Dienstag, 31. Juli 2012

Jonathan Coe: Der Regen, bevor er fällt

Vorgestern habe ich mit diesem Buch begonnen. Gills Tante Rosalind ist gestorben. 73 Jahre alt ist sie geworden. Gill fällt die Aufgabe zu, den Nachlass ihrer Tante zu regeln. Vier besprochene Kassetten befinden sich darunter, die an Imogen gerichtet sind. Ich weiß noch nicht, welche Rolle Imogen hier spielen wird. Nur, dass sie blind ist, erfahre ich. Doch sie ist nirgends aufzufinden.
Gill fährt zu ihren Töchtern nach London, und gemeinsam hören sie die erste Kassette.
Und Rosalind erzählt. Sie möchte Imogen anhand von 20 ausgewählten Fotos etwas über deren Herkunft berichten.

Ich habe jetzt gut die Hälfte durch, und kenne die Namen und sehe auch, in welche Richtung das Buch läuft.
Die Idee an sich, ein Leben anhand von Fotos zu erzählen, gefällt mir schon mal sehr gut.
Nach dem Kapitel, in dem Rosalind das elfte Foto beschrieb, tauchte auf einmal der Name Gill auf und ich musste erst mal stutzen. Wer, zum Teufel, ist Gill. Aha, ich bin wieder in der Gegenwart, wo Gill mit ihren Töchtern die Bänder abhört. Sie machen eine Pause, weil sie zu einem Konzert gehen, an dem eine der Töchter mitwirkt.
Rosalind hat in den ersten  zehn Kapiteln über Beatrix gesprochen. Ihre Freundin aus Kindertagen, sie sind Blutsschwestern. Beatrix heiratet früh, zu früh, weil sie schwanger ist. Und irgendwann, da lebt Rosalind mit ihrer Freundin Rebecca zusammen, taucht Beatrix bei ihnen auf und lässt ihnen das Kind da.
Spätestens jetzt weiß ich, um welche drei Generationen von Frauen es sich hier handelt.
 Beim weiteren Lesen wird es allerdings immer deprimierender. Auf den letzten Seiten dachte ich ja, es gibt noch ein klein wenig ein gutes Ende, und dann kommt noch einmal der Hammer.

Die Tante Rosalind, die praktisch die Geschichte erzählt, kann ich überhaupt nicht verstehen. Die wurde so oft verletzt von den Menschen, über die sie berichtet und hat den Kontakt nicht abgebrochen. Hat immer davon geträumt, dass noch alles gut wird. Ne, wenn ich so oft getreten worden wäre, hätte ich den Kontakt abgebrochen.
Aber so unterschiedlich sind halt die Menschen.


Tiffany Baker: Engelsflügel

Wenn die hübsche junge Frau auf dem Cover mit der Hauptrolle des Buches identisch sein soll, dann ist es absolut danebengegangen. Mit Truly jedenfalls hat sie absolut keine Ähnlichkeit.
Publishers Weekly meint zu dem Buch: "Es wäre eine Schande, wenn dieses Buch die Bestsellerlisten nicht im Sturm erobern würde."

Na ja, zu den Bestsellern würde ich das Buch nicht zählen. Nach 134 Seiten wusste ich noch nicht, wohin mich die Geschichte führen wollte.
Truly erzählt aus der Ich-Perspektive. Und das von ihrer Geburt an. Das irritierte mich beim Lesen unheimlich, weil sie wie ein Erwachsener erzählt, der alles versteht. Sie weiß als Kleinkind, was ihre Mitmenschen denken usw. Es wird alles zu genau beschrieben. Das ist irgendwie ungewöhnlich.
Der Schreibstil an sich ist aber nicht schlecht. Man kann sich schon festlesen. Und er gewinnt noch, nachdem Truly ihre Kleinkinderzeit hinter sich hat. Meiner Meinung nach hat Truly kein schönes Leben, aber sie hat sich irgendwie darin eingerichtet.
In der ersten Hälfte des Buches ist noch kein Wort von dem Familiengeheimnis der Morgans gefallen, um das es nach dem Klappentext gehen soll. Und die Geschichte ist bisher nur so dahingeplätschert. Ja, es geschehen einige Kleinigkeiten, aber noch nichts Weltbewegendes.

