Samstag, 26. Mai 2018

Jean-Gabriel Causse: Arthur und die Farben des Lebens

Quelle: Pixabay/Tulpenmeer
Rot steht für die Liebe, Grün für die Hoffnung, Blau für die Sehnsucht, Gelb für Neid, Grau für Weisheit etc. etc. etc. Die Symbolik der Farben lernen wir von Kindheit an. Jeder hat mindestens eine Lieblingsfarbe. Farbe ist immer irgendwo und irgendwie vorhanden. Farbe kann unterschiedlich wahrgenommen werden. Man kann Farbe sehen, fühlen, schmecken und hören - das behauptet zumindest das "Comité Français de la Couleur" - eine französische Vereinigung, die sich mit der soziologischen, kulturellen, historischen und industriellen Bedeutung von Farben befasst sowie deren Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens. Welche Bedeutung Farbe für den Menschen hat, merkt man spätestens dann, wenn die Farbe einfach verschwunden und alles nur noch in Grautönen sichtbar ist - wobei Grau auch eine Farbe ist, aber wir wollen ja nicht kleinlich sein.

Jean-Gabriel Causse, der Autor des Romanes "Arthur und die Farben des Lebens", ist ein Farbspezialist. Er ist als Farbdesigner in der Modebranche tätig und darüber hinaus Mitglied besagter "Comité Français de la Couleur". In seinem Roman behandelt er das Thema einer farblosen Welt auf sehr charmante Weise.
"In den Nachrichten wird über die Ausschreibung eines Wettbewerbs berichtet. Es geht um den Entwurf für eine neue französische Fahne, damit sie nicht länger mit der von Italien, Belgien, Irland und anderen Ländern verwechselt wird." (S. 97)
Quelle: C. Bertelsmann
Eine der Besonderheiten dieses Romanes sind die Protagonisten, allen voran Arthur. Der junge Mann mit der Figur eines Rugbyspielers ist tief gesunken. Ein intellektuelles Elternhaus, eine hervorragende Schulbildung, sein gutes Aussehen machten Arthur das Leben zunächst leicht. Alles, was er anfasste gelang. Mit 30 Jahren zeigt seine Erfolgskurve jedoch abwärts. Sein Alkoholkonsum, bei dem er noch nie besonders zurückhaltend war, wirft ihn aus der Bahn. Binnen kurzer Zeit verliert er alles, was er sich aufgebaut hat, inklusive seines Jobs. Seine anhaltende Arbeitslosigkeit lässt ihn mittlerweile nicht mehr zimperlich sein, was die Wahl seiner Einkommensquelle angeht. So landet der ehemalige Starvertriebler eines Startup-Unternehmens in einer alten Buntstiftfabrik in einem Pariser Vorort, die jedoch nach kurzer Zeit mangels Nachfrage den Betrieb schließen muss.

Im Haus gegenüber von Arthurs Wohnung lebt Charlotte mit ihrer kleinen Tochter Louise. Charlotte ist blind und arbeitet als Radiomoderatorin. Sie ist Spezialistin für Farbe und ihre Radiosendungen zu diesem Thema sind sehr beliebt. So gut wie keiner weiß, dass sie blind ist. Wer würde einer Blinden schon ihre Expertise über Farben und deren Bedeutungen abnehmen. Doch Charlotte ist eine Synästhetikerin. Sie ist in der Lage, unterschiedliche Wahrnehmungsbereiche zu koppeln. Sie nimmt Farbe nicht über das Sehen wahr, sondern empfindet sie als eine Mischung aus Duft und Geschmack.
"'... Orange zum Beispiel riecht süß wie die Frucht, aber sein Geschmack ist sauer. Gelb ist noch saurer, wenn es sich um Zitronengelb handelt, aber es kann auch fein sein wie ein Eigelb und nach Narzissen oder Ginster duften. Weiß schmeckt wie Milch oder Hähnchen, und sein Geruch ist der von Kokosnuss oder manchen Orchideen. Schwarz duftet nach Lakritz und Kaffee, aber manchmal riecht es auch wie verbrannte Reifen oder angebranntes Essen.'" (S. 187 f.)
Ajay, ein indischer Taxifahrer in New York, ist ebenfalls Synästhetiker. Er kann Farbe sehen, nimmt sie aber intensiver über das Gehör wahr. Bei ihm gibt es eine Verbindung zwischen der Wellenlänge der Farben und der Töne.
Die Geschichte spielt hauptsächlich in Paris. Eines Morgens sind die Farben verschwunden. Den Anfang hat Gelb gemacht, was jedoch zunächst nicht weiter schlimm ist. Denn wer braucht schon gelb. Da gibt es wichtigere Farben. Doch der Farbschwund macht auch vor dem Rest der Farbpalette nicht halt. Und die Welt befindet sich fortan in einem grauen (oder besser: Grauen erregenden ;-)) Zustand.

Der Plot an sich ist schon faszinierend. Noch faszinierender ist jedoch, was der Autor Jean-Gabriel Causse daraus macht. Er bezaubert durch eine märchenhafte Handlung: Louise, die Tochter von Charlotte, hat eine Gabe, die die Farben nach und nach wieder zurückbringen. Dabei bedient sie sich spezieller Buntstifte, die leider nicht mehr hergestellt werden und daher nur sehr schwer zu bekommen sind - insbesondere, wenn die chinesische Mafia ebenfalls hinter diesen Stiften her ist. Und mit jedem Buntstift, der sich findet, bekommt die graue Welt einen weiteren Farbkleks.
"'... Farben können uns begeistern, uns überraschen, uns trösten, uns neue Energie schenken, uns entspannen, uns rühren, uns kreativer machen und dadurch auch auf unser Umfeld ausstrahlen. Denkt nur daran, wie froh es euch macht, wenn euch jemand Blumen schenkt und ihr aufmerksam ihre Farben betrachtet.'" (S. 277)
Jean-Gabriel Causse erzählt diese Geschichte mit viel Leichtigkeit. Dank seiner quicklebendigen Phantasie fühlt man sich an eine Kindergeschichte erinnert. Ihm gelingt dabei das Kunststück, Leichtigkeit mit Tiefsinn in Einklang zu bringen. Seine Geschichte hat dabei fast schon philosophische Ansätze und regt zum Nachdenken an. Insbesondere diejenigen Momente, in denen Causse die Auswirkungen der Farblosigkeit auf das Leben inszeniert, sind sehr intensiv.

Fazit:
Ein verzaubernder Roman, der die "Farben des Lebens" intensiv leuchten lässt. Leseempfehlung!

© Renie





Über den Autor:
Jean-Gabriel Causse, geboren 1969, ist Mitglied des "Comité Français de la Couleur". er ist als Farbdesigner u.a. in Japan tätig und lebt in Paris und Tokio. Sein Buch Die unglaubliche Kraft der Farben (Hanser, 2015) war ein internationaler Bestseller. (Quelle: C. Bertelsmann)