Freitag, 22. Februar 2019

Paul Beatty: Der Verräter

Der amerikanische Schriftsteller Paul Beatty hat als erster US-amerikanischer Autor den britischen Literaturpreis Man Booker Prize gewonnen. Das war in 2016 für seinen Roman „The Sellout“, einer Satire, die im letzten Jahr unter dem Namen „Der Verräter“ in Deutschland veröffentlicht wurde.
Dieser Roman behandelt ein Thema, das verrückter nicht sein kann: Wiedereinführung der Rassentrennung in den USA.

Ein unangenehmes Thema, ein No Go im modernen menschlichen Miteinander und ein Verstoß gegen eine Vielzahl von Menschenrechten. Man traut den USA ja einiges zu, aber das?
Wie beruhigend, dass es sich bei dieser Vorstellung doch nur um eine Satire handelt, deren Grundidee der Autor Paul Beatty in aller Genüsslichkeit ausschlachtet. (Vergessen wir mal, dass hinter jeder Satire ein Fünkchen Wahrheit steckt;-))


Der Inhalt
In "Der Verräter" macht es sich der afroamerikanische Protagonist und Ich-Erzähler zur Aufgabe, die amerikanische Bevölkerung wieder nach Hautfarben zu unterteilen.
Quelle: Randomhouse/Luchterhand

Er ist in einem fiktiven Vorort von Los Angeles aufgewachsen: Dickens – ein Ghetto der übelsten Sorte, das aufgrund seines ländlichen Charakters (die Ausläufer der Großstadt haben Dickens noch nicht erreicht) auch ein geringes Maß an Idylle vorzuweisen hat. Drogen und Kriminalität gehören zwar zum guten Ton. Aber auch Landwirtschaft und Gartenarbeit sind hier zu finden. So ungewöhnlich wie sich Dickens präsentiert, verlief auch das bisherige Leben des Ich-Erzählers. In seiner Kindheit wurde er von den fixen Ideen seines Psychologen-Vaters und Bürgerrechtsverfechters zu eben diesen Themen malträtiert. Andere Kinder spielten auf der Straße, er spielte Studienobjekt für seinen Vater und wurde gern mal für Feldversuche eingesetzt, wenn es darum ging, unter Beweis zu stellen, dass die Einhaltung der Bürgerrechte in Amerika sehr großzügig gehandhabt wird.
"Ich hielt seinen Tod für einen Trick. Für einen seiner raffinierten Pläne, mit denen er mich in den Nöten der schwarzen Rasse unterweisen und so in mir den Wunsch wecken wollte, etwas aus mir zu machen. Ich erwartete halb, dass er aufstand, sich abklopfte und sagte: 'Wenn mir so etwas passiert, dem schlauesten Schwarzen auf der ganzen Welt, dann überleg mal, Nigger, was einen dummen Arsch wie dir passieren kann. Der Rassismus mag tot sein, aber das heißt noch lange nicht, dass man Nigger nicht ohne Vorwarnung abknallt.'"
Als sein Vater starb, war unser Ich-Erzähler auf sich allein gestellt. Er wurschtelte sich durch und entdeckte seinen Spaß und seine Begabung für Landwirtschaft. Seine quadratischen Melonen waren legendär. Sein angebautes Marihuana aber auch.
Sein Leben hätte so schön beschaulich sein können, wenn nicht die Ausläufer der Großstadt Los Angeles immer näher rückten. Und so kommt, was kommen muss: Dickens verschwindet von der Landkarte und mutiert zu einem anonymen Straßenzug. Nichts ist mehr wie es war und Schluss ist's mit der Beschaulichkeit.
Unser Ich-Erzähler möchte dies nicht akzeptieren und will sein altes Leben zurück. Die Weißen und Wohlstandsfarbigen, die ehemals "gefährliche" Gegenden für sich und ihren Lifestyle entdecken, sind ihm ein Dorn im Auge. Daher ruft er zum Protest auf. Er verlangt die Rückkehr zur Rassentrennung. Dickens soll das schwarze Ghetto bleiben, das es mal war. 
Sein Protest wird am Ende in einer Anklage münden, die bis vor den obersten Gerichtshof Amerikas gehen wird.

