Nach seiner Veröffentlichung war der Roman „Kim Jiyoung, geboren 1982“ der Südkoreanerin Cho Nam-Joo innerhalb kürzester Zeit auf den Bestsellerlisten vieler Länder zu finden. Das ist kein Wunder, denn die Autorin spricht auf sehr plakative Weise ein Thema an, das mindestens der Hälfte der Weltbevölkerung auf den Nägeln brennen sollte. Denn dieser Roman ist eine Anklageschrift gegen die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft – egal in welchem Land.
Protagonistin des gleichnamigen Romans ist Kim Jiyoung, geboren 1982, wohnhaft in Seoul, die zu Beginn 33 Jahre alt ist, vor Kurzem Mutter einer Tochter wurde und Ehefrau von Daehyon ist. Jiyoung legt plötzlich Verhaltensweisen an den Tag, die zwar für ihr Umfeld befremdlich sind, jedoch ein gewisses Maß an Komik beinhalten - zumindest für den Leser dieses Buches. Die Frage, die nun alle beschäftigt ist, warum Jiyoung dieses merkwürdige Verhalten zeigt.
Die nachfolgenden Kapitel in diesem Buch sind chronologisch angeordnet und beschreiben die Entwicklung von Jiyoung von ihrer Geburt an bis hin zum heutigen Tage. Dabei erleben wir sie in den Phasen ihrer Kindheit und Schulzeit, lernen ihre Familie kennen - ihre Eltern, eine ältere Schwester und ein jüngerer Bruder. Jiyoung wird nach der Schule studieren, einen Beruf ergreifen, der ihr gefällt und in dem sie Karriere machen möchte. Währenddessen lernt sie ihren Mann kennen, heiratet, bekommt ein Kind und hängt ihren Job an den Nagel.
Quelle: Kiepenheuer + Witsch |
Jiyoungs Geschichte ist also typisch für den Werdegang von Millionen und Abermillionen Frauen auf dieser Welt. Untypisch ist allerdings das, was dieser Weg aus ihr gemacht hat: eine Frau mit merkwürdigen Verhaltensweisen, die nicht mehr so funktioniert, wie andere es von ihr erwarten.
Jiyoung wird vielen Frauen bekannt vorkommen. Denn sie wird von klein auf bis zum heutigen Tage mit Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen unterschiedlicher Ausprägung konfrontiert, die nur daraus resultieren, dass sie eine Frau ist.
„Die Zeiten, in denen Eltern dachten, ein Mädchen bräuchte keine gute Ausbildung, schienen vorbei zu sein. … Es war geradezu ein gesellschaftlicher Hype ausgebrochen, Frauen zu ermuntern, alles erreichen zu wollen und zu können. 1999, Jiyoungs Schwester wurde gerade 19, erließ man ein Gesetz, das Geschlechterdiskriminierung untersagte, und zwei Jahre später, als Jiyoung selbst in dieses Alter kam, wurde sogar ein eigenes Frauenministerium geschaffen. Dennoch gab es im Leben einer Frau in entscheidenden Situationen immer wieder Momente, in denen ihr das Stigma, eine Frau zu sein, anhaftete wie Pech und ihr den Erfolg versagte. Für die Betroffenen war diese Diskrepanz verwirrend und frustrierend.“
Cho Nam-Joo hat mit „Kim Jiyoung, geboren 1982“ einen Roman geschrieben, der als Anklageschrift gegen die Diskriminierung von Frauen zu verstehen ist. Denn die Autorin bürdet ihrer Protagonistin wirklich jedes Benachteiligungsszenario auf, das frau sich vorstellen kann. Sie unterlegt diese Anschuldigungen mit Fakten und Statistiken, die sie gekonnt in den Romantext einfließen lässt. Und wer bis dahin dachte, dass diese Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen in großen Teilen der Fantasie von Feministinnen entsprungen sind, wird dadurch eines Besseren belehrt. Ganz zu schweigen, von den Effekten der Wiedererkennung, die diese Geschichte mit sich bringt. Frau muss nicht in Südkorea leben, um bestätigen zu können, dass Benachteiligungen von Frauen - egal in welcher Ausprägung - leider zum weiblichen Alltag dazugehören.
Dieser Roman erzählt also eine Geschichte, über die man sich empören muss.
Ich gebe zu, dass ich mich immer schwer mit "Empörungsbüchern" tue. Daher versuche ich bei derartigen Geschichten aus all den negativen Gedanken, mit denen ich bombardiert werde, etwas Positives für mich mitzunehmen. Die Autorin hat es mir an dieser Stelle leicht gemacht. Denn in diesem Roman gibt es Momente, die mich hoffen ließen. Das waren Momente des Widerstands und der Rebellion von Frauen in diesem Buch - ganz gleich, ob diese Momente von Erfolg gekrönt waren oder nicht.
Positiv stimmte mich auch die Entwicklung von Jiyoung zu einer selbstbewussten Frau, welche die Dominanz der Männer in Südkoreas Gesellschaft in Frage stellt.
„Jiyoung verspürte ein kleines Erfolgsgefühl. Sie hatten sie gemeinsam gegen die übergeordnete Autorität aufgelehnt, und eine Ungerechtigkeit war dadurch beseitigt worden.“
Und hier zeigt sich für mich die Schwäche des Romans.
Ich hätte mir erhofft, dass die Autorin diese Entwicklung ihrer Protagonistin konsequent weiterverfolgt. Stattdessen rudert Cho Nam-Joo zurück und betont die Opferrolle von Jiyoung, die an dem gesellschaftlichen Druck, der auf ihr lastet, nervlich zerbricht. Die Autorin bringt die Geschichte damit zu einem niederschmetternden und pessimistischen Ende. Dieses Ende mag die Realität der Frau in der Gesellschaft widerspiegeln, setzt aber für mich die falschen Signale. Denn Problem erkannt, ist nicht gleich Problem gebannt. Und ein Hoffnungsschimmer zum Schluss hätte diesem Buch gut getan.
Dennoch habe ich diesen Roman gern gelesen. Der Blick auf Südkoreas moderne Gesellschaft, die immer noch von alten Traditionen und Familienrollen geprägt ist, ist hochinteressant. Genauso wie die Fakten, Statistiken etc., die die Autorin in die Handlung eingeflochten hat, und welche die Anklage gegen die Benachteiligung von Frauen untermalen. „Kim Jiyoung, geboren 1982“ ist also alles in allem ein Buch, das eine interessante Geschichte erzählt, die nah an einer unschönen Realität ist - vielleicht aber auch zu nah.
© Renie