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Samstag, 25. April 2020

Christine Wunnicke: Nagasaki, ca. 1642

Quelle: Pixabay/xethrocc
"Kommt man in der einen Welt nicht auf seine Kosten, dann eben in einer anderen."
(aus "Candide oder der Optimismus" von Voltaire)

Einer, der in der einen Welt nicht auf seine Kosten kommt, und daraufhin sein Glück in der anderen Welt sucht und hoffentlich findet, ist Abel van Rheenen, ein Niederländischer "Dolmetsch".

Wir schreiben in etwa das Jahr 1642 und befinden uns in Nagasaki. Vor kurzem ist das Handelsschiff "Middelburg", das unter der Flagge der niederländischen Ostindien-Kompanie die Weltmeere umsegelt, hier eingetroffen. An Bord befindet sich Abel, ein junger Holländer, der die japanische Sprache einigermaßen beherrscht. Daher soll er bei den ersten Kontakten zu den Japanern als Übersetzer fungieren. Die Holländer haben ein Auge auf die kulturellen Errungenschaften sowie exotische Handelsware der Japaner geworfen. Je wertvoller und exotischer desto besser. Im Gegenzug wollen Sie ihre eigenen europäischen Waren in Japan an den Mann bringen. Unter dem Deckmantel der Völkerverständigung versuchen sie herauszufinden, welche Vorteile sie aus den Japanern herauskitzeln können. (Der Gedanke der Überlegenheit gegenüber anderen Kulturen geisterte auch damals schon durch die Köpfe der Europäer.) Doch in den Japanern der Zeit um 1642 haben sie ihre Meister gefunden. Die gehen sehr clever mit den merkwürdigen Europäern um, geben nur ein Mindestmaß von sich Preis und halten die Europäer an der kurzen Leine, ohne dass ihnen dies auffällt. Doch einer von ihnen ist nicht auf den Kopf gefallen: Abel, der Dolmetsch. Er ist ein cleveres und neugieriges Kerlchen, das verstehen will, wie die Japaner "funktionieren". Seinen Lehrmeister findet er dabei in dem Samurai Seki Keijiro, aktueller Inspektor des Handelsstützpunkts in Nagasaki und bekannter japanischer Schwertkämpfer a. D.
Quelle: Kirchner PR/Berenberg
"Seit gut zwanzig Jahren hatte Keijiro keinen Haarschneider empfangen, da er dies, wie so vieles, nicht nötig hatte. Er trug seine Haare, wie Haare nun einmal wuchsen, und wenn alles ins Gesicht hing, drehte er einen neuen Knoten, und wenn sie zu lang wurden, schnitt er sie ab. Er sah aus wie ein Räuber. Und jung, sagten die Mägde. So gut erhalten, der edle Herr Seki, wie eingelegter Rettich. Kaum grau auf dem Kopf mit siebenundfünfzig Jahren, und steht da wie ein Birkenbaum, obwohl er immer nur sitzt."
Dieser Samurai ist ein sehr spezieller Charakter. Er ist faul. Jede überflüssige Bewegung kostet ihn Überwindung. Am liebsten hat er seine Ruhe. Er hat etwas von einer tyrannischen Diva. In seinem Haushalt, in dem er mit Frau, Schwiegervater und Bediensteten lebt, zittern die Menschen vor seinen Launen und versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen.
Sein Verhalten ändert sich, als er Abel begegnet. Der quirlige und neugierige Niederländer weckt sein Interesse und seine Lebensgeister. Denn er bietet Abwechslung zu seinem Alltag als pensionierter Samurai. Und so lernen sie gegenseitig voneinander. Denn wir haben es mit zwei Figuren zu tun, die sich zwar über die Merkwürdigkeiten der anderen Kultur wundern, aber wissbegierig genug sind, diese Eigenarten verstehen zu wollen.

