Donnerstag, 8. Dezember 2016

Christoper Buckley: Chaos im Weißen Haus - Liebe, Macht & Mr. President

Christopher Buckley hat mit "Chaos im Weißen Haus" eine Polit-Satire geschrieben, mit der er seine Erfahrungen aus seiner Tätigkeit als Redenschreiber für George Bush senior verarbeitet. Buckley weiß also, wie amerikanische Politik funktioniert. In diesem Roman, den er 1986 veröffentlicht hat - also noch vor der Amtszeit von George Bush sen. (1989 bis 1993) plaudert er aus dem Nähkästchen. Er verschafft dem Leser ein Bild vom Weißen Haus, das so gar nichts mit dem Ehrfurcht einflößenden Zentrum der Macht zu tun hat, sondern eher an eine Tummelwiese für große Kinder erinnert, die sich in Spielchen der Macht und Intrigen versuchen. 

Quelle: Louisoder
Der Inhalt ist schnell zusammengefasst: Es geht um die Amtszeit des fiktiven Präsidenten Tucker, der in diesem Roman die Nachfolge von Ronald Reagan antritt. Die Geschichte beginnt mit dem Tag der Amtseinführung von Tucker. Der Verdacht, dass es sich bei Tucker um das Alter Ego von George Bush handelt, liegt zwar nahe, lässt sich aber schnell entkräften. George Bush war von 1989 an Präsident der Vereinigten Staaten. Buckley hat dieses Buch aber bereits 1986 geschrieben. Da hat Bush wahrscheinlich von der Präsidentschaft geträumt, war aber tatsächlich noch ein paar Jährchen davon entfernt. Hinzu kommt, dass Buckleys Präsident Tucker Demokrat ist, daher auch von der politischen Gesinnung her wenig mit George Bush gemein hat. Und doch neigt man immer wieder dazu, Parallelen zu realen bekannten Politikern zu suchen.
"So begann eine Freundschaft, die mein Leben wie nichts anderes bereicherte - abgesehen von der Religion und meiner Familie. Ich wusste vom ersten Augenblick an, dass ich es mit einem jungen Mann zu tun hatte, der für Großes bestimmt war. Und ich wurde nicht enttäuscht. Ich unterstützte ihn als Finanzverwalter seiner erfolgreichen lokalpolitischen Wahlkämpfe. Und ich wurde zu einer Art von persönlichem Adjutanten ohne offizielles Mandat, kümmerte mich um die persönlichen Angelegenheiten wie Reisen und Unterkunft und sorgte dafür, dass der Haushalt reibungslos lief. Hätte ich einen Waffenrock getragen, so hätte darauf gestanden: SEMPER IBI. Für immer da." (S. 27)
Buckley beschreibt Tuckers Legislaturperiode aus der Sicht von Herb Wadlough, einem alten Buddy von Tucker, der ihn seit Beginn seiner politischen Laufbahn begleitet und unterstützt hat. Wadlough zieht mit Tucker ins Weiße Haus, wo er zunächst als engster Berater für Mr. President fungiert. Dabei muss er sich gegen diverse Mitstreiter aus dem Mitarbeiterstab behaupten. Die Mitarbeiter Tuckers sind im Umgang