Donnerstag, 20. April 2017

Sven Amtsberg: Superbuhei

Quelle: Pixabay / AmberAvalona
Nachdem ich die ersten Seiten aus Sven Amtsbergs "Superbuhei" gelesen hatte, war dieses Buch für mich bereits ein Kultbuch. Von dieser Meinung bin ich auch bis jetzt nicht abgewichen. Natürlich stellt sich mir die Frage, wie ich überhaupt darauf komme? Was macht einen Roman eigentlich zu einem Kultbuch? Gibt es diesen Begriff überhaupt? Welche Eigenschaften hat ein Kultbuch? Für mich könnten es diese hier sein, allesamt in "Superbuhei" zu finden:
  • ein ungewöhnlicher Protagonist, vorzugsweise als Ich-Erzähler, der mit seinem Leben hadert
  • ein Milieu, fernab von der "heilen Welt": Kneipe, Alkohol, Drogen, trostloses Umfeld
  • Nostalgie, in Form von Musik, die man in seiner Kindheit gehört hat
  • unzählige Klebezettel, die die beeindruckendsten Textstellen markieren und darauf hinweisen, dass der Autor sehr viel zu sagen hat
"Es stimmt schon, dass das Leben ohne Alkohol leichter ist. Es fühlt sich nur nicht so an." (S. 47)
Jesse Bronske ist der ungewöhnliche Protagonist und Ich-Erzähler aus "Superbuhei". Dass er mit seinem Leben hadert ist unbestreitbar. Der Mann hat wirklich Probleme, angefangen beim Alkohol bis hin zu Paranoia und Depressionen.
Er betreibt das "Klaus Meine", eine Kneipe in dem Supermarkt "Superbuhei" in Hannover. Man ahnt es, er ist Scorpions-Fan, insbesondere zu dem Sänger der Scorpions, Klaus Meine, verspürt er eine tiefe Verbundenheit. In der Kneipe läuft den lieben langen Tag die Musik der Scorpions - nichts anderes. Den Stammgästen - andere Gäste verirren sich nicht hierhin - ist dies egal. Ihnen liegt nur daran, in möglichst schneller Zeit einen Alkoholpegel zu erreichen, der das Leben für sie erträglicher macht. Das "Klaus Meine" öffnet morgens um 10 Uhr. Bis abends, zum Geschäftsschluss, haben die Stammgäste Zeit, sich die Kante zu geben, woran sie auch intensiv arbeiten.

Steht Jesse nicht hinter der Theke seines "Klaus Meine", lebt er mit Mona zusammen, einer Kassiererin aus dem Superbuhei. Beide wohnen in dem Haus von Monas verstorbenen Eltern. Home sweet home ist anders. Denn das Haus überzeugt eher durch Schmuddeligkeit als durch Heimeligkeit. Baufällig und marode steckt der Mief von zig Jahren in seinen Mauern. Das Haus ist vollgespickt mit Dingen, die Monas toten Eltern gehörten. Eine Käfersammlung und Monas Sonnenbank im Wohnzimmer, tragen ihr Übriges zum (Un-)Wohlfühlfaktor bei.
"Wir streiten oft. Vor allem sonntags, wenn der ganze Tag in seiner Ödnis und Weite vor uns liegt. Nicht selten habe ich dann das Gefühl, sie gäbe mir die Schuld für die Langeweile, so wie sie auch mich dafür verantwortlich macht, dass unser Leben nun einmal ist, wie es ist. Dass es nur wenig von den Filmen hat, die sie im ZDF zeigen. Unser Leben ist eher wie RTL II." (S. 84)
Man fragt sich, welche Zukunftsperspektive Jesse hat? Und so wie er sich in diesem Roman präsentiert, bleibt als einzige Antwort: "Gar keine". Sein Leben besteht aus Eintönigkeit und Durchschnittlichkeit. Es gibt keine herausragenden Ereignisse, die auf eine rosige Zukunft hoffen lassen. Jesse versucht, seinem Leben einen Sinn zu geben, indem er sich krampfhaft auf die Suche nach seinen verborgenen Talenten begibt, die seinem eintönigem Durchschnittsdasein einen tieferen Sinn geben sollen. Vom Tennisspielen bis hin zu schriftstellerischen Ambitionen war schon alles dabei. Gebracht hat es nur nichts.

Wenn die Gegenwart mies ist, die Zukunft auf nicht hoffen lässt, fragt man sich, was in Jesses Vergangenheit passiert ist, dass er sich in dieser Situation befindet.
Der Leser erfährt durch Jesse, dass er in kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen ist. Die Familie Bronske bestand aus den Eltern, Jesse und seinem Zwillingsbruder Aaron. Die "Flucht aus der Eintönigkeit" schien auch ein Thema zu sein, das seine Eltern beschäftigt hat. Allerdings jeden für sich. Der Vater versucht sein Glück als erfolgloser Elvis-Imitator, die Mutter sucht ihr Glück bei einem anderen Mann.

