Seiten

Dienstag, 27. Oktober 2020

Sue Monk Kidd: Das Buch Ana


Jesus Christus war verheiratet? Eine verrückte Idee, aber dennoch nicht abwegig. Denn Kleriker, Historiker und Wissenschaftler können schließlich auch irren. Außerdem haben Frauen in Religion und Geschichte schon immer eine untergeordnete Rolle gespielt. Daher würde mich nicht wundern, wenn eine mögliche Ehefrau von Jesus, bestenfalls nur "ferner liefen" in der Bibel erwähnt würde. Und wenn bekanntlich hinter jedem starken Mann eine starke Frau steht, könnte dies auch für Jesus gegolten haben.
Diese Überlegungen bilden die Grundlage für den Roman "Das Buch Ana" der amerikanischen Autorin Sue Monk Kidd, in welchem das Leben der Jüdin Ana beschrieben wird - der fiktiven Ehefrau von Jesus Christus.

Das Buch beginnt im Jahr 16 n. Chr.. Ich-Erzählerin Ana ist 14 Jahre alt. Sie lebt mit ihrer wohlhabenden Familie in Sepphoris in Galiläa. Der Vater ist oberster Schriftgelehrter und Berater des Herrschers Herodes Antipas. Im Unterschied zu den meisten Mädchen dieser Zeit hat Ana lesen und schreiben gelernt. Das Schreiben bietet ihr die Möglichkeit, Gedanken festzuhalten, die eine Frau nicht haben dürfte. Sie schreibt Geschichten über Dinge, die sie beschäftigen, und über die sie ansonsten mit keinem reden könnte. Denn es gibt nur sehr wenige Themen, mit denen sich eine Frau befassen sollte. Und diese Themen beschränken sich auf Ehe, Haushalt und Fortpflanzung. Das ist Ana zu wenig. Natürlich hält sie ihre Geschichten unter Verschluss. Ihr Vater hat ihr zwar die Möglichkeit geboten, Lesen und Schreiben zu lernen. Doch je näher sie dem heiratsfähigen Alter kommt, umso weniger werden diese Fähigkeiten von ihren Eltern geduldet.
"Eine halbe Millionen Schriftrollen und Kodizes waren in diesen heiligen Hallen untergebracht, und bis auf einige wenige waren sie alle von Männern verfasst. Was wir von der Welt wussten, das hatten Männer geschrieben."
Ana begegnet einem einfachen Mann aus dem Volk, der durch sein Charisma bleibenden Eindruck bei ihr hinterlässt. Es ist Jesus, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rolle spielt, die er einmal spielen wird. Anas Eltern haben Pläne für die Zukunft ihrer Tochter, die jedoch nicht dem entsprechen, was Ana möchte. Das Schicksal und Anas eigenwillige Persönlichkeit tragen dazu bei, dass Jesus und Ana heiraten. Von da an lebt Ana im Familienclan ihres Mannes. Anfangs hat die Tochter aus vornehmen Haus Schwierigkeiten, sich in ihr neues bescheidenes Leben einzufinden. Doch der willensstarken Frau gelingt es, ein fester Bestandteil dieser Familie zu werden. Ana, die von Kindheit an, die untergeordnete Rolle der Frau innerhalb der Gesellschaft instinktiv in Frage gestellt hat, hat in Jesus einen Ehemann gefunden, dem dieses Rollendenken völlig fremd ist und der Ana als gleichberechtigt behandelt. Die Beiden sind Seelenverwandte.
Jesus' Lebensweg wird irgendwann diejenige Richtung nehmen, die uns aus dem Neuen Testament bekannt ist. Doch Ana wird ihn dabei nur aus der Ferne unterstützen können. Denn ihr Selbstbewusstsein und ihre starke Persönlichkeit haben dazu beigetragen, dass sie sich Feinde gemacht hat. Sie ist gezwungen, das Land zu verlassen. Erst Jahre später werden die Beiden sich wiedersehen - allerdings unter entsetzlichen Umständen.
"So war das, seit wir verheiratet waren - diese Hingabe an Gott, diese Labsal -, und ich hatte mich nie daran gestört, doch als ich ihm heute nachblickte, wie er im Dämmerlicht davonging, begriff ich, was ich bislang übersehen hatte. Gott war der Boden unter seinen Füßen, er war der Himmel über ihm, er war die Luft, die er atmete, und das Wasser, das er trank. Und genau das versetzte mich in Unruhe."
Die Faszination an diesem Buch macht zweifelsohne die, für ihre Zeit ungewöhnliche Protagonistin Ana aus. Sie verkörpert in diesem Roman ein Frauenbild, das es zu dieser Zeit eigentlich gar nicht hätte geben dürfen: eine Feministin in einer von Männern dominierten Welt. Dabei hatte sie in dieser Rolle denkbar schlechte Voraussetzungen. Denn Frauenrechte gab es nicht. Frauen wurden als Besitz betrachtet, der ausschließlich dem Wohle des Mannes sowie der Fortpflanzung diente. Insofern ist eine Protagonistin wie Ana, die von klein auf bemüht ist, ihren eigenen Weg zu gehen und auf Augenhöhe und gleichberechtigt mit ihrem Mann zu leben, etwas sehr besonderes und Grund genug, sich für diesen Roman zu interessieren.

