Samstag, 26. Mai 2018

Jean-Gabriel Causse: Arthur und die Farben des Lebens

Quelle: Pixabay/Tulpenmeer
Rot steht für die Liebe, Grün für die Hoffnung, Blau für die Sehnsucht, Gelb für Neid, Grau für Weisheit etc. etc. etc. Die Symbolik der Farben lernen wir von Kindheit an. Jeder hat mindestens eine Lieblingsfarbe. Farbe ist immer irgendwo und irgendwie vorhanden. Farbe kann unterschiedlich wahrgenommen werden. Man kann Farbe sehen, fühlen, schmecken und hören - das behauptet zumindest das "Comité Français de la Couleur" - eine französische Vereinigung, die sich mit der soziologischen, kulturellen, historischen und industriellen Bedeutung von Farben befasst sowie deren Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens. Welche Bedeutung Farbe für den Menschen hat, merkt man spätestens dann, wenn die Farbe einfach verschwunden und alles nur noch in Grautönen sichtbar ist - wobei Grau auch eine Farbe ist, aber wir wollen ja nicht kleinlich sein.

Jean-Gabriel Causse, der Autor des Romanes "Arthur und die Farben des Lebens", ist ein Farbspezialist. Er ist als Farbdesigner in der Modebranche tätig und darüber hinaus Mitglied besagter "Comité Français de la Couleur". In seinem Roman behandelt er das Thema einer farblosen Welt auf sehr charmante Weise.
"In den Nachrichten wird über die Ausschreibung eines Wettbewerbs berichtet. Es geht um den Entwurf für eine neue französische Fahne, damit sie nicht länger mit der von Italien, Belgien, Irland und anderen Ländern verwechselt wird." (S. 97)
Quelle: C. Bertelsmann
Eine der Besonderheiten dieses Romanes sind die Protagonisten, allen voran Arthur. Der junge Mann mit der Figur eines Rugbyspielers ist tief gesunken. Ein intellektuelles Elternhaus, eine hervorragende Schulbildung, sein gutes Aussehen machten Arthur das Leben zunächst leicht. Alles, was er anfasste gelang. Mit 30 Jahren zeigt seine Erfolgskurve jedoch abwärts. Sein Alkoholkonsum, bei dem er noch nie besonders zurückhaltend war, wirft ihn aus der Bahn. Binnen kurzer Zeit verliert er alles, was er sich aufgebaut hat, inklusive seines Jobs. Seine anhaltende Arbeitslosigkeit lässt ihn mittlerweile nicht mehr zimperlich sein, was die Wahl seiner Einkommensquelle angeht. So landet der ehemalige Starvertriebler eines Startup-Unternehmens in einer alten Buntstiftfabrik in einem Pariser Vorort, die jedoch nach kurzer Zeit mangels Nachfrage den Betrieb schließen muss.

Im Haus gegenüber von Arthurs Wohnung lebt Charlotte mit ihrer kleinen Tochter Louise. Charlotte ist blind und arbeitet als Radiomoderatorin. Sie ist Spezialistin für Farbe und ihre Radiosendungen zu diesem Thema sind sehr beliebt. So gut wie keiner weiß, dass sie blind ist. Wer würde einer Blinden schon ihre Expertise über Farben und deren Bedeutungen abnehmen. Doch Charlotte ist eine Synästhetikerin. Sie ist in der Lage, unterschiedliche Wahrnehmungsbereiche zu koppeln. Sie nimmt Farbe nicht über das Sehen wahr, sondern empfindet sie als eine Mischung aus Duft und Geschmack.
"'... Orange zum Beispiel riecht süß wie die Frucht, aber sein Geschmack ist sauer. Gelb ist noch saurer, wenn es sich um Zitronengelb handelt, aber es kann auch fein sein wie ein Eigelb und nach Narzissen oder Ginster duften. Weiß schmeckt wie Milch oder Hähnchen, und sein Geruch ist der von Kokosnuss oder manchen Orchideen. Schwarz duftet nach Lakritz und Kaffee, aber manchmal riecht es auch wie verbrannte Reifen oder angebranntes Essen.'" (S. 187 f.)
Ajay, ein indischer Taxifahrer in New York, ist ebenfalls Synästhetiker. Er kann Farbe sehen, nimmt sie aber intensiver über das Gehör wahr. Bei ihm gibt es eine Verbindung zwischen der Wellenlänge der Farben und der Töne.
Die Geschichte spielt hauptsächlich in Paris. Eines Morgens sind die Farben verschwunden. Den Anfang hat Gelb gemacht, was jedoch zunächst nicht weiter schlimm ist. Denn wer braucht schon gelb. Da gibt es wichtigere Farben. Doch der Farbschwund macht auch vor dem Rest der Farbpalette nicht halt. Und die Welt befindet sich fortan in einem grauen (oder besser: Grauen erregenden ;-)) Zustand.