Diese Geschichte erinnert mich an einen Schelmenroman im Stile eines "Der abenteuerliche Simplicissimus"(ET 1668; Autor: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen), der in etwa zur gleichen Zeit spielt wie Christine Wunnickes Roman. Tragik und Komödie liegen hier dicht beieinander. Generell scheint "Nagasaki, ca. 1642" eine Geschichte der Kontraste zu sein. die japanische Kultur trifft auf die europäische Kultur; Jung trifft auf Alt; Moral trifft auf "Unsittlichkeit" (gemessen an den damaligen moralischen Grundsätzen).
Christine Wunnicke schildert diese Kontraste mit einem Augenzwinkern. Ihre Charaktere bewegen sich dabei an der Grenze zur Skurrilität. Sie sind nicht ernst zu nehmen. Kraft ihrer Funktionen und Ämter wird ihnen zwar von ihren Mitmenschen ein gewisses Maß an Respekt gezollt, doch tatsächlich stolpern sie von einem Fettnäpfchen ins andere. Das ist sehr lustig und macht das Aufeinanderprallen der Kulturen zu einem großen Spaß.
"'Wer mag Huren nicht?', fragte Abel. 'Aber sie sind nicht unbedingt meine ... Benehmens-Bewunderungen, Nachahmungsangelegenheiten, meine ...'
'Vorbilder', seufzte der Inspektor." 
Mein Fazit:
Ein sehr originelles Buch über eine ungewöhnliche Freundschaft, in dem das Aufeinanderprallen zweier Kulturen in sehr amüsanter Weise erzählt wird. Pointe folgt auf Pointe. Fettnapf folgt auf Fettnapf. Man kommt aus dem Grinsen nicht mehr raus. Nur schade, dass dieses Buch nur etwas mehr als 100 Seiten hat. Von dieser Art humorvoller historischer Geschichte hätte ich einiges mehr vertragen können.
Leseempfehlung!

© Renie

Mittwoch, 15. April 2020

Antonio Moresco: Das kleine Licht

Quelle: Pixabay/Sonyuser

Ich kenne niemanden, der die Geschichte "Der kleine Prinz" von Antoine de St. Exupéry nicht mag. Spätestens bei dem Satz "Zeichne mir ein Schaf" bekommen die meisten einen verklärten Gesichtsausdruck vor lauter Rührung. Daher sind Titel und Buchbeschreibung von Antonio Morescos Roman "Das kleine Licht" für mich ein echter Marketing-Coup. Denn jedem, der von "Der kleine Prinz" angefixt wurde, wird auch dieses Buch ins Auge stechen. Titel und Buchbeschreibung sorgen dafür.
In "Das kleine Licht" lebt ein namenloser Ich-Erzähler in völliger Einsamkeit in einem verlassenen Bergdorf. Nachts beobachtet er auf der anderen Seite des Tals ein einzelnes Licht, dass jede Nacht zur selben Zeit angeht und die ganze Nacht brennt. Tagsüber erkennt der Mann auf die Entfernung, dass das Licht aus einer einzelnen Hütte inmitten der Wälder am gegenüberliegenden Berghang kommen muss. Den Mann, der die Einsamkeit gesucht und nicht erwartet hat, dass außer ihm menschliches Leben in den Bergwäldern existiert, lässt das Geheimnis um das Licht nicht los. Irgendwann macht er sich auf den Weg zu dieser Hütte. Er findet einen kleinen Jungen, der hier allein lebt und jede Nacht dieses Licht anzündet.
"Kein einziges Anzeichen menschlichen Lebens.
Erst als das Dunkel noch dicher wird und die ersten Sterne hell werden, scheint auf der anderen Seite der engen, steil abfallenden Schlucht auf einem flacheren, wie ein Sattel mitten in die Wälder eingegrabenen Stück des Bergzugs gegenüber jede Nacht, jede Nacht und immer zur gleichen Zeit unversehens ein kleines Licht auf."
An dieser Stelle endet jedoch die Ähnlichkeit zu "Der kleine Prinz". Denn ein Autor eines Kalibers von Antonio Moresco schreibt nun mal keinen Abklatsch. Und das ist gut so.

Der Roman erinnert an eine Dystopie. Wir erleben Zerstörung und Verfall. Die Orte sind verlassen, die Natur holt sich ihren Platz zurück. Die wenigen Menschen, mit denen der Ich-Erzähler in Berührung kommt, sind verwahrlost und scheinen ums Überleben zu kämpfen. Die Landschaft wird von Erdstößen heimgesucht. Unzählige Fragen tauchen auf, auf die es keine Antwort gibt: wer ist der Ich-Erzähler? Warum lebt er hier? Was ist die Ursache für den Verfall seiner Umgebung?
Und natürlich stellt sich die Frage, wie der kleine Junge in die einsame Hütte gekommen ist, ob sich jemand um ihn kümmert, und wie er allein zurechtkommt.

