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Sonntag, 28. Mai 2017

Raquel J. Palacio: Wunder


"Ich heiße übrigens August. Ich werde nicht beschreiben, wie ich aussehe. Was immer ihr euch vorstellt - es ist schlimmer." (S. 10)
Mit diesen Sätzen endet das erste Kapitel des Jugendromans "Wunder". Sätze, die einen packen, die unter die Haut gehen und von denen es in diesem wundervollen Roman unendlich viele gibt. Die US-Amerikanerin Raquel J. Palacio hat dieses Buch im Jahre 2012 veröffentlicht, 2 Jahre später ist "Wunder" mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet worden.
Ich hatte zuvor noch nie etwas von diesem Roman gehört. Glücklicherweise hat mein Sohn dieses Buch in der Schule im Deutschunterricht gelesen. Er, der selten ein Buch liest, konnte dieses Buch kaum aus der Hand legen. Was hat dieser Roman an sich, dass ein 11-Jähriger alles andere um sich vergisst? Ich war neugierig und habe mich darauf hin ebenfalls von diesem wundervollen Buch verzaubern lassen.

Klappentext:
August ist zehn Jahre alt und lebt mit seinen Eltern und seiner großen Schwester Via in New York. Weil er seit seiner Geburt so oft am Gesicht operiert werden musste, ist er noch nie auf eine richtige Schule gegangen. Aber jetzt soll er in die fünfte Klasse kommen. August ist es gewöhnt, angestarrt zu werden, und er weiß, dass die meisten Schüler nicht absichtig gemein zu ihm sind. Sie sind bloß verunsichert. Natürlich ist es sein sehnlichster Wunsch, nicht weiter aufzufallen, ein ganz normaler Junge zu sein, Freunde zu finden. Doch nicht aufzufallen ist nicht leicht, wenn man so viel Mut und Kraft besitzt, so witzig, klug und großzügig ist wie August.
Quelle: Hanser

🤔😏😊

Eine Buchbesprechung mit Junior

Frage: Was hat dir an diesem Buch besonders gefallen?

Junior: Einfach alles! Die Geschichte ist cool und ich mag die Charaktere.

Renie: Ging mir genauso. Was mir besonders gefallen hat, war der Aufbau dieses Romans. Es geht ja um dieses eine Jahr in der Schule, das aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird. Erzählt wird in erster Linie von August. Aber auch andere kommen zu Wort: u. a. seine Schwester Via, seine Schulkollegen Jack und Summer. Dadurch wird die Handlung mit unterschiedlichen Betrachtungsweisen erzählt, wobei man jederzeit erkennen kann, wer gerade erzählt. Das hat die Autorin genial hinbekommen. Es gelingt ihr, in ihrem Sprachstil zu variieren, so dass die einzelnen Charaktere sehr authentisch rüberkommen.

Dann schreibt die Autorin auch noch sehr mitreißend. Man leidet mit den Charakteren. Ich habe tatsächlich das eine oder andere Tränchen verdrückt, habe mich aber auch manchmal schlapp gelacht, weil der Humor zu köstlich ist.

Junior: Ich nicht. Ich fand das Buch nicht humorvoll. Laut gelacht habe ich nicht.

Renie: Das hätte ich jetzt aber nicht gedacht.
"Rattenjunge. Missgeburt. Monster. Freddy Krueger. E. T. Ekelfresse. Eidechsengesicht. Mutant. Ich kenne die Namen, die sie mir geben. Ich bin auf genug Spielplätzen gewesen, um zu wissen, dass Kinder gemein sein können. Ich weiß, ich weiß, ich weiß." (S. 98)
Frage: Was hat dich an dem Buch gestört?

Junior: Gar nix.

Renie: Stimmt, mich hat auch gar nix gestört.

Frage: Wer war dein Lieblingscharakter?

Junior: August natürlich. Er hat am meisten erzählt. Ich mag es nämlich nicht, wenn ständig die Personen beim Erzählen wechseln.

Renie: Aber das haben sie doch in diesem Buch.

Junior: Ja, aber sie haben immer ganz schön lange erzählt, so dass ich Zeit genug hatte, mich an sie zu gewöhnen und besser kennen zu lernen.

