Freitag, 23. Februar 2018

Muriel Spark: Memento Mori

Quelle: Pixabay/Free-Photos
"Memento mori"(lat.) - "Bedenke, dass du sterben musst". Das sind die Worte, mit denen die Charaktere des gleichnamigen Buches von Muriel Spark in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen konfrontiert werden. Dieser Satz ist eines Krimis würdig, hat er doch etwas Unheimliches und Bedrohliches an sich. Und wer beschäftig sich schon gern mit dem eigenen Tod? Die älteren Herrschaften, um die es in diesem Roman geht, sicher nicht.

Die Handlung dreht sich um ein Gruppe von Senioren der Londoner Upper Class  der 50er Jahre, die von einem anonymen Anrufer mit eben diesem Satz "Bedenke, dass du sterben musst" belagert werden. Mit dem Gedanken an ihr Ableben fühlen sich einige bedroht, andere finden es amüsant, anderen wiederum ist es egal.

Der Altersdurchschnitt der Hauptfiguren des Romans liegt bei grob geschätzten 85 Jahren. Die Jüngeren unter ihnen sind in den 70ern. Es gibt aber auch einige wenige, die sich auf ein 3-stelliges Alter zu bewegen. Die Charaktere haben einige Zeit ihres Lebens miteinander verbracht. In den traditionsbewussten Kreisen der Londoner Upper Class kennt man sich. Und so verwundert es nicht, wenn in der Geschichte einige Geheimnisse und Skandälchen aufgedeckt werden, die sich im Verlauf der langen Leben angesammelt haben. Nur die Identität des Anrufers, der die Figuren auf höfliche Art auf ihr baldiges Ableben hinweist, bleibt geheim.
"'Wir alle halten uns im Alter für gescheitert, Alex, weil wir uns so sehr an alles klammern. Dabei leben wir einfach unser Leben zu Ende.'" (S. 286)
Muriel Spark hat in ihrem Roman die unterschiedlichsten Typen zusammengebracht:
  • Charmian, in jungen Jahren Schriftstellerin, die an Alzheimer leidet. Ihre Bücher erleben gerade ein Revival, was die Dame dermaßen belebt, dass sich ihre Krankheit zurückentwickelt, sie aber immer noch gern mit den damit verbundenen Schwächen kokettiert.
  • Schwerenöter Godfrey, ihr Ehemann, der in früheren Jahren Charmian nach Strich und Faden betrogen hat und eine Höllenangst davor hat, dass sie von seinen Eskapaden erfährt. Dies macht ihn angreifbar für fiese Menschen, die Kapital aus seiner moralisch verwerflichen Vergangenheit schlagen wollen. Ganz abgesehen davon, dass er auch heute noch, im Alter von  87 Jahren, der Erotik nicht abgeneigt ist, wenn sein körperlicher Zustand auch nur ein begrenztes Maß an Stimulation zulässt.
  • Alec, der Hobby-Gereantologe, der bereits seit Jahren das Altwerden seines Bekanntenkreises dokumentiert. Damit ihm auch ja nichts entgeht, greift er auch gern mal auf Helfer(innen) zurück, die die Zipperlein seiner Bekannten für ihn ausspionieren. So wird sein Bekanntenkreis zur Probandengruppe, ohne, dass sich die Betroffenen dessen bewusst sind.
Hinzu kommen noch eine Erbschleicherin, ein streithafter Dichter mit mäßigem Talent, Grannies in einem Pflegeheim, die den Aufstand üben und viele mehr.
"Godfrey verstand erst gar nicht, was sie meinte, denn schon lange nutzte er sein fortgeschrittenes Alter als Entschuldigung dafür, dass er nicht mehr die wohlerzogene Beflissenheit seiner Jugend an den Tag legte. Mittlerweile gab er sich sogar automatisch ungehobelt, als stünde ihm dies von Rechts wegen zu." (S. 213)
Das Zusammenspiel der Charaktere ist einfach zu köstlich. Denn Muriel Spark ist bei der Anlage ihrer Romanfiguren der Devise "Je oller, desto doller" gefolgt. Jeder Charakter ist sehr speziell und hat seine skurrilen Eigenheiten, die die Autorin mit einem Höchstmaß an bissigem Humor präsentiert.

Muriel Sparks Sprachstil ist von Eleganz und Präzision geprägt. Sie braucht nicht viele Worte, um aus einer Situation den Witz herauszukitzeln. Sehr detailliert beschreibt sie das Leben der Senioren, die von Gebrechen geplagt werden, die das Alter mit sich bringt. Ist Altwerden daher ein Grund zum Verzweifeln? Sicher nicht. Die körperlichen und geistigen Schwächen gehören nunmal dazu und halten nicht davon ab, das Leben zu lieben.
"Wie nervenaufreibend es ist, alt zu werden - und wie viel besser, alt zu sein!" (S. 54)
Das Geheimnis um den anonymen Anrufer macht aus diesem Roman fast schon einen Krimi - aber auch nur fast. Denn im Mittelpunkt steht das Miteinander der Charaktere, die gemeinsame Vergangenheit sowie die Zeit, die ihnen noch bleibt, bis sie nicht mehr sind. Das "Memento mori" des Anrufers ist zwar eine nette Aufforderung, wird aber von keinem der Charaktere beherzigt. Wozu auch? Der Tod kommt schließlich von ganz alleine.

Leseempfehlung!

© Renie


Über die Autorin:
Muriel Spark (geboren am 1. 2. 1918 in Edinburgh, verstorben am 13. 4. 2006 in Florenz), war Autorin von Romanen, Theaterstücken, Kinderbüchern und Gedichten. Sie war Herausgeberin der ›Poetry Review‹ und Mitarbeiterin des ›New Yorker‹. Zahlreiche ihrer Bücher wurden für Kino und Fernsehen verfilmt. 1992 wurde sie für ihr Werk mit dem T.-S.-Eliot-Preis für kreatives Schreiben ausgezeichnet, 1993 zum Commandeur des Arts et des Lettres ernannt, und Königin Elisabeth II. machte sie zum Dame Commander of the British Empire und damit zu ›Dame Muriel Spark‹, 1997 erhielt sie den David Cohen British Literature Prize, 1999 den Ehrendoktortitel für Literatur der Oxford University. Seit 1967 lebte Muriel Spark in Italien, wo sie 2006 verstarb. (Quelle: Diogenes)