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Mittwoch, 8. Mai 2019

Fatima Farheen Mirza: Worauf wir hoffen

Quelle: Unsplash/Mohan Murugesan
"Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein." (Eine Kindheitserinnerung)

Egal, ob Christentum, Judentum oder Islam. In jeder Glaubensrichtung werden Kinder von klein auf an Religion herangeführt.
Es gehört in den meisten Familien zur Erziehung, dass Kinder, sehr früh lernen, dass es einen Gott gibt, der sowohl über die guten als auch die schlechten Menschen richtet. Gute Menschen kommen in den Himmel, böse in die Hölle. Und welches Kind will schon in die Hölle?
In einigen Elternhäusern wird die Religion intensiver gelebt, in anderen werden die Glaubensgrundsätze sehr großzügig ausgelegt. Aber egal wie, Religion ist immer präsent.

In dem Roman "Worauf wir hoffen" von Fatima Farheen Mirza geht es um eine Familie, in welcher Religion sehr intensiv gelebt wird. Die muslimische Familie stammt aus Indien, die Eltern Rafik und Laila sind kurz nach ihrer arrangierten Hochzeit nach Amerika ausgewandert. Hier sind sie ein wichtiger Bestandteil der islamisch-indischen Gemeinde ihrer Stadt geworden. Über die Jahre haben sie zwei Töchter, Hadia und Huda, bekommen. Zum Schluss kam der ersehnte männliche Nachkomme, Amar.

Quelle: dtv
Der Roman beginnt mit der Hochzeit von Hadia. 
Bereits hier zeichnet sich ab, dass ein Bruch durch die Familie gegangen sein muss. Amar hat vor ein paar Jahren den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen. Er folgt jedoch der Einladung seiner Lieblingsschwester Hadia und kommt zu ihrer Hochzeit. 
"Die drei Jahre hatten ihren Bruder verändert, sein Gesicht war ernster geworden: Schatten lagen unter seinen Augen, eine frische Narbe am Kinn gesellte sich zu den alten Narben an Lippe und Augenbraue. Er hielt die Schultern krumm, und sie merkte, dass ihm das Selbstvertrauen abhandengekommen war, als hätte eine selbstgewisse Körperhaltung ebenso zu ihm gehört wie sein gewinnendes Schmunzeln. ... und wieder überfiel sie bei diesem Anblick die alte Furcht: Er versuchte immer noch zu verschwinden."
Dieses Buch beschreibt, wie es zu dem Bruch innerhalb der Familie gekommen ist. Die Erzählperspektiven wechseln zwischen Laila, Hadia und Amar. Huda ist zunächst eine Randfigur, die im Hintergrund wahrgenommen wird, die aber später an Profil gewinnt. Und auch der Vater Rafik ist zwar allzeit präsent, wird aber immer nur aus Sicht der anderen geschildert. Das Bild, das dabei von ihm gezeichnet wird, ist das eines Patriarchen, der Gott gleich über allem herrscht, und den es aus Sicht seiner Kinder zu beeindrucken und stolz zu machen gilt. Nur so verdienen die Kinder seine Liebe.
Dieser befremdliche Umgang mit dem Vater resultiert aus der traditionellen und religiösen Erziehung der Kinder. „Du sollst Vater und Mutter ehren“.
Trotzdem wachsen die 3 Geschwister in einem liebevollen Elternhaus auf, was nicht zuletzt Lailas Verdienst ist. Die Mädchen entwickeln sich, wie es sich für „anständige“ muslimische Frauen gehört. Ihnen wird am Ende die Gratwanderung zwischen ihrer traditionellen Kultur Indiens und der modernen Kultur Amerikas gelingen. Einzig Amar schlägt aus der Art. Von klein auf lässt er sich nicht in die Verhaltensmuster pressen, die man einem muslimischen Jungen auferlegt. Das sorgt für ständiges Konfliktpotenzial, insbesondere zwischen seinem Vater und ihm. Amar kann den Ansprüchen seines Vaters einfach nicht gerecht werden, so sehr er sich auch anstrengt. Irgendwann wird es zum Eklat zwischen Amar und Rafik kommen, woraufhin der Sohn die Familie verlassen wird.
"Sie kennt ihren Vater. Seinen Stolz, seine Werte, sein striktes Befolgen der religiösen Vorschriften. All dies ist ihm wichtiger als die Liebe zu seinen Kindern. Hadia hat immer gespürt, dass die Liebe ihrer Eltern an Bedingungen geknüpft ist. Für Amar ist das eine Herausforderung, er möchte herausfinden, wie weit er gehen kann, bis sie ihn aufgeben."
Dieser Roman beschreibt die Anfänge der Familie bis hin zum Erwachsenenalter der Kinder. Erzählt wird in Rückblenden, wobei die Erinnerungen von Laila, Rafik und Hadia in nichtchronologischer Reihenfolge wiedergegeben werden. Dabei kommt es zu enormen Zeitsprüngen, die das Lesen nicht einfach machen. Gerade zu Beginn eines Kapitels braucht man einige Zeit, um festzustellen, in welcher Zeit wir uns gerade befinden. Es werden die kleinen und großen Geschichten einer Familie erzählt, und welche Auswirkungen diese Geschichten auf die Entwicklung der einzelnen Familienmitglieder haben. Dabei steht das Leben innerhalb von Tradition und Religion im Vordergrund. Zwischenzeitlich muss man sich als Leser in Erinnerung rufen, dass die Geschichte tatsächlich im heutigen Amerika spielt. Denn der amerikanische Alltag findet nicht statt. Die Familie ist in die indische Gemeinde integriert. Die Freunde und Bekannten sind Bestandteil dieser Gemeinde. Und das komplette Gemeindeleben wird von der indischen Tradition bestimmt.

Fazit:
Dieses Buch ist ein sehr berührender Familienroman, der das Familienleben unter dem Einfluss von Religion und Tradition schildert. Er zeigt auf, wie schwierig es ist, zwischen den Traditionen und dem modernen Leben zu bestehen. Dennoch ist gerade die junge Generation, die ein Leben in Indien nie gelebt hat, mit den Traditionen tief verwurzelt. Und die meisten von ihnen schaffen das Kunststück, sowohl Tradition als auch Moderne miteinander in Einklang zu bringen. 
Für mich war dieser Roman so etwas wie ein Aufklärungsroman, gewährt er doch tiefe Einblicke in das muslimische Leben. Da mein Verständnis vom Islam und der damit verbundenen Lebensweise sehr oberflächlich ist, habe ich die Lektüre als echte Bereicherung empfunden.
Leseempfehlung!

© Renie