Mittwoch, 13. März 2019

Han Kang: Deine kalten Hände

Quelle: Pixabay/Eukalyptus

"Ich verstehe dich nicht. Aber ich mag dich trotzdem." 
Das würde ich dem Roman "Deine kalten Hände" der Koreanerin Han Kang sagen, wäre dieses Buch ein Mensch - also im übertragenen Sinne. Denn dieser Roman steckt voller Symbolik und fordert dem Leser einiges an Abstraktionsfähigkeit ab. Ich habe mich bemüht, ich habe den Roman sehr gern gelesen, aber die Symbolik und der emotionslose Protagonist haben mich am Ende doch an meine Grenzen gebracht. Dennoch habe ich den Sprachstil der koreanischen Autorin sehr genossen, so dass es mir ein Leichtes war, diesen Roman zügig und gern zu lesen. Verrückt!

Bei „Deine Kalten Hände“ handelt es sich um eine Geschichte in einer Geschichte. Die Autorin wählt einen autobiografischen Einstieg. Der Bildhauer Jang, ein flüchtiger Bekannter von ihr, ist verschwunden. Dies erfährt sie von seiner Schwester, die sich mit seinen Aufzeichnungen, in denen die Autorin namentlich erwähnt wird, an sie wendet. Die Schwester hat die Hoffnung, dass Han Kang ihr bei der Aufklärung des Geheimnisses um das Verschwinden ihres Bruders helfen kann. 
Quelle: Aufbau
Die Autorin liest also Jangs Aufzeichnungen und mit ihr der Leser. Ob Jang am Ende wieder aus der Versenkung auftauchen wird, ist für die Geschichte unerheblich. Wichtig ist, als welcher Mensch sich der Bildhauer anhand der Notizen dem Leser präsentiert (bzw. nicht präsentiert).
"Ich hatte die unklare Ahnung, dass diese Ruhe in seinen Augen kein friedliches Inneres widerspiegelte, sondern sich wie ein dünnes Häutchen über etwas Unheimlichem spannte."
Die Aufzeichnungen beschreiben zunächst Jangs Kindheit. Er wächst in einer wohlhabenden Familie auf. Bezeichnend ist die Lieblosigkeit, der er ausgesetzt ist. Insbesondere seine Mutter ist eine Meisterin darin, nach Außen das Bild der liebevollen Mutter zu präsentieren, ihrem Sohn gegenüber jedoch Gefühlskälte an den Tag zu legen.
Mit den Jahren entdeckt Jang sein künstlerisches Talent. Er hat Erfolg als Bildhauer. Seine Kunst ist sehr speziell. Er fertigt Gipsabdrücke von menschlichen Körperteilen an, bis hin zu Masken von Gesichtern. Über seine Kunst versucht er, seine Kindheit zu verarbeiten und das, was sie aus ihm gemacht hat: Einem Menschen, der beobachtet. Der seinen Mitmenschen mit Freundlichkeit begegnet, aber nie etwas von sich Preis gibt. Seine Modelle sind durch die Bank weg Frauen. Insbesondere die Geheimnisvollen haben es ihm angetan. Das Aussehen spielt keine Rolle. Er versucht, hinter die Geheimnisse dieser Frauen zu kommen. Die Skulpturen, die er dabei von ihnen anfertigt, haben symbolischen Charakter.
"Wenn ich spürte, dass jemand etwas verbarg, entstanden bei mir Sympathie und eine Art Faszination für die betreffende Person, und zwar umso stärker, je weniger fassbar das Geheimnis war." 
Und gerade diese Symbolik, die einen großen Raum in dieser Geschichte einnimmt, macht diesen Roman zu einem sehr unbequemen. Einerseits ist es großartig, wenn man beim Lesen gefordert wird, also nicht nur vom Autor mit einer Geschichte berieselt wird, sondern auch reflektieren muss. Aber andererseits kann Symbolik auch frustrieren, insbesondere, wenn man sie nicht versteht, so sehr man sich auch anstrengt.  Die Autorin gewährt dem Leser unendlich viel Raum für Spekulationen, was des Guten zuviel war. Da ich den Anspruch hatte, hinter die Symbolik des Romans zu steigen, war ich nie mit meinen Erklärungsansätzen zufrieden.

Dennoch hat dieser Roman eine unglaubliche Faszination auf mich ausgeübt. Wie der Titel "Deine kalten Hände" schon andeutet, geht es in dieser Geschichte frostig zu. Frostig, nicht im Sinne von Niedrigtemperaturen sondern im Sinne von Gefühlskälte. Jang scheint nicht in der Lage zu sein, Emotionen zu zeigen. Er beginnt zwar mit dem einen oder anderen seiner Modelle eine Beziehung. Dennoch scheint seine Hingabe zu der jeweiligen Frau eher in seinem Interesse an deren Geheimnis begründet zu sein. Er gibt nichts von sich Preis, lässt die Frauen nicht an sich heran, und den Leser erst recht nicht. Er ist ein netter Kerl. Aber das, was er von sich zeigt ist nur Fassade. Diese Distanz durchzieht den Roman von Anfang bis zum Ende. Das macht ihn zu einer sehr unbequemen Lektüre. Schließlich will man den Protagonisten verstehen. Man muss ihn nicht mögen. Aber zumindest möchte man in der Lage sein, ihn zu charakterisieren. Das funktioniert hier nicht. U. bleibt ein Fremder.
"Das Leben ist eine Hülle, die sich über einem Abgrund wölbt, und wir leben darauf wie maskierte Akrobaten. Mal hassen wir, mal lieben wir, und manchmal brüllen wir vor Wut. Über unseren Kunststücken vergessen wir, dass wir vergänglich sind und sterben müssen."
Im krassen Gegensatz zu dieser unbequemen Geschichte, steht die Sprache, in der sie erzählt wird. Han Kang ist eine große Poetin. Die Sprache, die sie verwendet ist wunderschön und geht mitten ins Herz. Man könnte fast sagen, dass das, was der Geschichte und dem Protagonisten an Emotionen fehlt, sich tausendfach in dem unglaublichen Sprachstil wiederfindet.

Daher komme ich zu folgender Erkenntnis:
Scheinbar muss man nicht alles verstehen, was man liest, solange es gut geschrieben ist. Und "Deine kalten Hände" ist mehr als gut geschrieben.

© Renie