Donnerstag, 2. Januar 2020

Louise Erdrich: Die Wunder von Little No Horse

Quelle: Pixabay/Kranich17
Durch die Adern der amerikanischen Schriftstellerin Louise Erdrich fließt Indianerblut. Ihr Großvater mütterlicherseits war Häuptling der Chippewas in North Dakota. Ihr indianisches Erbe findet sich in ihren Werken wieder. Für eines dieser Werke - " The Round House" - wurde sie 2012 mit dem National Book Award ausgezeichnet.

Das große Thema in Erdrichs Romanen ist also das Leben der Indianer. Dabei siedelt sie ihre Romane in der Zeit nach 1912 bis zur Gegenwart an. Mit Wildwest-Romantik, Cowboy und Indianer-Kämpfpen haben ihre Romane daher herzlich wenig zu tun. 

In ihrem aktuellen Roman "Die Wunder von Little No Horse" geht es um den Stamm der Ojibwe, der in dem Reservat "Little No Horse" angesiedelt wurde. Protagonist dieses Romans ist Agnes alias Father Damien Modeste.
Agnes, die für kurze Zeit in einem Kloster lebte, jedoch ihren Glauben an Gott nicht mit den ihr auferlegten Regeln einer Nonne in Einklang bringen konnte, sucht ihr Heil außerhalb der Klostermauern. Der Zufall will, dass sie in die Identität eines gerade verstorbenen Priesters schlüfen kann, der sich gerade auf dem Weg nach Little No Horse befand, um den dort lebenden Indianern geistlichen Beistand zu leisten und christliche Ordnung in das heidnische Leben dieser Menschen zu bringen.
Agnes wird also unbemerkt zu Father Damien, lebt sich in Little No Horse ein und wird ein wichtiger Bestandteil der indianischen Gemeinschaft. Er ist neugierig und aufgeschlossen gegenüber der fremden Kultur. Das Leben der Indianer ist eine Gratwanderung, gilt es doch einerseits, die indianische Kultur zu bewahren und andererseits, sich dem, von den Weißen für sie vorgesehenen Leben anzupassen.
Quelle: Aufbau
"Es ist schwer, jemanden zu hassen, der einen liebt. Egal, was sie einem antun, man erwidert es mit einem Geflecht dieser beiden Gefühle. Nicht dem einen, nicht dem anderen. Aber schmerzvoll ist es."
Der Roman wird in zwei Zeitebenen erzählt. Er beginnt 1996. Damien ist mittlerweile ein gebrechlicher alter Priester, der sein Leben gelebt hat. Er erhält Besuch von Father Jude, der die Aufgabe hat, die Heiligsprechung einer ehemaligen Nonne aus Little No Horse vorzubereiten. Dafür befragt Jude Menschen, die diese Schwester zeitlebens gekannt haben. So auch Father Damien. Im Rahmen dieser Befragungen erinnert sich Damien an sein Leben in Little No Horse. Es gibt also einen stetigen Wechsel zwischen der Gegenwart und den Episoden aus Father Damiens Leben. Dabei lernen wir Menschen kennen, die Damien begleitet haben und ihm ans Herz gewachsen sind. Leider ist es mir nicht gelungen, den Charakteren nahe zu kommen. Durch die episodenhafte Schilderung hat man kaum Gelegenheit, sich mit den einzelnen Personen vertraut zu machen. Da ist der Figurenstammbaum zu Beginn des Buchs eine große Hilfe, die ich bis zum Ende des Romans ständig in Anspruch nehmen musste.

Die Charaktere in diesem Roman sind von Louise Erdrich sehr liebevoll angelegt. Man spürt die Verbundenheit der Autorin mit den Indianern. Daher scheint es verwunderlich, dass Louise Erdrich bei vielen Charakteren, die Grenze zur Skurrilität überschreitet und man manchmal den Eindruck hat, dass sie diese Figuren der Lächerlichkeit Preis gibt. Hier hätte ich von der Autorin einen respektvolleren Umgang mit ihren Charakteren erwartet.

In gewisser Weise versteht Louise Erdrich, den Leser zu faszinieren. Dabei ist das "Wie", also die Art und Weise, wie sie die Geschichte erzählt entscheidend. Denn ihr Sprachstil ist malerisch bildhaft. Sie schafft Bilder im Kopf, die verzaubern können. Gleichzeitig legt sie einen Humor zutage, der mir viele kleine besondere Momente in diesem Roman beschert hat, die an Situationskomik nicht zu überbieten waren. Probleme hatte ich da eher mit dem "Was", also den Inhalten. Denn in diesem Roman findet sich eine gehörige Portion indianischer Mystik wieder, auf die man sich als Leser einlassen muss. Da kann einem der gesunde Menschenverstand bei der Lektüre im Weg stehen. So auch mir. Diesen magischen Realismus, der für Louise Erdrichs Romane bezeichnend ist, muss man also mögen.
"Die Stimmen mischten sich mit ihren Sinnen, drangen ihr in den Kopf. Sie bemühte sich, ruhig zu atmen, nicht in Panik zu geraten, doch da wurde sie schon von einer gewaltigen Schwäche verschlungen und hörte oder wusste, auch das war nicht sicher - gab es jenseits der Erfahrungen, die sie bisher hatte machen dürfen, Geister? ... Sie bekreuzigte sich und öffente die Tür der einsamen Hütte, aus der ihr der Gestank von Gespenstern entgegenschlug."
Bleibt zum Schluss noch die Frage, was es mit der Wandlung von Agnes zu Damien auf sich hat. Merkwürdigerweise war dies in diesem Roman über lange Zeit kein relevantes Thema. Agnes wird zu Damien und keinen stört es, am wenigsten Agnes? Hier habe ich gehofft, dass der Agnes/Damiens Konflikt deutlicher herausgearbeitet wird. Doch über lange Strecken ist diese Wandlung als gegeben hingenommen worden und spielte keine Rolle. Erst zum Ende wird dieser Handlungsfaden noch einmal aufgegriffen, und wir lernen das Seelenleben der Agnes ein bisschen besser kennen. Magischer Realismus hin oder her. Dieser Aspekt hat mich dann doch ein wenig milder in meinem Urteil über dieses Buch gestimmt. 

© Renie