Mittwoch, 20. Januar 2016

Arthur Schnitzler: Casanovas Heimfahrt (Edition Büchergilde)

Klassiker sind zeitlos und machen Spaß. Der Sprachstil mag im ersten Moment altmodisch und gewöhnungsbedürftig erscheinen. Doch dann stellt man fest, dass Klassiker anders gelesen werden als "neuere" Bücher. So geht es mir zumindest. Ich lese aufmerksamer und bedächtiger und gebe dieser ungewohnten Sprache eine Chance, ihren ganz besonderen Zauber zu entwickeln. Und schnell stellt man fest, dass auch ein altmodischer Sprachstil seinen Charme hat und den Leser in den Bann ziehen kann. So auch bei Arthur Schnitzler’s „Casanovas Heimfahrt“, erstmalig veröffentlicht im Jahre 1918. Ich habe diese Novelle in einer illustrierten Neuausgabe der Edition Büchergilde gelesen, die Ende letzten Jahres veröffentlicht wurde.

Worum geht es in dieser Novelle?
Casanova ist verarmt und in die Jahre gekommen. Mit 53 Jahren ist er des Reisens müde geworden und sehnt sich nach seiner Heimatstadt Venedig. Doch durch seine Eskapaden ist Casanova vor vielen Jahren verbannt worden und darf Venedig nicht mehr betreten. Nun hofft er auf Begnadigung, damit er seinen Lebensabend in seiner geliebten Heimat verbringen kann. Auf seinen Reisen nähert er sich Venedig "gleich einem Vogel, der aus luftigen Höhen zum Sterben allmählich nach abwärts steigt, in eng und immer enger werden Kreisen"(S. 5). Eines Tage begegnet ihm Olivo und dessen Familie. Casanova hat vor vielen Jahren an der Hochzeit von Olivo und seiner Frau Amalia teilgenommen und dem Paar mit einem großzügigen Geldgeschenk den Weg in die Zukunft versüßt. Seitdem sieht sich Olivo in Casanova’s Schuld. Als er seinem alten Wohltäter wieder begegnet, lädt er ihn ein, einige Tage in seinem Haus zu verbringen. Zu der Familie gehören 3 Töchter sowie die Nichte Marcolina - eine außergewöhnliche junge Dame: hübsch, geistreich, selbstbewusst und klug. Sie ist eine Herausforderung für Casanova und hat sofort seinen "Jagdinstinkt"geweckt. Und schon begibt er sich auf einen "Eroberungsfeldzug", was angesichts seines Alters nicht mehr ganz einfach ist.
"In der Fremde vermochte er längst nicht mehr ein Glück dauernd an sich heranzuzwingen. Noch war ihm zuweilen die Kraft gegönnt, es zu erfassen, doch nicht mehr die, es festzuhalten. Seine Macht über die Menschen, Frauen wie Männer, war dahin. Nur wo er Erinnerung bedeutete, vermochte sein Wort, seine Stimme, sein Blick noch zu bannen; seiner Gegenwart war die Wirkung versagt. Vorbei war seine Zeit!" (S. 80)
Casanova und die Anderen
Casanova lebt von seinem Ruf. Er ist ein Narziss, der die Eroberung von Frauen für sein Ego benötigt. Er will das Alter nicht wahrhaben und in den Momenten, wo es ihm doch bewusst wird, empfindet er das Altern als Fluch. Er glaubt immer noch an seine ganz besondere Wirkung auf das weibliche Geschlecht. Insbesondere die älteren Frauen lassen sich von seinem Ruf als Liebhaber beeindrucken und biedern sich ihm an. An Möglichkeiten würde es Casanova nicht mangeln. Sobald er eine Frau erobert hat, lässt er sie voller Verachtung wieder fallen. Die Frau hat ihren Zweck erfüllt. Er ist an den jungen und unverbrauchten Frauen interessiert. Sein Beuteschema hat sich in den Jahren nicht geändert. Er ist zwar älter geworden, seine Objekte der Begierde sind jedoch jung geblieben.


Andere Männer sehen in ihm einen Rivalen, dem man mit Respekt begegnet, ja sogar mit Bewunderung für die Heldentaten, die er in jungen Jahren vollbracht hat und seinen Ruf, den er sich dadurch erworben hat.
"Nur eine Sekunde lang überlegte Casanova, an wen ihn Lorenzi erinnerte. Dann wusste er, dass es sein eigenes Bild war, das ihm, um dreißig Jahre verjüngt, hier entgegentrat. Bin ich etwa in seiner Gestalt wiedergekehrt?, fragte er sich. Da müsste ich doch vorher gestorben sein .... Und es durchbebte ihn: Bin ich's denn nicht seit langem? Was ist denn noch an mir von dem Casanova, der jung, schön und glücklich war?" (S. 62)
Bei der jungen und schönen Marcolina haben Casanova’s Annäherungsversuche keinen Erfolg. Sie sieht in ihm genau das, was aus ihm geworden ist: ein alter, eitler Mann, der in der Vergangenheit lebt und in der Gegenwart nicht angekommen ist. Wenn sie sich mit ihm auseinandersetzt, merkt man, dass sie ihn nicht ernst nimmt. Bestenfalls begegnet sie ihm mit einer Höflichkeit, die Mitleid und Ekel überdeckt.
"Aber in Marcolina hatte er eine Gegnerin gefunden, die ihm sowohl an Kenntnissen wie an Geistesschärfe wenig nachgab und ihm überdies, wenn auch nicht an Redegewandtheit, so doch an eigentlicher Kunst und insbesondere an Klarheit des Ausdrucks weit überlegen war." (S. 46)
Interessant ist, wie Arthur Schnitzler seine Charaktere präsentiert. Er lässt kein gutes Haar an seinen Protagonisten und hat einen Heidenspaß daran, sie ins Lächerliche zu ziehen: 
Casanova – der eitle alte Mann
Olivo – der dümmliche Familienvater, der Casanova umschwänzelt wie ein Hund sein Herrchen
Amalia – auch nicht mehr die Jüngste, die sich Casanova an den Hals wirft
Marcolina - nicht so tugendhaft, wie sie vorgibt zu sein und die manchmal etwas Durchtriebenes an sich hat
Lorenzi – der eitle, hochnäsige und ungestüme junge Leutnant, der kein Respekt vor dem Alter hat
Vertreter des Adels und der Kirche – eitel, habgierig, genusssüchtig

