Donnerstag, 11. Februar 2016

Cormac McCarthy: Der Feldhüter

Warum nur lässt Cormac McCarthy die Männer in seinem Roman "Der Feldhüter" so primitiv erscheinen? Fressen, Saufen, Prügeln, Mord....? Man sollte meinen, dass McCarthy ein Problem mit seinen Artgenossen hat. Die Spezies Mann kommt in  "Der Feldhüter" nicht gut weg. Und Männer gibt es einige in diesem Roman.
Quelle: Rowohlt





Worum geht es in diesem Roman?
Die Geschichte von Arthur Ownby, Hüter eines verwilderten Apfelhains, dem jungen John Wesley Rattner und dem Schnapsschmuggler Marion Sylder spielt zwischen den Kriegen im gottverlassensten Tennessee. Marion hat vor Jahren in Notwehr Johns Vater getötet und in einer Mischgrube im Garten versenkt, ohne zu ahnen, dass Arthur sein stummer Augenzeuge war. Als Marion einen Autounfall hat, rettet John ihm das Leben. Der Junge, der den Tod seines Vaters rächen möchte, weiß so wenig mit wem er es zu tun hat, wie umgekehrt Marion, und so entsteht eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen den beiden in diesem vergifteten Garten Eden. (Klappentext)

"Die Straße war nun schon eine ganze Weile verlassen, noch immer weiß und glühend heiß, obwohl die Sonne schon den Himmel im Westen rötete. Er ging langsam durch den Staub, blieb von Zeit zu Zeit stehen und hüpfte wie ein gedrungener, unansehnlicher Vogel auf einem Bein, während er den Pfropf aus Klebeband betrachtete, der durch seine Schuhsohle kam. Er drehte sich erneut um. Weit hinten auf dem gleißenden Betonstreifen war eine kleine, formlose Masse aufgetaucht und mühte sich auf ihn zu. Sie rückte stetig näher, wabernd und grotesk wie etwas, das man durch minderwertiges Glas betrachtet, nahm kurz Form und Festigkeit eines Pick-ups an, sauste an ihm vorbei und löste sich wieder auf in die fließende Form, in der sie gekommen war." (S. 11)
Wenn ich den Inhalt dieses Romans in wenigen Sätzen hätte zusammenfassen sollen, ich hätte es nicht gekonnt. Cormac McCarthy legt einem riesige Steine in den Weg, die einen dabei behindern, der Handlung überhaupt folgen zu können. Seine Charaktere erscheinen anonym, man kann sich kein Bild von ihnen machen. Er nennt seine Protagonisten fast nie beim Namen. Sie erscheinen als "er", "der Alte", "der Junge", "der Mann". Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, gleichzeitig gibt es Sprünge zwischen mehreren Handlungsebenen. So lassen sich die Charaktere sowie Gegenwart und Vergangenheit nur sehr schwer auseinander halten. Selten habe ich einen Klappentext als so hilfreich empfunden, wie bei diesem Buch. Mit der Inhaltsbeschreibung habe ich mir oft in Erinnerung rufen müssen, worum es in diesem Roman überhaupt geht.
"Es, oder was davon die Jahre und Jahreszeiten überstanden hatte, war immer noch da. Er ging weiter die Straße entlang, ein alter Mann, der durch den versengten Staub stapfte.

Die Sonne stand inzwischen hoch, alles Grün des Vormittags war von Sonnenlicht durchschossen, ein von Plankton durchflutetes Meer aus Gold." (S. 67)
"This is a man's world" ... - diese erste Zeile des fast gleichnamigen Songs von James Brown aus den 60er Jahren lies mich während der Lektüre von Cormack McCarthy's Roman "Der Feldhüter" nicht los. 
Die Geschichte handelt von Männern und ihrer Welt. Je mehr ich mich mit den Männern dieses Buches befasst habe, umso mehr hatte ich den Eindruck, dass es sich hierbei um eine Ansammlung von Alphatieren handelt, jedes in seinem Revier. Die Männer scheinen sich gegenseitig zu belauern, und warten nur auf eine Gelegenheit, ihr Revier verteidigen zu können. So wirken sie einerseits isoliert in ihrer Gedankenwelt, doch andererseits sind sie bereit für jede Konfrontation.
In dem Song "It's a man's world" heißt es irgendwann "but it wouldn't be nothing, without a woman or a girl". Nun ja, nach Frauen und Mädchen kann man in dem Roman lange suchen. Man trifft zwar ab und zu auf ein weibliches Wesen. Doch die Frauen spielen in diesem Roman eine untergeordnete Rolle. Die Frauen sind für die Versorgung des Mannes zuständig. Anders lernt man sie bei McCarthy nicht kennen. 
"Der Mond stand schon höher, als er an dem Stechwindengestrüpp vorbei in den Obsthain kam, die geschwärzten Äste der Bäume fielen flach wie Papier über den Pfad, und die rote Mondscheibe bewegte sich mit ihm, glitt gedunsen und klumpig von Ast zu Ast, feist verstohlen beobachtend, wie er beobachtete." (S. 107)
Auf dem Cover dieses Buches prangt folgender Satz:

EIN MEISTER, DER SEIN MEDIUM VOLLKOMMEN IM GRIFF HAT. (Washington Post)

Zunächst habe ich mich über diese Art der Umschlaggestaltung gewundert. Kein Foto, keine Grafik .... nur Autor und Titel des Buches sowie dieser Satz. 
Nachdem ich diesen Roman gelesen habe, muss ich jedoch zu dieser Covergestaltung gratulieren. Sie hätte nicht treffender sein können. McCormack's Medium ist die Sprache, alles andere ist nebensächlich. Und er hat dieses Medium nicht nur im Griff, er beherrscht es auch noch meisterlich. Sein Sprachstil ist sehr kraftvoll, fast schon brutal. Er ist in der Lage, Stimmungen zu vermitteln, die extrem sind und die einen fast atemlos machen. Wer nach entspannter Atmosphäre sucht, ist bei McCarthy falsch aufgehoben. Er ist sehr direkt, verschleiert nichts und wirkt dadurch kaltherzig. Seine Metaphern, die er gern einsetzt, verleihen der Brutalität in seinem Roman fast schon etwas Poetisches.
"Der Wind hatte sich gelegt, und der nächtliche Wald in seiner schwach atmenden Ruhe enthielt keinerlei Geräusch bis auf den sanften Regen, die Spur von Wasserperlen auf einem Ast - ihr gemessenes Herabtropfen in eine Laubkuhle. Mit Gras im Mund setzte der alte Mann sich auf und blickte um sich, hörte das Chorgebet des Regens, leises Psalmodieren in jener dunklen Grammatik, die die Erde zur Brautschaft ruft." (S. 214 f.)
Fazit:
Dieser Roman hat mir einiges abverlangt. Die Handlung war schwer zu verstehen und hat mich mit vielen Fragen zurück gelassen. Sprachlich ist dieser Roman jedoch eine Offenbarung. Daher kann ich dieses Buch Lesern empfehlen, die sich von außergewöhnlicher Sprache faszinieren lassen. Man verzeiht McCarthy den schwierigen Handlungsverlauf, wundert sich vielleicht über diese wirre Geschichte, aber lässt sich letztendlich von seinem Sprachstil beeindrucken.
Dies war mein erster Roman von Cormac McCarthy - und übrigens auch der erste Roman, den er geschrieben hat. Auch, wenn die Handlung mich nicht überzeugt hat, sein Sprachstil hat es. Daher wird es zukünftig auch weitere Bücher von Cormac McCarthy in meinem Bücherregal geben.

© Renie

Der Feldhüter von Cormac McCarthy, erschienen bei Rowohlt.
ISBN 978-3499267987



Der Verlag über den Autor:
Cormac McCarthy wurde 1933 in Rhode Island geboren und wuchs in Knoxville, Cormac McCarthy wurde 1933 in Rhode Island geboren und wuchs in Knoxville, Tennessee auf. Für sein literarisches Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Pulitzerpreis und dem National Book Award. Die amerikanische Kritik feierte seinen Roman «Die Straße» als «das dem Alten Testament am nächsten kommende Buch der Literaturgeschichte» (Publishers Weekly). Das Buch gelangte auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste und verkaufte sich weltweit mehr als eine Million Mal.
Mehrere von McCarthys Büchern wurden bereits aufsehenerregend verfilmt, «Kein Land für alte Männer» von den Coen-Brüdern, «Der Anwalt» von Ridley Scott und «Ein Kind Gottes» von James Franco. (Quelle: Rowohlt)