An dieser Stelle setzt der Roman ein. Paul Beatty hat einen Prolog geschrieben, der mich fast zur Verzweiflung gebracht hat. Ohne die Buchbeschreibung gelesen zu haben, wurde ich völlig unvorbereitet in diese Gerichtsverhandlung hineinmanövriert. Unser Ich-Erzähler hat sich während des Prozesses ein Tütchen Marihuana geraucht (sehr befremdlich!), was von den Richtern und Beamten geduldet wird (noch befremdlicher!). Dementsprechend sind seine Schilderungen ein wenig diffus – also vernebelt. Endlich, am Ende des Prologs kommt er auf den Punkt und endlich erfährt man, warum der Gute, der sich selbst als "eine legendäre Verkörperung zivilen Ungehorsams" bezeichnet, angeklagt wird:

Er ist nicht nur Verfechter der Rassentrennung, er hält sich auch noch einen Sklaven: seinen alten Nachbarn und ausrangierten Schauspieler Hominy, der in seiner Kindheit bei "Die kleinen Strolche" mitgemischt hat. 
Welch ein Paukenschlag am Ende des Prologs! Wenn Paul Beatty mit dieser Aussage nicht die volle Aufmerksamkeit bei jedem seiner Leser hat, dann weiß ich nicht. Es bleibt nichts anderes übrig, als ungläubig weiterzulesen.

Wie erfreulich, dass der Ich-Erzähler nicht immer zugedröhnt ist, was sich auch am Sprachstil bemerkbar macht. Unser "sandalenbewehrte Äthiopier" erzählt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das kann manchmal wirr wirken, weil er von Hündchen auf Stöckchen kommt. Doch es gibt tatsächlich einen roten Faden, der den Leser zielsicher zu der Verhandlung führt, mit der das Buch begonnen hat und mit der das Buch endet. Dazwischen finden sich Erinnerungen an seine Kindheit, an Dickens, an seinen Sklaven, an seinen Alltag und wie es letztendlich zu dem Prozess gekommen ist.
"Dieses Land braucht jemanden, den man mit Baseballbällen bombardieren, den man schwuchtelprügeln, niggerknüppeln, niedertrampeln und boykottieren kann. Ein Land, das sich ständig im Spiegel bewundert, braucht alles, was es davon abhalten kann, sich wirklich ins Gesicht zu sehen und daran zu erinnern, wo es seine Leichen begraben hat."
Leider sind die Ausführungen unseres Ich-Erzählers manchmal etwas ermüdend, da sie mit Gags, lustigen Sprüchen, Insiderwissen eines Farbigen und Respektlosigkeiten überfrachtet sind, ganz zu schweigen von den rassistischen Äußerungen, die er bis zum Exzess einfließen lässt. Das ist anfangs lustig, nutzt sich aber leider nach einiger Zeit ab. Das Lesen in mehreren Etappen hilft jedoch an dieser Stelle!
Doch lesen sollte man diesen Roman auf jeden Fall. Denn seine Thematik, sein Aufbau und sein Sprachstil machen ihn zu etwas sehr Besonderem.

