Samstag, 25. September 2021

Jonathan Coe: Mr. Wilder und ich

Billy Wilder, amerikanischer Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent, war bereits zu Lebzeiten eine Legende. Seine größten Erfolge konnte er in den 40er, 50er und 60er Jahren verzeichnen. Insgesamt drehte er über 60 Filme. „Sabrina“, „Das verflixte 7. Jahr“, „Zeugin der Anklage“, „Manche mögen’s heiß“, „Das Mädchen Irma la Douce“ waren einige davon.
Im Jahr 1978 erschien sein vorletzter Film "Fedora", bei dem Billy Wilder nicht nur Regie führte, sondern auch das Drehbuch schrieb. Viele sahen darin Parallelen zu Wilders eigenem Hollywood Dasein. "Fedora" erzählt die Geschichte über den Mythos einer verstorbenen Filmdiva und wurde von den Kritiker u. a. wie folgt beschrieben: 
„ein Abgesang auf Hollywood, auf das Kino alter Schule, auf Billy Wilders klassische Filme nicht zuletzt. […] Ein Alterswerk, das seinen Rang vornehmlich dadurch erreicht, dass es in Kauf nimmt, von allen missverstanden zu werden."

Der Roman „Mr. Wilder und ich“ erzählt von der Entstehung dieses Films und ist gleichzeitig eine berührende und humorvolle Biografie über die Hollywood-Legende Billy Wilder, der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten bereits Anfang 70 war. 
Quelle: Folio Verlag

Die Geschichte von Billy Wilder wird dabei in einen weiteren Handlungsrahmen eingebettet. Denn erzählt wird sie Jahre später von einer fiktiven Figur - Callista, einer Komponistin für Filmmusik, Ehefrau und Mutter von 2 erwachsenen Töchter. Sie berichtet von ihren ersten Gehversuchen beim Film, an denen Billy Wilder maßgeblich beteiligt war. Callista ist in den 50er/60er Jahren in Athen aufgewachsen. Ihre griechischen Wurzeln und der Zufall haben ermöglicht, dass sie in den 70er Jahren in das Filmgeschäft gerutscht ist. Denn im Alter von 21 Jahren begegnet sie in Hollywood das erste Mal Billy Wilder, der ihr einen Job als griechische Übersetzerin für die geplanten Dreharbeiten von „Fedora“ am Drehort Lefkada, einer verschlafenen griechischen Insel, anbietet. Die Tochter eines Griechen und einer Engländerin, die zu diesem Zeitpunkt einen Trip durch Amerika macht, ergreift die Chance, und von da an wird sie die nächsten Jahre im Filmgeschäft in unterschiedlichen Funktionen arbeiten. Doch zunächst geht es um die Dreharbeiten zu „Fedora“. Mit ihrer unkomplizierten und bodenständigen Art sticht Callista aus der Menge der Filmleute, die an dieser Produktion beteiligt sind, heraus. Das merkt auch Billy Wilder sowie sein bester Freund und Co-Drehbuchautor Iz Diamond. Die beiden Männer suchen immer wieder die Gesellschaft von Cal, die herzerfrischend anders ist, als diejenigen Menschen, mit denen der Starregisseur beruflich zu tun hat: Schmeichler, Neider, Opportunisten und Sensationslüsterne. Cal erinnert sich Jahre später an diese Zeit und erzählt von den Begegnungen und Gesprächen mit den beiden Männern. Insbesondere durch die Sichtweise des besten Freundes Iz, lernt sie einen anderen Billy Wilder kennen, als denjenigen, der sich im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit präsentiert.

Billy Wilder, Sohn jüdischer Eltern, ist 1906 in Österreich geboren, hat später lange Jahre in Berlin gelebt und ist mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten nach Amerika emigriert, wo er als Drehbuchschreiber ins Filmgeschäft einstieg und kurz darauf in Hollywood Regie führte. Die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und die kritische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit wurde ein Teil seines Lebens. Billy Wilder war also kein Regisseur. der sich auf leichte Filmkomödien reduzieren ließ. Er begegnete der Welt zwar mit Humor, was aber nicht über seine Ernsthaftigkeit hinwegtäuschen sollte. 
"'... Das Leben ist hässlich. Wir alle wissen das. Du brauchst nicht ins Kino zu gehen, um zu erfahren, dass das Leben hässlich ist. Du gehst ins Kino, damit diese zwei Stunden dein Leben ein klein wenig heller machen, sei es durch Komik oder Lachen, oder einfach nur ... keine Ahnung, durch ein paar schöne Kleider und gutaussehende Schauspieler oder so - irgendein Lichtblick, der vorher nicht da war. Ein bisschen Freude, Heiterkeit ... .'"
Jonathan Coe hat mit diesem Roman einen Billy Wilder geschaffen, wie ich ihn mir gern vorstellen möchte: ein netter, älterer und humorvoller Herr, der menschliche Wärme ausstrahlt und mit Güte über die Fehler seiner Mitmenschen hinwegsieht. Ob Mr. Wilder tatsächlich so gewesen ist, ist für mich dabei zweitrangig. Ich will dem Autoren die Charakterisierung seines Protagonisten gerne abnehmen, zumal Jonathan Coe in seinen Anmerkungen und Quellenangaben am Ende des Romans nicht den Eindruck vermittelt, dass die Eigenschaften, die er seiner Figur zuschreibt, seiner Fantasie entsprungen sind. 

Der Protagonist Billy Wilder in Verbindung mit dem glamourösen Hollywood-Flair, das die Handlung begleitet, machen die Geschichte daher zu einem großen Vergnügen. Jonathan Coe hat mit "Mr. Wilder und ich" einen Roman geschaffen, der der humorvollen Leichtigkeit eines Films des berühmten Regisseur in nichts nachsteht.

Leseempfehlung!

© Renie