Sue Monk Ki erzählt die Geschichte von Ana vor dem Hintergrund des Neuen Testaments. Dabei verknüpft sie die Handlung um Ana mit den bekannten Überlieferungen um das Leben von Jesus Christus.  Die Geschehnisse sind daher bekannt, Protagonisten aus der Bibel finden auch in "Das Buch Ana" einen Platz. So ist z. B. Judas in diesem Roman der Bruder von Ana. 

"Das Buch Ana" ist ein spannender Frauenroman. Bis auf wenige Ausnahmen kommen Männer in dieser Geschichte nicht gut weg. Leider fällt mir die Einschätzung schwer, ob die Autorin einen trivialen oder einen anspruchsvollen Roman geschrieben hat. Von der Thematik her, ist dieser Roman sicherlich anspruchsvoll. Doch gab es Momente, in denen mich die Protagonistin eher an eine Heldin aus einer trivialen Romanreihe erinnert hat. Dazu hat mit Sicherheit der Sprachstil der Autorin beigetragen, der sehr lebhaft ist, aber auch blumig. Und an manchen Stellen einfach zu blumig.
"Wahrlich, ich sage euch, es gibt Zeiten, da sind Worte so glücklich, am Leben zu sein, dass sie auf ihren Tafeln und Schriftrollen lachen und tanzen und springen. So war das auch mit den Worten, die ich schrieb. Sie feierten, bis der Morgen graute."

Mein Fazit:
Dieser Roman konnte mich nicht völlig überzeugen. Die Grundidee, Jesus Christus eine selbstbewusste Ehefrau an seine Seite zu stellen, ist hervorragend. Die Geschichte dieser Frau ist packend erzählt. Die Überlieferungen aus dem Neuen Testament aus Sicht einer Frau zu schildern, war hochinteressant. Doch leider gab es einige triviale Momente in diesem Buch, die meine Freude an diesem Roman gemindert haben.

© Renie




Samstag, 17. Oktober 2020

Daniel Mellem: Die Erfindung des Countdowns

Quelle: Pixabay
Ich war nicht immer verrückt nach Büchern. Meine Leidenschaft für die Literatur hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. In meiner Schulzeit, als Brandt, Schmidt und Kohl noch Bundeskanzler waren ;-), war sie noch nicht vorhanden. Der Deutschunterricht war nicht meins. Was ich noch viel weniger mochte, waren allerdings die Naturwissenschaften, allen voran Physik. An meinem Desinteresse für diese Disziplin hat sich mit den Jahren nicht viel geändert. Daher wunderte es mich nicht, dass ich mit dem Namen Hermann Oberth nichts anfangen konnte, als dieser (der Name ;-)) mir vor Kurzem das erste Mal begegnete.

Hermann Oberth war ein Pionier auf dem Gebiet der Raketenforschung. Seine Visionen waren wegweisend für diese Wissenschaft, viele seiner Forschungen bildeten die Grundlage dessen, was heute durch den Weltraum schwirrt. Warum ich das auf einmal weiß? Ich habe ein Buch gelesen:
"Die Erfindung des Countdown" von Daniel Mellem. Der Autor, selbst promovierter Physiker, hat in seinem biografischen Roman die Geschichte dieses ungewöhnlichen Mannes erzählt.