Als Kinder werden Truly und ihre Schwester Serena Jane getrennt. Serena Jane, die Schöne, überall Beliebte, wächst behütet in einer Familie auf, die ihr gutes Auskommen hat, während es Truly auf eine Farm verschlägt.
Jahre später heiratet Serena Jane Bob Bob Morgan, dessen Familie seit Generationen die Arztpraxis in dem Ort führt. Nach der Hochzeit ziehen die beiden weg und kommen viele Jahre später mit ihrem Kind wieder zurück.
Und nachdem Serena Jane ihren Mann und das Kind verlässt und Truly selbst zum Doktor zieht, um sich um die beiden zu kümmern, kommt sie langsam auf das Familiengeheimnis der Morgans: Ein Schattenbuch soll es geben. Aber handelt es sich wirklich um ein Buch? Truly enthüllt ganz langsam das Geheimnis.

Kim Edwards: Die Tochter des Fotografen

Norah Henry gebiert Zwillinge. Ihr Mann, Arzt von Beruf, entbindet sie von einem kerngesunden Jungen und einem Mädchen mit Dawnsyndrom. In Erinnerung an seine Schwester, die mit zwölf Jahren an dieser Krankheit gestorben ist, gibt er das Mädchen in die Obhut der Schwester, die bei der Entbindung geholfen hat mit der Bitte, die Kleine in ein Heim zu geben. Seiner Frau erzählt er, dass das kleine Mädchen tot geboren wurde. Die Schwester fährt mit dem Baby in das besagte Heim und trifft dann eine folgenschwere Entscheidung. Sie kündigt ihren Job und zieht mit dem Baby weg, um es alleine großzuziehen.

Ich habe Kritiken zu dem Buch gelesen, wo darüber geschrieben wurde, dass sich das Buch zwischendurch wie Kaugummi zieht. Dem kann ich absolut nicht zustimmen. Klar, es ist nicht mit Spannung geschrieben, ich kann mich auch nicht in die Protagonisten hineinversetzen oder mich mit ihnen identifizieren, weil ich nicht in der Situation bin oder war. Das Leben der beiden Familien wird abwechselnd erzählt, wobei ich das von der Krankenschwester mit dem Mädchen ungleich interessanter fand, da diese mit anderen Eltern um die Anerkennung der Kinder mit Dawnsyndrom in der Gesellschaft kämpft.

Vielleicht ist es gut zu wissen, dass die Geschichte 1964 beginnt. Anfang der siebziger, als das Mädchen auf einen Bienenstich allergisch reagiert und ins Krankenhaus gebracht wird, fragt die Krankenschwester doch tatsächlich, ob das Kind wirklich gerettet werden soll. Das fand ich schon mächtig hart.

Das Buch enthält noch ein bisschen Bonusmaterial, Infos über das Buch, die Autorin, ein Interview mit ihr, wie das Buch entstanden ist und ein paar Diskussionthemen für Leserunden.

Die gebundene Ausgabe verkaufte sich ganz gut. Ende Mai 2006 kam die Geschichte als Taschenbuch raus und ging im Juli schon das 800.000. Mal über den Ladentisch. Inzwischen wurde es schon über fünf Millionen-mal verkauft und ist eines der bestverkauftesten Bücher der letzten Jahre.
Und das nicht etwa durch große Buchketten oder riesige Marketingbudgets, sondern durch die unabhängigen Sortimenter und Mundpropaganda begesiterter Leser, zu denen auch diverse Lesezirkel gehören, die sich auch bei uns einer immer zunehmenden Beliebtheit erfreuen.

Samstag, 28. Juli 2012

Elizabeth Subercaseaux: Eine Woche im Oktober

"Eine Woche im Oktober" erzählt die Geschichte von Clara, 46, und Clemente, die beide in Santiago de Chile leben, ab dem Zeitpunkt, als bei Clara Krebs festgestellt wird. Als sie nicht mehr weiß, was sie noch anfangen soll, sagt ihr Mann lapidar: "Schreib doch". Und das tut sie dann auch. Zunächst unbemerkt von Clemente, der dann aber irgendwann das Heft in einer Schublade findet und es heimlich liest.
Und in dem, was er dort liest, erkennt er seine Frau nicht wieder. An Episoden, die sie beschreibt, kann er sich absolut nicht erinnern, verbannt sie ins Reich der Fantasie, aber an vieles erinnert er sich auch. Und muss eines Tages lesen, dass Clara davon weiß, dass er sie schon jahrelang mit einer anderen betrog und schlussendlich, dass seine Frau während ihrer Krankheit ein Verhältnis mit einem anderen Mann anfing.
Was soll Clemente mit diesem Wissen anfangen? Mit seiner Frau reden? Dann würde sie erfahren, dass er heimlich ihre Aufzeichnungen las. Er, der fremdgegangen ist, fühlt sich von Clara betrogen, weil sie ihn nie spüren ließ, dass sie über sein Verhältnis Bescheid wusste. Wollte sie sich mit diesem Heft an ihm rächen? Sollte er es auf diese Weise erfahren?