Der Plot an sich ist schon faszinierend. Noch faszinierender ist jedoch, was der Autor Jean-Gabriel Causse daraus macht. Er bezaubert durch eine märchenhafte Handlung: Louise, die Tochter von Charlotte, hat eine Gabe, die die Farben nach und nach wieder zurückbringen. Dabei bedient sie sich spezieller Buntstifte, die leider nicht mehr hergestellt werden und daher nur sehr schwer zu bekommen sind - insbesondere, wenn die chinesische Mafia ebenfalls hinter diesen Stiften her ist. Und mit jedem Buntstift, der sich findet, bekommt die graue Welt einen weiteren Farbkleks.
"'... Farben können uns begeistern, uns überraschen, uns trösten, uns neue Energie schenken, uns entspannen, uns rühren, uns kreativer machen und dadurch auch auf unser Umfeld ausstrahlen. Denkt nur daran, wie froh es euch macht, wenn euch jemand Blumen schenkt und ihr aufmerksam ihre Farben betrachtet.'" (S. 277)
Jean-Gabriel Causse erzählt diese Geschichte mit viel Leichtigkeit. Dank seiner quicklebendigen Phantasie fühlt man sich an eine Kindergeschichte erinnert. Ihm gelingt dabei das Kunststück, Leichtigkeit mit Tiefsinn in Einklang zu bringen. Seine Geschichte hat dabei fast schon philosophische Ansätze und regt zum Nachdenken an. Insbesondere diejenigen Momente, in denen Causse die Auswirkungen der Farblosigkeit auf das Leben inszeniert, sind sehr intensiv.

Fazit:
Ein verzaubernder Roman, der die "Farben des Lebens" intensiv leuchten lässt. Leseempfehlung!

© Renie





Über den Autor:
Jean-Gabriel Causse, geboren 1969, ist Mitglied des "Comité Français de la Couleur". er ist als Farbdesigner u.a. in Japan tätig und lebt in Paris und Tokio. Sein Buch Die unglaubliche Kraft der Farben (Hanser, 2015) war ein internationaler Bestseller. (Quelle: C. Bertelsmann)

Freitag, 18. Mai 2018

Bruce Dickinson: What does this button do? (Die Autobiografie)