© Renie

Sonntag, 17. Februar 2019

Dörte Hansen: Mittagsstunde

Quelle: Pixabay/Alexas_Fotos
"Niemand konnte leiser essen und Treppen geräuschloser hinaufschleichen als Kinder, die in Nordfriesland aufgewachsen waren. Wenn es etwas gab, was den Menschen hier oben heilig war, dann war es ihre Mittagsstunde."
In Dörte Hansens Roman „Mittagsstunde“ ist gleichnamige Errungenschaft der Zivilisation ein wichtiger Aspekt des Landlebens. Wir befinden uns in Geestdorf Brinkebüll, Nordfriesland. 
Dieser Ort vermittelt jenes Landleben, welches es in den letzten Jahrzehnten in so vielen Landstrichen in Deutschland existiert hat. In Brinkebüll herrschen eigene Gesetze des Miteinanders, an die sich alle halten, ob sie wollen oder nicht. Gerade in den 60ern und 70ern war es schwer, sich gegen die Eigendynamik des Dorflebens zur Wehr zu setzen. Entweder man fügte sich oder wurde wie eine Persona non grata behandelt.
Die Bewohner von Brinkebüll lieben und hassen sich. Hier wird getratscht, was das Zeug hält, selbstverständlich hinter vorgehaltener Hand. Schließlich weiß man, was sich gehört. Hier finden sich sämtliche Aspekte eines Zusammenlebens: Nettigkeit, Neid, Missgunst, Hilfsbereitschaft, Ablehnung.
Quelle: Randomhouse/Penguin
"Man kam mit vielen Dingen durch in Brinkebüll. Man konnte seine Kinder schlagen, die Frauen seiner Nachbarn schwängern oder das Vieh im Stall verkommen lassen. Es kamen trotzdem alle, wenn sie eingeladen wurden. Aßen, tranken, tanzten, schunkelten."
Was wäre ein Dorf ohne seinen Mittelpunkt. Nicht in seltenen Fällen war dies die Dorfkneipe. So auch in Dörte Hansens Roman. Der "alte Dorfkrug" ist der Dreh- und Angelpunkt ihrer Geschichte.
Betrieben wird die Kneipe von Sönke und Ella. Tochter Marrit hilft mit, wie es ihr gefällt. Und gefallen tut es ihr nicht in dem Maße, wie Sönke und Ella sich dies erhoffen. Denn Marrit ist in ihrer Entwicklung zurückgeblieben. Sie lebt in ihrer eigenen gedanklichen Welt und lässt nur selten zu, dass andere daran Anteil nehmen. Einer, der zuviel Anteil daran nahm, war irgendein Vermesser, der in Sachen „Flurbereinigung“ (ein Fluch, der viele Landstriche seinerzeit in Deutschland traf) in Brinkebüll verweilte. Neun Monate später bringt Marrit einen Jungen zur Welt: Ingwer. Aufgrund ihrer geistigen Situation ist sie nicht in der Lage, sich um ihren Sohn zu kümmern. Sönke und Ella ziehen ihren Enkel groß.

Die Handlung verläuft auf unterschiedlichen Zeitebenen. Einerseits lernen wir die Vergangenheit von Ingwer und dessen Angehörigen in Rückblenden kennen. Und andererseits erleben wir Ingwer als Erwachsenen um die 50, wie er seine gebrechlichen und alten Großeltern in Brinkebüll unterstützt. Sein Lebensmittelpunkt hat sich mittlerweile in die Stadt verlagert. Er lebt seit 25 Jahren in Kiel in einer Dreier-WG. Nach dem Abitur hat er ein Archäologie-Studium begonnen – sehr zum Unverständnis von Sönke, für den es selbstverständlich war, dass sein Enkel die Gaststätte übernehmen wird. Doch Ingwer ist mittlerweile Hochschullehrer in Kiel. Zeitlebens hat er seine Herkunft als Makel empfunden. Umso verwunderlicher ist es, dass er nach Jahrzehnten in der Stadt an einem Punkt angelangt ist, wo er sein Leben, wie es bisher verlaufen ist, in Frage stellt. Er entschließt sich zu einem Sabbatjahr, das er in Brinkebüll zur Unterstützung seiner Großeltern verbringen wird.
"Er wollte es. Er holte sich hier etwas ab, was ihm noch fehlte. Einen Nachschlag Brinkebüll. Er fand Dinge wieder, die er noch gebrauchen konnte, manches hatte er schon fast vergessen. Die Gerüche und Geräusche dieses Hauses. Das Gefühl für dieses Dorf, das viel mehr von ihm wusste als er selbst."
Der Leser begleitet Ingwer und die Seinen während dieses Jahres. Dörte Hansen lässt dabei immer wieder Erinnerungen an die Vergangenheit des Dorfes und seiner Einwohner einfließen. So macht sich der Leser ein Bild über die einzelnen Charaktere: Wortkarg, kühl, unnahbar und stur, mit einem Hang zum Skurillem. Und gerade diese Skurriliät macht die Charaktere wieder sympatisch.

Wortkargheit macht auch vor der Ehe nicht halt, wie Ingwers Großeltern beweisen. Sie sind seit 70 Jahren verheiratet und hatten sich nie viel zu sagen. Sie sind sich scheinbar fremd, leben halt zusammen. Damals galt eine Ehe noch als Bund fürs Leben. Es gibt nur ganz wenige Momente, die verdeutlichen, dass irgendwo doch ein kleines bisschen Liebe  und enge Verbundenheit zwischen den beiden vorhanden ist. So selten diese Momente auch sind, strahlen sie doch eine große Wärme aus.

