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Sonntag, 22. November 2020

Margaret Goldsmith: Patience geht vorüber

Die amerikanische Autorin Margaret Goldsmith (1895 - 1971) erzählt in ihrem feministischen Roman "Patience geht vorüber" die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau und zeichnet gleichzeitig ein Bild der deutschen sowie der englischen Gesellschaft in der Zeit von 1918 bis 1930.

Zu Beginn der Handlung hat die Protagonistin Patience gerade ihr Abitur bestanden. Sie ist die Tochter einer britischen Adeligen und eines deutschen Arztes. Die Familie lebt in Berlin. Patience ist zweisprachig aufgewachsen - ungewöhnlich für die damaligen Verhältnisse. 

Nach einem kurzen Intermezzo in einer deutschen Behörde, wird Patience journalistisch tätig. Ihre Zweisprachigkeit ist ihrem beruflichen Werdegang dabei sehr förderlich. Während sie sich im Beruf sehr zielstrebig durchs Leben bewegt, scheint Patience im privaten Bereich ein wenig orientierungslos zu sein. Ihre erste große Liebe ist ihre beste Freundin, mit der sie erste sexuelle Erfahrungen sammelt, was jedoch nicht bedeutet, dass sie eine körperliche Abneigung gegenüber Männern verspürt. Ganz im Gegenteil. Diese Zweigleisigkeit überfordert Patience allerdings.
Quelle: AvivA
"Alles ging wie ein Kreisel im Kopf herum. Innerlich: deutsche Grübelei; äußerlich: gelassene angelsächsische Haltung, die ihre Verstörtheit nicht im geringsten verriet. Aber die große Spaltung zwischen dem Inneren und dem Äußeren wurde von Tag zu Tag unerträglicher. Etwas mußte geschehen."
Irgendwann bricht sie ihre Zelte in Berlin ab und geht nach London. Eine Anstellung bei einer Zeitung macht dies möglich. Mittlerweile ist sie zu einer selbstbewussten jungen Frau geworden, die ihren eigenen Stil gefunden hat. Sie strahlt eine gewisse Exzentrik aus, da sie das Leben nun lebt, wie sie es für richtig hält, ungeachtet dessen, was die Gesellschaft als schicklich ansieht. Dennoch bleibt sie immer diskret, bei dem, was sie tut. Doch diese Exzentrik erweist sich als Fassade. Denn im tiefsten Inneren ist Patience rastlos und auf der Suche nach etwas, das ihrem Leben Erfüllung bringt. Und dieses etwas wird sie zum Ende des Romans finden.

Patience geht nicht nur vorüber, sie sitzt auch zwischen den Stühlen: kulturell und gefühlsmäßig. Als Tochter eines Deutschen und einer Engländerin hat sie von kleinauf beide Kulturen und ihre Eigenarten mitbekommen. Egal, wo ihr Lebensmittelpunkt gerade war, Patience hat sich stets der anderen Kultur verbunden gefühlt, was sie immer zum Außenseiter gemacht hat.
Diese Zerrissenheit zeigt sich auch in ihrem Liebesleben. Denn Patience liebt zunächst Frauen, wird sich aber später zum anderen Geschlecht orientieren.
"Und alles, was mit Freiheit zusammenhing, alles was auch nur im geringsten nach Freiheit schmeckte, war ihr ein Fetisch geworden. 'Technik ist alles', keine dauernden Bindungen, keine Verantwortung in menschlichen Beziehungen, so viel vom Leben nehmen, wie möglich, und so wenig wie möglich geben."
Patience ist - gemessen am damaligen Zeitgeist - eine ungewöhnliche Frau: Sie ist selbstbewusst, steht ihre Frau bei der Arbeit in einer Männerdomäne und ist dabei von keinem Mann abhängig. Ganz im Gegenteil. Im Zusammensein mit Männern behält sie immer die Oberhand und ist mit ihrer exzentrischen Art sehr provokant. Mit der Zeit weiß sie, was sie will und geht zielstrebig ihren Weg, um dies zu erreichen. 

In einem sehr informativen Nachwort dieses Romans erfahren wir, dass es auffällige Parallelen zwischen dem Leben von Patience und ihrer Schöpferin Margaret Goldsmith gab. Die amerikanische Schriftstellerin, die 1895 in Amerika auf die Welt kam, wuchs in Berlin auf. Genau wie Patiences Lebensweg war auch ihrer für die damalige Zeit ungewöhnlich. Ihre berufliche Karriere verlief sehr zielstrebig. So wurde ihr Anfang der 30er Jahre eine Führungsposition im diplomatischen Dienst zugesprochen, was sie zu eine der ersten Amerikanerinnen machte, die Karriere in dieser Männerdomäne erlangte.
Margart Goldsmith lebte genau wie Patience in mehreren Kulturen. Sie ist in der Welt herumgekommen, nicht zuletzt aufgrund ihres beruflichen Werdegangs. Diese Erfahrungen fließen in ihrem Roman auf sehr humorvolle Art ein. Die Autorin schildert die Eigenarten der unterschiedlichen Kulturen aus der Sicht von Patience, die mal als Deutsche in England lebt und mal als Engländerin in Deutschland. Margaret Goldsmiths Schreibstil ist dabei sehr lebhaft und quirlig, was dieses Buch sehr modern erscheinen lässt. Kaum zu glauben, dass dieser Roman erstmalig 1931 veröffentlicht wurde.

Leider war für mich das Ende dieses Romans schwer nachvollziehbar. Die selbstbewusste Patience, die sich bis zu diesem Zeitpunkt weitestgehend über gesellschaftliches Rollendenken hinweggesetzt hat, findet ihre Erfüllung am Ende in einer Rolle, die jeglicher feministischer Denkweise widerspricht. Gemessen an der heutigen Zeit ist dieses Ende für mich nicht stimmig. Doch hinsichtlich der damaligen Zeit lässt sich nur mutmaßen, dass die Autorin trotz aller Modernität und feministischer Einstellung eine Frau ihrer Zeit geblieben ist und das vorherrschende Rollendenken im tiefsten Inneren nicht ablegen konnte.

Mein Fazit:
Patience hat mal eben im Vorübergehen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Denn mit "Patience geht vorüber" habe ich einen Roman über die Entwicklung einer Frau gelesen, die nach anfänglichen Startschwierigkeiten in ihr Erwachsenenleben, den für sie richtigen Lebensentwurf gefunden hat. Hätte Patiences Geschichte in unserer heutigen Zeit gespielt, könnte man dieses Buch als einen von vielen Entwicklungsromanen abtun. Doch in Anbetracht der Zeit, in der der Roman spielt, erhält Patiences Geschichte eine völlig andere Bedeutung und macht diesen Roman zu einem lesenswerten und ungewöhnlichen Stück Frauenliteratur.

© Renie