Quelle: Pixabay/LenaSevcikova
Die legendäre Heavy Metal Band "Iron Maiden" wurde 1975 gegründet. Seit dieser Zeit gab es ein ständiges Kommen und Gehen, was die Mitglieder der Band angeht. Bruce Dickinson ist der aktuelle Sänger und gehört seit 1981 zu der Band (mit einer kurzen Unterbrechung).
Als Rocksänger erlebt man Einiges. Als Rocksänger und Pilot erlebt man noch mehr. Als Rocksänger, Pilot, Fechter, Bierbrauer, Romanautor, Radiomoderator, Drehbuchautor etc. erlebt man noch viel viel mehr. Grund genug, eine Autobiografie zu verfassen. Denn schreiben kann Bruce Dickinson, wie er bereits in vielen Songtexten, Romanen und Drehbüchern bewiesen hat.
Die Autobiografie beginnt mit seiner Kindheit, in der er sich in der Schule als bad boy präsentiert. Er musste häufig die Schule wechseln. Denn der Einzelgänger und Außenseiter hatte ein Problem mit der Disziplin und dem vorherrschenden Schulreglement. Schon früh entdeckte er seine Affinität zur Rockmusik. Nachdem er   größeres Talent beim Singen als beim Schlagzeug spielen (das er zuerst favorisiert hat) bewies, stieg er bei der Band "Samson" ein, mit denen er dann einige Jahre aufgetreten ist.
Quelle: Heyne
"Wer das Phänomen Iron Maiden nicht versteht, wird niemals begreifen, welchen Einfluss die Band auf das Leben unzähliger Menschen gehabt hat. Im Lauf der Jahre hat sie Millionen von Menschen immer wieder in ihrem Selbstwertgefühl bestätigt. Popmusik, Trends und die sinnlose Dekadenz sogenannter Celebritys, damit hatten Maiden nie etwas zu schaffen. Maiden - das war schon immer harte Arbeit, handfest, echt und vielschichtig, aber auch erdig und aggressiv." (S. 337)
1981 bewarb er sich als Sänger bei der Band "Iron Maiden" und wurde unter Vertrag gestellt. In Bruce Dickinsons Autobiografie folgen unzählige Seiten über das Miteinander der Bandmitglieder, Iron Maiden's Auftritten, die Studioarbeit zu neuen Alben, Tourneen etc. etc. etc. Denkt man an das Leben eines Rockstars, so denkt man an Sex, Drugs and Rock'n Roll. In Dickinsons Biografie gibt es kaum Sex, einige Drogen, dafür ganz viel Rock'n Roll. Jemand wie ich, der die Rockmusik der 80er und 90er Jahre gehört hat, kommt hier voll auf seine Kosten. Dickinson gibt seine Erlebnisse in der Rockszene wieder. Für mich war das manchmal trotzdem verwirrend. Insbesondere, wenn er von einzelnen Personen aus der Musikszene berichtet. Oder über Iron Maiden Songs, von denen ich leider nur wenige kenne. Daher habe ich einige Passagen in diesem Buch als langatmig empfunden. Man hätte mit Sicherheit einiges weglassen können. Aber ich verstehe den Autobiografen. Die Entscheidung, was wichtig und unwichtig ist, fällt schwer, wenn man sich in dem Rückblick auf sein bisheriges spektakuläres Leben verliert. Insbesondere, wenn man keine Minute missen möchte und sein Leben mit Stolz, Selbstironie und einem breiten Grinsen  erzählt. Denn so kommt es einem vor, wenn man die Autobiografie von Dickinson liest.
"Was für ein durchgeknalltes Leben, dachte ich bei mir. Dann schaute ich nach links und sah Brian May, der mit geschlossenen Augen neben mir hockte und sehr wahrscheinlich etwas ganz Ähnliches dachte. Ich ließ ihn. Was für eine verrückte Welt, in der Tat." (S. 213)
Die besonderen Momente in diesem Buch waren für mich nicht die Eskapaden einer Rockband, sondern

  • Dickinsons Beschreibung eines Aufenthalts von Iron Maiden in Sarajewo zur Zeit des Balkankrieges: Seine Darstellung des Kriegsszenarios, in das die Band aus Leichtsinn und Naivität gerät, ist sehr intensiv. Zeuge der Kriebsgräuel zu werden, macht aus dem bis dahin fast schon oberflächlich wirkenden Rockstar einen nachdenklichen und ernsthaften Mann, der den Leser seine Betroffenheit spüren lässt.
  • Dickinsons Beschreibung seiner Krebserkrankung:
"Am 12. Dezember wurde bei mir Hals- und Kopfkrebs diagnostiziert, und die Welt hörte auf, sich zu drehen." 
Sein Umgang mit der Krankheit ist bewundernswert. Er empfindet die Krebstherapie als Herausforderung und Profession, die es zu meistern gilt. Dickinson lässt sich nicht unterkriegen und erträgt die Behandlung mit viel Optimismus. In der Art, wie er den Heilungsprozess beschreibt, macht er jedem Mut, der selbst mit diesem Schicksal konfrontiert wird.
"Auf die Frage 'Warum ich?' wusste niemand eine Antwort. In Wahrheit ist es vermutlich einfach nur verdammtes Pech, dachte ich. Niemand hatte es auf mich abgesehen, und der Krebs war nichts weiter als eine Anomalie. Ich überlegte, ob ich ihn hassen sollte, aber Hass über längere Zeit hinweg ist einfach nicht mein Ding. Was Wut angeht, bin ich eher der spontane, aufbrausende Typ. Ich entschied, dass das Leben zu kurz war, um den Krebs zu hassen. Also würde ich ihn lieber wie einen ungebetenen Gast behandeln und ihm so freundlich wie unmissverständlich die Tür weisen." (S. 417)
Bruce Dickinson ist heute 60 Jahre alt und singt immer noch für Iron Maiden - neben all den anderen Dingen, die er macht. Er hat viel zu erzählen. Und er scheint fast nicht glauben wollen, was er bisher alles in seinem Leben erlebt hat. Mit viel Humor und Augenzwinkern berichtet er von seiner unfassbar ungewöhnlichen Karriere. Und ich habe nicht den Eindruck, dass es das für ihn gewesen ist. Der Mann strotzt nur so vor Energie, die er hoffentlich noch in viele interessante Projekte investieren wird.