Ein gutes Buch, ich hätte gerne Zitate rausgeschrieben. Aber es hat eh nur 200 Seiten. Und es wären  traurige Zitate gewesen, weil, es gibt hier kein Happy End, nichts, was mich als Leser hoffnungsvoll zurücklässt.

Dienstag, 24. Juli 2012

Diane Setterfield: Die dreizehnte Geschichte

Das Buchcover ist schon mal eine Wucht. Das stach mir sofort ins Auge, als ich in meinem Buchladen die Regale langspaziert bin. Als ich dann im Klappentext las, dass eine Schriftstellerin und eine Buchhändlerin mitspielen, war es um mich geschehen. Ganz hin und weg war ich dann, als ich auf den ersten Seiten las, dass Margaret Biografien schreibt. Das ist nämlich ein Hobby von mir. Noch dazu teilt sie meinen Lesegeschmack: Biografien, Autobiografien, Memoiren, Tagebücher und Briefe.

Vida Winter hat in 56 Jahren 56 Bücher geschrieben. Zweiundzwanzig Biografen haben schon versucht, ihr Leben zu erzählen. Sie hat sie alle an der Nase herumgeführt. Warum? Weil sie ein Geheimnis zu hüten hat. Ein Familiengeheimnis. Welches sie jetzt aber, wo sie totkrank ist, jemandem beichten möchte. Nur nicht irgend jemandem. Margaret Lea muss es sein.

Warum ich, fragt sich Margaret, als sie eines Tages einen Brief von Vida Winter erhält und nach einem Besuch bei ihr erfährt, dass sie deren Biografie niederschreiben soll.
Und wie in einen Strudel wird Margaret in die Geschichten der Vida Winter hineingezogen. Sie verliert sich fast darin. Kein Wunder: Sie macht sich Notizen, wenn Vida Winter erzählt, dann schreibt sie sie in ihrem Zimmer in Klartext auf und selbst nachts ist sie in ihren Träumen darin gefangen.
Und so langsam, mit Hilfe ihres Vaters und eigener Recherchen, bringt sie Licht in das Dunkel dieser Familie und auch in ihre eigene, bisher geheimgehaltene Geschichte.

Die Autorin hat einen wundervollen Schreibstil, der es mir sehr schwer machte, das Buch mal aus der Hand zu legen. Sie führt uns von einem Rätsel zum anderen. Manchmal denkt man, ha, jetzt hab' ich es. Jetzt weiß ich, wohin der Hase läuft. Und dann schlägt er wieder Haken. Aber jede noch so kleine Unklarheit wird am Ende aufgelöst.

Und Vida Winter? Die hat uns des Rätsels Lösung in ihrem ersten Gespräch mit Margarete mitgeteilt. Aber: Weiß selbst sie die ganze Wahrheit? Eine Frage blieb zum Schluss offen.

Anne Delbeé: Der Kuß - Kunst und Leben der Camille Claudel

Bis dato habe ich noch keine Biografie gelesen, die mit dem Tod des Protagonisten begann. Bei dieser ist das so; und damit ein sehr trauriger Buchanfang. Camille Claudel liegt in einem eiskalten Krankenhauszimmer und geht dem Tod am 19. Oktober 1943 ganz alleine entgegen.
Dann ein Schwenk in die Vergangenheit, Camille ist 13 Jahre jung.

Camille Claudel wusste schon in jungen Mädchenjahren, was sie werden wollte: nämlich Bildhauerin. Ihr Vater verstand sie, unterstützte sie sogar in ihrem Vorhaben. Mit der Mutter allerdings kam sie nicht gut klar, fragte sich oft, warum sie von ihr gehasst wird. Als die Familie nach Paris zieht, tut sich ihr eine ganz neue Welt auf.

