Samstag, 24. Juli 2021

Joachim Zelter: Die Verabschiebung


Artikel 1 unseres deutschen Grundgesetztes besagt:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar". 
Doch in unserem Land scheint Mensch nicht gleich Mensch zu sein.
Wir leben in Deutsch-Absurdistan, diesen Verdacht hatte ich schon immer. Aber nachdem ich Joachim Zelters Roman "Die Verabschiebung" gelesen habe, gibt es für mich keine Zweifel mehr.

Faizan kommt aus seiner Heimat Pakistan nach Deutschland und bittet um Asyl. Sein Asylverfahren hat gerade begonnen, als er die Deutsche Julia kennenlernt.  Die Beiden verlieben sich ineinander. Noch ist Faizan optimistisch gestimmt, schließlich ist Deutschland ein gastfreundliches Land. Als guter Gast möchte er die Gastfreundschaft nicht über Gebühr strapazieren, indem er dem Gastgeber auf der Tasche liegt. Also besorgt sich Faizan einen Job, zieht mit Julia zusammen und gewöhnt sich langsam an den Alltag in Deutschland. Doch leider entpuppt sich Deutschland als ein Land, das alles unternimmt, um einem Schutzsuchenden, der keinen deutschen Pass hat, das Leben zur Hölle zu machen. Faizan wird während des Asylverfahrens eine emotionale Achterbahnfahrt durchlaufen und mit ihm seine Freundin und Ehefrau Julia. Joachim Zelter erzählt die Geschichte dieses Asylverfahrens, in welchem die Würde der Beteiligten auf der Strecke bleibt. 
Quelle: Kröner Verlag

Dazu braucht der Autor nicht viele Worte. Gerade mal 160 Seiten hat dieser Roman. Doch hier sitzt jedes Wort. Joachim Zelter ist ein Wortkünstler, der mit unserer Sprache jongliert und dabei mit viel Genuss der, von ihm verwendeten Begrifflichkeiten einen tieferen Sinn verleiht als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Demgegenüber steht die Amtssprache Deutsch-Absurdistans - "Behördendeutsch" - das nur die wenigsten Auserwählten dieser Republik beherrschen.
Die Sprache Joachim Zelters lässt man sich auf der Zunge zergehen und ist entzückt über soviel Fabulierkunst. Die Sprache Deutsch-Absurdistans lässt man sich ebenfalls auf der Zunge zergehen, ist aber alles andere als entzückt, sondern eher fassungslos, weil sich die deutsche Amtssprache als Ausdruck übelster Menschenverachtung entpuppt.
"... hier das Interesse des Ausländers an einem Aufenthaltstitel. Demgegenüber stehe das Ausweisungsinteresse der Bundesrepublik Deutschland. Entweder das Bleibeinteresse überwiege das Ausweisungsinteresse. Oder das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse. So einfach sei das."
Der Roman "Die Verabschiebung" hat mich durch die Kraft seiner Sprache beeindruckt. Er beschäftigt sich sehr eindringlich mit einem aktuellen Thema: die deutsche Asylpolitik. Für einen Außenstehenden - also die meisten der Lesern - gehen Einzelschicksale innerhalb der öffentlichen Berichterstattung zu diesem Thema in der anonymen Menge der betroffenen Menschen unter. In "Die Verabschiebung" gibt Joachim Zelter diesen Menschen durch seine Protagonisten Faizan und Julia ein Profil und führt die deutsche Asylpolitik gleichzeitig ad absurdum.

Leseempfehlung!

© Renie