen Bevölkerung durch eine Kolonialherrschaft bezeichnet. Kolonisten und Kolonialisierte stehen einander dabei kulturell in der Regel fremd gegenüber, was bei den Kolonialherren im neuzeitlichen Kolonialismus mit dem Glauben an eine kulturelle Überlegenheit über die sogenannten „Naturvölker“ und teils an die eigene rassische Höherwertigkeit verbunden war." (Quelle: Wikipedia)
"Kolonialismus" ist ein höchst unangenehmes Thema, an das die ehemaligen Kolonialmächte (wozu auch Deutschland gehört) nicht gern erinnert werden. Denn wer lässt sich gerne dabei ertappen, dass er sich als "kulturell überlegen" gegenüber anderen Völkern sah und dabei an die eigene "rassische Höherwertigkeit" glaubte?
Noch unangenehmer wird es, wenn jemand aus den eigenen Reihen dieses unrühmliche Thema zur Sprache bringt.
Isabela Figueiredo ist eine von denen, die den Finger in die Kolonialismus-Wunde legen.
In ihrem Buch "Roter Staub - Mosambik am Ende der Kolonialzeit" erzählt die Tochter einer portugiesischen Kolonistenfamilie von ihrer Kindheit und dem kolonialen Alltag in Mosambik in den 1960er/1970er-Jahren.
Quelle: Weidle
"Ein Weißer und ein Neger zählten nicht nur zu verschiedenen Rassen. Die Entfernung zwischen Weißen und Negern glich der, die zwischen verschiedenen Spezies besteht. Sie waren Neger, Tiere. Wir waren Weiße, als Menschen, rationale Wesen. Sie arbeiteten für die Gegenwart, für den Zuckerrohrschnaps von 'heute'; wir, um uns eines Tages die beste Urne leisten zu können, für die beste Zeremonie am Tag unseres Begräbnisses." 
In der Mitte des 20. Jahrhunderts suchten viele Portugiesen ihr Glück in Mosambik. In der Heimat lief es nicht besonders. Portugal war zu diesem Zeitpunkt politisch und wirtschaftlich instabil. Also zog es viele Portugiesen in die Kolonien, in der Hoffnung, hier zu Reichtum und Wohlstand zu gelangen. 
Dieses Motiv machte sie also zu kolonialistischen Wirtschaftsflüchtlingen. 
Steht ein Flüchtling in unserer heutigen Zeit am Rande der Gesellschaft, sah die Welt in Mosambik damals anders aus. Denn die portugiesischen Wirtschaftsflüchtlinge nahmen sich wie selbstverständlich das, was ihnen nicht zustand und setzten sich an die Spitze der Gesellschaft. Dies geschah unter dem Deckmantel der Kolonialpolitik. Die portugiesischen Wirtschaftsflüchtlinge ernannten sich zum Herrenvolk, machte sich die einheimische Bevölkerung untertan und setzten somit eine Tradition fort, die ihre Anfänge 1497 gefunden hatte, als ein portugiesischer Seefahrer erstmalig afrikanischen Boden betrat.

Wie der Kolonisten-Alltag aussah, erfahren wir von Isabela Figueiredo. Sie gibt unverblümt wieder, wie sie ihre Kindheit als Tochter einer wirtschaftsflüchtigen Kolonistenfamilie erlebt hat. Geboren wurde sie 1963 in Mosambik. Ihr Vater war Inhaber eines kleinen Elektro-Unternehmens. Seine Tätigkeit bezog sich hauptsächlich auf das Herumkommandieren und Ausbeuten seiner farbigen Arbeiter. Diese waren also für das sogenannte "Auskommen" der Familie zuständig. Die Ausbeutung beschränkte sich leider nicht nur auf seine Arbeiter. Auch in sexueller Hinsicht übte der Kolonialherr seine Macht aus. Was ihm gefiel, nahm er sich.
"Der Schwarze stand auf der Stufenleiter ganz unten. Er hatte keinerlei Rechte. Einzig vielleicht das auf Wohltätigkeit, wenn er sie denn verdiente. Sofern er demütig war. Wenn er lächelte und leise sprach, den Oberkörper leicht nach vorn geneigt und die Hände gefaltet, als würde er beten."
Von klein auf lernte die Autorin also, dass die farbige Bevölkerung ausschließlich für das Wohlergehen der portugiesischen Bevölkerung zuständig war. Und wie dieser Anspruch im Alltag geltend gemacht wurde, beschreibt sie aus ihren kindlichen Erinnerungen heraus. Sie gibt einzelne Erinnerungsfragmente wieder, vermischt mit ihren Reflexionen zu dem Erlebten und ihrem Alltag in Mosambik. Dabei bedient sie sich stellenweise einer deftigen Sprache, wobei die Verwendung des Wortes "Neger" noch harmlos ist. Die "Hüter der Political Correctness" würden zwar bei diesem Wort Amok laufen. Doch man kann sicher sein, dass politische Sprachkorrektheit in diesem Buch nichts verloren hat. Hier sollte man sich auf ganz andere Dinge konzentrieren, die empörend und moralisch fragwürdig sind. Und diese Dinge dürfen sprachlich weder beschönigt noch verharmlost werden.