© Renie





Über den Autor:
Bruce Dickinson ist seit über dreißig Jahren der Leadsänger von Iron Maiden, hat darüber hinaus auch eine erfolgreiche Karriere als Solokünstler und diverse andere Betätigungsfelder. Iron Maiden sind mit über 90 Millionen verkauften Alben und über 2.000 Konzerten eine der erfolgreichsten Rockbands aler Zeiten. Bruce Dickinson lebt in London, England. (Quelle: Heyne)

Freitag, 11. Mai 2018

Heinrich Steinfest: Die Büglerin

Quelle: Pixabay/RitaE
Nachdem ich den Roman "Die Büglerin" von Heinrich Steinfest beendet habe, stelle ich fest, dass ich mit der Protagonistin Tonia Schreiber einige Gemeinsamkeiten habe. Wir sitzen im Kino oder Theater am liebsten auf einem Platz am Gang. Schließlich wollen wir die ersten sein, die den Notausgang stürmen können, sollte Gefahr im Verzug sein. Man weiß ja nie, welche bösen Absichten Menschen im Publikum haben können. Dann gehen wir grundsätzlich kurz vor Beginn eines Termins oder einer Veranstaltung noch mal schnell auf die Toilette. Würden wir das nicht tun, müssten wir unter Garantie zwischendurch. Wir könnten dann ja etwas verpassen.
Und wir empfinden Bügeln als Strafe. Ich drücke mich meistens vor dieser Strafe und lasse lieber andere bügeln. Wohingegen Tonia sich selbst diese Strafe auferlegt hat: Sie verdient ihren Lebensunterhalt als Büglerin und bestraft sich dadurch selbst.
"..., weil auf dem Plan des Lebens ihr Name auf der Seite derer stand, die für ein Unglück vorgesehen waren. Etwas, von dem sie seit Kindheit an hundertprozentig überzeugt gewesen war." (S. 45)
Quelle: Piper
Wie kam es zu dieser Bestrafung?
Tonia ist eine starke und außergewöhnliche Frau mit einer ungewöhnlichen Kindheit. Als Tochter zweier angesehenen Botanikern hat sie einen großen Teil ihrer Kindheit auf dem Meer verbracht. Durch die Forschungsreisen ihrer Eltern lernte sie die ganze Welt kennen. Ihr Zuhause war ein Segelschiff, auf dem die Familie lebte. Ihre Klassenzimmer waren die Ozeane und die Länder, die sie bereisten. Unterrichtet wurde sie von ihrer Mutter und vom Leben in unterschiedlichen Kulturen. Selbstverständlich spricht sie mehrere Fremdsprachen und hat einen Wissenshorizont, der seinesgleichen sucht. Doch irgendwann holte die Familie das österreichische Rechtswesen ein, das die Familie an die Schulpflicht erinnerte. Tonia ging also auf ein Internat, ihre Eltern bereisten weiterhin die Welt. Kurz darauf verunglückten ihre Eltern tödlich und Tonia war plötzlich Waise, die durch das nicht unerhebliche Erbe ihrer Eltern finanziell abgesichert war. Sie konnte ihre Ausbildung fortsetzen und wurde Meeresbiologin.

