Photo by Alex Avalos on Unsplash |
Frei nach der Devise: "Was nicht passt, wird passend gemacht" hat Joël Dicker mit "Das Verschwinden der Stephanie Mailer" einen Roman geschrieben, der weit unter dem Niveau liegt, das er mit seinen beiden Erfolgen „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ und „Die Geschichte der Baltimores“ erreicht hat. Was für ein Flop. Ich bin enttäuscht.
Zum Inhalt:
Besagte Stephanie Mailer ist eine Journalistin und angehende Buchautorin, die bei den Nachforschungen um einen Vierfach-Mord im idyllischen Orphea einem Geheimnis auf die Spur kommt. Orphea ist ein fiktiver Touristenort in den Hamptons, einem Landstrich in der Nähe New Yorks, der ein Urlaubsmekka für wohlhabende Amerikaner ist. Der Vierfach-Mord hat vor 20 Jahren stattgefunden - 1994. Die Mordopfer waren der damalige Bürgermeister Gordon sowie seine Frau und der gemeinsame Sohn. Die Vierte im Bunde war eine Joggerin, die zur falschen Zeit am falschen Ort war und augenscheinlich unerwünschte Zeugin des Verbrechens wurde.
Quelle: Piper |
Der Vierfach-Mord wurde seinerzeit vom FBI Ermittlerduo Jesse und Derek erfolgreich aufgeklärt. So dachte man zumindest. Doch nun, 20 Jahre später, stellt sich heraus, dass scheinbar der Falsche für die Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurde. Der mittlerweile pensionierte Derek und sein Kollege Jesse rollen das Verbrechen noch einmal auf. Auch Jesse befindet sich so gut wie im Ruhestand - eine Woche hat er noch bis zu seiner Pensionierung. Natürlich bleibt es nicht bei dem 20 Jahre alten Verbrechen. Denn, wie der Titel dieses Romans schon sagt, verschwindet Stephanie Mailer auf mysteriöse Weise. Auch bei diesem Mysterium wird es nicht bleiben. Stattdessen kommen zu den vier Toten aus dem Jahre 1994 nun, 20 Jahre später, weitere Opfer hinzu.
Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte ist das Städtchen Orphea, das vom Tourismus lebt. Damals wie heute ist ein Theaterfestival, das jährlich in der Stadt stattfindet, ein wichtiger Meilenstein bei der Aufklärung der Verbrechen.
Die Stunde der Wahrheit scheint das Premierenstück des Theaterfestivals zu sein, zumindest soll es hier einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der Verbrechen geben. Und tatsächlich hat Joël Dicker einen Countdown eingebaut, der auf einen High Noon hinausläuft. Denn vom Beginn des Romans werden die verbleibenden Tage bis zu diesem wichtigen Ereignis herunter gezählt. Aber bei Dicker schlägt es leider Dreizehn. Denn das Premierenstück ist zwar spektakulär, verwirrt jedoch mehr, als dass es Klarheit in die Mordfälle bringt. Die kommt dann aber zum Schluss des Romans.
"'Wenn man das Maß an Respekt betrachtet, das bestimmten Genres gezollt wird, steht in der Reihe ganz zuoberst der unverständliche Roman, dann der intellektuelle Roman, dann der historische Roman, dann der Roman überhaupt und erst danach, an vorletzter Stelle, kurz vor der Liebesromanze, steht der Krimi.'"
Wie in seinen bisherigen Romanen bleibt Joël Dicker seinen Konstruktionsplänen treu: Viele unterschiedliche Erzählperspektiven, mehrere Handlungsebenen, ein munteres Hin- und Her in den Zeitebenen und natürlich verblüffende Entwicklungen in der Geschichte. Alles zusammen ergibt dies ein fröhliches Rätselraten, das eigentlich großartige Unterhaltung und einen quirligen Lesespaß garantieren sollte. Eigentlich! Denn tatsächlich tritt in diesem Roman ein Effekt ein, den ich bisher bei der Lektüre von Joël Dickers Büchern nicht erlebt habe: Der Effekt der Müdigkeit.
Anfangs habe ich die Geschichte sehr genossen. Joël Dickers eigene Art, einen Roman aufzubauen, hat mich zunächst mitgerissen. Doch nach der Hälfte des Buches stellte ich fest, dass ich die Geschichte nur noch gezwungenermaßen gelesen habe. Die Luft war raus. Stellt sich die Frage, wie es dazu gekommen ist. Ich habe dem Roman Folgendes anzukreiden: Zunächst sind es die Charaktere. Einige unter ihnen sind dermaßen überzeichnet und als Lachnummern dargestellt, dass es fast schon weh tut. Dank meiner hohen Schmerztoleranz käme ich damit noch klar. Doch darüber hinaus nimmt die Handlung Entwicklungen an, die eigentlich gar nicht gehen. Im Sinne von "Was nicht passt, wird passend gemacht" wird hier konstruiert, dass man sich als Leser schon auf den Arm genommen fühlt. Bestenfalls und mit viel Wohlwollen kann man Joël Dicker den Versuch, sich in an einer Satire zu versuchen oder einen humoristischen Roman unterstellen. Aber so weit geht mein Wohlwollen nicht. Für mich ist dieser Roman daher ein Flop.
© Renie