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Sonntag, 25. April 2021

Fiona Mozley: Elmet

Das kleine Königreich Elmet, das zwischen dem 5. und 7. Jahrhundert inmitten Britanniens lag, war den Königreichen in seiner Nachbarschaft ein Dorn im Auge. Und frei nach Schillers „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt", wurde Elmet in schöner Regelmäßigkeit von den Nachbarkönigreichen gestürmt und erobert.
Der Debütroman "Elmet" von Fiona Mozley spielt in der heutigen Zeit, etwa zum Ende des 20./Anfang des 21. Jahrhunderts. Doch geändert hat sich in Bezug auf die Nachbarschaft seither nicht viel.

Sein persönliches Elmet hat sich John Smythe mit seinen Kindern Cathy und Daniel erschaffen, als sie sich in einem Waldstück in der Nähe von Doncaster, einer Stadt in Middle England, niederlassen. Vater John ist eine Naturgewalt. Sehr groß und bärenstark hat er sich über Jahre seinen Lebensunterhalt als Faustkämpfer bei illegalen Wettkämpfen verdient. Darüber hinaus nahm er immer wieder Aufträge an,  die darin bestanden, Gefallen und Forderungen seiner Auftraggeber mit dem nötigen körperlichen Nachdruck einzufordern. John Smythe ist also kein Mann, dem man allein im Dunkeln begegnen möchte.
Doch diese brutalen Zeiten will er hinter sich lassen. Denn man glaubt es kaum, aber John ist ein liebevoller Vater, der seinen Kindern ein Zuhause bieten möchte, in dem sie sich frei entfalten können. Die ersten Jahre ihrer Kindheit haben Cathy und Daniel bei ihrer Oma in Doncaster verbracht – der Vater war „beruflich“ viel im Land unterwegs, und die Mutter zeigte kein Interesse an ihren Kindern.
"So brutal Daddy auch sein konnte, er mochte andere Menschen. Er empfand für sie die gleiche Zuneigung wie ein Jäger für seine Beute, tief und ernsthaft, aber mit kühlem Blick. Er hatte nur wenige Freunde und sah sie fast nie, doch die Menschen, die er schätzte, hielt er in Ehren wie seltene Souvenirs. Um diese Leute kümmerte er sich."
Als die Oma stirbt, verlässt die Familie die Stadt und sucht sich ein neues Domizil in einem abgelegenen Waldstück in der Umgebung. Die Kinder sind mittlerweile im Teenageralter. Vater John baut ein Haus, wird zum Selbstversorger und versucht, das Stadtleben weitestgehend zu meiden. Cathy und Daniel wachsen anders als Jugendliche ihres Alters auf. Sie gehen nicht zur Schule, lernen, in und mit der Natur zu leben und sind sich innerhalb ihrer kleinen Familie genug.
Doch einigen Menschen aus Doncaster ist der eigenwillige Mann mit seinen ungewöhnlichen Kindern ein Dorn im Auge. Wie die kleine Familie damit umgeht, und wie sich ihr Leben entwickeln wird, erzählt der Roman „Elmet“. 

Natürlich stellt sich die Frage, wie man in unserer heutigen Zeit losgelöst von Konventionen und Gesetzen leben kann - so, wie John es mit seinen Kindern macht. Die Antwort auf diese Frage liegt in dem Schauplatz begründet. Die Autorin Fiona Mozley konzentriert sich in ihrem Roman auf die hässlichen Seiten einer Industriestadt: Ihr Doncaster ist ein Ort, der von Menschen besiedelt ist, die am Rand der Gesellschaft leben. Arm, arbeitslos, kriminell, gewalttätig – die Menschen vereinen sämtliche Eigenschaften, die man bei seinen Nachbarn nicht oder höchst ungern haben möchte. Die Häuser sind heruntergekommen, die Grundstücke sind verdreckt. Entweder hat der Staat die Menschen in Doncaster vergessen oder diese haben alles dafür getan, dass sie vergessen werden. Die Menschen lösen ihre Konflikte auf ihre eigene Art. Das einzige Gesetz, das hier Anwendung findet, ist das Recht des Stärkeren. Und die Starken sind in dieser Gegend die Männer mit Geld und Macht, die sie sich mit zwielichtigen Geschäften und Gewalt erkämpft haben und erhalten wollen. 
In Doncaster ist die Welt also nicht in Ordnung und das Leben in dieser Stadt kein glückliches und zufriedenes, sondern ein entbehrungsreiches, inmitten von Armut und Hässlichkeit. 
Es ist daher nachvollziehbar, dass ein Vater wie John Smythe, der sein Leben bisher unter diesen Umständen gelebt hat, seinen Kindern eine bessere und behütetere Zukunft bieten möchte und sie von dem Einfluss von Doncaster fern halten will. 
Der Leser wird durch diesen Roman in eine dystopische Stimmung versetzt. Der Text atmet förmlich Brutalität, Armut, Schmutz und Hässlichkeit. Dem gebenüber steht der Sprachstil der Autorin, der es schafft, dieser Hässlichkeit, einen wunderschönen und poetischen Anstrich zu verpassen. 
"Aber unser Haus war stabiler als andere seiner Art. Es war aus besseren Ziegeln, besserem Mörtel, besseren Steinen und besserem Holz gebaut. Ich wusste, es würde viel länger stehen bleiben als die anderen Häuser an den in die Stadt führenden Straßen. Und es war schöner. Das grüne Moos und der Efeu aus dem Wald waren begieriger, nach seinen Wänden zu greifen, bereitwilliger, es in die Landschaft zurückzuholen. Mit jeder neuen Jahreszeit sah es älter aus, als es war, und je länger es da zu sein schien, desto länger würde es bleiben. Wie alle richtigen Häuser und jene, die sie ihr Zuhause nennen."
John und seine Kinder, von denen Daniel der Ich-Zerzähler ist, sind sehr introvertierte Menschen, die zurückgezogen leben und nur ungern etwas von sich Preis geben. Und genauso begegnet einem dieser Roman. Man muss sich diese Geschichte erarbeiten. Ich-Erzähler Daniel ist sehr zurückhaltend mit seinen Informationen, die die Geschichte seiner Familie betreffen. Erst nach und nach öffnet er sich dem Leser, so dass dieser weiß, wo die Handlung hinführen wird. Und ich kann nur jedem, der sich für dieses Buch interessiert, empfehlen, die Buchbeschreibung des Verlages nicht zu lesen, die leider einige Informationen vorab liefert. Dieses Nichtwissen, was einen in diesem Buch erwartet und das Hangeln von Information zu Information, die während der Handlung hinzukommt, erhöhen die Spannnung auf ein fast schon unerträgliches Maß. 

Fazit:
"Elmet" ist ein unglaublich eindringliches Buch, das mich durch seine ungewöhnliche Mischung aus dystopischer Hässlichkeit und poetischer Schönheit mehr als überzeugt hat. In seiner Heimat Großbritannien ist dieser Debütroman von Fiona Mozley in der Presse gefeiert worden und stand im Erscheinungsjahr 2017 auf der Short List des Man Booker Prizes. Ich kann mich dieser Begeisterung nur anschließen. 

© Renie