Hermann Oberth ist 1894 in Siebenbürgen geboren und hat dort seine Kindheit verbracht. Siebenbürgen ist vielen vermutlich eher unter dem Namen Transsilvanien bekannt und liegt mitten im heutigen Rumänien. Hermann kam aus einer der vielen deutschstämmigen Familien, die damals in Siebenbürgen lebten. Der Roman, der in mehreren Episoden den größten Teil des Lebens dieses Physikers erzählt, setzt in der Kindheit von Hermann ein. Hier zeichnet sich bereits ab, dass der Junge anders als andere Kinder ist. Hermann ist überaus neugierig, er will den Dingen auf den Grund gehen. Der Klassiker "Reise zum Mond" von Jules Vernes ist dasjenige Buch, welches die ersten Anregungen für Hermanns Traum, mit einer Rakete das Weltall zu erforschen, liefert. Hermanns Vater konnte leider mit den Träumereien seines Sohnes nicht viel anfangen. Als Arzt und Leiter eines Krankenhauses hatte er andere Pläne mit seinem Erstgeborenen. Wie viele Söhne dieser Zeit, wurde von Hermann erwartet, beruflich in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Nach Ansicht des Vaters standen Hermann seine Träumereien dabei nur im Weg. Allen väterlichen Widerständen zum Trotz schaffte Hermann es dennoch, seinen eigenen Weg zu gehen. 
"Ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Es gab kein Oben mehr und kein Unten, so fühlte sich die Schwerelosigkeit an, so war es, durch den Weltraum zu gleiten!"
Wir begleiten den Physiker in unregelmäßigen Zeitsprüngen durch sein Leben. Er übersteht den 1. Weltkrieg, heiratet seine Frau Tilla, bekommt mit ihr vier Kinder. Er versucht, als Wissenschaftler Anerkennung zu erlangen, was gerade am Anfang nicht leicht war, da seine Vision von einer Rakete als Unfug abgetan wurde. Die Physik steckte damals noch in den Kinderschuhen und wurde zunächst der Esotherik zugeordnet, wofür etliche Scharlatane gesorgt haben, die sich durch abstruse Theorien einen fragwürdigen Ruf erworben haben. Von einer erstzunehmenden Wissenschaft war die Physik zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt. Hermanns verrückte Raketenvisionen passten zunächst ganz gut in diese Szenerie. 

Erst mit dem 2. Weltkrieg fanden seine Ideen größere Beachtung. Insbesondere die Überlegung, mit einer Rakete nicht nur ins All fliegen zu können, sondern diese auch als Super-Waffe einsetzen zu können, besaß für die Kriegsparteien einen großen Charme. Nazi-Deutschland finanzierte ein groß angelegtes Forschungsprogramm, an dem auch Hermann Oberth mitarbeitete. Für dieses Projekt trug Wernher von Braun, ein weiterer Pionier der Raketenforschung, welcher bei Hermann Oberth gelernt hatte, die Verantwortung. Nach dem Krieg ging Hermann Oberth zusammen mit Wernher von Braun nach Amerika, um hier die Forschungen fortzusetzen. Der Roman endet mit dem Start der amerikanischen Rakete Apollo 11, der ersten bemannten Raumfahrtmission mit einer Mondlandung.
"Früher hatte er einen Kampf führen und die Welt überzeugen müssen, dass es überhaupt möglich war, zum Mond zu kommen. Doch nun glaubten die Menschen das längst, und sie würden dorthin fliegen, früher oder später."
Welches Bild vermittelte mit der Autor Daniel Mellem von dem Physiker Hermann Oberth?

Es gibt nur sehr wenige belastbare Quellen, die Hermann Oberth und sein Leben beschreiben. Diese Quellen hat Daniel Mellem als Grundlage für seine Romanfigur genutzt und diese durch seine eigenen Überlegungen zum Charakter Hermann Oberth ergänzt. 