Gemeinsam mit dem Ich-Erzähler begibt man sich auf die Suche nach Antworten. Und dabei zieht man gedankliche Kreise, die sich zunächst um den kleinen Jungen in seiner Hütte drehen, aber dann immer größer werden und sich schließlich mit dem menschlichen Sein auseinandersetzen. Nun muss man wissen, dass der Autor in seiner Heimat und darüber hinaus bekannt dafür ist, sich in seinen Büchern, mit existenziellen Fragen zu beschäftigen. In "Das kleine Licht" thematisiert er den Kreislauf des Lebens, wobei Moresco die Grenzen zwischen Leben und Tod verschwimmen lässt. Das hört sich kompliziert, vielleicht abgehoben an. Aber wenn man Moresco liest, muss man sich darüber im Klaren sein, dass der Autor seine Leser zu gedanklichen Höchstleistungen herausfordert. Versüßt wird der gedankliche Kraftakt durch Morescos mikroskopische Sprache. Dabei lässt er Bilder entstehen, die an Präzision nicht zu überbieten sind und tatsächlich an einen Blick durch ein Vergrößerungsglas erinnern.
"Unentwegt sterben sie und entstehen sie neu und sterben sie wieder, jedes Ding in seinem eigenen Kreis des erschaffenen Schmerzes. Ihre Pflanzenzellen fahren fort, schweigend und verzweifelt zu kämpfen und sich zu vermehren und sich zu vervielfältigen, und so werden sie es weiterhin tun, auch wenn es die Menschen nicht mehr geben wird, wenn sie vom Angesicht dieses kleinen, in den Galaxien verlorenen Planeten verschwunden sein werden, es wird nur noch diese Drangsal der Zellen geben, die kämpfen und sich fortpflanzen, solange noch ein wenig Licht von unserem kleinen Stern ausgehen wird." 
Fazit:
Es ist nicht einfach, diesen Roman zu beschreiben. Die Geschichte wird mich durch ihre Rätselhaftigkeit noch eine Weile beschäftigen. Am Ende schwanke ich zwischen Ratlosigkeit und Faszination über die Einzigartigkeit dieser Geschichte. Denn eines ist sicher. Etwas Vergleichbares habe ich bisher noch nicht gelesen.

© Renie


Freitag, 10. April 2020

Christopher Kloeble: Das Museum der Welt

Quelle: Pixabay/Devanath

Der Roman „Das Museum der Welt“ von Christopher Kloeble kommt in einer bescheidenen Aufmachung daher: ein Buchumschlag mit einer schwarz-weißen Illustration, die Schrift auf dem Umschlag in braun und schwarz gehalten. Die Illustration erweist sich bei genauem Hinsehen als Gesicht eines Tigers. Das macht Sinn. Denn schließlich weiß ich, wo die Reise in diesem Buch hingeht - nach Indien. Und der Tiger gilt als das Nationaltier Indiens. Doch darüber hinaus gibt es keinen Hinweis auf das, was mich in diesem Roman erwarten wird: eine Farbexplosion an Eindrücken über eine Forschungsreise (1854 bis 1857) durch Indien, erzählt von einem Kind.
"Wenn man sich tatsächlich zwischen Wahrheit und Schönheit entscheiden muss, was spricht dann eigentlich gegen die Schönheit?"
Es ist die Geschichte des Waisenjungen Bartholomäus, Ich-Erzähler dieses Romans, der zu Beginn der Handlung mindestens 12 Jahre alt ist und in einem Waisenhaus in Bombay aufwächst. Das Heim wird von deutschen Priestern geführt. Einer davon ist Vater Fuchs, der Bartholomäus unter seine Fittiche nimmt. Der Junge ist sprachbegabt. Neben seiner Muttersprache und diversen indischen Dialekten spricht er Deutsch (Vater Fuchs sei Dank) und Englisch.
Zu dieser Zeit hat Großbritannien den indischen Subkontinent kolonialisiert. Dieses gigantische Land ist ein gefundenes Fressen für die britischen Kolonialherren, allen voran die East India Company, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit über 200 Jahren Handel, Verwaltung und Militär in Indien kontrolliert. Natürlich alles im Namen der britischen Krone.
Im Auftrag der East India Company sollen die deutschen Forscherbrüder Schlagintweit eine Expedition zusammenstellen und den indischen Subkontinent bis in den letzten Winkel (und darüber hinaus) erforschen.
Und hier kommt Bartholomäus ins Spiel, der die Expedition als Übersetzer begleiten soll.

