Donnerstag, 29. Oktober 2015

Ben Aaronovitch: Die Flüsse von London

Covent Garden ist eines meiner Lieblingsviertel in London. Eine wuselige Mischung aus Kultur und Shopping. Die kleinen, originellen Läden sowie die unzähligen Straßenkünstler tragen zu einer besonderen Atmosphäre bei. Vor einigen Wochen saß ich noch hier im "Punch & Judy" bei einem Pint of Bitter und genoss den Trubel in den alten Markthallen.
Quelle: Wikimedia Commons

Und hier, in Covent Garden, beginnt auch das Buch, welches mich auf meiner Reise nach London begleitet hat und in welchem Punch & Judy eine besondere Rolle spielen.
Dieses Buch mit nach London zu nehmen, war eine gute Entscheidung.
Denn während ich mir tagsüber die Füße platt gelaufen habe, konnte ich mich abends mit diesem Buch entspannen und die Straßen und Gegenden, in denen ich tagsüber unterwegs war noch einmal unter völlig neuen Aspekten erleben. Was das für Aspekte sind, möchte ich hier erzählen.


Worum geht es in diesem Buch?
Peter Grant ist Police Constable in London mit einer ausgeprägten Begabung für das Magische. Was seinen Vorgesetzten nicht entgeht. Auftritt Thomas Nightingale, Polizeiinspektor und außerdem der letzte Zauberer Englands: Er wird Peter in den Grundlagen der Magie ausbilden. Ein grausiger Mord in Covent Garden führt den frischgebackenen Zauberlehrling Peter auf die Spur eines Schauspielers, der vor 200 Jahren an dieser Stelle den Tod fand. Und er stellt fest, dass es mehr Dinge in London gibt, als seine Polizeischulweisheit sich träumen ließ. (Quelle: Klappentext)
Peter Grant ist anfällig für Magie. Ich gebe zu, anfangs fand ich diese Einstellung doch ein wenig befremdlich. Ein Polizist, der es gewohnt ist logisch und strukturiert zu denken, nimmt Zauberei und Magie als Selbstverständlichkeit hin. Er hat kaum Zweifel an der Existenz des Übersinnlichen, was mich als rational denkenden Leser ein bisschen gestört hat.
"'Ich mag dich echt gern, Peter, du bist ein guter Junge, aber irgendwie scheinst du die Welt nicht so zu sehen, wie ein Polizist sie sehen muss. Kommt mir manchmal so vor, als würdest du Dinge sehen, die gar nicht da sind.'" (S. 25)
Nachdem ich diese gedankliche Hürde überwunden hatte - schließlich geht es hier um Fantasie; die muss nicht rational sein! - habe ich Peter Grant, dem "Geisterpolizisten", gern eine Chance gegeben. Sobald ich mich auf dieses Buch eingelassen hatte, stellte ich schnell fest, was dieses Buch ausmacht: es ist diese ungewöhnliche Mischung zweier Welten: das London des 20. Jahrhunderts trifft auf das London des 17. Jahrhunderts; Kriminalbeamte haben es mit Zauberern, Vampiren, Geistern etc. zu tun; die moderne Verbrechensbekämpfung wird durch magische Kräfte unterstützt und arbeitet Hand in Hand mit Geistern. Das ist skurril und schräg, macht aber Spaß.
"Mein Handy unter dem Einfluss von Magie, dachte ich.Offenbar durfte ich keine Zaubersprüche praktizieren, solange ich das Mobiltelefon bei mir trug, mich in der Nähe eines Computers oder eines iPods befand oder überhaupt einer der höchst nützlichen technologischen Errungenschaften, die seit meiner Geburt erfunden worden waren. Kein Wunder, dass Nightingale einen Jaguar Baujahr 1967 fuhr. Die Frage war nur, wie nahe die Magie den Geräten kommen durfte, ohne Schaden anzurichten." (S. 213)