Das Dorfleben ändert sich mit den Jahren. In dem einstigen Idyll schleicht sich der Fortschritt ein, angefangen mit besagter Flurbereinigung in den 60er Jahren, bei der viele kleine Gemeinden auf der Strecke geblieben sind.
Trotz aller Traurigkeit über die Veränderungen auf dem Land begleiten den Leser Erinnerungen an die eigene Kindheit, was eigentlich merkwürdig ist. Denn nicht jeder Leser ist auf dem Land groß geworden. Aber es gibt nun mal im Brinkebüller Dorfleben Verhaltensmuster, die auch früher in Städten zu finden waren. Das sind Kleinigkeiten des Alltags, so z. B. das Grüßen auf der Straße, der Sonntagsfrühschoppen, den Gästen gekauften Kuchen vorzusetzen ist verpönt und natürlich besagte Mittagsstunde, in der die Mittagsruhe einzuhalten ist. 

Fazit
Die Entwicklung des Dorfes über die Jahre wird von Dörte Hansen grandios dargestellt, von der Idylle, über die Folgen des Fortschritts bis hin zur heutigen Tendenz "Zurück zur Natur und dem Natürlichen". Selbstverständlich habe ich aufgrund meiner eigenen Erinnerungen vieles durch die rosa-rote Brille betrachtet und dadurch den vermittelten Wohlfühlfaktor sehr genossen.
Denn Dörte Hansen schildert das Dorfleben liebevoll, aber ehrlich, mit all seinen Sonnen- und Schattenseiten. Dabei verwendet sie einen Sprachstil, der kaum zu beschreiben großartig ist. Sie lässt wunderschöne und berührende Bilder im Kopf entstehen, die einen auf eine faszinierende Lesereise mitnehmen.
Leseempfehlung!

© Renie

Sonntag, 10. Februar 2019

Simone Regina Adams: Flugfedern

Quelle: Pixabay
Die Novelle "Flugfedern" von Simone Regina Adams wird in meinem Buchregal einen besonderen Platz erhalten. Denn dieses Buch ist ein echter Leseschatz. Mit gerade mal 160 Seiten und einem sehr reduzierten Cover kam es in aller Bescheidenheit daher. Doch schon nach den ersten Sätzen fiel mir die Kinnlade herunter, ob soviel gefühlvoller Ausdruckskraft. Bevor ich hier weiter schwelge:

Thibault, ein junger Mann, französischer Abstammung, wird Zeuge einer Vergewaltigung. Er nimmt das verstörte Opfer Sophie zunächst mit zu sich nach Hause. Er lebt mit seiner Großmutter Mémé allein auf einem Hof in einem kleinen Ort in Süddeutschland. Sophie wird einige Zeit hier leben. Thibault wird sich in Sophie verlieben. Scheinbar erwidert sie seine Gefühle. Doch nach einiger Zeit wird sie fürs Erste aus seinem Leben verschwinden. Es wird nicht bei diesem einen Mal bleiben. Denn Thibault spürt sie auf und sie kehrt zunächst wieder zu ihm zurück.
Quelle: Klöpfer und Meyer

Insgesamt werden die beiden über mehrere Jahre zusammen und wieder getrennt sein. Später in seinem Leben - Thibault ist mittlerweile mit Helene verheiratet, beide haben ein Kind - wird Thibault ein Schreiben von Sophie erhalten, in dem sie ihn wieder um ein Treffen bittet.
"Warum? Warum jetzt, nach all den Jahren?"
Die Geschichte ist unspektakulär - abgesehen von den ersten Seiten. Was dieses Buch jedoch so faszinierend macht, sind Aufbau und Sprachstil.

