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Freitag, 10. April 2020

Christopher Kloeble: Das Museum der Welt

Quelle: Pixabay/Devanath

Der Roman „Das Museum der Welt“ von Christopher Kloeble kommt in einer bescheidenen Aufmachung daher: ein Buchumschlag mit einer schwarz-weißen Illustration, die Schrift auf dem Umschlag in braun und schwarz gehalten. Die Illustration erweist sich bei genauem Hinsehen als Gesicht eines Tigers. Das macht Sinn. Denn schließlich weiß ich, wo die Reise in diesem Buch hingeht - nach Indien. Und der Tiger gilt als das Nationaltier Indiens. Doch darüber hinaus gibt es keinen Hinweis auf das, was mich in diesem Roman erwarten wird: eine Farbexplosion an Eindrücken über eine Forschungsreise (1854 bis 1857) durch Indien, erzählt von einem Kind.
"Wenn man sich tatsächlich zwischen Wahrheit und Schönheit entscheiden muss, was spricht dann eigentlich gegen die Schönheit?"
Es ist die Geschichte des Waisenjungen Bartholomäus, Ich-Erzähler dieses Romans, der zu Beginn der Handlung mindestens 12 Jahre alt ist und in einem Waisenhaus in Bombay aufwächst. Das Heim wird von deutschen Priestern geführt. Einer davon ist Vater Fuchs, der Bartholomäus unter seine Fittiche nimmt. Der Junge ist sprachbegabt. Neben seiner Muttersprache und diversen indischen Dialekten spricht er Deutsch (Vater Fuchs sei Dank) und Englisch.
Zu dieser Zeit hat Großbritannien den indischen Subkontinent kolonialisiert. Dieses gigantische Land ist ein gefundenes Fressen für die britischen Kolonialherren, allen voran die East India Company, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit über 200 Jahren Handel, Verwaltung und Militär in Indien kontrolliert. Natürlich alles im Namen der britischen Krone.
Im Auftrag der East India Company sollen die deutschen Forscherbrüder Schlagintweit eine Expedition zusammenstellen und den indischen Subkontinent bis in den letzten Winkel (und darüber hinaus) erforschen.
Und hier kommt Bartholomäus ins Spiel, der die Expedition als Übersetzer begleiten soll.

Die Expedition wird insgesamt 3 Jahre dauern. Von den 3 Brüdern Schlagintweit werden nur 2 lebend nach Europa zurückkehren.(Dies ist keine Spoilerei. Denn die Brüder Schlagintweits hat es wirklich gegeben. Genauso wie die Expedition stattgefunden hat. Und genauso, wie es fast jeden Charakter in diesem Roman tatsächlich gegeben hat. Nur Bartholomäus nicht. Der mindestens 12-Jährige mit den unglaublichen Sprachkenntnissen ist der Fantasie des Autors entsprungen.)
"Ich übersetze nicht nur Worte, sondern auch das Land." 
Bartholomäus berichtet also von den Geschehnissen vor und während der Expedition. Der Roman ist dabei in mehrere Teile gegliedert, angefangen in Bombay (Ausgangspunkt der Expedition). Danach folgen Abschnitte, die analog zu den Etappen der Expedition angelegt sind. 
In dem Ich-Erzähler Bartholomäus erlebe ich einen Protagonisten, der über seine Abenteuer und den Alltag der Expedition mit großer Naivität und Unschuld berichtet. Frei nach dem Motto: "Kindermund tut Wahrheit kund" strahlen seine Erzählungen dabei eine Weisheit aus, die mich in philosophische Betrachtungen versinken lässt.
"Robert sagt, vor ihm ist kaum ein Europäer in dieser Region gewesen. Vielleicht, denke ich mir, hat das ja einen Grund. Muss man denn unbedingt dorthin vordringen, wo noch keiner gewesen ist?"
Man mag diesen Roman als Erlebnisbericht zu der Expedition der Schlagintweits ansehen. Doch für mich steckt sehr viel mehr in diesem Buch. Für mich stehen das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Kulturen sowie der Kolonialismus im Vordergrund, betrachtet von einem Kind, das in seiner Unvoreingenommenheit und Naivität auf die Irrsinnigkeiten des (damaligen) Umgangs miteinander hinweist.

Dem Autor Christopher Kloeble ist mit "Das Museum der Welt" ein großer Wurf gelungen. Sein Roman steckt von der ersten Seite an voller Überraschungen. Mit der Wahl seines Protagonisten Bartholomäus hat sich Kloeble an eine große Aufgabe herangewagt: Als Erwachsener eine Kinderfigur zu gestalten, die zudem einer fremden Kultur angehört und auch noch Deutsch als Fremdsprache spricht, ist eine Herausforderung, die der Autor mit Bravour gemeistert hat. 
Hinzu kommt, dass sich Bartholomäus auf eine sehr spezielle Art ausdrückt. Seine Wortgewandtheit ist erstaunlich. Dennoch gibt es Momente, in denen er mit seiner Wortwahl vom üblichen deutschen Sprachgebrauch abweicht. Das kann sehr lustig sein. Doch viel bemerkenswerter ist, dass durch diesen speziellen Sprachgebrauch Bartholomäus' Gedanken eine Tiefgründigkeit erhalten, die einem erst beim "Stolpern" über diese Ausdrucksweise bewusst wird. Daher "Lesen - Innehalten - Genießen!" Es lohnt sich.

Fazit:
Ein wundervoller Roman. Christopher Kloeble lässt den Leser die koloniale Welt Indiens durch die Augen eines unvoreingenommenen Kindes betrachten. Und man nimmt dem Autoren diese Sichtweise ab. Der historische Bezug zu den Brüdern Schlagintweits und ihrer Expedition bietet dabei einen hochinteressanten Rahmen. Und wem das noch nicht genug ist, kann dieses Buch auch als Spionageroman lesen. Was für eine Wundertüte von einem Buch!
Leseempfehlung!


© Renie