Dienstag, 25. Juni 2019

Dacia Maraini: Drei Frauen

Quelle: Pixabay/Lolame
Im gleichnamigen Roman von Dacia Maraini leben "Drei Frauen" in der Hauptstadt Italiens zusammen unter einem Dach: Oma Gesuina, ihre Tochter Maria und deren Tochter Lori. Aus den sich wechselnden Perspektiven der drei Frauen eröffnet sich eine konfliktbeladene, aber auch berührende Geschichte, die den Zeitraum eines Jahres innerhalb dieser Familie beschreibt.

Oma Gesuina war in jungen Jahren eine Schauspielerin. Als sie mit Maria schwanger wurde, war es vorbei mit ihrer Karriere. Sie hat ihre Tochter allein großgezogen. Heute hängt sie immer noch ihren Träumen von damals nach. Sie scheint kaum gealtert zu sein. Ihre Devise „Alt werden, jung bleiben“ lebt sie konsequent. Sie sieht für ihre 60 Jahre noch knackig aus, versucht ihren Hang zur Romantik mit diversen Online-Liebhabern auszuleben. Und sie erzählt von ihrem Alltag innerhalb ihrer Familie, indem sie ihre Gedanken in ein Diktiergerät spricht.
Quelle: Folio Verlag

Betrachtet man Gesuina, wundert man sich, wie es zu einer Tochter wie Maria gekommen ist. Außer dem Hang zur Romantik, den beide jedoch auf unterschiedliche Weise ausleben, haben Maria und ihre Mutter wenig gemeinsam. Maria sorgt für den Unterhalt der Familie, indem sie als Übersetzerin von Romanen arbeitet. Sie verliert sich dabei in den Geschichten, die sie übersetzt. Ihr Herz gehört einem Franzosen, mit dem sie regelmäßig verreist. Einen Alltag hat diese Beziehung bisher noch nicht erlebt bzw. überlebt. So leben Maria und ihr Liebhaber die meiste Zeit des Jahres ihr eigenes Leben. Einzig die Briefe, die sie sich schreiben, geben Maria die Kraft, mit ihrer Verantwortung als alleinige Ernährerin der Familie zurechtzukommen.
"Maria ist zerbrechlich wie ein rohes Ei. Sobald man sie berührt, ist sie verletzt. Aber sie hat auch die Perfektion eines Eies, die makellos glatte Schale. Doch wenn man nicht aufpasst, rollt es über die Tischkante, fällt auf den Boden und zerbricht."
Von den beiden anderen Frauen in diesem Haushalt ist kaum mit Unterstützung zu rechnen. Oma Gesuina lässt es sich gut gehen. Und Lori, die Jüngste in diesem Dreiergespann, ist mit Schule und Erwachsenwerden beschäftigt. Lori ist der Rebell in der Familie. Das, was ihrer sanftmütigen Mutter fehlt, hat sie zu viel. Lori bewegt sich mit einer Wut durch den Alltag, die andere gern vor den Kopf stößt. Dabei strahlt sie eine Energie aus, die eindeutig zeigt, dass sie das Enkelkind ihrer Oma ist.

Wohingegen Maria ihre Gedanken über ihr Leben und ihre Familie in den Briefen an den Franzosen niederschreibt – der Leser liest also mit -, schreibt Lori Tagebuch. Auch hier liest der Leser mit.

Eines Tages steht der Franzose vor der Tür und quartiert sich für ein paar Tage bei den drei Frauen ein. Keine von ihnen rechnet damit, dass er in der Lage ist, das Leben der Drei durcheinander zu wirbeln. Doch genau das passiert. Rollen werden vertauscht, Wunden werden zugefügt. Ob es sich hierbei um bleibende Wunden handelt, bleibt bis zum Schluss des Romans Spekulation.
"Drei Generationen unter einem Dach, die sich nur ertragen, weil es nicht anders geht. ... Das Gefühlsleben der Familie ist kompliziert, immer wieder gibt es Überraschungen. Man liebt und hasst sich gleichzeitig. Manchmal ist die Nähe erdrückend, fast unerträglich, gleichzeitig denkt man mit Schrecken an den Moment der Trennung."
Dieser wundervolle Roman hat mich gefangen genommen. Die Charaktere haben mich fasziniert.
Drei Frauen, die sehr unterschiedlich sind, aber dennoch eine Einheit bilden. Durch den Wechsel der Erzählperspektiven, ist man den Frauen ganz nah. Man blickt in ihr tiefstes Innneres, leidet und lacht mit ihnen. Und man durchlebt ihre Entwicklung innerhalb eines Jahres, die ihnen einiges abverlangt. Oma Gesuina wird von der unbeschwerten, leichtlebigen junggebliebenen Alten zu einer Frau, die auf einmal Verantwortung übernehmen muss. Aus dem rebellischen, pubertierenden und jungen Mädchen Lori wird eine ernsthafte junge Frau, die ebenfalls Verantwortung übernehmen muss. Innerhalb eines Jahres ist ihre Kindheit und Jugend vorbei. Und Maria, die zu Beginn dieses erzählten Jahres die Stärkste in dieser Dreierkonstellation war, ist am Ende die Schwächste. Wie es dazu gekommen ist, möchte ich jedoch nicht verraten.

Ich beurteile ein Buch immer danach, ob ich es gern gelesen habe, oder nicht. Hier gibt es keine Zweifel und kein Zögern. Ich habe dieses Buch geliebt!

© Renie