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Florian Knöpplers Debütroman „Kronsnest“ ist eine Zeitreise in ein ländliches Deutschland der 20er Jahre. Schauplatz ist Kronsnest, ein holsteinisches Dörfchen in der Elbmarsch.
Die Menschen in dieser dünn besiedelten Gegend leben hauptsächlich von der Landwirtschaft. Die farbenfrohen Landschaftsbeschreibungen in diesem Roman gaukeln eine Idylle vor. Doch das Leben, in einer Zeit, in der Deutschland unter einer Rezession und einer Agrarkrise leidet, ist alles andere als idyllisch.
Hier lebt der 15-jährige Hannes zusammen mit seinen Eltern. Die Familie betreibt einen Bauernhof, wie die meisten Bewohner dieser Gegend.
Hannes leidet unter seinem gewalttätigen Vater, dessen Ansprüche an seinen Sohn selten erfüllt werden. Der Junge befindet sich in der Pubertät, an der Schwelle zum Erwachsensein. Anfangs wirkt Hannes noch kindlich, entwickelt sich jedoch im Verlauf der Handlung zu einem Jugendlichen, dem alles Kindliche abhandenkommt. Zwischen Vater und Sohn findet ein Kräftemessen statt, das auf eine Eskalation hinsteuert.
Wir erleben Hannes in diesem Roman nicht nur als Sohn und Bauer, sondern auch als Jugendlicher, der die ersten Erfahrungen in Herzenssachen macht. Trotz aller Schufterei auf dem Hof und Querelen mit dem Vater sehen wir ihn inmitten von Gleichaltrigen, die ihre wenige freie Zeit miteinander verbringen. Hier lernt Hannes seine erste große Liebe kennen, Liebeskummer inklusive.
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"Für Mara war es nicht das Gleiche gewesen, er hatte sich das nur eingebildet, das Besondere, die Nähe, die Verbindung, so fest, dass niemand sie zerschneiden konnte."
Die Landwirtschaft sorgt leider nur mehr schlecht als recht für den Lebensunterhalt von Hannes und seinen Eltern, genauso wie für viele andere Familien aus der Landbevölkerung. Daher organisieren sich viele Bauern in der sogenannten „Landvolkbewegung“, die sich gegen die aktuelle Politik zur Wehr setzt und dabei bei der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich ist.
In Deutschland entwickelt sich zur gleichen Zeit der Nationalsozialismus, der von vielen (Land)bewohnern als Heilsbringer in dieser schlechten wirtschaftlichen Lage angesehen wird. So auch in Kronsnest.
Inmitten dieser politisch aufgeheizten Atmosphäre ist es schwierig, neutral zu bleiben. Doch Hannes, genau wie andere Bewohner von Kronsnest, hat keinerlei Ambitionen, mitzulaufen, geschweige denn, sich politisch zu engagieren. Dennoch wird die Politik in kurzer Zeit Einfluss auf den Alltag in Kronsnest nehmen.
"'Jetzt haben wir den ganzen Mist vor der Haustür. Der Brand, die Schlägereien, ich hab die ganze Zeit gedacht, so was kann's hier nicht geben, weil sich alle kennen.'"
Ich habe den Roman „Kronsnest“ gern gelesen. Insbesondere der Anfang, der sich auf den Konflikt zwischen Vater und Sohn konzentriert, ist spannungsgeladen und lässt die Seiten nur so dahinfliegen. Sehr gut herausgearbeitet ist auch Hannes' Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen an der Schwelle zum Erwachsensein. Die Geschichte wird aus der Sicht von Hannes erzählt. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, in die Gedankenwelt des schweigsamen Hannes einzudringen, dessen Introvertiertheit typisch für den Menschenschlag der damaligen Zeit in dieser Gegend ist: es werden nicht viele Worte gemacht, ausgesprochen wird nur das Nötigste, Gefühle werden nicht gezeigt und erst recht nicht darüber gesprochen.
Gespräche in diesem Roman, an denen Hannes beteiligt ist, werden daher von vielen unausgesprochenen Gedanken begleitet, die jedoch Dank der Erzählperspektive für den Leser ersichtlich sind.
Es gibt nur wenige Personen in diesem Roman, denen sich Hannes gegenüber öffnet und ausspricht, was er denkt. Eine davon ist Mara, seine erste große Liebe. Szenen, die das Zusammensein von Mara und Hannes behandeln, unterscheiden sich deutlich vom Rest des Romans, der eine ernsthafte und melancholische Grundstimmung vermittelt, die aus dem harten und problembehafteten Leben der Charaktere resultiert. Denn Mara und Hannes gehen sehr unbeschwert miteinander um, flirten, haben Spaß. Zwischen den Beiden scheint sich eine Seelenverwandtschaft zu entwickeln.
Leider kann der Roman das anfängliche Spannungsniveau, welches aus der intensiven Beschreibung den Vater-Sohn Konflikt resultiert, nicht halten. Denn mit der Zeit verliert sich die Handlung in Schilderungen des Alltags, der von harter Arbeit geprägt ist sowie der Bemühungen von Hannes, sein Gefühlsleben in den Griff zu bekommen. Erfreulicherweise gibt es aber immer noch spannende Momente, die etwas "Würze" in die Handlung bringen. Das sind Situationen, die das Aufeinanderprallen unterschiedlicher politischer Gesinnungen beschreiben und ein anschauliches Bild der Gesellschaft zur damaligen Zeit und unter dem Einfluss des jungen Nationalsozialismus zeichnen.
Ein Highlight dieses Romans waren für mich die Beschreibungen von Natur, Landschaften und Tierwelt. Man wundert sich, wie viele unterschiedliche Vogelarten in der damaligen Zeit in dieser Gegend zuhause waren. Diese Beschreibungen vermitteln eine scheinbare Idylle, die einen starken Gegensatz zu den geschilderten Konflikten darstellt.
Mein Fazit:
Der Roman beginnt auf einem hohen Spannungsniveau, das allerdings im weiteren Verlauf abfällt und dem Roman dadurch einige Längen verpasst. Der Anfang dieses Romans war sicherlich stärker als das Ende. Dennoch hat mir das Gesamtpaket dieses Romans, mit seinen unterschiedlichen Themenbereichen, hier insbesondere der Vater-Sohn-Konflikt sowie der politische Aspekt gut gefallen, so dass ich ihn gern gelesen habe.
© Renie