Eingestiegen bin ich in dieses Buch, indem ich voller Ehrfurcht Hermann Oberth als Pionier und Genie der Physik betrachtet habe. Beendet habe ich diesen Roman mit einem Hermann, der einzigartige Visionen hatte, aber nicht in der Lage war, diese umzusetzen, weil ihm seine Persönlichkeit im Weg stand. Der Mann war ein Theoretiker durch und durch, der sich an seiner Forschungsarbeit verbissen hat und dabei das Leben um sich herum vergessen hat. Mit profanen Dingen wie Alltag und Lebensführung wollte er sich nicht beschäftigen, konnte es vermutlich auch nicht. Ein Wunder, dass die Ehe zwischen seiner Frau Tilla und ihm zustande gekommen ist, von den 4 gemeinsamen Kindern ganz zu schweigen.

Hermann Oberths Visionen und Forschungen waren ihm wichtiger als alles andere, so dass sogar seine Familie zur Nebensache wurde. 
Leider war er nicht in der Lage, sich mit anderen Menschen auseinander zu setzen. In seine Forschungen ließ er sich nicht gern reinreden, mit Kritik konnte er nicht umgehen. Das Ergebnis waren Überheblichkeit und Selbstüberschätzung, die dazu geführt haben, dass er über seine einzigartigen Visionen nicht hinausgekommen ist. Es blieb also bei der Theorie. Wenn andere Forscherkollegen, allen voran Wernher von Braun, nicht gewesen wären und hätten Oberths Visionen zur Realität werden lassen, hätte dieser sicher nicht seinen Ruhm erlangt. 
"'Jahrelang hat mir niemand geglaubt und jetzt ist die Rakete endlich in der Welt und man treibt nur Schindluder damit!'"
Nun sollte man meinen, dass soviel negative Publicity, die ich hier Hermann Oberth zuteil werden lasse, ein Beleg dafür ist, dass mir dieser Roman nicht gefallen hat.

Ganz im Gegenteil! Ich habe diesen Roman sehr gern gelesen. Daniel Mellem hat es mir mit seiner lockeren und humorvollen Erzählweise dabei einfach gemacht. Es gibt Momente in diesem Buch, in denen der Autor seinen Protagonisten sehr tollpatschig erscheinen lässt. Dadurch betont er die menschliche Seite dieses Mannes und nimmt somit die Ehrfurcht vor dem Genie. Merke: "Es gibt kein großes Genie ohne einen Schuss Verrücktheit." (Aristoteles)

Die Geschichte von Hermann Oberth, die sich nicht von der Geschichte der Raketenwissenschaft trennen lässt, war hochinteressant und sehr informativ. Allerdings ist Hermann Oberth in diesem Roman ausschließlich als literarische Figur zu betrachten. Der Autor Daniel Mellem hat sich an die Fakten gehalten, hat sich aber auch einen Gestaltungsspielraum gelassen, was für die Darstellung eines literarischen Charakters völlig in Ordnung ist. Daher sollte man diesen Roman nicht mit der Absicht lesen, eine lückenlose Biographie über Hermann Oberth zu erhalten. Wer jedoch an einer unterhaltsamen, aber anspruchsvollen Geschichte über einen eigenwilligen, aber genialen Physiker interessiert ist, gepaart mit Informationen über die Entwicklung der Raketenforschung, wird hier voll auf seine Kosten kommen. 

Leseempfehlung!