Man darf nicht vergessen, dass dieses Buch ein Krimi ist. Grausige Verbrechen werden begangen. Zur Aufklärung der Verbrechen begibt sich Peter Grant weit zurück in die Londoner Vergangenheit. Bei seiner Arbeit greift er nicht nur auf die modernen Mittel der Verbrechensaufklärung zurück sondern setzt auch Methoden aus dem Übersinnlichen ein. Dafür ist er schließlich ein Zauberlehrling. Die bekommen so etwas während ihrer Ausbildung beigebracht. Interessant ist auch die Figur seines Lehrers und Mentors, dem geheimnisvollen Thomas Nightingale. Er ist die Personifizierung des englischen Gentleman und ist für etliche Überraschungen gut. Wie es sich für einen guten Krimi gehört, wird sehr viel Spannung aufgebaut. Es gibt Szenen, die packen einen. Man spürt, dass sich etwas anbahnt und etwas Schreckliches passieren wird und trotzdem erschrickt man, wenn es passiert.
"Als ich auf dem düsteren Treppenabsatz ankam, sprang mir plötzlich ein Wort in den Sinn, ein Wort, das mit V beginnt und viel mit scharfen Eckzähnen und Blutdurst zu tun hat. Ich erstarrte buchstäblich. Nightingale hatte gesagt, alles sei wahr, auf gewisse Weise jedenfalls, und das musste dann wohl auch für Vampire zutreffen, oder nicht? Zwar hatte ich meine Zweifel, ob sie auch nur entfernte Ähnlichkeit mit den Vampiren in Romanen oder TV-Serien hatten, aber eins war sicher: Sie würden strikt dagegen sein, im hellen Sonnenlicht zu glänzen. Links befand sich eine Tür. Ich zwang mich, sie zu öffnen und in den Raum zu treten." (S. 160)
Dieses Buch ist sehr witzig geschrieben. Es steckt voller Ironie und trockenem Humor. Insbesondere bei der Beschreibung der historischen Hintergründe, hat der Autor sämtliche Register gezogen. Man erfährt viel über die Geschichte Londons und das Buch wird nie langweilig.
"Im Jahre des Herrn 671 wurde auf einer höher gelegenen Stelle am Südufer der Themse eine Abtei gegründet. Heute liegt dort Chertsey. Es war ein typisches angelsächsisches Kloster, einerseits Stätte der Gelehrsamkeit, andererseits auch ein wirtschaftliches Zentrum der Region - und ein Zufluchtsort für jene Söhne des Adels, die glaubten, dass es im Leben mehr geben müsse, als Leute mit dem Schwert totzuschlagen. Zwei Jahrhunderte später kamen die Wikinger, die nie genug davon kriegen konnten, Leute mit dem Schwert totzuschlagen." (S. 276 f.)
Zum Ende überschlagen sich die Ereignisse. Die Handlung wird ein bisschen chaotisch. Ich hatte den Eindruck, dass der Autor versucht, zum Ende zu kommen, aber noch zuviel zu erzählen hat. Hier wäre es sinnvoll gewesen, ein paar Szenen zu kürzen. Nichtsdestotrotz hat mir das Buch Spaß gemacht. Dieses Buch ist bereits 2012 erschienen. Mittlerweile gibt es bereits eine ganze Serie zu Peter Grant. Der fünfte Teil ist im Juli dieses Jahres in Deutschland erschienen. "Die Flüsse von London" ist der erste Teil dieser Serie und macht Lust auf mehr. Und man muss nicht unbedingt nach London fahren, um dieses Buch zu lesen. ;-)

© Renie

Die Flüsse von London
Autor: Ben Aaronovitch
Verlag: dtv
ISBN 978-3-423-21341-7

Der Verlag über den Autor:
Ben Aaronovitch wurde in London geboren und lebt auch heute noch dort. Wenn er gerade keine Romane oder Fernsehdrehbücher schreibt (er hat u. a. Drehbücher zu der englischen TV-Kultserie 'Doctor Who' verfasst), arbeitet er als Buchhändler. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm. (Quelle: dtv)


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