Ein kleiner Auschnitt aus einem Brief aus der Anstalt lässt am Ende manchen Kapitels neugierig weiterlesen:

...Wie es scheint, hat mein karges Atelier - die paar armseligen Möbel und einige von mir selbst verfertigte Werkzeuge -, hat mein armer kleiner Hausrat nun auch noch ihre Habgier entfacht!
Frauen, die genau wussten, was sie wollen und das auch leben wollten, hatten es früher ganz besonders schwer. Um ihre Träume zu verwirklichen, mussten sie ja teilweise sehr rücksichtslos gegenüber ihren Mitmenschen sein. Mutig sein, weil sie gegen gesellschaftliche Konventionen verstießen:

Passen Sie auf, Mademoiselle Camille, knöpfen Sie Ihre Bluse gut zu. Man wird leicht für etwas gehalten, das man nicht ist. Ein gutes Gewissen allein reicht auf dieser bösen Welt nicht aus.

Die Mutter hält ihre Leidenschaft zum Bildhauern für Quatsch. Der Vater unterstützt die Familie zwar, aber Atelier, Modelle, Werkzeuge und Materialien kosten natürlich Geld, das der Familie anderswo fehlt.

Brief aus der Anstalt
"... Was mich betrifft, so bin ich über den Fortgang meines Lebens hier so verzweifelt, daß ich nicht mehr ein menschliches Wesen ... Ich kann die Schreie all dieser Geschöpfe nicht mehr ertragen, es bricht mir das Herz. Mein Gott! Wie ich mich nach Villeneuve sehne! Ich habe nicht all das getan, was ich getan habe, um namenlos in einem Irrenhaus zu enden, ich habe Besseres verdient..."

Allzugut sieht man anhand der Biografie von Camille Claudel, wie schwer es Frauen hatten, ihrem Lebenstraum zu folgen. Sie war eine sehr gute Bildhauerin. Während Rodin, dessen Schülerin sie war und auf die sie auch fast reduziert wurde, einen Auftrag nach dem anderen bekommt und genug Gehilfen hat, arbeitet sie Tag und Nacht selbst an ihren Werken. Auf Gehilfen kann sie sich nicht verlassen. Da sie nicht so viel zahlen kann, machen die keine gute Arbeit und zerstören mehr, als dass sie behilflich sind, so dass monatelange Arbeit umsonst war.
Sie verkauft kaum etwas, es kommt kein Geld rein. Selbst, wenn sie einen Auftrag bekommt, wie soll sie den durchführen? Sie hat Sehnsucht nach dem Bruder, der sich nach Shanghai aufgemacht hat.

Hier könnt ihr Arbeiten von Camille Claudel bewundern.

Sobald ihr Vater gestorben war (sie wurde nicht einmal über dessen Tod informiert), wurde Camille Claudel von der Mutter und dem Bruder Paul in eine Anstalt gesteckt. Ihre Wohnung wurde aufgebrochen und man brachte sie gegen ihren Willen dorthin. Anfang der 20er Jahre hätte sie entlassen werden können, doch Die Mutter, die sie nie besucht hatte, lehnte dies entschieden ab.
So vegetierte Camille die letzten 32 Jahre bis zu ihrem Tod 1943 in psychiatrischen Anstalten, vergessen und ohne jemals wieder arbeiten zu können.

Montag, 23. Juli 2012

Marie-Sabine Roger: Das Labyrinth der Wörter

Sooo spannend war dieses Buch nicht, aber sehr nett zu lesen, eine leichte Sommerlektüre. Die Geschichte wurde ja mit Gerard Depardieu verfilmt. Ich weiß noch, wir haben damals in der DDR ja viele französische und italienische Filme sehen können (dürfen?). Und Depardieu kenne ich schon als ganz jungen Schauspieler. Und ich meine beim Lesen direkt seine Stimme zu hören. Ist schon eigenartig. Die Franzosen haben damals (heute sehe ich kaum noch frz. Filme, habe also keinen Vergleich mehr) ganz eigenartig gesprochen, irgendwie höre ich das aus dem Buch heraus. Das mag natürlich Einbildung sein, den Vergleich hätte ich bestimmt nicht ziehen können, wenn ich nicht wüsste, dass Depardieu diese Rolle spielt.

Aber es ist schon lustig, wie diese kleine Oma diesen großen Kerl an Bücher heranführt. Und manch seiner Gedankengänge sind ganz lustig. Und so als ungeliebter Sohn kann er einem schon leid tun.

Den Film habe ich mir auch angeschaut, aber so richtig nachhaltig ist er mir nicht in Erinnerung geblieben.