© Renie


Samstag, 10. Oktober 2020

Christoph Poschenrieder: Der unsichtbare Roman

Quelle: Markus Winkler auf Unsplash
Das kann doch nicht wahr sein: Die Geschichte, die Christoph Poschenrieder in seinem Buch "Der unsichtbare Roman" erzählt, klingt so verrückt, dass sie ein Hirngespinst sein muss. Ist sie aber nicht. Denn der Autor macht in seinem aktuellen Roman das, was er immer macht und bis zur Perfektion beherrscht: er greift ein historisches Ereignis auf, nimmt es zum Thema für ein Buch und macht daraus einen Roman, der anspruchsvolle Unterhaltung und Tatsachen miteinander vereint. Dabei hält er sich streng an die historischen Vorgaben, die sich aus seiner Recherchearbeit für sein Buch ergeben haben.
Bei Poschenrieder muss es kein Großereignis sein. Auch die kleinen Dinge, die am Rand des Weltgeschehens stattfinden, können unglaublich spektakulär sein, wie "Der unsichtbare Roman" beweist.
Quelle: Diogenes
Diesmal wird ein Schuldiger für den 1. Weltkrieg gesucht und gefunden. Nichts einfacher als das. Ein Bevollmächtigter der deutschen Regierung sucht den Kontakt zu dem Bestseller-Autoren Gustav Meyrink (geboren 1868, gestorben 1932). Er beauftragt ihn damit, einen Roman zu schreiben, der die Schuldigen für den Ausbruch des 1. Weltkriegs benennt: die Freimaurer. Einer muss schließlich schuld sein. Und die Freimaurerei, deren Mitglieder einflussreiche Positionen in Politik, Wirtschaft und sonst wo bekleiden, bietet sich da an. Schließlich waren Freimaurer immer und irgendwie in Ereignisse involviert, die die Welt bewegten. Warum nicht auch dieses Mal?
"'Warum nicht die Freimaurer? Keiner traut ihnen, aber jeder traut ihnen alles zu. Es gibt sie überall. Sie tun geheimnisvoll. Jeder hat von ihnen gehört, keiner weiß etwas Genaues. Außer was die Leute sagen. Und die erzählen viel. Wenn man das ganze Brimborium wegpustet, bleibt nicht viel mehr als ein Karnevalsverein übrig."'
Auch wenn Meyrink sofort begreift, dass diese Anschuldigung jeglicher Grundlage entbehrt und seine literarische Kunst für Propagandazwecke der Regierung missbraucht werden soll, nimmt er das Angebot an. Schließlich muss er seinen teuren Lebenswandel und den seiner Familie finanzieren. Da muss man als ernsthafter Schriftsteller auch mal über seinen Schatten springen.
Doch dem ernsthaften Schriftsteller stehen dann doch sein Gewissen und seine Schriftsteller-Ehre im Weg. Meyrink fällt es schwer, eine passende Geschichte aus dem Ärmel zu schütteln. Und so quält er sich durch die Wochen und hält seine Auftraggeber hin. Doch am Ende wollen diese Ergebnisse sehen.

Christoph Poschenrieder lässt die Geschichte um den "unsichtbaren Roman" in den Jahren 1917 und 1918 stattfinden. Der 1. Weltkrieg ist in vollem Gange. Dennoch bekommt das Deutschland in Poschenrieders Roman, nicht viel davon mit. Poschenrieders Charaktere führen ein Leben, das vom Krieg scheinbar nicht beeinträchtigt wird. Der Alltag findet wie gewohnt statt. Wären da nicht diese kleinen Momente in diesem Buch, die wachrütteln und für Unbehagen sorgen. Das kann z. B. ein Soldat in einem Zugabteil sein, der seinen Heimaturlaub beendet hat und nun wieder an die Front muss, oder ein Krankentransport, der von der Front kommt und auf der Durchreise ist. Ohne diese kleinen Kriegsmomente wäre die Geschichte um Gustav Meyrink einfach nur eine amüsante Posse, die Poschenrieder scheinbar mit einem schelmischen Augenzwinkern erzählt: ein Autor, der dafür bezahlt wird, dass er falsche Gerüchte verbreitet und am Ende diese Aufgabe sehr eigenwillig interpretiert. 
Indem Poschenrieder den Krieg durch diese speziellen Momente nicht vergessen lässt, schafft er einen ernsten Hintergrund für seine Possengeschichte und nimmt ihr somit die Harmlosigkeit. 
"' ... Worte sind heute Schlachten Richtige Worte gewonnene Schlachten, falsche Worte verlorene Schlachten. Wir führen, neben dem stählernen dort draußen, einen Krieg der Worte.'"
"' ... Weniger das, was gesagt wird, ist wichtig, sondern, wer es sagt.'" 
Deutschland scheint ein Land der Verschwörungstheoretiker zu sein. Das war damals so, das ist auch heute so. Die Theorie, dass die Freimaurer für den Ausbruch des 1. Weltkrieges verantwortlich waren, war grober Unfug und ein Versuch, ein ganzes Volk auf den Arm zu nehmen. Das ist historisch belegt. Was uns Deutschen in Corona-Zeiten ein Unheil verkündender Koch namens Attila und ein Schlagerfuzzi namens Michael sind, wäre damals fast der renommierte Schriftsteller Gustav Meyrink geworden. Damals wurde bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien wenigstens noch Wert auf Niveau gelegt. Wie erfreulich, dass Meyrink am Ende sein Verstand und sein Gewissen im Weg standen. Die Idee einer Verschwörung blieb somit nur eine Idee. Fragt sich nur, wer unseren heutigen weltrettenden Corona-Aufklärern, den Floh ins Ohr gesetzt hat, dass u. a. Bill Gates und das Mobilfunknetz die Schuld an unserer Pandemie Misere haben. Aber ich befürchte, dass sie sich das allein ausgedacht haben oder -  was wahrscheinlicher ist - diese Hirngespinste irgendwo aufgeschnappt haben und nun in die Welt hinausplärren. Es wird ihnen hoffentlich für die Verbreitung dieses Schwachsinns keiner Geld gegeben haben. Doch das ist eine andere Verschwörungstheorie ;-)

