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Ich war nicht immer verrückt nach Büchern. Meine Leidenschaft für die Literatur hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. In meiner Schulzeit, als Brandt, Schmidt und Kohl noch Bundeskanzler waren ;-), war sie noch nicht vorhanden. Der Deutschunterricht war nicht meins. Was ich noch viel weniger mochte, waren allerdings die Naturwissenschaften, allen voran Physik. An meinem Desinteresse für diese Disziplin hat sich mit den Jahren nicht viel geändert. Daher wunderte es mich nicht, dass ich mit dem Namen Hermann Oberth nichts anfangen konnte, als dieser (der Name ;-)) mir vor Kurzem das erste Mal begegnete.
Hermann Oberth war ein Pionier auf dem Gebiet der Raketenforschung. Seine Visionen waren wegweisend für diese Wissenschaft, viele seiner Forschungen bildeten die Grundlage dessen, was heute durch den Weltraum schwirrt. Warum ich das auf einmal weiß? Ich habe ein Buch gelesen:
"Die Erfindung des Countdown" von Daniel Mellem. Der Autor, selbst promovierter Physiker, hat in seinem biografischen Roman die Geschichte dieses ungewöhnlichen Mannes erzählt.
Hermann Oberth ist 1894 in Siebenbürgen geboren und hat dort seine Kindheit verbracht. Siebenbürgen ist vielen vermutlich eher unter dem Namen Transsilvanien bekannt und liegt mitten im heutigen Rumänien. Hermann kam aus einer der vielen deutschstämmigen Familien, die damals in Siebenbürgen lebten. Der Roman, der in mehreren Episoden den größten Teil des Lebens dieses Physikers erzählt, setzt in der Kindheit von Hermann ein. Hier zeichnet sich bereits ab, dass der Junge anders als andere Kinder ist. Hermann ist überaus neugierig, er will den Dingen auf den Grund gehen. Der Klassiker "Reise zum Mond" von Jules Vernes ist dasjenige Buch, welches die ersten Anregungen für Hermanns Traum, mit einer Rakete das Weltall zu erforschen, liefert. Hermanns Vater konnte leider mit den Träumereien seines Sohnes nicht viel anfangen. Als Arzt und Leiter eines Krankenhauses hatte er andere Pläne mit seinem Erstgeborenen. Wie viele Söhne dieser Zeit, wurde von Hermann erwartet, beruflich in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Nach Ansicht des Vaters standen Hermann seine Träumereien dabei nur im Weg. Allen väterlichen Widerständen zum Trotz schaffte Hermann es dennoch, seinen eigenen Weg zu gehen.
"Ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Es gab kein Oben mehr und kein Unten, so fühlte sich die Schwerelosigkeit an, so war es, durch den Weltraum zu gleiten!"
Wir begleiten den Physiker in unregelmäßigen Zeitsprüngen durch sein Leben. Er übersteht den 1. Weltkrieg, heiratet seine Frau Tilla, bekommt mit ihr vier Kinder. Er versucht, als Wissenschaftler Anerkennung zu erlangen, was gerade am Anfang nicht leicht war, da seine Vision von einer Rakete als Unfug abgetan wurde. Die Physik steckte damals noch in den Kinderschuhen und wurde zunächst der Esotherik zugeordnet, wofür etliche Scharlatane gesorgt haben, die sich durch abstruse Theorien einen fragwürdigen Ruf erworben haben. Von einer erstzunehmenden Wissenschaft war die Physik zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt. Hermanns verrückte Raketenvisionen passten zunächst ganz gut in diese Szenerie.
Erst mit dem 2. Weltkrieg fanden seine Ideen größere Beachtung. Insbesondere die Überlegung, mit einer Rakete nicht nur ins All fliegen zu können, sondern diese auch als Super-Waffe einsetzen zu können, besaß für die Kriegsparteien einen großen Charme. Nazi-Deutschland finanzierte ein groß angelegtes Forschungsprogramm, an dem auch Hermann Oberth mitarbeitete. Für dieses Projekt trug Wernher von Braun, ein weiterer Pionier der Raketenforschung, welcher bei Hermann Oberth gelernt hatte, die Verantwortung. Nach dem Krieg ging Hermann Oberth zusammen mit Wernher von Braun nach Amerika, um hier die Forschungen fortzusetzen. Der Roman endet mit dem Start der amerikanischen Rakete Apollo 11, der ersten bemannten Raumfahrtmission mit einer Mondlandung.