Thomas Hartnagel: Sophie Scholl / Fritz Hartnagel - Damit wir uns nicht verlieren

"Könnte ich Dir Kraft zuschicken!" Sophie Scholl am 30. Dezember 1942

Bewegende Liebesbriefe, geschrieben unter schwierigsten Bedingungen

"Eines der ungewöhnlichsten, ergreifendsten Zeugnisse, die aus jener Zeit der finstersten Barbarei auf uns gekommen sind."
Die Zeit


Der Herausgeber Thomas Hartnagel ist der Sohn von Fritz und Elisabeth Hartnagel. Elisabeth ist Sophies Schwester. Die beiden heirateten zwei Jahre nachdem Sophie hingerichtet wurde.

Sophie Scholl und Fritz Hartnagel lernen sich 1937 kennen. Sophie war zu der Zeit 16, noch Schülerin, Fritz war 21 und junger Leutnant.

Als Sophie1942/43 mit ihrem Bruder Hans und den Mitgliedern der "Weißen Rose" mit Flugblättern gegen das Naziregime kämpfen, ist Fritz als Offizier der deutschen Wehrmacht im Kessel von Stalingrad eingeschlossen. Als er Sophies letzten Brief erhält, lebt sie schon nicht mehr.
Am Tag der Hinrichtung wurde vormittags das Urteil gefällt. Sophies Mutter schrieb dann gleich noch einen Brief an Fritz, in dem sie ihn bat, ein Gnadengesuch einzureichen. Doch die Zeit dafür reichte gar nicht mehr. Am Nachmittag wurde das Urteil schon vollstreckt.

Ich habe dieses Buch verschlungen. Zu lesen, wie sich die Freundschaft zwischen den beiden in dieser düsteren Zeit entwickelt, war sehr interessant und ging auch zu Herzen. Konnte doch die Entwicklung ihrer Freundschaft seit Kriegsbeginn fast nur in den Briefen stattfinden.
Schade ist, dass Sophies Briefe, die sie von März 1941 bis Februar 1943 an Fritz geschrieben hat, in Stalingrad verlorengingen. War das doch die aktive Zeit der "Weißen Rose". Aus der Zeit können wir nur Fritz Briefe an Sophie lesen.

Anne Fine: Böse Träume

Melinda ist eine Leseratte durch und durch. Sie liest Bücher nicht nur, sie frisst sie anscheinend. Etwas zum Fressen gern haben, der Spruch würde zu ihr passen. In der Schule hat sie unter ihrer Bank immer die neuesten Erscheinungen aus der Schulbibliothek.
Eines Tages kommt Imogen in ihre Klasse und der Klassenlehrer beauftragt ausgerechnet Melinda als Patin für die Neue. Ausgerechnet Melinda, die doch lieber liest, als sich mit den Mitschülern abzugeben.
Als sie hinter Imogens Geheimnis kommt, versucht sie, Näheres zu erfahren. Aber Imogen ist sehr verschlossen. Doch eines Tages entdeckt Melinda, woran es liegen könnte, dass Imogen so unnormal auf Bücher reagiert. Sie beschließt, Imogen zu helfen, doch die darf davon nichts erfahren.

Eine tolle Idee, schnell und leicht zu lesen. Der Schluss war für mich ein wenig enttäuschend. Ich hätte ihn mir anders gewünscht. Aber das ist Geschmackssache. Ansonsten: absolut lesenswert.

Samstag, 21. Juli 2012

Khaled Hosseini: Drachenläufer

Ich habe diese Geschichte 2007 gelesen. Damals habe ich hier in meiner Stadt einen Lesezirkel gefunden, an dem ich dann wegen meiner ungünstigen Arbeitszeit doch nicht teilnehmen konnte. Das Buch, das gelesen werden sollte, hatte ich mir trotzdem gekauft. Vom Klappentext her wäre es nicht meine Wahl gewesen. Aber welch ein Glück, ich hätte eine schöne Geschichte verpasst.
Diese Geschichte hat mich vom ersten Satz an gefangengehalten. Gerade weil ich nur das heutige Afghanistan kenne, fand ich die Beschreibung von der Zeit vor der Besatzung durch die Russen ganz interessant.
Der Klappentext schreibt zwar von einer Freundschaft zwischen Hassan und Amir, aber das sehe ich nicht so, da sie doch eher in einem Diener-Herr-Verhältnis stehen, auch wenn sie in ihrer Kindheit viel Zeit miteinander verbracht haben.
Spannend geschrieben dann auch der Weg der Wiedergutmachung, den Amir auf sich nimmt und der mich am Ende des Buches dann doch noch zum Weinen brachte, wegen eines einzigen Satzes:

"Für dich, tausendmal!"

