Mittwoch, 19. Juli 2017

Gerd Pfeifer: Ana und die Fische (Erzählungen aus Brasilien)

Quelle: Pixabay / sasint

Gerd Pfeifer ist nicht unbedingt ein typisch brasilianischer Name. Bei brasilianischen Namen denke ich an Ronaldo, Rivaldo, Roberto oder Neymar. (Der portugiesisch-affine Leser wird feststellen, dass mein Repertoire an brasilianischen Vornamen sehr begrenzt ist und ich meine Weisheit aus der Welt des Fußballs habe) Wie kommt der Autor mit dem Namen Gerd Pfeifer also dazu, brasilianische Geschichten zu erzählen? Weiß er, wovon er schreibt? Natürlich weiß er das. Denn Gerd Pfeifer hat einige Jahre in Brasilien gelebt, so dass er in seinen Erzählungen aus dem Nähkästchen plaudert.

Die Geschichten, die dabei entstanden sind, sind bunt. Gerd Pfeifer präsentiert eine Vielfalt, die einen besonderen Eindruck von diesem exotischen Land vermittelt. Brasilien wird klischeehaft als der Inbegriff der Lebensfreude angesehen: brasilianischer Karneval und leicht-bekleidete Damen, die zu Samba-Rythmen tanzen. In dem vorliegenden Erzählband findet weder Karneval noch Samba statt. Stattdessen präsentiert der Autor unterschiedliche Aspekte einer Gesellschaft, die herzlich wenig mit diesem Klischee zu tun haben. In den Geschichten finden sich Unmenschlichkeit und Wut, aber auch Liebe, Zauber und Mystik.
"In einem Land, das jedem Ehemann mindesten eine Geliebte gestattete und jede Frau entweder Geliebte oder Ehefrau oder beides zugleich war, herrschte strengste Prüderie." (aus "Ana und die Fische", S. 43)
"Ein Paar Turnschuhe" sind das Objekt der Begierde für João, einem Jungen aus den Favelas. Am Ende werden ihm die Turnschuhe zum Verhängnis. 

"Ana und die Fische" erzählt die Geschichte einer Frau, die nach 11 Monaten ein Kind zur Welt bringt, das jedoch keiner außer ihr zu Gesicht bekommt. Merkwürdig ist, dass sie jede Nacht mit einem Bündel im Arm ins Meer hinausschwimmt und erst Stunden später wiederkommt. Diese Geschichte ist sehr mystisch und erinnert an ein Märchen.

"Die Muse des Malers" ist das Hausmädchen Dalva. Entgegen aller Vorurteile und Standesdünkel heiratet sie den Maler Serge und lebt mit ihm auf einer kleinen Amazonasinsel. Eines Tages verschwindet der Maler unter mysteriösen Umständen. Er wird für tot erklärt. Jahre später taucht Serge wieder auf.
"Ihre Kindheit verlebte sie auf dem Lande in einem Dorf ohne Namen. Als sie fünf Jahre alt war, half sie ihrem Vater auf den Feldern. Mit sieben war sie eine vollwertige Arbeitskraft, die nach der Feldarbeit die bescheidene Hütte der Familie in Ordnung hielt, ihre jüngeren Geschwister erzog und ihrer Mutter bei der Geburt der alljährlich und frohgemut ins Leben tretenden Jüngsten zur Hand ging." (aus "Die Muse des Malers", S. 73)
"Enkelin Tassia und ihr Großvater" haben ein inniges Verhältnis zueinander. Doch Tassia verändert sich auf einmal, wird verschlossen und ablehnend. Dahinter verbirgt sich ein schreckliches Geheimnis.

Fazit:
Ein bemerkenswerter Erzählband, der einen Einblick in ein Land gewährt, der nicht viel mit der klischeehaften Samba-Romantik gemein hat, die gerne mit Brasilien in Verbindung   gebracht wird. Seine Geschichten sind vielfältig, jede für sich ist einzigartig. Ein Buch, das verzaubern, aber auch verstören kann.

© Renie




Über den Autor:
Gerd Pfeifer war weltweit als Investmentbanker tätig, bevor er nach seinem Rückzug ins Privatleben mit dem Schreiben begann. Für »Geneviève – Ein französischer Sommer« erhielt er den Preis der Vontobel-Stiftung in Zürich. (Quelle: Ripperger und Kremers)