Renie: Aha, jetzt verstehe ich, was du meinst. Es gibt insgesamt 8 Abschnitte, die jeweils aus der Sicht eines Charakters erzählt werden. Lediglich August kommt häufiger zu Wort. 

Selbstverständlich war August auch mein Lieblingscharakter. Ich fand es bewundernswert, wie er sein erstes Jahr an einer Schule gemeistert hat und am Ende die Herzen aller erobert hat, so dass sein Aussehen völlig nebensächlich geworden ist. Mir haben aber auch die Kinder gefallen, die unvoreingenommen und neugierig an August herangegangen sind, und es riskiert haben, nicht mit dem Strom zu schwimmen. Schließlich ist ja von einigen Mitschülern ein enormer Druck auf sie ausgeübt worden, sie sind sogar gemobbt worden, weil sie sich auf Auggies Seite gestellt haben. Und trotzdem wollten sie mit ihm befreundet sein.
"Er ist bloß ein Junge. Der seltsamstaussehende Junge, der mir je begegnet ist, ja. Aber bloß ein Junge." (S. 148)
Frage: Fällt dir eine Lieblingsstelle in dem Buch ein?

Junior: Bei Auggie Doggie* musste ich grinsen.

Renie: Hast du nicht eben gemeint, dass das Buch nicht lustig ist?

Junior: Es ist nicht humorvoll. Denn Humor ist, wenn man ganz laut lachen muss. Bei Auggie Doggie musste ich nur grinsen.

Renie: Aha.
* "'Also, Auggie Doggie', sagte er, 'Der Tag war wirklich okay?' Er hatte das aus einer alten Zeichentrickserie über einen Hund namens Auggie Doggie. Er hatte mir das Video bei eBay gekauft, als ich vier Jahre alt gewesen war, und eine Zeit lang hatten wir es uns oft angesehen - vor allem im Krankenhaus. Er nannte mich Auggie Doggie und ich ihn 'lieber alter Vater', wie das Hundekind den Dackel in der Serie." (S. 74)
Frage: Warum lautet der Titel dieses Buches "Wunder"?

Junior: Ist doch klar. August ist ein Wunder. Er kommt mit seinem Aussehen klar und fordert andere auf, sich mit ihm zu beschäftigen. Auf dem Buchumschlag steht der Satz "Sieh mich nicht an". Am Anfang fällt es ihm zwar schwer und er hat Angst vor der Schule. Doch mit der Zeit geht es ihm immer besser und sein Aussehen ist egal. Er kommt sogar damit klar, dass er gemobbt wird. Andere Leute bringen sich um, weil sie wegen ihres Aussehens gemobbt werden. August nicht.

Renie: Stimmt. August ist so mutig. Er beweist, dass Äußerlichkeiten völlig egal sind. Davon kann sich mancher eine Scheibe abschneiden.

Frage: Wirst du dich in ein paar Jahren noch an dieses Buch erinnern?

Junior: Ich glaube nicht. Es ist zwar ein außergewöhnliches Buch, und man liest so etwas nicht alle Tage. Aber es ist "nur" ein Buch und ich lese ja eigentlich nicht gern.

Renie: Irgendwann hast du bestimmt auch Spaß am Lesen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Es gibt nicht viele Bücher, die so besonders sind wie "Wunder" und die eine Geschichte erzählen, die mitten ins Herz geht. Ich werde mich auf jeden Fall auch in ein paar Jahren noch an dieses Buch erinnern.

© Renie und Junior





Über die Autorin:
Die Autorin und Illustratorin Raquel J. Palacio lebt in New York. Sie war 20 Jahre Grafik-Designerin, bevor ihr mit ihrem Debüt der Durchbruch als Schriftstellerin gelang. Wunder erschien 2013 bei Hanser, wurde in 45 Sprachen übersetzt und 2014 von der Jugendjury mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. 2015 folgte ihr Geschenkbuch Jeder Tag ein Wunder, das 365 Maximen enthält, wie sie Mr. Browne in Wunder mit seinen Schülern bespricht. Ihr neuestes Buch Wunder – Julian, Christopher und Charlotte erzählen erschien im Frühjahr 2017. Im Herbst 2017 folgt das von ihr illustrierte Bilderbuch Wir sind alle ein Wunder. (Quelle: Hanser)