Angelica Domröse: Ich fang mich selbst ein

Dies ist die Autobiographie einer Theater- und Filmlegende, die durch ihre Rolle der Paula in der Plenzdorf-Verfilmung "Die Legende von Paul und Oaula" zur Ikone einer ganzen Generation in der ehemaligen DDR wurde. Um ehrlich zu sein, ist mir der Film um Paul und Paula gar nicht so im Gedächtnis geblieben. Vielleicht war ich noch zu jung, als ich ihn damals und nur das eine Mal gesehen habe. Wenn ich den Namen Angelica Domröse höre oder lese, habe ich eher die Figur der "Fleur Lafontaine" aus dem gleichnamigen Film vor mir. Dort spielt sie eine Frau, die in einem Spital liegt und anscheinend durch einen Schock gelähmt ist. Der behandelnde Professor geht davon aus, dass ihr Problem psychischer Natur ist und zwingt sie, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. In Rückblenden erlebt man anhand ihrer Lebensgeschichte auch ein Stück deutscher Geschichte der 20er bis 40er Jahre. Aber ich schweife ab. Um Fleur Lafontaine geht es in dem Buch nicht.

Angelica Domröse berichtet über ihr Leben, über ihre Kindheit in der DDR in einer Familie, wo sie vorm Vater mehr Angst hat und die Mutter ihre Liebe nicht zeigen kann. Die Straße, in der die Familie wohnt, liegt unmittelbar an der Sektorengrenze, nach vorne schaut sie in den Osten, den Hintern hängt sie in den Westen. Sie unterschreibt die Resolution gegen die Ausweisung Biermanns und gerät so auch unter die Beobachtung der Stasi. Auch über diese Begebenheiten berichtet sie.
Sie hat einen tollen Schreibstil, bringt das, was sie sagen will, auf den Punkt, ohne drumherum zu reden.

Sheridan Hay: Die Antiquarin

Rosemary Savage wuchs in Tasmanien auf. Sie hat feuerrote Haare und sie liebt Bücher über alles. Nachdem ihre Mutter gestorben ist, lebte sie ein Weilchen bei einer Freundin der Mutter, die einen kleinen Buchladen hat. Eines Tages machte diese Freundin Rosemary ein Geschenk. Sie schenkte ihr ein Flugticket und etwas Geld für eine Reise nach New York. Rosemary soll versuchen, ein neues Leben anzufangen. Und so quartiert sich Rosemary in ein Hotel ein und findet sehr schnell einen Job im "Arcade", ein riesiges Antiquariat, in dem die komischsten Typen arbeiten.
Rosemary und Oscar (ein Kollege, der zwar schwul ist, in den sich Rosemary aber unsterblich verliebt hat) forschen nach Melville und seinem Geheimnis. Sie befinden sich gerade in einer Bibliothek und Rosemary liest ein Buch mit Briefen von Melville. Sie sind an Nathaniel Hawthorne gerichtet.
Rosemary findet anhand der Briefe heraus, dass Melville die Geschichte einer Frau gehört hat, aus der sich ein Buch schreiben ließe. Aber er will es wohl nicht selbst schreiben und macht es Hawthorne schmackhaft. Schreibt ihm in seinen Breifen sogar, wie das Buch beginnen könnte usw.
Ich bin gespannt, ob dies etwas von Bedeutung ist auf der Suche nach dem verlorengeglaubten Manuskript.

Bücher über Bücher, es gibt kaum eins, das mich nicht begeistert. Und dieses tut es von der ersten bis zur letzten Seite.
Wenn ich mich aus meinem Buch "Wilde Dichter" genau erinnere, ist Melville nicht nur jemand, der tolle Geschichten schrieb, sondern auch jemand, der um des Schreibens willen schrieb. Er konnte gar nicht anders, als zu schreiben.
Ein Buch von Melville habe ich noch nicht gelesen, aber seine Briefe sprühen nur so vor Leidenschaft. Im Anhang habe ich gesehen, dass es echte Briefausschnitte sind, die in diese Geschichte eingewebt wurden. Das fasziniert mich ja unheimlich.