Isabela versteht sehr früh, welches Unrecht die Portugiesen, und ihr Vater im Besonderen, in Mosambik ausüben. Doch als Kind ist sie nicht in der Lage, ihren Standpunkt zum Ausdruck zu bringen. Hinzu kommt, dass sie ihren Vater abgöttisch liebt. Mit der Nelkenrevolution (1974) verabschiedet sich Portugal von der bisherigen Kolonialpolitik. Das Leben wird für Weiße in Mosambik gefährlich. Der Kampf um die Freiheit und Unabhängigkeit, den die Einheimischen bereits seit den 60er Jahren kämpften, eskaliert. Die Eltern schicken Isabela, die mittlerweile 12 Jahre alt ist, nach Portugal zu ihrer Großmutter zurück. Isabela wird fortan als eine von den "retornados" angesehen. Dies ist eine verächtliche Bezeichnung für Portugiesen, die es in der Fremde nicht geschafft haben und wieder zurückkehren.
Mosambik hat nach dem politischen Umschwung keinen Platz mehr für Kolonialherren. Daher sind auch Isabelas Eltern gezwungen, das Land zu verlassen.

Was sie als Kind nicht geschafft hat, schafft Isabela in späteren Jahren in Portugal. Sie geht auf Konfrontation mit ihrem Vater. Der Liebe zwischen den Beiden tut dies jedoch keinen Abbruch. Vermutlich wartete sie deshalb mit der Veröffentlichung ihrer Erinnerungen bis nach seinem Tod.
"Ich ertrug alle Haßreden meines Vaters. Ich hörte sie zwei Zentimeter vor seinem Gesicht an. Ich spürte den Speichel seines Hasses, der schwerer wiegt als der Speichel der Liebe, und ich bot ihm die Stirn, Auge in Auge, seinem Zorn, seiner Frustration, seiner so abstoßenden Ideologie. Solange ich ihn anhörte, sagte ich nichts, keinerlei Zustimmung, keine Regung, ich selbst aber war ein felsenfestes Nein."
Mit ihrem Buch erweist sich Isabela Figureido als "Nestbeschmutzerin" (ein Begriff aus dem Buch), wobei in Isabelas Fall das "Nest" nicht nur Portugal ist, sondern insbesondere ihre eigene Familie. 
Mit der Veröffentlichung von "Roter Staub" bezieht sie nicht nur Front gegen den portugiesischen Patriotismus sondern stellt auch noch postum den eigenen Vater bloß, indem sie ihn als Paradebeispiel des portugiesischen Kolonialherren zur Schau stellt.

Fazit:
"Roter Staub" ist ein mutiges und wichtiges Buch. Selten findet man Bücher über den Kolonialismus, die von Kolonialherren geschrieben wurden. Und wenn, driften diese schnell in die Schilderung einer romantischen Traumwelt ab, die bestenfalls für eine Hollywoodverfilmung geeignet wäre.
Isabela Figureido erzählt die schmutzige Wahrheit und scheut sich dabei nicht, sich selbst und ihre Familie zu beschmutzen. Ich habe großen Respekt vor diesem Mut und dieser Offenheit.

Leseempfehlung!