Der irische Autor Donal Ryan erzählt in seinem Roman "Die Stille des Meeres" die Geschichten von drei Menschen, die auf den ersten, zweiten und auch dritten Blick keinerlei Verbindung zueinander haben.
Das Buch besteht aus 4 Abschnitten, wovon jeder die Geschichte eines dieser Protagonisten behandelt. Diese Abschnitte können losgelöst voneinander gelesen werden, was dieses Buch scheinbar zu einem Episodenroman macht.
Zunächst erzählt Donal Ryan die Geschichte eines syrischen Arztes und dessen Familie sowie des Dramas, das diesen Menschen während der Flucht aus ihrer Heimat nach Europa widerfährt.
Im nächsten Abschnitt geht es um einen jungen Iren, Anfang 20, der noch nicht viel in seinem Leben erreicht hat. Er jobbt in einem Pflegeheim für Senioren, lebt noch zuhause, zusammen mit seiner Mutter und dem Großvater. Er träumt von einer besseren Zukunft. Doch leider fehlt ihm der Antrieb, seinem bisherigen Leben eine Wendung zu geben.
Im dritten Abschnitt beichtet ein irischer Krimineller seine Lebensgeschichte.
Quelle: Diogenes |
Jede dieser Geschichten ist für sich genommen einzigartig und lässt keine Verbindung zwischen den einzelnen Charakteren erahnen. Doch mit dem 4. und letzten Abschnitt dieses Romans sorgt Donal Ryan für Auflösung und demonstriert dabei seine schriftstellerische Kunstfertigkeit.
Die Verbindungen zwischen den einzelnen Figuren wirken sehr konstruiert. Doch gerade das hat mir gefallen. Denn der Autor hat Zusammenhänge hergestellt, auf die ich niemals gekommen wäre, weil mir einfach die Fantasie fehlt, die Donal Ryan mit seiner konstruierten, aber bemerkenswerten Auflösung beweist. Jeder der Figuren in diesem Roman - sowohl Protagonisten als auch Nebendarsteller - bekommen in diesem Roman ihren Platz zugewiesen und machen ihn somit zu einem großen Ganzen.
Diese Kunstfertigkeit des irischen Autors hat mich beeindruckt.
Womit er mich allerdings abgehängt hat, ist das Verständnis für Motiv und Botschaft dieses Romans. Ich kann nur rätseln, was der Autor dem Leser mit auf den Weg geben möchte, sehe schlimmstenfalls Ansätze, die diesen Roman in die Richtung derjenigen Bücher rücken, die den Leser mit Coelho-tisch sinnhaften Lebensweisheiten versorgen.
Doch weg mit diesen abschätzigen Gedanken, denn in diesem Fall kümmert mich die Botschaft des Buches nicht die Bohne! Ich muss lügen, wenn ich behaupte, dass ich diesen Roman nicht genossen habe. Tatsächlich haben mich die fantasievolle und unvorhersehbare Konstruktion dieses Buches dermaßen verblüfft, dass für mich Botschaft und Motivation des Autors am Ende völlig nebensächlich sind.
Schreiben kann er, der Mr. Ryan! Bisher konnte er mich immer wieder mit seinen Büchern überraschen und begeistern - allen voran "Die Lieben der Melody Shee". Sein aktueller Roman "Die Stille des Meeres" ist für mich eine weitere Überraschung.
Leseempfehlung!
© Renie