Helmut Sakowski: Daniel Druskat




Daniel Druskat kam mit einem Flüchtlingstreck ins Dorf. Seitdem sorgte er immer wieder für Aufsehen. Nachdem seine noch junge Frau gestorben ist, lebt er mit Tochter Anja alleine. Es gab genügend Frauen, die ein Auge auf den gutausehenden schwarzhaarigen Daniel geworfen haben und die Mutterstelle bei Anja einnehmen wollten. Doch mit Daniel war es kein einfaches Leben und so blieb keine lange.
Nun ist er Vorsitzender der LPG in Altenstein. Eines Abends stehen zwei Männer vor der Tür und holen ihn ab.
Anjas erster Weg führt sie zu Max Stephan, der Vorsitzender im Nachbardorf Horbeck ist und der mit dem Vater viele Jahre befreundet war. Und gleichzeitig waren sie Rivalen. Bei der letzten Auseinandersetzung zwischen den beiden war Anja dabei. Und sie hörte, wie Stephan ihrem Vater drohte, dass er ihn vernichten könne.
Hat er diese Drohung wahrgemacht? Hat Stephan dafür gesorgt, dass man Druskat abholt? Anja muss rausbekommen, was zwischen den Männern vorgefallen ist.
Diese Geschichte beschreibt die frühen Aufbaujahre in der Landwirtschaft der DDR nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie berichtet von zwei Freunden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die vom sozialistischen Aufbau unterschiedliche Auffassungen haben. Kann diese Freundschaft Bestand haben, noch dazu, wo einer der Freunde den anderen mit einem Geheimnis aus der Vergangenheit in der Hand hat?
Helmut Sakowskis Schreibstil ist wunderbar. Ich habe den ersten Satz gelesen und war sofort gefangen.

Barbara Bronnen: Am Ende ein Anfang

Auf der Suche nach der zehnstelligen ISBN-Nummer bin ich auf das Hardcover gestoßen und bin etwas traurig, dass ich das Buch als Taschenbuch habe. Es ist ein wunderschönes Coverbild, welches im Taschenbuch durch den Textbalken unterbrochen wird. Charlotte umarmt Johannes mit beiden Armen, während seine Arme runterhängen. Dabei war er es doch, der darauf gedrängt hat, es nach dreißig Jahren noch einmal zu versuchen.
So lange ist es her, als Charlotte ihm gesagt hat, dass sie sich für den anderen entschieden hat. Nun begegnen sie sich auf einem Bahnhof wieder, ganz kurz nur. Und Johannes will diese Chance nutzen. Doch so schnell lässt sich Charlotte nicht überzeugen. Sie hat Bedenken. Hat noch nicht ganz mit dem Tod ihres Mannes abgeschlossen. Ist noch nicht bereit, ihre Wohnung aufzugeben. Hat Zweifel. Und hofft dann doch auch. Und auch Johannes hat in seinem Leben noch einiges zu klären.
Wir lernen Charlotte und Johannes durch ihre Briefe kennen. Briefe, die voller Leben, Liebe und auch Erotik stecken. Was?, wird mancher aufschreien, in diesem Alter? Ja, auch in diesem Alter noch.
Ein wunderschönes Buch, das ich an einem Tag durchgelesen habe.

Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders

"75 m raucht Iwan Zigaretten, ein Fressen für mein MG", an diesen Satz denkt Uwe Timm öfter, während er versucht, dem 16 Jahre älteren Bruder, der im Zweiten Weltkrieg gefallen ist, durch sein Tagebuch und seine Frontbriefe näherzukommen.

Meine Großtante ist Jahrgang 1911, hat zwei Weltkriege überlebt. Von meinem Onkel habe ich mal erfahren, dass sie während des Zweiten Weltkrieges Leute bei sich versteckt hatte. Ob es Juden waren oder Kommunisten, ich weiß es nicht. Ich habe mal leise versucht anzufragen, weil ich natürlich neugierig war. Aber sie hat nie etwas über diese Zeit erzählt. Und sie brauchte nicht mal ein schlechtes Gewissen zu haben. Sie hat etwas getan.

Wie schwer mag es da wohl gewesen sein, von jemandem, der aktiv mitgemacht hat oder der weggeschaut hat, etwas zu erfahren? Hatten sie ein schlechtes Gewissen? Oder haben sie sich gerechtfertigt? "Wir haben doch nichts gewusst", hieß es doch immer.
Uwe Timm hat an diesem Buch erst gearbeitet, als seine Eltern nicht mehr lebten. Hatte er Angst vor den Antworten?

"75 m raucht Iwan Zigaretten, ein Fressen für mein MG." Jedesmal wenn ich diesen Satz las, bekam ich eine Gänsehaut. Wie oft mag sich Uwe Timm die Frage gestellt haben: Hat mein Bruder geschossen?