miteinander nicht gerade zimperlich. Jeder von ihnen versucht, ein mögliches großes Stück vom Machtkuchen abzubekommen und neidet den Kollegen ihre Positionen und damit verbundenen Privilegien aufs Übelste. Da wird mit sämtlichen Waffen gekämpft. Intrigen und Schikanen sind an der Tagesordnung. Die Mitarbeiter haben einen höllischen Spaß daran, sich gegenseitig in die Pfanne zu hauen und sind auch im Umgangston miteinander nicht zimperlich. Das hat für den Leser schon einen sehr hohen Unterhaltungswert, wenn mal wieder zwei Stabsmitglieder aufeinander prallen und sich deftige Wortgefechte liefern. 
"Ich spürte, dass es sich um einen historischen Augenblick handelte: ein Mann grübelte über seine ungeheure Machtfülle und die Kräfte, die in den kommenden Jahren auf ihn einwirken würden. 'Dieses Haus könnte aus uns allen Arschlöchern machen.'" (S. 35)
Tucker wird von Wadlough als visionärer Präsident beschrieben, der nach der Reagan Ära frischen Wind ins Weiße Haus bringt. Er stellt ihn als einen unkonventionellen und pragmatischen Macher dar, der ein Freund klarer Worte ist und Schmeicheleien verabscheut. Tucker hat geschworen, sich niemals von der Macht vereinnahmen zu lassen und dadurch zu riskieren, seine Bodenständigkeit zu verlieren. Aber ein Mann in seiner Position kann wahrscheinlich gar nicht anders. Er wird von zig Beratern umschwärmt wie die Motten das Licht. Da fällt es schon schwer, zwischen Aufrichtigkeit, Intrige und Schmeichelei zu unterscheiden. Mit der Zeit verändert ihn das Amt. Auf einmal wird er anfällig für Lobhudelei. Wer viel Widerstand erfährt - das bringt die Politik nun mal mit sich - freut sich am Ende wahrscheinlich über jedes nette Wort. Wadlough, einer der wenigen, die Tucker gegenüber aufrichtig sind und sich nicht scheuen, unangenehme Wahrheiten auszusprechen, wird zum Opfer von Tuckers charakterlicher Veränderung. Irgendwann wendet sich Tucker von ihm ab. Wadlough wird in den Ostflügel des Weißen Hauses verbannt.
Das Weiße Haus ist in zwei Machtzonen unterteilt: Der Westflügel – der Arbeitsbereich des Präsidenten. Hier wird Politik gemacht. Man sollte meinen, dass dies das Zentrum der Macht ist. Wenn da nicht der Ostflügel wäre. Hier befinden sich die Wohnräume von Präsident Tucker und seiner Familie. Und hier residiert die First Lady. Als Leser bekommt man schnell mit, wer das eigentliche Sagen im Weißen Haus hat: Jessica Tucker, Schauspielerin, sehr attraktiv, sehr energisch, sehr eigensinnig und äußerst kompromisslos bei der Umsetzung ihrer Ziele. Der Präsident befindet sich auf ständiger Gratwanderung zwischen den Ansprüchen und Interessen seiner First Lady und den Interessen des Landes.