Der Tod der Eltern war nicht der einzige Schicksalsschlag, den sie zu verkraften hatte. Jahre später befindet sich Tonia zur falschen Zeit am falschen Ort und erleidet dadurch den nächsten Verlust, der ihr weiteres Leben beeinflussen wird. Sie gibt sich eine Mitschuld an diesem Verlust. Grund genug für sie, sich lebenslang zu bestrafen. Ihre Selbstbestrafung ist das Bügeln. Eine merkwürdige Form der Vergeltung. Aber Tonia zieht es durch. Der größte Teil dieses Romanes konzentriert sich auf ihre Zeit als Büglerin. Tonia lebt zurückgezogen und bescheiden. Mit großer Disziplin widmet sie sich dem Bügeln. Der Perfektionismus, der sie schon immer ausgezeichnet hat, findet auch beim Bügeln Anwendung. Sehr zur Freude ihrer Auftraggeber. Denn keiner bügelt wie Tonia. 
"Als erstes begann Tonia die Wäsche ihrer Vermieterin zu bügeln, wobei die Vermieterin sehr bald diese etwas unheimliche, aber auch anziehende Mischung aus Präzision und Magie - man könnte auch sagen: aus Materialität und Transzendenz - erkannte. Wie sehr also nicht nur eine korrekte, sorgsame Arbeit vorlag, sondern Tonia zudem etwas in diese gebügelte Wäsche hineinlegte, was den Hemden und Blusen eine Schönheit verlieh, die auf den Träger überging." (S. 96)
Keiner blickt hinter ihr Geheimnis. Manch einer wundert sich, warum eine Frau wie Tonia, die ihre Herkunft und Ausbildung nicht vollständig verbergen kann, einen derartigen Job ausübt. Doch Tonia gelingt es immer, ihr Geheimnis zu bewahren. Eines lässt sie jedoch nicht los: die Frage nach dem Sinn des Unglücks, das sie zum Bügeln gebracht hat und die Motive des Hauptverantwortlichen für dieses Unglück. Tatsächlich zeigt der Roman "Die Büglerin" mit der Zeit Ansätze eines Kriminalromans. Denn Tonia begibt sich auf die Suche nach den Motiven des Hauptverantwortlichen und erhält dabei Unterstützung eines Mannes, der ihr Liebhaber sein könnte, es aber nicht ist, weil ihre gemeinsame Freundschaft den beiden mehr als alles andere bedeutet. 

Eine wunderschöne Geschichte, fast schon eine Tragödie, die dank des Sprachstils von Heinrich Steinfest zu etwas ganz Besonderem wird. Der Autor hat mich mit seiner phantasievollen Sprache verzaubert. Er ist ein Freund ungewöhnlicher Vergleiche, die mich oft zum Lächeln gebracht haben. Hinzu kommt ein bissiger, fast schon boshafter, aber stets subtiler Humor, der mir sehr viel Freude bereitet hat. Heinrich Steinfest konfrontiert den Leser mit vielen Gedanken, die das Leben und das Miteinander betreffen. Diese philosophischen Ansätze regen zum Nachdenken an. "Die Büglerin" ist also kein Buch, das man so schnell vergessen wird. Denn es beschäftigt noch lange, nachdem man es beendet hat. Ein Lesehighlight!!!

© Renie





Montag, 7. Mai 2018

David Foster Wallace: Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich

Quelle: Pixabay/MustangJoe
Ich habe noch nie eine Kreuzfahrt mitgemacht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das unbedingt möchte. Denn eine Kreuzfahrt mit einem Luxusdampfer erscheint mir Fluch und Segen zugleich. Segen - da man mit jedem denkbaren und undenkbaren Luxus überhäuft wird. Fluch - weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, mit über 1000 Menschen auf einem Schiff gepfercht zu sein und die einzige Rückzugsmöglichkeit für mich in einer ca. 15 qm kleinen Innenkabine (ohne Fenster) besteht. Wenn mir allerdings jemand eine derartige Reise schenken würde, würde ich nicht lange überlegen. Denn einem geschenkten Gaul schaut man bekanntlich nicht ins Maul - insbesondere wenn der Gaul ein wertvolles Rassepferd ist.
Genau dies ist David Foster Wallace, dem Autor des Essays "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich", passiert. Er erhielt den Auftrag einer amerikanischen Zeitung, seine Eindrücke über eine Luxuskreuzfahrt zu Papier zu bringen. Selbstverständlich wurde ihm der All-Inclusive-Trip finanziert. Erwartet wurde von ihm nichts, außer schonungsloser Offenheit gepaart mit dem berüchtigten David Foster Wallace Humor. Also hat er sich "geopfert" und eine Seereise von Florida in die Karibik und wieder zurück gemacht. Zusammen mit über 1500 Landsleuten, größtenteils Kreuzfahrtveteranen, die meine schlimmsten Befürchtungen, was das Publikum auf einem Luxusliner betrifft, bestätigt haben.
Herausgekommen ist ein Essay über eine Reise mit einem Kreuzfahrtschiff, dem Bordleben sowie der Reisegefährten, vor denen sich David Foster Wallace nicht verstecken konnte.
Der Autor glänzt dabei durch bitterbösen und schwarzen Humor. Schonungslos zieht er seine Mitreisenden und das Luxusschiffsleben durch den Kakao, macht dabei auch nicht Halt vor seiner eigenen Person. Er ist nicht der neutrale Beobachter, sondern er ist Opfer. Er wird mit dem Luxus, der ihm auf dem Dampfer begegnet förmlich erschlagen. Als Neuling an Bord lässt er kein Fettnäpfchen aus. Es gibt nunmal eine Etikette auf einem Luxusliner, die ihm natürlich völlig fremd ist und gegen die er häufig - mehr oder weniger absichtlich - verstößt. Was David Foster Wallace während seiner Reise erlebt hat, hätte manch anderen in die Flucht geschlagen. Doch wohin fliehen? Denn die Fluchtmöglichkeiten auf einem Schiff sind nun mal begrenzt.

