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"Wer lachen kann, dort wo er hätte heulen können, bekommt wieder Lust am Leben."
Dies ist ein Zitat von Werner Finck, einem deutschen Kabarettisten, Schauspieler und Schriftsteller (*1902 - † 1978).
Man sollte meinen, dass sich die Protagonistin des Romanes "Wer dann noch lachen kann" von Birgit Vanderbeke, dieses Zitat zueigen gemacht hat. Denn trotzdem ihre Kindheit ein einziger Grund zum Heulen war, hat sie es doch geschafft, wieder Lust am Leben zu finden.
Über den Roman
Vor einigen Jahren hatte die Ich-Erzählerin (ohne Namen) des Romanes einen Autounfall. Die Schmerzen, die sie durch die Verletzungen erlitten hat, ist sie nie losgeworden, obwohl die Wunden schon lange verheilt sind. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an Monsieur Mounier, einem Therapeuten, den man aufgrund seiner ungewöhnlichen Methoden durchaus als Wunderheiler bezeichnen könnte. Der erste und einzige Termin dauert lediglich eine Stunde. Auf wundersame Weise sind ihre Schmerzen verschwunden. Zwischen der Erzählerin und Monsieur Mounier scheint es eine Verbindung zu geben, die sich nicht logisch erklären lässt. Allein durch sein Handauflegen hat er erkannt, dass ihr Schmerz viel tiefer sitzt und eine andere Ursache hat als der Unfall, der schon lange zurück liegt.
"Ich hätte gern gesagt, das ist lange her, aber plötzlich dachte ich, Mounier hat vielleicht recht, vielleicht ist das gar nicht so lange her und vorbei, vielleicht tun alle nur so, als ob das alles vergangen wäre, und in Wirklichkeit ist es gar nicht weit weg, sondern hier und jetzt." (S. 83)
Und die Erzählerin erinnert sich. Ich nenne sie von jetzt an der Einfachheit halber Karline. Die Erinnerungen sind die Gedanken eines Kindes und machen einen Großteil dieses Romanes aus. Dem Leser wird eine Kindheit offenbart, die tiefe seelische Wunden bei Karline hinterlassen hat.
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Der Roman beginnt kurz nach der Flucht der Familie in den Westen, unmittelbar nach dem Bau der Berliner Mauer. Die erste Zeit verbringt die Familie - Vater, Mutter und Karline - in einem Auffanglager, siedelt später in eine Mietwohnung um und baut sich mit der Zeit eine neue Existenz in der BRD auf. Der Vater macht Karriere in der Pharmaindustrie. Die Mutter kümmert sich um Kind und Haushalt. Man wird nicht verstehen, warum, aber die Mutter entdeckt Pharmazeutika als probates Mittel zur Kindererziehung. Karline erhält regelmäßig Medikamente, die sie in erster Linie ruhig stellen sollen. Was bringt die Mutter nur dazu, ihrem Kind die Tabletten zu verabreichen? Karline macht nicht den Eindruck, als ob sie die Mittel nötig hat. Sie ist ein lebhaftes Kind, steckt voller Fantasie. Doch nichts deutet darauf hin, dass sie eine Erkrankung hat. Hinzu kommt, dass die Mutter dem Kind die Medikamente in Eigeninitiative verabreicht. Es gibt keinen Arzt weit und breit, der die Medikamente verschrieben hat. Das Urteil der Mutter über Karline verwundert und verstört: Das Kind gehört in die Klapse! Sehr schnell stellt sich die Frage, ob die Mutter nicht versucht, ihre Tochter ruhig zu stellen, um sie vor dem cholerischen und gewalttätigen Vater zu schützen, der mit seiner Dominanz sowohl Mutter als auch Tochter permanent einschüchtert und bedroht.
"Das Kind dort unten hört auf zu schreien. Es ist wieder kein Indianer gewesen, aber es hat erst ganz zum Schluss angefangen zu schreien. ... Ein Schlag für die richtige Antwort, zwei Schläge für die falsche. Das Kind dar nichts sagen außer Ja oder Nein." (S. 14 f.)
Karline wächst also in dem Glauben auf, dass sie nicht normal ist, und dass sie tatsächlich in die Klapse gehört. Einzig ihre Fantasie und ihr Humor bewahren sie davor, dass sie zu einem seelischen Wrack wird. Sie tröstet sich damit, Fantasiefiguren zu erschaffen, mit denen sie sich nachts unterhält und die ihr in ihrem Kummer beistehen. In ihrer Fantasie wird sie von diesen Figuren Karline genannt.
Die Handlung des Romanes findet auf 2 Ebenen statt: Zum Einen wird der Leser mit den Kindheitserinnerungen konfrontiert; zum Anderen präsentiert sich dem Leser eine mittlerweile erwachsene Karline, die verheiratet ist und selbst Kinder hat. Die seelischen Schäden, die sie durch ihre Kindheit erlitten hat, sitzen sehr tief und sie wird ein Leben lang damit beschäftigt sein, diese Kindheit zu verarbeiten. Trotzdem hat sie eine optimistische Ausstrahlung. Und indem sie versucht, über ihre Geschichte zu lachen, lebt sie weiter mit "viel Lust am Leben".
"Es gibt nur einen einzigen Menschen, der auf Sie aufpassen kann. Das sind Sie. Sonst niemand." (S. 7)
Birgit Vanderbeke hat mit diesem Roman das Bild einer gestörten Familie gezeichnet. Die seelischen Grausamkeiten, die zum Alltag der Familie gehören, sind verstörend. Man ist sich nicht sicher, wem man die größeren Vorwürfe machen soll: dem cholerischen Vater, der sein Kind derartigen Grausamkeiten aussetzt; oder der Mutter, die ihr Kind nicht vor dem Vater geschützt hat.
Die Autorin hat sich bei der Darstellung der Kindheitserinnerungen auf eine kindliche Sprache eingelassen, die unbeschwert wirkt und voller Sprachwitz steckt. Das macht das tatsächliche Geschehen in dieser Familie umso fürchterlicher. Man freut sich mit der erwachsenen Karline, dass sie es endlich geschafft hat, einen großen Schritt zur Verarbeitung ihrer Kindheit zu machen. Umso verstörender ist daher das Ende des Romanes, das wie ein Paukenschlag im Sinne von "Schlimmer geht immer" daher kommt.
Fazit:
Dies ist ein Roman, der sich nicht schnell verarbeiten lässt und der lange in Erinnerung bleiben wird. Bewundernswert ist dabei der Optimismus, den die Autorin Birgit Vanderbeke, mit ihrem Sprachwitz vermittelt. Kaum zu glauben, dass jemand, der so gelitten hat, immer noch lachen kann. Aber es scheint zu funktionieren.
© Renie
Über die Autorin:
Birgit Vanderbeke, geboren 1956 im brandenburgischen Dahme, lebt im Süden Frankreichs. Ihr umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis und dem Kranichsteiner Literaturpreis. 2007 erhielt sie die Brüder-Grimm-Professur an der Kasseler Universität. Mehr Infos zur Autorin unter www.birgitvanderbeke.com (Quelle: Piper)