Baba Dunja ist eine ehemalige
Hilfskrankenschwester im betagten Alter von 83 Jahren. Sie lebt in Tschernowo,
einem ausgestorbenen Nest in Russland, das es eigentlich gar nicht mehr geben
dürfte. Hier führt sie ein ruhiges und beschauliches Leben, inmitten einer
Handvoll weiterer alter Leutchen, die hier ihr Leben beschließen wollen. Die
einzige Aufregung, die sich ihnen im Alltag bietet, ist ein Besuch in der
nächstgelegenen Kleinstadt, um Vorräte aufzufüllen, Post zu holen etc. Aber im
Grunde genommen bevorzugen sie es, für sich zu bleiben, von dem zu leben, was
sie selbst anbauen und ernten. Viele leben in den Tag hinein. Das Leben in
Tschernowo könnte geruhsam und beschaulich sein, wenn .... ja, wenn der Reaktor
nicht wäre.
Denn Tschernowo liegt mitten im Sperrbezirk um den Reaktor von
Tschernobyl. Die Umgebung ist verstrahlt. Das Dorf ist kurz nach dem Reaktorunglück
geräumt worden. Jemand, der trotzdem hier hinzieht, entscheidet sich bewusst
für das Ende seines Lebens. Und doch gibt es Menschen wie Baba Dunja, die mit
dem Leben außerhalb nichts anfangen können, die sich im Alter vom Fortschritt
überfordert fühlen, und, die sich nicht entwurzeln lassen möchten, ungeachtet
aller Risiken, die sie mit der Entscheidung für ein Leben in Tschernowo
eingehen.
„Ich bin alt, mich kann nichts mehr verstrahlen, und wenn doch, dann ist es kein Weltuntergang.“ (S. 16)
Baba Dunja ist eine wundervolle alte Dame, die mit beiden Beinen im Leben steht. Trotz ihres hohen Alters, meistert sie ihr Leben auf bewundernswerte Weise. Das Einzige, was ihr zu schaffen macht, ist der fehlende Kontakt zu ihren Angehörigen. Es ist Jahre her, dass sie ihre Tochter zuletzt gesehen hat. Nur ab und zu erhält sie einen Brief oder ein Paket von ihrer Tochter. Ansonsten ist sie einfach zufrieden mit dem, was sie hat. In Tschernowo ist sie die heimliche Anführerin, zumindest legen alle anderen Bewohner sehr großen Wert auf ihre Meinung.
Die Geschichte wird aus Baba Dunja’s Perspektive
erzählt, dabei legt sie einen wundervollen bissigen Humor zutage, der an
manchen Stellen fast schon bösartig ist. Es gab viele Szenen, die mich in der
Geschichte zum Schmunzeln gebracht haben.
„Boris erzählt, was er im Fernsehen gesehen hat. Viel Politik, in der Ukraine, in Russland und in Amerika. Ich höre nicht sehr aufmerksam zu. Politik ist natürlich wichtig, aber es bleibt trotzdem immer an einem selbst hängen, die Kartoffeln zu düngen, wenn man irgendwann Püree essen will.“ (S. 46)
„Wenn ich mich in meinem Alter noch über Menschen wundern würde, käme ich nicht einmal mehr zum Zähneputzen.“ (S. 62)
Zwischendurch werden immer wieder Baba
Dunja’s Erinnerungen aus der Zeit vor dem Reaktorunglück eingestreut, so dass
man im Verlauf der Geschichte ein Bild über den größten Teil ihres Lebens
erhält.
Das Buch lässt sich sehr flüssig lesen,
der Schreibstil von Alina Bronsky ist sehr angenehm. Sie versteht es,
unterschiedliche Stimmungen zu vermitteln. So ist man in einem Moment amüsiert,
im nächsten nachdenklich und betroffen.
„Das Baby, da sieben Monate nach dem Reaktor in meine Hände totgeboren wurde und nicht in einer Gebäranstalt. Deswegen hatten wir Zeit, und keiner störte. Der Vater wandte sich ab und verließ den Raum, die Mutter schlug den Zipfel des Handtuchs zurück und lächelte. Ich wusste, was dieses Lächeln bedeutete. Sie würde bald nachkommen und spürte keinen Trennungsschmerz.“ (S. 58)
So unspektakulär wie das Leben in
Tschernowo ist auch die Geschichte um Baba Dunja beschrieben. Größtenteils
geschieht nicht viel. Zwischendurch gibt es immer Momente, in denen man hofft,
dass die Geschichte Fahrt aufnimmt. Doch erst zum Ende des Buches nimmt die
Handlung eine Wendung an, mit der ich nicht gerechnet habe.
Das Buch ist insgesamt unterhaltsam und
nett, aber das sind viele andere Bücher auch. Warum dieser Roman es jetzt auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat? Keine Ahnung.
©Renie
Baba Dunjas letzte Liebe
Autorin: Alina Bronsky
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-04802-5
Erschienen am: 17.08.2015