Der Anfang behandelt die Zeit nach der Vergewaltigungsszene. Drei Menschen leben auf einem Hof: Großmutter Mémé, Thibault und Sophie. Anhand der Erinnerungen von Mémé und Thibault, die die ersten Kapitel dieser Novelle bestimmen, kann man sich ein gestochen scharfes Bild der Lebenswege von Großmutter und Enkel machen. Einzig Sophie bleibt profillos. Sie ist die große Unbekannte in dieser Dreier-Konstellation. Selbst Thibault schafft es nicht, die Persönlichkeit von Sophie zu fassen, was umso erstaunlicher ist, da er bis über beide Ohren in sie verliebt ist. Was liebt er also an ihr?
Die Antwort auf diese Frage schafft ganz viel Interpretationsansätze. Daher lässt sich zurecht behaupten, dass dieses kleine Büchlein den Leser intensiv beschäftigen wird.
"Ein Wesen, dachte Thibault, das gesehen und gleichzeitig nicht gesehen werden will. Und nun wurde auch das zu einem der vielen Bilder von Sophie. ... So, wie der Engel, der sein Gesicht in den Handflächen verbarg - und dabei zwischen den Fingern herausschaute. Der sich versteckte und sich dennoch so offensichtlich danach sehnte, dass man ihn sah. In all seiner Hoffnung und in all seiner Angst, erkannt zu werden."
Anhand großer Zeitsprünge betrachtet man die Entwicklung des Protagonisten Thibault. War er zunächst noch der junge schüchterne Mann, den der Zufall mit einer großen Liebe beschert hat, ist er im nächsten Moment Ehemann und Vater, der nicht mehr viel gemein hat, mit seinem früheren Leben. Er ist beruflich vorwärtsgekommen. Er ist reifer und selbstbewusster. Thibault ist ein völlig anderer Mensch. Und doch kommt er von seiner Vergangenheit mit Sophie nicht los.

Die Novelle wird in sehr leisen Tönen erzählt. Die Symbolik vieler Sätze, die einem   immer und immer wieder begegnet, stimmt nachdenklich. Der Sprachstil von Simone Regina Adams strahlt dabei sehr viel Zärtlichkeit aus, so dass nahezu jeder Satz tief unter die Haut geht. 

Fazit:
Ein Leseschatz! Gefühlvoll, zärtlich, faszinierend und tief berührend.
Leseempfehlung!

© Renie


Sonntag, 3. Februar 2019

Robert Galbraith: Weißer Tod

Quelle: Pixabay/Tania_delosbosques
Robert Galbraith reitet mit seiner Krimi-Reihe um den Londoner Privatermittler Cormoran Strike auf der Erfolgswelle. Mittlerweile gibt es 4 Bände, wovon der letzte, "Weißer Tod", gerade veröffentlicht wurde. Verfilmt sind die Bücher ebenfalls bereits und haben in der TV-Serienwelt unter dem Titel "Strike" hohen Anklang gefunden. Robert Galbraith sollte sich mittlerweile an den Ritt auf der Erfolgswelle gewöhnt haben, ist dieser Name doch ein Pseudonym, hinter dem keine andere als J. K. Rowling steckt.
Von den Harry Potter Büchern kenne ich alle, von ihren anderen Büchern - alias hin oder her - kenne ich keines. Insofern war ich gespannt, was es mit Cormoran Strike in "Weißer Tod" auf sich hat.
Quelle: Randomhouse/blanvalet