Eine Kreuzfahrt ist "schrecklich amüsant", wobei die Betonung auf "schrecklich" liegt.  Hier gibt es von vielen Dingen zu viel: zuviel Luxus, zuviel Essen, zuviel Vergnügen, zuviel Menschen, zuviel Bespaßung. Jeder, der sich an Bord eines Luxusliners begibt, gibt jede Verantwortung für das eigene Vergnügen ab. Hier gibt es Profis, die dafür bezahlt werden, dass sie die Passagiere bespaßen. Auf das Wie der Bespaßung hat man keinen Einfluss. Man wird permanent mit "Vergnügen" konfrontiert. Man entkommt ihm einfach nicht. Und am Ende der Reise wird man sagen, dass es Spaß gemacht hat, dass man verwöhnt wurde, dass man erholt ist. Was auch sonst? Bei dem Preis, den man für die Reise bezahlt hat. 
"Egal, ob unten im Gewusel des Hafens oder ganz oben an der Reling von Deck 12, ich werde das dumme Gefühl nicht los, dass ich ein amerikanischer Tourist bin und dadurch per se ein stiernackiger, lauter, vulgärer, großkotziger Fettsack, eitel, verwöhnt, gierig und zugleich gepeinigt von Scham und Verzweiflung. In diesem Sinne ist der amerikanische Tourist wirklich einzig auf der Welt: ein bovines Herdentier und ein Fleischfresser." 
Der zweite Teil des Titels des Essays "aber in Zukunft ohne mich" sagt natürlich aus, zu welcher Erkenntnis der Autor gekommen ist. Es gab Dinge in David Foster Wallaces Leben (er starb in 2008), die brauchte er nicht, wozu definitiv eine Kreuzfahrt zählte. Aber hinterher ist man immer schlauer. Und er hat es schließlich versucht.
Das Essay ist erstmalig im Jahre 1997 veröffentlicht worden. In der Ausgabe der Edition Büchergilde aus dem Jahre 2018 werden die Erlebnisse des Autors von den ganzseitigen Illustrationen von Chrigel Farner begleitet, die für sich schon ein Erlebnis sind. Der Illustrator hat sich dabei akribisch an den Text gehalten und diesen mit plakativen Zeichnungen versehen. In Chrigel Farners Illustrationen finde ich mein Wunschdenken zu einer Kreuzfahrt wieder: das Meer in sämtlichen Blauschattierungen, die man sich vorstellen kann, idyllische Inselparadiese, Stille und Einsamkeit. Denn die Zeichnungen sind größtenteils menschenleer, vereinzelt findet sich darin eine Handvoll Passagiere oder Crewmitglieder. Die Menschenmassen auf dem Luxusdampfer hinterlassen kaum Spuren. Die Illustrationen bilden dadurch einen wohltuenden Kontrast zu dem turbulenten Geschehen, das David Foster Wallace in seinem Essay wiedergibt. 

Fazit:
David Foster Wallace geht in seinem Essay mit gewohnt bissigem Humor auf Freud und Leid einer Luxuskreuzfahrt ein. Überzeugungskreuzfahrer werden ihn dafür verteufeln, Zweifler, Neider und Kreuzfahrtgegner werden ihn bejubeln. Die wunderschönen Illustrationen von Chrigel Farner stellen eine Kreuzfahrt dar, wie sie sein sollte und sind für sich ein Genuss. Wie schade, dass die Realität anders aussieht.


© Renie





Über David Foster Wallace im Autorenschaufenster bei Whatchareadin .....

Über Chrigel Farner (Ill.):
Chrigel Farner wurde 1972 in Schaffhausen, Schweiz, eingebürgert. Während seiner Zeit in Dublin bricht er, inspiriert durch die Reportagen des Magazins Egg and Hole, sein Studium ab und widmet sich ganz der Zeichnung und Malerei. Er tingelt nach Berlin, um Schlagzeug zu spielen. Mit seinen Illustrationen ist zuletzt D. W. Lovelaces King Kong erschienen. (Quelle: Büchergilde)