Mein Fazit:
Ein grandioser Roman von Christoph Poschenrieder, der seine Aktualität wahrscheinlich nie verlieren wird. Denn Verschwörungstheoretiker wird es immer geben.
Leseempfehlung!

© Renie


Montag, 5. Oktober 2020

Joachim B. Schmidt: Kalmann

Island ist nicht nur für seine Natur  berühmt, sondern auch für seine ausgefallenen kulinarischen Köstlichkeiten. Eine davon ist das sehr spezielle Fischgericht "Hàkarl", auch bekannt als "Gammelhai". Das Grundrezept und die Zubereitung sind denkbar einfach, man benötigt nur ein bisschen Zeit und Geduld:  Man nehme einen handelsüblichen Grönlandhai - tot sollte er sein - und vergräbt ihn am Strand. Wenn kein Strand vorhanden sein sollte, kann man sicherlich auch den Garten nehmen. Doch besser empfiehlt sich eine Tonne, die sich luftdicht verschließen lässt. Dann muss man warten, je länger desto besser. Der Hai gammelt also vor sich hin. Nach ein paar Wochen sollte der Gammelprozess (biologisch: Fermentierung) abgeschlossen sein. Danach das verweste Fleisch wieder ausbuddeln, in kleine Stücke schneiden und genießen. Die Frage nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum stellt sich vermutlich nicht mehr. Als Getränk zum Gammelhai empfiehlt der Isländer Schnaps. Wer es stilecht mag, genießt daher seinen Gammelhai mit einem Brennivín. 
Ein Spezialist auf dem Gebiet der Hai-Verwesung ist Kalmann, Protgonist des gleichnamigen Romans von Joachim B. Schmidt. 
Quelle: Diogenes
"Man vermutet, dass die Räder in meinem Kopf rückwärtslaufen. Kam vor. Ist doch mir egal. Oder dass in meinem Kopf bloß Fischsuppe sei. Oder dass meine Leitungen falsch verbunden seien. Oder dass ich den IQ eines Schafes habe. Dabei können Schafe gar keinen IQ-Test machen."
Kalmann ist ein ganz besonderer Mensch, mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Er lebt in Raufarhövn, einem kleinen Ort irgendwo an der Küste Islands, kurz vor dem Nordpol (Luftlinie ca. 2.619 km). Hier ist er aufgewachsen, mittlerweile ist er 33 Jahre alt und lebt allein. Seine Tage verbringt er als Jäger, Fischer und Dorfsheriff. Letzteres nimmt er besonders ernst. Denn er fühlt sich verantwortlich für das Dorf. Die Bewohner haben sich an Kalmanns Anblick mit Sheriffstern, Cowboyhut und Knarre gewöhnt. Dies ist nicht das typische Outfit eines isländischen Polizeibeamten. Doch Kalmann ist auch kein Polizeibeamter. Er ist einfach Kalmann. Und Kalmanns Gedankenwelt ist herzerfrischend einfach. Das liegt daran, dass seine geistige Entwicklung irgendwo kurz vor der Pubertät stehen geblieben ist. Daher betrachtet er die Welt aus der Sicht eines Kindes, was in manchen Situationen nicht die schlechteste der Sichtweisen ist. Leider hat er Schwierigkeiten, seine Gedanken in Worte zu fassen. Denn seine Gedanken wollen schneller ausgesprochen werden, als Kalmann dazu in der Lage ist. Daher steht er auch nicht gern im Mittelpunkt.
Am wohlsten fühlt sich Kalmann, wenn sein Leben in geregelten Bahnen verläuft. Er ist ein Gewohnheitsmensch, wobei ihm seine Gewohnheiten den nötigen Halt geben, um mit seinen kindlichen Denkstrukturen in einer komplizierten Welt bestehen zu können. 
Sobald er in Situationen gerät, mit denen er nicht umgehen kann, wird er wütend. Diese Wut hat er leider nicht immer unter Kontrolle.
Die Menschen in Raufarhövn akzeptieren ihn jedoch so, wie er ist. Er ist ein fester Bestandteil der Dorfgemeinschaft. 

