Sonntag, 9. Oktober 2016

Juan Pablo Villalobos: Ich verkauf dir einen Hund

Wer verkauft wem einen Hund und warum? Tierschützer unter den Lesern wird die Antwort auf diese Frage nicht gefallen. Und Freunden der mexikanischen Küche ebensowenig. Wie gut, dass die Antwort auf diese Frage nur schmückendes Beiwerk für einen Roman ist, der so herrlich skurril ist, dass man aus dem Lachen kaum heraus kommt.
Quelle: Kirchner Kommunikation

Klappentext:
Wieviele Kakerlaken passen in einen Aufzug? Hilft ­Adorno gegen amerikanische Missionare? Lebt die Revolution? Und vor allem: Was steckt wirklich in einem Taco? Fragen über Fragen, die Juan Pablo Villalobos in seinem rasanten Senioren­roman aufs vergnüglichste beantwortet. Nabel der Welt ist ein Wohnhaus im Herzen von Mexico City, wo der ganz normale Wahnsinn der Stadt auf ein paar Etagen zusammenschnurrt. Während der hausinterne Literaturkreis auf dem Flur tagt – unter dem strengen Regiment der rüstigen Francesca –, entspinnt sich auf den oberen Stockwerken irgendetwas zwischen Liebes-, Künstler- und Kriminal­geschichte. Ein großer Spaß, und das ganz ohne Rentner, die aus Fenstern steigen! (Quelle: Berenberg Verlag)

Erzählt wird die Geschichte von einem 78-jährigen Schwerenöter, der in besagtem Wohnhaus in Mexico City lebt. Nennen wir ihn Juan. Da die Geschichte von einem Ich-Erzähler erzählt wird, liegt  der Verdacht nahe, dass der Autor aus dem Nähkästchen plaudert ... wobei das eigentlich nicht sein kann, da Juan Pablo Villalobos erst 43 ist ... aber egal, mangels eines anderen Namens bleiben wir bei Juan. Juan also lebt in diesem Haus, zusammen mit anderen Zeitgenossen seiner Altersklasse auf unterschiedliche Appartements verteilt. Er lebt in den Tag hinein und hat einen Heidenspaß daran, seine Mitmenschen zu trietzen. Insbesondere Francesca und ihr Literaturzirkel, der scheinbar 24 Stunden am Tag im Hausflur tagt, hat es ihm angetan. Francesca würde ihn zu gern für ihren Literaturzirkel rekrutieren. Schließlich ist der Verdacht aufgekommen, dass Juan einen Roman schreibt, was ihn für den Literaturzirkel prädestiniert. 
"Der Literaturzirkel begann mit der Lektüre des Palinurus von Mexiko von Fernando del Paso in der Ausgabe der gesammelten Werke des Fondo de Cultura Económica. Eintausendzweihundertdreißig Seiten, fester Einband, dreieinhalb Kilo (wer Athritis hatte, war entschuldigt)." (S. 37)
Aber Juan widersetzt sich standhaft, zumal er auch keinen Roman schreibt, wie er immer  wieder hartnäckig versichert. Und mehr passiert eigentlich nicht in dieser schrägen Geschichte. Tja, wenn da nicht diese skurrilen und liebenswerten Charaktere wären, die im Laufe dieser Geschichte auftauchen und diesem Buch einen außergewöhnlichen Anstrich verpassen. Da wäre z. B. der Mormone Willem, der die Lehre Gottes verbreiten und Juan bekehren möchte. Doch Juans Bibel ist die Ästhetische Theorie des Philosophen Theodor W. Adorno. Dessen Weisheiten haben ihm schon den einen oder anderen philosophischen Moment beschert. Ein Adorno für jede Lebenslage. Da kann der Mormone mit seinen Ansichten nicht gegenhalten, auch wenn er es ständig versucht. 

Nicht zu vergessen, dass dieses Werk des deutschen Philosophen auch schlagende Argumente beim Kampf gegen die Kakerlaken liefert, die das Haus bevölkern und ständige Alltagsbegleiter sind.
"Zurück in der Wohnung, flitzen die Kakerlaken fröhlich an der Decke herum. Wieder ein anderes Mal stellte Willem Fallen in den Ecken auf. Schwarze Plastikschächtelchen. Eine Methode, die mir nie ganz einleuchten wollte. Sollten die Kakerlaken die Schachteln anheben und hineinkrabbeln? Es funktionierte auch nicht, aber wenigstens war es spannend, und das Rätsel mit den Schachteln beschäftigte mich eine ganze Woche." (S. 63)
Juan und der Mormone Willem freunden sich an. Mit der Zeit tauchen weitere Figuren in diesem Roman auf, die man alles andere als "normal" bezeichnen kann. Da wären z. B. eine Gemüsehändlerin, die mit faulen Tomaten handelt (die Qualität ihrer Tomaten ist in der Demonstrantenszene berühmt-berüchtigt) oder ein Herr vom Tierschutzverein, der davon träumt, ein Schriftsteller zu sein. Leider ist er völlig talentfrei.
Quelle: Unsplash /Maria Molinero

So plätschert die Geschichte vor sich hin, unterbrochen von Erinnerungen die Juan an seine Jugendzeit hat. Doch wenn man meint, dass irgendwann Langeweile bei der Lektüre dieses Buches aufkommt, ist man schief gewickelt. Man kommt gar nicht dazu, sich zu langweilen. Dafür sind die Charaktere zu speziell, der Hauptprotagonist zu schlitzohrig, der Literaturzirkel fast schon militaristisch durchorganisiert und der gesamte Roman zu schräg. 

Ein Spannungsbogen? Das braucht dieser Roman nicht. Er lebt von seinem skurrilen Humor, der den Leser von Seite zu Seite weitertreibt, ständig mit der Frage im Hinterkopf, was sich der Autor als Nächstes einfallen lässt.

Im Klappentext taucht die Bezeichnung "Seniorenroman" auf. Es ist definitiv ein Roman über Senioren, aber mit Sicherheit kein Roman ausschließlich für Senioren. Ich habe mich auf jeden Fall köstlich amüsiert und fand es schade, als ich bei der letzten Seite angelangt bin. Die Geschichte hätte für mich noch ewig weitergehen können.

Und was jetzt mit dem Hund ist, das verrate ich nicht. Freunde skurriler Geschichten  sollten sich besser selbst den Spaß gönnen und dieses Buch lesen.

© Renie


Ich verkauf dir einen Hund von Juan Pablo Villalobos, erschienen im Berenberg Verlag (Herbst 2016)
ISBN: 978-3-946334-07-1



Über den Autor:
Juan Pablo Villalobos, geboren 1973 in Guadalajara, Mexiko, studierte Marketing und Literatur und lebt heute in Barcelona. Die ersten beiden Teile seiner mexikanischen Romantrilogie - "Fiesta in der Räuberhöhle" (2011) und "Quesadillas" (2014) - sind ebenfalls bei Berenberg erschienen.