"Früher hatte er einen Kampf führen und die Welt überzeugen müssen, dass es überhaupt möglich war, zum Mond zu kommen. Doch nun glaubten die Menschen das längst, und sie würden dorthin fliegen, früher oder später."
Welches Bild vermittelte mit der Autor Daniel Mellem von dem Physiker Hermann Oberth?
Es gibt nur sehr wenige belastbare Quellen, die Hermann Oberth und sein Leben beschreiben. Diese Quellen hat Daniel Mellem als Grundlage für seine Romanfigur genutzt und diese durch seine eigenen Überlegungen zum Charakter Hermann Oberth ergänzt.
Eingestiegen bin ich in dieses Buch, indem ich voller Ehrfurcht Hermann Oberth als Pionier und Genie der Physik betrachtet habe. Beendet habe ich diesen Roman mit einem Hermann, der einzigartige Visionen hatte, aber nicht in der Lage war, diese umzusetzen, weil ihm seine Persönlichkeit im Weg stand. Der Mann war ein Theoretiker durch und durch, der sich an seiner Forschungsarbeit verbissen hat und dabei das Leben um sich herum vergessen hat. Mit profanen Dingen wie Alltag und Lebensführung wollte er sich nicht beschäftigen, konnte es vermutlich auch nicht. Ein Wunder, dass die Ehe zwischen seiner Frau Tilla und ihm zustande gekommen ist, von den 4 gemeinsamen Kindern ganz zu schweigen.
Hermann Oberths Visionen und Forschungen waren ihm wichtiger als alles andere, so dass sogar seine Familie zur Nebensache wurde.
Leider war er nicht in der Lage, sich mit anderen Menschen auseinander zu setzen. In seine Forschungen ließ er sich nicht gern reinreden, mit Kritik konnte er nicht umgehen. Das Ergebnis waren Überheblichkeit und Selbstüberschätzung, die dazu geführt haben, dass er über seine einzigartigen Visionen nicht hinausgekommen ist. Es blieb also bei der Theorie. Wenn andere Forscherkollegen, allen voran Wernher von Braun, nicht gewesen wären und hätten Oberths Visionen zur Realität werden lassen, hätte dieser sicher nicht seinen Ruhm erlangt.
"'Jahrelang hat mir niemand geglaubt und jetzt ist die Rakete endlich in der Welt und man treibt nur Schindluder damit!'"
Nun sollte man meinen, dass soviel negative Publicity, die ich hier Hermann Oberth zuteil werden lasse, ein Beleg dafür ist, dass mir dieser Roman nicht gefallen hat.
Ganz im Gegenteil! Ich habe diesen Roman sehr gern gelesen. Daniel Mellem hat es mir mit seiner lockeren und humorvollen Erzählweise dabei einfach gemacht. Es gibt Momente in diesem Buch, in denen der Autor seinen Protagonisten sehr tollpatschig erscheinen lässt. Dadurch betont er die menschliche Seite dieses Mannes und nimmt somit die Ehrfurcht vor dem Genie. Merke: "Es gibt kein großes Genie ohne einen Schuss Verrücktheit." (Aristoteles)
Die Geschichte von Hermann Oberth, die sich nicht von der Geschichte der Raketenwissenschaft trennen lässt, war hochinteressant und sehr informativ. Allerdings ist Hermann Oberth in diesem Roman ausschließlich als literarische Figur zu betrachten. Der Autor Daniel Mellem hat sich an die Fakten gehalten, hat sich aber auch einen Gestaltungsspielraum gelassen, was für die Darstellung eines literarischen Charakters völlig in Ordnung ist. Daher sollte man diesen Roman nicht mit der Absicht lesen, eine lückenlose Biographie über Hermann Oberth zu erhalten. Wer jedoch an einer unterhaltsamen, aber anspruchsvollen Geschichte über einen eigenwilligen, aber genialen Physiker interessiert ist, gepaart mit Informationen über die Entwicklung der Raketenforschung, wird hier voll auf seine Kosten kommen.
Leseempfehlung!
© Renie