Arthur Schnitzler vermittelt den Eindruck, dass in der damaligen Gesellschaft (18. Jahrhundert, z. Zt. des Rokoko) Ehebruch zum guten Ton zu gehörte. Auch, wenn man nicht darüber sprach, schien es doch jeder zu tun. Insbesondere die Ehefrauen in Schnitzler's Novellen sind ständig auf der Jagd nach besonderen Liebhabern.
"Dass sich in ihrem Blick nichts von jenem Leuchten zeigte, wie es ihn früher so oft begrüßt, auch wenn er als Nichtgekannter im berückenden Glanz seiner Jugend oder in der gefährlichen Schönheit seiner Mannesjahre erschienen war, das musste Casanova freilich als eine längst nicht mehr neue Erfahrung hinnehmen. Aber auch in der letzten Zeit noch genügte meist die Nennung seines Namens, um auf Frauenlippen den Ausdruck einer verspäteten Bewunderung oder doch wenigstens ein leises Zucken des Bedauerns hervorzurufen, das gestand, wie gern man ihm eine paar Jahre früher begegnet wäre." (S. 26)
Der Sprachstil und Illustrationen
Die Sprache Schnitzler’s ist lebhaft. Sie lässt den Leser in die Seele der Protagonisten blicken und vermittelt deren Stimmungen. Die Beschreibung seiner Charaktere ist sehr gelungen. Man kann sie sich bildlich vorstellen, was noch durch die wundervollen Illustrationen in dieser Ausgabe unterstützt wird.
Die Illustrationen von Cynthia Kittler sind farbenfroh und haben etwas Frivoles an sich. Dabei hat die Illustratorin versucht, eine Verbindung zwischen Casanova’s Lebzeiten – dem Rokoko – und der jetzigen Zeit zu schaffen. Dies ist ihr eindrucksvoll gelungen. Die Illustrationen sind modern, vermitteln aber trotzdem einen Bezug zu der damaligen Zeit.


Fazit
Arthur Schnitzler (1832 - 1931), der sich für das Un- und Unterbewusste interessiert hat, lässt diese Erfahrungen in die Darstellung seiner Charaktere einfließen. Er gewährt dem Leser einen Einblick in die Seele seiner Protagonisten und liefert somit ein eindrucksvolles Bild der damaligen Gesellschaft. Der besondere Sprachstil vermittelt einen Charme, dem man sich nicht entziehen kann und macht daher die Lektüre spannend und unterhaltsam.
Ergänzt und abgerundet wird diese Novelle durch die besonderen Illustrationen von Cynthia Kittler, die dem fast 100-jährigen Werk etwas Modernes verleihen. Dieses Buch in der Neuausgabe in bibliophiler Ausstattung der Edition Büchergilde ist ein wahrer Lese- und Augenschmaus!

© Renie


Casanovas Heimfahrt von Arthur Schnitzler, erschienen in der Edition Büchergilde
ISBN 978-3-86406-061-8



Über Arthur Schnitzler:
Arthur Schnitzler (1862 – 1931) war ein österreichischer Erzähler und Dramatiker, der als einer der wichtigsten Vertreter der Wiener Moderne gilt. Nach dem Abitur studierte er Medizin, wurde Arzt, bis er sich mehr und mehr seinen literarischen Arbeiten widmete. Er schrieb Dramen und Prosa, hauptsächlich jedoch Erzählungen, in denen er das Augenmerk vor allem auf die psychischen Vorgänge seiner Figuren lenkt. (Quelle: Edition Büchergilde)

Über Cynthia Kittler (Ill.):
Cynthia Kittler, 1986 in der Nähe von Stuttgart geboren, studierte an der Fachhochschule Mainz Illustration und Design. Ihre Abschlussarbeit gewann einen Silbernagel beim ADC. Im Anschluss besuchte sie die Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Sie zeichnet unter anderem für die „New York Times“, „Washington Post“, „Die Zeit“, „Spiegel Wissen“, „Bloomberg Businessweek“ und „Financial Times“. Für die Büchergilde illustrierte Cynthia Kittler 2014 „Die Falle“ von Robert Gernhardt als satirisches Adventskalenderbuch. (Quelle: Edition Büchergilde)