Und eines Tages passiert genau das, was nicht passieren darf. Ein wichtiges Mitglied der Dorfgemeinschaft wird vermisst. Die Blutlache, über die Kalmann stolpert, ist zunächst die einzige Spur, die es gibt. Und damit wird das Leben von Kalmann auf den Kopf gestellt.
"Wenn man die Person ist, die eine Leiche oder deren Überreste findet, und sei es auch nur eine Pfütze Blut, hat man etwas mit der Sache zu tun." 
Der Roman "Kalmann" scheint ein Krimi mit einem ganz besonderen Ermittler zu sein. Zumindest deutet Kalmanns Funktion als Dorfsheriff darauf hin. Tatsächlich spielt unser Held eine untergeordnete Rolle bei der polizeilichen Ermittlungsarbeit. Er ist nur derjenige, der ungewollt in den Mittelpunkt des Interesses von Polizei und Medien rückt. Die Suche nach dem Vermissten ist auch nur ein Aspekt dieses Buches, der zugegebenermaßen für Spannung sorgt, aber nicht den Reiz dieses Romans ausmacht.

Denn der Reiz dieses Buches liegt in dem Schauplatz der Handlung. Der Roman vermittelt ein großes Stück Landeskunde über Island, einem Land, das irgendwo am nördlichen Rand von Europa liegt, aber genauso gut das Ende der Welt darstellen könnte (geografisch betrachtet!). In Island scheinen die Uhren anders zu schlagen als für den Rest der Welt. Der Autor Joachim B. Schmidt, ein gebürtiger Schweizer, ist vor vielen Jahren nach Island ausgewandert. In "Kalmann" bringt er seine Erfahrungen und Eindrücke über dieses Land in geballter Form unter. Dabei entwickelt sich dieser Roman zu einem Quell unerschöpflichen Wissens, was isländische Landeskunde angeht. Dieses Wissen vermittelt der Autor auf sehr unterhaltsame und humorvolle Weise. Seine Schilderungen der isländischen Eigenheiten verursachen Staunen und machen definitiv neugierig auf dieses Land. Man wundert sich, was für ein besonderes Völkchen die Isländer sind, was sich sicherlich nicht nur an den eigenartigen Essgewohnheiten (s. Gammelhai) festmachen lässt.

Am Ende des Romans wird der Vermisstenfall übrigens aufgeklärt. Keine Frage, dass Kalmann einen großen Anteil an der Lösung des Falls hat. Unser Held, mit der Seele eines Kindes, wächst am Ende über sich hinaus und überrascht alle. Ein schöneres Ende eines Romans kann man sich kaum vorstellen.

Mein Fazit:
Der Roman hat mich verzaubert. Durch den besonderen Helden Kalmann und den Schauplatz Island habe ich eine Geschichte gelesen, die sich schwer mit anderen Krimis, Heldengeschichten oder was auch immer vergleichen lässt. "Kalmann" ist einzigartig - sowohl der Held als auch der Roman.

Leseempfehlung!