Die Serie ist in London angesiedelt, was mir als Fan dieser Metropole schon mal sehr gut gefällt. Robert Galbraith lässt Cormoran Strike quer durch London agieren, mal mit dem Auto, mal mit der U-Bahn, notgedrungen auch zu Fuß. Denn diese Art der Fortbewegung ist für den Ermittler nicht einfach, hat er doch während seines Militärdienstes in Afghanistan einen Teil seines Beines verloren. Er ist also gehändicapt, hat mit Schmerzen zu kämpfen, was ihn jedoch nicht davon abhält, seiner Arbeit mit großem Ehrgeiz nach zu gehen. Fast schon verbissen arbeitet er sich in die Fälle seiner Auftraggeber ein. Aufgrund spektakulärer Aufklärungserfolge ist er mittlerweile eine Berühmtheit in London. Unterstützung erhält er u. a. von seiner Mitarbeiterin Robin Ellacott. Die beiden verbindet mehr als ein Arbeitsverhältnis. Sie sind befreundet. Und es könnte sogar noch mehr daraus werden, wenn Robin nicht anderweitig gebunden wäre. Ganz davon abgesehen, dass Cormoran und Robin eine gemeinsame Beziehung aus Gründen der Professionalität ausschließen würden. Wer's glaubt ;-)
In "Weißer Tod" wird Strike von Kulturminister Chiswell beauftragt, Nachforschungen über Geraint Winn, den Ehemann einer Ministerkollegin, anzustellen. Chiswell wird erpresst. Ein Geheimnis soll publik gemacht werden. Um welches Geheimnis es sich dabei handelt, soll für die Ermittlungsarbeit irrelevant sein. Chiswell geht es nur darum, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, sprich: "Welche Leichen hat Winn im Keller?".
Robin, eine Meisterin der Verkleidung, soll dabei als Mitarbeiterin von Chiswell in das Unterhaus eingeschleust werden, um Winn auf die Pelle zu rücken.
Doch dies ist nicht der einzige Fall, der Strike beschäftigt. Kurz vor dem Minister-Auftrag nimmt Billy, der geistig behinderte jüngere Bruder des berühmt berüchtigten linksgerichteten Aktivisten Jimmy Knight, Kontakt zu ihm auf, weil er sich an einen vermeintlichen Mord an einem kleinen Mädchen erinnert. Diesen Mord hat er als kleiner Junge miterlebt. Ob das Verbrechen Billies Fantasie entspringt oder tatsächlich verübt worden ist, bleibt fraglich. Strike hat Zweifel. Insbesondere als sich herausstellt, dass es eine Verbindung zwischen dem Minister-Fall und Billy gibt.
Es wird noch weitere Verbindungen geben. Es wird auch nicht bei diesen Verbindungen bleiben. Irgendwann wird jemand sterben. Die Handlung wird immer verwirrender, da Robert Galbraith etliche Spuren legt, die den Leser häufig hinters Licht führen. Das macht Spaß, jedoch nur bis zu einem gewissen Grad. Denn irgendwann kam bei mir der Punkt, an dem ich den Faden verloren habe. Dankenswerterweise hat Galbraith einen sehr geschmeidigen Sprachstil, der einen nicht besonders fordert, aber durch seine Lebhaftigkeit angenehm zu lesen ist und diesen Roman sehr kurzweilig macht. So nimmt man die Verwirrungen in der Handlung zunächst hin und freut sich über den Moment, an dem man den roten Faden wieder aufnehmen kann.
"'Wir übersehen irgendetwas, Robin. Und zwar das verbindende Element.'
'Vielleicht gibt es so ein Element gar nicht', sagte Robin. ' So ist das Leben, oder nicht? Wir haben es mit mehreren Personen zu tun, von denen jede ihre eigenen Probleme und Ziele hat. Einige hatten gute Gründe Chiswell zu verabscheuen oder einen Groll gegen ihn zu hegen, aber das heißt noch lange nicht, dass alles perfekt zusammenpassen muss. Vieles ist wahrscheinlich völlig irrelevant.'"
Robert Galbraith konzentriert sich in seiner Romanreihe um Cormoran Strike nicht nur auf die Detektivarbeit, sondern lässt auch dem Gefühls- und Liebesleben seiner Protagonisten viel Raum. Zunächst steht natürlich das Vor und Zurück in einer möglichen Beziehung zwischen Strike und Robin im Mittelpunkt. Aber bis es soweit ist (und in "Weißer Tod" ist es noch lange nicht so weit), haben auch jeder für sich ein Privatleben. Robin verbringt dies mit ihrem frisch angeheirateten Matthew, den sie seit ihrer Jugend kennt. Keine Ahnung, warum die beiden geheiratet haben. Denn sie passen partout nicht zusammen. Er erweist sich als Ekel, der sich einen Deut um Robins Seelenleben schert. Aber Liebe, die bei Robin anfangs vorhanden war, macht ja bekanntlich blind. Doch hinterher ist frau immer schlauer. Und das wird auch Robin feststellen.

Strikes Beziehungen zu Frauen ist da einfacher gestrickt. Er hat Bindungsängste, was ihn jedoch nicht davon abhält, oberflächliche Beziehungen einzugehen. Sobald jedoch eine seiner Frauen den Eindruck erweckt, sich mehr von der Beziehung zu versprechen, als Sex, zieht er die Reißleine. Das war bei ihm nicht immer so. Denn auch einem Cormoran Strike kann das Herz gebrochen werden, was in seiner Vergangenheit auch passiert ist.

Fazit
Es gab Momente in diesem Buch, da hätte ich mir weniger Verwirrung gewünscht. Die unterschiedlichen Ansätze und Hinweise auf Spuren sind zwar hochinteressant und nie vorhersehbar. Dennoch waren mir diese zuviel. Da hätte man ein paar Seiten von den etwa 850 einsparen können und der Krimi wäre trotzdem noch ein guter geblieben.
Denn das ist er zweifelsohne. Wenig reißerisch, aber fantasievoll in der Entwicklung und die zwischenzeitliche Verlagerung der Handlung auf das Miteinander von Strike und Cormoran machen ihn zu einem sehr unterhaltsamen und spannenden Krimi.

© Renie