Die Expedition wird insgesamt 3 Jahre dauern. Von den 3 Brüdern Schlagintweit werden nur 2 lebend nach Europa zurückkehren.(Dies ist keine Spoilerei. Denn die Brüder Schlagintweits hat es wirklich gegeben. Genauso wie die Expedition stattgefunden hat. Und genauso, wie es fast jeden Charakter in diesem Roman tatsächlich gegeben hat. Nur Bartholomäus nicht. Der mindestens 12-Jährige mit den unglaublichen Sprachkenntnissen ist der Fantasie des Autors entsprungen.)
"Ich übersetze nicht nur Worte, sondern auch das Land." 
Bartholomäus berichtet also von den Geschehnissen vor und während der Expedition. Der Roman ist dabei in mehrere Teile gegliedert, angefangen in Bombay (Ausgangspunkt der Expedition). Danach folgen Abschnitte, die analog zu den Etappen der Expedition angelegt sind. 
In dem Ich-Erzähler Bartholomäus erlebe ich einen Protagonisten, der über seine Abenteuer und den Alltag der Expedition mit großer Naivität und Unschuld berichtet. Frei nach dem Motto: "Kindermund tut Wahrheit kund" strahlen seine Erzählungen dabei eine Weisheit aus, die mich in philosophische Betrachtungen versinken lässt.
"Robert sagt, vor ihm ist kaum ein Europäer in dieser Region gewesen. Vielleicht, denke ich mir, hat das ja einen Grund. Muss man denn unbedingt dorthin vordringen, wo noch keiner gewesen ist?"
Man mag diesen Roman als Erlebnisbericht zu der Expedition der Schlagintweits ansehen. Doch für mich steckt sehr viel mehr in diesem Buch. Für mich stehen das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Kulturen sowie der Kolonialismus im Vordergrund, betrachtet von einem Kind, das in seiner Unvoreingenommenheit und Naivität auf die Irrsinnigkeiten des (damaligen) Umgangs miteinander hinweist.

Dem Autor Christopher Kloeble ist mit "Das Museum der Welt" ein großer Wurf gelungen. Sein Roman steckt von der ersten Seite an voller Überraschungen. Mit der Wahl seines Protagonisten Bartholomäus hat sich Kloeble an eine große Aufgabe herangewagt: Als Erwachsener eine Kinderfigur zu gestalten, die zudem einer fremden Kultur angehört und auch noch Deutsch als Fremdsprache spricht, ist eine Herausforderung, die der Autor mit Bravour gemeistert hat. 
Hinzu kommt, dass sich Bartholomäus auf eine sehr spezielle Art ausdrückt. Seine Wortgewandtheit ist erstaunlich. Dennoch gibt es Momente, in denen er mit seiner Wortwahl vom üblichen deutschen Sprachgebrauch abweicht. Das kann sehr lustig sein. Doch viel bemerkenswerter ist, dass durch diesen speziellen Sprachgebrauch Bartholomäus' Gedanken eine Tiefgründigkeit erhalten, die einem erst beim "Stolpern" über diese Ausdrucksweise bewusst wird. Daher "Lesen - Innehalten - Genießen!" Es lohnt sich.

Fazit:
Ein wundervoller Roman. Christopher Kloeble lässt den Leser die koloniale Welt Indiens durch die Augen eines unvoreingenommenen Kindes betrachten. Und man nimmt dem Autoren diese Sichtweise ab. Der historische Bezug zu den Brüdern Schlagintweits und ihrer Expedition bietet dabei einen hochinteressanten Rahmen. Und wem das noch nicht genug ist, kann dieses Buch auch als Spionageroman lesen. Was für eine Wundertüte von einem Buch!
Leseempfehlung!


