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Mittwoch, 19. Mai 2021

Peter Terrin: Blanko


In dem Roman "Blanko" des flämischen Autors Peter Terrin will ein Vater nichts dem Zufall überlassen. Denn der Zufall könnte ihm das Wertvollste nehmen, das ihm noch geblieben ist. Also handelt er.
Bedeutungsschwere Worte, die aber in etwa wiedergeben, was in diesem Roman passiert.

Die Geschichte beginnt mit einer Beerdigung. Viktors Frau und Mutter des gemeinsamen Sohnes Igor wurde Opfer eines Gewaltverbrechens. Plötzlich ist Viktor also alleinerziehender Vater. Kaum auszumalen, was der Verlust der Mutter für Vater und Sohn bedeutet. Der Versuch, wieder in die Normalität zurückzukehren ist zum Scheitern verurteilt. Denn von Tag zu Tag wird die Welt für Viktor bedrohlicher. Der Tod seiner Frau hat in ihm Verlustängste ausgelöst, die sich ins Unermessliche steigern und seinen Beschützerinstinkt wecken.

"Ist denn nicht selbstverständlich, dass sich unter den Tausenden von Lehrern, die hier im Land arbeiten, auch ein paar schwarze Schafe befinden? Ich kann doch nicht der einzige Vater sein, der diese Möglichkeit in Betracht zieht?"

Peter Terrin erzählt mit "Blanko" eine Geschichte, die fassungslos macht. Es gibt sie in diesem Buch zuhauf - beklemmenden Lesemomente, die für großes Unbehagen sorgen. Die Geschichte wird aus der Sicht des Vaters erzählt wird, der in relativ kurzen Sätzen, die wohl überlegt und sachlich erscheinen, den Eindruck vermitteln, dass er aus tiefster Überzeugung handelt. Mit einer Selbstverständlichkeit, die schmerzt, Gefahren sieht, wo keine Gefahren sind und diesen mit wilder Entschlossenheit trotzt. Dieser sich steigernden Besessenheit des Vaters steht die Hilflosigkeit des Sohnes gegenüber.  Igor ist 10 Jahre alt. Durch die Erzählperspektive des Vaters betrachtet der Leser ihn ausschließlich aus der Sicht von Viktor. Die Entwicklung der Persönlichkeit von Igor hat so gut wie keinen Platz in der Gedankenwelt des Vaters. Denn diese wird von seinem übergroßen Schutzgedanken dominiert. Der Sohn erscheint daher lediglich als wertvolles Objekt, das es zu schützen gilt. Man kann nur vermuten, was in dem Jungen vorgeht, der durch das Urvertrauen, das Kinder ihren Eltern entgegenbringen, der Fürsorge seines Vater hilflos ausgeliefert ist.

"Er dachte an die Luft, die sein zehnjähriger Sohn in diesem Moment durch die Lungenbläschen einsog. Im Vergleich zu anderen Vätern kann ich mich glücklich schätzen, dachte er schließlich. Ich bin informiert und kann wenigstens Maßnahmen ergreifen."

Von Beginn an wird der Leser das Gefühl nicht los, dass das obssessive Verhalten des Vaters in eine Katastrophe münden wird. Der stetig ansteigende Spannungsbogen ist dabei kaum zu ertragen, so dass man den Ausgang der Geschichte leider als Erleichterung empfinden wird.

Fazit:

"Blanko" von Peter Terrin ist ein unbequemer Roman, dessen Lektüre von Unbehagen und Fassungslosigkeit begleitet wird. Denn der belgische Autor erzählt auf eine sehr eindringliche und Nerven zerreissende Weise die Geschichte eines Vaters, der doch nur seinen Sohn beschützen wollte. "Blanko" ein Roman, der den Begriff "Helikopter-Eltern" zu neuen Dimensionen führt!

Leseempfehlung!

© Renie

"Blanko" von Peter Terrin (Liebeskind Verlag, ET Februar 2021)