Uwe Timm ist es wunderbar gelungen, an das Thema Schuld, Verdrängung, Verantwortung heranzugehen.

Elke Heidenreich meint zu diesem Buch: "Die Jungen sollten es lesen, um zu lernen, die Alten, um sich zu erinnern, und alle, weil es gute Literatur ist."

Ich kann mich ihren Worten aus tiefstem Herzen anschließen.

Donnerstag, 19. Juli 2012

Tom Petsinis: Die Buchliebhaberin

Sonya quittiert mit 30 ihren Job als Lehrerin. Ihre Schüler waren eh „mehr an McDonalds als an Macbeth interessiert“. Sie wagt den Sprung in die Selbstständigkeit und eröffnet ein Antiquariat (laut Buchbeschreibung macht sie eine Erbschaft, aber das stimmt nicht, sie nimmt für den Laden eine zweite Hypothek auf ihr Haus auf).
Eines Tages, mitten in einer Wirtschaftskrise, als die Geschäfte nicht mehr so gut liefen, findet sie einen Brief vor ihrer Tür, ein goldener Umschlag. Ohne Absender, ohne Anschreiben. Es handelt sich um einen Dialog zwischen Marx und Moses. In unregelmäßigen Abständen folgen weitere Briefe mit Dialogen zwischen großen Dichtern, Denkern und Propheten. Und sie scheinen direkt für sie gemacht, denn in jedem Dialog findet sie sich auf die eine oder andere Weise wieder.
Eine Wende nimmt ihr Leben, als sie eines Tages den Überbringer der Dialoge kennenlernt.
Als die Geschäfte immer schlechter gehen, erhält sie von einem ehemaligen Klassenkameraden ein Angebot, das sie zuerst strikt ablehnt, aber dann doch überlegt, ob sie es annehmen soll.

Gegen Ende der Geschichte wollte ich nur noch wissen, wie es ausgeht, es wurde ja immer spannender. Aber fast interessanter zu lesen waren die Dialoge, die immer eine kleine Geschichte für sich waren.

Schön, dass es Schriftsteller gibt, die so toll über die Liebe zu Büchern schreiben können.


Helene Hanff: 84, Charing Cross Road





Ja, meine persönlich "Bibel", das ist das wunderbare Büchlein.
Die drei Bücher von Helene Hanff lese ich jedes Jahr einmal wieder. Und es ist mir ein absolutes Vergnügen.

84, Charing Cross Road, wie liebe ich diese Adresse. Helene Hanff hat sie in mein Bücherherz gebrannt.
Sie selbst lebt in der 14 East 95th St. in New York City. Es ist das Jahr 1949, Oktober.
In der Zeitschrift "Saturday Review of Literature" entdeckt sie eine Anzeige von Marks & Co. in der 84, Charing Cross Road in London. Ein Antiquariat. Was sie an antik denken lässt und für teuer hält. Sie schreibt einen Brief nach London, mit einer Bücher-Wunschliste.
Und so entsteht ein Briefwechsel, den jedes Leserattenherz höher schlagen lässt.

Es ist kein Roman, Helene Hanff hat keine geschrieben. Dieser Schriftwechsel fand wirklich statt. Man merkt zwischendurch auch, dass die Sammlung wohl nicht vollständig ist.
Dieser Briefwechsel fing ja geschäftlich an, weil sie in ihrer Gegend nicht die Bücher bekommen konnte, nach denen ihr der Sinn stand. Mit der Zeit wurde er aber privater. Sie verschickte an die Buchhandlung Lebensmittelpakete, da die in London nach dem Krieg knapp waren. Und so entspann sich auch zwischen den anderen Mitarbeitern und ihr ein schriftlicher Austausch.
Helene Hanffs größter Wunsch war es, einmal London zu besuchen. Doch erst 1971 sollte es ihr möglich sein, eine Lesereise zu machen. Da lebte Frank Doel schon nicht mehr (er starb 1969) und der Buchladen war geschlossen.

Die Erlebnisse dieser Lesereise sind dann in dem Buch Die Herzogin der Bloomsbury Street niedergeschrieben. Das Buch finde ich zwar auch ganz toll, aber es reicht nicht an diesen Briefwechsel heran.

Ich liebe dieses Büchlein so, weil ich aus jeder Pore von Helene Hanff ihre Bücherliebe herauslese. Einfach wunderbar.