Die Zwillinge sind bereits im jugendlichen Alter als die Mutter die Familie verlässt. Sie bilden eine eingeschworene Gemeinschaft. Jahre später hat sich die Eingeschworenheit jedoch in Luft aufgelöst. Jesse fühlt sich als Erwachsener von seinem Zwillingsbruder bedroht. Man fragt sich, wie es dazu gekommen ist, dass Jesse diesen Hass auf seinen Bruder entwickelt hat. Diese Frage könnte wahrscheinlich Aaron beantworten. Also wartet man als Leser auf das Erscheinen von Aaron. Dieser lässt allerdings auf sich warten. Die Bedrohung durch ihn ist zwar ständig präsent, aber eben nur die Bedrohung. Denn Aaron selbst bleibt im Hintergrund und nimmt zunächst persönlich keinen Einfluss auf die Handlung.
"Mutter hatte uns oft von Kain und Abel erzählt. Wir hatten ihr immer versprechen müssen, nie so zu werden. Was wir getan haben, trotzdem frage ich mich, was, wenn wir doch so werden würden, wer wäre dann wer? Bin ich der, der erschlägt? Oder der, der erschlagen wird?" (S. 44)
"Superbuhei" ist ein stimmungsgeladenes Buch. Es beginnt als lustiges Buch mit einem sehr skurrilen Humor. Man trifft auf viele Lebensweisheiten, die fast schon philosophische Ansätze haben. (Alcäus lässt grüßen: In vino veritas!) Dieser Humor wird von der unterschwelligen Bedrohung durch Aaron begleitet. Irgendwann kippt die Stimmung. Jesse zeigt plötzlich Verhaltensweisen, die den Leser an seinem Geisteszustand zweifeln lassen und seine Aussagen bezüglich seines Bruders in Frage stellen.

Zum Ende fragt man sich, ob man sich nicht tatsächlich in einem Thriller oder Horrorroman befindet. Denn dank Jesse und seinem merkwürdigen Verhalten wird die Stimmung unheimlich gruselig.

Sven Amtsberg lässt uns schließlich mit einem ganz fiesen Ende zurück - offen wie ein Scheunentor und mit ganz viel Raum für Spekulationen.

Noch eine Anmerkung zu dem Bezug zu den Scorpions. Der Sound dieser Band aus Hannover begleitet den Leser durch das komplette Buch. Mir ist der eine oder andere Song hier begegnet, dessen Melodie ich nicht aus dem Kopf bekommen habe. Allen voran natürlich das Gepfeife aus "Winds of Change". Sven Amtsberg hat auch die einzelnen Kapitel mit Songtitel der Scorpions versehen. Wer also bis dato nicht viel mit den Scorpions am Hut hatte, wird spätestens nach diesem Buch ein besonderes Augenmerk auf diese Band haben.

Beenden möchte ich meine Rezension mit der Wikipedia-Definition zu "Kultbuch"

Wikipedia sagt:
In einem Kultbuch wird das Lebensgefühl einer speziellen (meist jugendlichen) Gruppe besonders eindringlich widergespiegelt und von dieser Gruppe jeweils sehr geschätzt.
(Das trifft auf Superbuhei nur bedingt zu: widergespiegeltes Lebensgefühl einer Gruppe ja, von ihr geschätzt, definitiv nein)
Der Begriff hat sich in den 1970er Jahren im (west)deutschen Sprachgebrauch herausgebildet und ist die analoge Bildung zum Kultfilm. Kultbücher gelten als unverwechselbare Werke (das ist Superbuhei definitiv), sind auf eine bestimmte Leserschaft ausgerichtet (stimmt, Superbuhei ist kein Mainstream-Buch) und können zu Bestsellern werden (das hoffe ich doch). .......

Für mich hat "Superbuhei" definitiv das Zeug zu einem Kultbuch. Daher gibt es von mir natürlich auch eine Leseempfehlung!

© Renie



Über den Autor:
Sven Amtsberg, geboren 1972 in Hannover, lebt in Hamburg und ist Autor, Veranstalter und Moderator diverser Entertainmentformate.
Er betreibt das Autorendock, eine private Autorenschule, an der Dozenten wie Juli Zeh, Clemens Meyer oder Tilman Rammstedt Seminare geben. Für das Hamburger Abendblatt schrieb er die wöchentliche Kolumne "Amtsbergs Ansichten". Zuletzt erschien sein Erzählband "Paranormale Phänomene. Fast wahre Geschichten", nun folgt mit "Superbuhei" sein Romandebüt. (Klappentext)