Quelle: Unsplash/Jakob Owens
Nachdem Herb Wadlough beim Präsidenten in Ungnade gefallen ist – seine Mitstreiter im Stab des Präsidenten haben nicht unwesentlich dazu beigetragen - wird er der First Lady als persönlicher Assistent zugewiesen. Kein schlechter Job für ihn, zumal die beiden ein freundschaftliches Verhältnis verbindet. Und dennoch wurmt es Herb, dass er von seinen Konkurrenten im Mitarbeiterstab des Präsidenten ausgebootet worden ist. Der Kleinkrieg zwischen Herb und seinen Gegnern geht weiter. Denn Herb setzt alles daran, wieder seine alte Position als rechte Hand des Präsidenten einzunehmen.

Herb und den Präsidenten verbindet ein merkwürdiges Verhältnis. Herb hat Tucker von Anfang an begleitet und sieht den Präsidenten als seinen Freund an. Tucker macht das, was ein Machtmensch gerne macht: er scharrt seine Anhänger und Vertrauten um sich und verteilt seine Aufmerksamkeit und Zuneigung je nach Bedarf und Laune. Leider braucht er Herb nicht immer, es gibt genug andere Berater. Wenn jedoch eine Krise oder unangenehme Aufgabe ansteht, muss Herb wieder ran und die Kohlen aus dem Feuer holen. Wie ein Hund hängt er an seinem Herrchen Tucker, lässt sich von ihm bestrafen und streicheln. Man hat den Eindruck, dass er sich des entwürdigenden Verhältnisses durchaus bewusst ist. Aber seine Treue und Freundschaft zum Präsidenten überwiegt alles und lässt ihn vieles aushalten.
"Die verschiedenen Büros oder 'Shops' im Weißen Haus haben eine gewisse Ähnlichkeit mit feudalen Herzogtümern oder Baronaten. Ihre Revierkämpfe und Streitigkeiten untereinander kosten sie nahezu ebenso viel Zeit wie der eigentliche Dienst an ihrem Vaterland. Das ist traurig, aber eine Tatsache im Weißen Haus." (S. 40)
Aus der Sicht von Herb Wadlough werden viele Einzelepisoden mit den unterschiedlichsten Würdenträgern und Mitarbeitern des Weißen Hauses wiedergegeben. Stellenweise habe ich mich gefragt, wem Buckley im wirklichen Leben eins auswischen möchte. Denn die Protagonisten in seinem Buch stehen fürchterlich unter Beschuss seines bitterbösen Humors. Zwischenzeitlich habe ich einige Charaktere gegooglet, habe aber selten jemanden verifizieren können. Daher gehe ich davon aus, dass die Vielzahl der unterschiedlichen Figuren in diesem Roman eine Mischung aus fiktiven und realen Charakteren ist. Aber egal, ob fiktiv oder wirklichkeitsgetreu, dieser Roman ist zum Brüllen komisch. Ich empfehle daher, dieses Buch im stillen Kämmerlein zu lesen. Andere könnten sich durch die Lacher, die man bei der Lektüre von sich gibt, gestört fühlen. Ich musste mir einige Male irritierte Blicke und blöde Bemerkungen von meinen Mitmenschen gefallen lassen ;-)
"Ich gab ihm zu verstehen, dass mir die Gesundheit des Präsidenten zwar mehr am Herzen lag als die meiner Mutter, ich aber dennoch nicht erlauben würde, dass die Luftwaffe dem Hamster des Präsidentensohnes den Kopf abschnitt. Auf dem Flur kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, in deren Verlauf es notwendig wurde, dem Major deutlich zu machen, dass die Angelegenheit erledigt wäre; und wenn er diese unumstößliche Tatsache nicht akzeptierte, er seine Kenntnisse der Verfassung in der Ruhe und Abgeschiedenheit einer unserer Raketenabschussrampen auf Grönland auffrischen könnte." (S. 210 f.)
Die Lektüre von Buckleys Roman hat auf mich insbesondere wegen der Päsidentschaftswahlen in Amerika einen riesengroßen Reiz auf mich ausgeübt. Ich wollte wissen, wie man sich den Alltag im Weißen Haus vorstellen muss. Buckley hat eine urkomische Satire geschrieben, die an vielen Stellen übertrieben sein mag. Aber wie in jeder guten Satire, gibt es doch eine große Portion Wahrheit. So wie sich Donald Trump vor Kurzem in seinem Wahlkampf präsentiert hat, passt er hervorragend in das Tohuwabohu von Buckleys Version des Weißen Hauses. Viele Kindereien und Machtspielchen aus diesem Buch sind Trump durchaus zuzutrauen. Ich möchte mir eigentlich gar nicht vorstellen, was Trump alles anstellen könnte ....

Fazit:
Ich habe selten so viel gelacht wie bei diesem Buch. Christopher Buckleys Humor ist sehr bissig und hemmungslos. Dadurch vermittelt er ein Bild des Alltags im Weißen Haus, von dem man hofft, dass ganz viel Fantasie im Spiel ist. Wehe den Amerikanern und dem Rest der Welt, wenn dem nicht so ist!

© Renie




Chaos im Weißen Haus von Christopher Buckley, erschienen im Louisoder Verlag (2014)
ISBN: 978-3-944153-05-6




Über den Autor:
Christopher Buckley verarbeitet in Chaos im Weißen Haus (Originaltitel: The White House Mess) seine Erfahrungen als Redenschreiber von George Bush senior. Der Autor von 14 Büchern, unter anderem Thank You For Smoking, das 2006 von Jason Reitman bei 20th Century Fox fürs Kino verfilmt wurde, war Chefredakteur des Esquire und feiert Erfolge mit politischen Satiren. (Quelle: Louisoder)