Sonntag, 13. September 2020

Lucien DeLong: Ein Dieb - Bekenntnisse

Bei Protagonisten wie Felix Krull, Thomas Crown oder Arséne Lupin will man gern darüber wegsehen, dass sie Kriminelle sind. Jemandem, der höflich, stilvoll und kultiviert als Gentleman daherkommt, nimmt man die Missetaten als Leser und Zuschauer nicht krumm, zumindest fallen die Urteile über seine Vergehen milde aus. Der Begriff "Kavaliersdelikt" erhält plötzlich eine ganz andere Bedeutung. In der Rechtssprechung steht zwar das Delikt im Vordergrund, denn meistens geht es um Bagatellvergehen. Doch in der Literatur steht eher der Kavalier im Fokus, ganz gleich, was er verbrochen hat. (Natürlich wäre es schön, wenn er nicht gerade jemanden umgebracht hat.) Hochstapelei, Diebstahl und Betrug gesteht man einem Kavalier und Gentleman gerne zu. Insbesondere, wenn er gut aussieht bzw. als solches beschrieben wird.
Der Leser, der seinen Felix Krull genossen und Thomas Crown im Film bewundert hat, sollte daher nicht an dem Roman "Ein Dieb - Bekenntnisse" von Lucien DeLong vorbeigehen. Denn der Protagonist und Ich-Erzähler dieses Romans ist ein Gentleman-Dieb.
"Meine Vorstellungen davon, wie ein Dieb sein sollte, orientierten sich an Cary Grants Meisterdieb Katze "über den Dächern von Nizza", an Thomas Crown und James Bond. Elegant, schnell, gewitzt. Vor allem ein Gentleman, vor allem charmant - auch wenn mir das nicht immer gelang. Selbstsicher, in jeder - auch der absurdesten Situation - souverän, furchtlos, mit einem lässigen Spruch auf den Lippen. Cool. Ein Einzelgänger, dessen eigentliches Leben ein Mysterium birgt. Das war das Bild, das ich ausfüllen wollte."
Wie wird ein junger Mann, der 1987 mit Anfang 20 noch in einer deutschen Kleinstadt schlecht bezahlt in einem Repro-Studio arbeitet, zu einem Gentleman-Dieb? Ganz einfach: Indem er die Gelegenheit beim Schopf packt. Irgendwann sagt sich unser Held, dass sein Dasein in der Kleinstadt nicht alles gewesen sein kann, was die Zukunft ihm zu bieten hat. Doch für alles, was für ihn im Leben erstrebenswert ist, benötigt er das nötige Kleingeld. Am besten so schnell wie möglich. Und was bietet sich da passenderes an als ein Raubüberfall, wenn sich die Umstände dieses Überfalls als dermaßen einladend erweisen, wie es hier der Fall ist. 
Dieser Raubüberfall ist der Beginn einer längeren verbrecherischen Karriere. Unserem Protagonisten ist klar, dass er sich von nun an hauptsächlich auf der Flucht - besser gesagt, auf Reisen befinden wird. Anfangs bescheiden, werden seine Ansprüche an die Hotels in denen er unterkommt und dem Lebensstandard, den er führt immer größer. Seine Verbrechen werden immer raffinierter und dreister. Er stiehlt Pässe und schlüpft dadurch in die unterschiedlichsten Rollen. Es gelingt ihm, nach und nach sein altes Ego und seine Herkunft abzustreifen. Zwangsläufig bekommt er Zugang zur besseren Gesellschaft.
"Ich wurde zum Chamäleon. Ich floss ein in die Welt, in der ich mich bewegte, nahm die Farbe meiner Umgebung an. Die Rolle des mysteriösen Fremden gefiel mir, wie ein Geist zwischen den Menschen zu wandeln, da zu sein und eigentlich doch nicht. Ich vergaß meine wahre Geschichte, mein eigentliches Wesen und wurde zu der Person, die ich darstellen wollte oder musste."
Sein Leben als Gentleman-Dieb hätte immer so weitergehen können, wenn ihm nicht die Liebe in die Quere gekommen wäre. Und am Ende landet er dort, wo wir ihm bereits im ersten Kapitel dieses Buches begegnet sind: im Gefängnis. Doch damit will er sich nicht abfinden.

Das Lesen dieses Romans hat Charme. Kein Wunder, der Ich-Erzähler ist ein Charmeur, der Spaß am Verbrecherleben hat. Und durch den lebhaften Sprachstil des Autors Lucien DeLong, der an Plauderei erinnert, wird dieser Spaß sehr gut dargestellt. Unser Protagonist bewegt sich unbeschwert durchs Leben. Scheinbar bieten ihm diejenigen Momente, in denen er Gefahr läuft, aufzufliegen, die thrillige Würze für sein Dasein. 

Anfangs wissen wir, dass er erwischt wird. Denn er erzählt aus der Zelle heraus seine Geschichte als Gentleman Dieb en detail. Wir reisen dabei mit ihm durch die Welt, wohnen in Luxushotels, schnuppern am Reichtum und genießen das unbeschwerte Leben der Reichen und Schönen. Doch gleichzeitig ist er sich der Einsamkeit und Rastlosigkeit, die ihm sein verbrecherisches Geheimnis zwangsweise auferlegt, genauso wie seines Identitätsverlusts durch die unterschiedlichen Rollen, die er spielen muss, bewusst. Armer Kerl, man könnte fast Mitleid mit ihm haben.
"Für mich entpuppte es sich als der 'best and worst way of life' gleichzeitig. Es vereinte all die Elemente, die mich am Leben reizten: Abenteuer, Freiheit, Abwechslung, Spannung und Luxus. Und alle, die ich am Leben am meisten fürchtete: Einsamkeit, Wurzellosigkeit, Rastlosigkeit."
Es gab eine Merkwürdigkeit in diesem Buch. Zuvor beschrieb ich den Sprachstil in diesem Roman als lebhaft. Tatsächlich trifft dies erst ab Kapitel 2 zu. Ich weiß nicht warum, aber im ersten Kapitel unterscheidet sich der Sprachstil vom Rest des Buches drastisch. Der Autor verwendet fulminante Bilder und Vergleiche, die einen dramatischen Effekt haben. Diese sprachliche Schwelgerei hört abrupt mit dem 2. Kapitel auf. Der Autor schaltet einen Gang zurück und verfällt in den lebhaften Plauderton, der sich bis zum Ende des Romans durchzieht. Dieser sprachliche Kontrast zwischen dem ersten Kapitel und allen anderen ist sehr auffällig und für mich nicht nachvollziehbar.

Dennoch hat dies dem Spaß an dem Buch keinen Abbruch getan. Der Roman ist gute Unterhaltung, mit einer Geschichte, die von einem Charmeur charmant erzählt wird.

© Renie