© Renie




Freitag, 3. April 2020

Helena von Zweigbergk: Totalschaden

Quelle: Pixabay/kolyaeg
"Ich sehe fünf tote Hasen, und ich versuche zu lächeln."
Dies ist der erste Satz des Romans "Totalschaden" der Schwedin Helena von Zweigbergk. Ein Hase ziert auch das Cover dieses Buches. Hasen scheinen hier also eine entscheidende Rolle zu spielen. Zumindest sind sie in "Totalschaden" schuld daran, dass in dem Haus von Agneta und Xavier ein Feuer ausbricht, das für eben diesen Totalschaden sorgt. Das Haus ist nicht mehr bewohnbar. Nun müssen sich Agneta und ihr Mann entscheiden, ob sie das Haus wieder aufbauen oder einen kompletten Neuanfang wollen.
Eigentlich waren auch nicht die Hasen schuld an diesem Totalschaden, sondern Agneta, die in einem Moment der Unachtsamkeit, bei dem Versuch, aus den toten Hasen eine kulinarische Köstlichkeit zuzubereiten, das eigene Heim abgefackelt hat. Und da steht sie nun als diejenige, die ihren Lieben Heim und Elternhaus genommen hat. Und während sie mit ihrem Schicksal hadert und sich in Selbstmitleid und Selbstvorwürfen suhlt, erkennt sie, dass das verbrannte Haus vermutlich nicht der einzige Totalschaden in ihrem Leben sein könnte.
Quelle: Nagel & Kimche
"Mit den Jahren hat unsere Streitlust nachgelassen, und seit die Kinder aus dem Haus sind, brausen wir allenfalls mal kurz auf. Der Gedanke, uns richtig zu streiten, ist schon fast absurd. Wir leben mit der unausgesprochenen Übereinkunft, dass die Zeit unserer Kämpfe vorüber ist. Wir lassen die Dinge kommen und gehen. Es ist ein ruhiger, angenehmer Frieden und eigentlich nichts, was wir infrage stellen wollen."
Agneta und Xavier sind seit über 20 Jahren Jahren verheiratet und Eltern von mittlerweile erwachsenen 3 Töchtern. Die Ehe verlief bisher sehr harmonisch. Denn Routinen und Gewohnheiten bestimmten den Ehealltag und ließen das Zusammenleben entspannt vor sich hindümpeln.
Als Xavier, der 14 Jahre älter als Agneta ist, in den Ruhestand tritt, funktioniert die Harmonie in der Ehe auf einmal nicht mehr. Vielleicht hat sie auch schon vorher nicht mehr funktioniert. Agneta ahnt, dass die bisher von ihr geschätzten Routinen und Gewohnheiten nicht mehr ausreichend sind. Noch will sie es nicht wahrhaben. Durch den Hausbrand wird das Ehepaar jedoch aus seinem bisherigen Alltag gerissen. Agneta und Xavier werden durch dieses einschneidende Erlebnis gezwungen, ihre Ehe und ihr bisheriges Zusammenleben in Frage zu stellen, was für alle - Töchter inbegriffen - schmerzhaft ist.

Helena von Zweigbergk hat diesen Roman aus der Perspektive von Agneta geschrieben. Dabei konzentriert sich die Handlung auf den Zeitpunkt des Brandes und auf die Wochen danach. Der Roman ist in drei Teile gegliedert, welche die Entwicklung von Agneta aufzeigen. Und diese Entwicklung ist extrem: 
- von der anfangs perfekten Agneta, die ihre Energie dahingehend investiert hat, Mutter einer heilen Familie zu sein und für eine Wohlfühlatmosphäre in einem heimeligen Zuhause zu sorgen;
- über die krisenuntaugliche und vor Selbstmitleid zerfließende Heulsuse, die ihre Lieben mit ihren kaum versiegenden Tränenfluten an den Rand des Wahnsinns treibt;
- bis hin zu einer Agneta, die wie Phönix aus der Asche aus diesem Drama wieder aufersteht und ihr Leben selbst in die Hand nimmt, nachdem sie ausreichend ihre Wunden geleckt hat.
"Kann eine Familie funktionieren, ohne dass jemand die Rolle auf sich nimmt, die ich innehatte? Oder verstehe ich am Ende meine eigene Rolle und Bedeutung falsch? Male ich ein sentimentales Bild von mir als Königin unseres Heims, des Reichs der Familie? Bin ich nur noch eine staatenlose königliche Hoheit, die sich selbst und ihrer Umgebung verzweifelt einzureden versucht, dass es irgendwo auch für sie einen Platz gibt?" 
Agneta ist in diesem Roman also extrem wandelbar, was vielleicht in dieser Ausgeprägtheit befremdlich erscheinen mag. Aber außergewöhnliche Situationen bringen außergewöhnliche Eigenschaften in einem Menschen zutage, weshalb man der Autorin die drastische Entwicklung ihrer Protagonistin am Ende abnimmt.

Helena von Zweigbergk erzählt die Geschichte von Agneta und Xavier mit großer Leichtigkeit und Ironie. Diese Ironie wird durch einen Sprachstil, der reich an kuriosen Metaphern ist, verstärkt. Dadurch wird dieser problembehaftete Roman zu einer unterhaltsamen und witzigen Lektüre, die insbesondere für den langjährig verheirateten Leser den einen oder anderen Wiedererkennungsmoment parat hat.

Leseempfehlung!

© Renie