© Renie

Freitag, 2. Oktober 2020

Elsa Koester: Couscous mit Zimt

Quelle: Pixabay/tinakirk
Romane mit schmackhaften Titeln wie "Der Duft von Apfeltarte, "Ein Sommer voller Himbeereis" oder "Koriandergrün und Safranrot" assoziieren appetitliche Geschichten voller Leichtigkeit. Nicht selten sind diese Bücher der Trivialliteratur zuzuordnen.
Daher war ich sehr erstaunt, im Programm der Frankfurter Verlagsanstalten, also einem Verlag, den ich als Garant für  anspruchsvolle Literatur kennen- und schätzen gelernt habe, den Titel "Couscous mit Zimt" zu entdecken. Diese Diskrepanz zwischen "verdächtigem" Romantitel und renommiertem literarischem Ruf des Verlags hat mich neugierig gemacht, weshalb ich meine Vorbehalte mutig über Bord geworfen habe. Und jetzt, nachdem ich diesen Roman gelesen habe, steht fest: Trivial ist der Roman "Couscous mit Zimt" von Ella Koester ganz sicher nicht.

Worum es geht:
Der Roman erzählt die Geschichte der Frauen der Familie Bellanger, etwa von den 50er/60er Jahren bis in die Gegenwart. 

1. Generation: Lucille, eine Französin, die mit ihrer Familie lange Jahre in in der französischen Kolonie Tunesien gelebt hat und nach der Unabhängigkeit dieses Landes wieder nach Paris zurückgeht und hier bis zu ihrem Tod im hohen Alter von 105 Jahren leben wird. Lucille wird von der Familie "Mamie" genannt.

2. Generation: Solange und Marie, Töchter von Lucille, die Mädchen sind in Tunesien geboren und haben hier die ersten Jahre ihres Lebens verbracht. Insbesondere Marie wird Tunesien ihr Leben lang als ihre Heimat ansehen.

3. Generation: Lisa, Tochter von Marie, ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Mittlerweile ist sie Anfang 30. Sie hat eine enge Bindung zu ihrer Mutter Marie, die ihr viele Geschichten über ihre Kindheit sowie ihrer Familie erzählt. Über die Jahre hatte Lisa durch wenige Besuche in Frankreich nur sporadischen Kontakt zu ihrer französischen Großmutter Lucille. 
"Lisa hat nicht an den Geruch gedacht, denn natürlich, die Wohnung riecht nach Piment, Paprika und Zimt, gemischt mit abgestandenem Zigarettenqualm und modrigem Moschus, nach alter Frau in ungewaschenem Hauskleid mit Blümchenmuster. Natürlich, die Wohnung riecht nach Mamie."
Lisa soll nun die Wohnung ihrer Großmutter in Paris aufzulösen. Vor einiger Zeit ist diese im hohen Alter von 105 Jahren gestorben und hat diese Wohnung ihren beiden Töchtern Solange (Lisas Tante, die in der Nähe von Paris lebt) und Marie (Lisas Mutter) hinterlassen. Tante Solange hat sich nach dem Tod von Lucille sofort von ihrer Schwester auszahlen lassen. Daher ist die Pariser Wohnung nun in Maries alleinigem Besitz. Doch sie hat sich nie um diese Wohnung gekümmert. Nun ist sie selbst verstorben und hat ihrer Tochter Lisa die Aufgabe der Wohnungsauflösung in Paris überlassen.

Lisa reist also nach Paris. Hier wird sie mit Erinnerungen konfrontiert, die sowohl schön aber auch schmerzhaft sind. Die Frauen der Familie Bellanger waren und sind keine einfachen Menschen. Es ist offensichtlich dass das Familienleben bei jeder Generation Wunden hinterlassen hat.

Betrachtet man die ersten Kapitel dieses Romans, mag man jedoch zunächst nicht glauben, welche Konflikte die Frauen der Familie Bellanger austragen mussten. 
"Versteht das denn niemand, dass eine Frau es satthat, immer wieder wie ein Elefant durch die Gegend zu laufen, über neun Monate, um dann schon wieder jemanden an der Brust hängen zu haben, erst an der Brust und dann am Rockzipfel, über Jahre und Jahre? Wo gibt es das denn bitte sonst in der Natur, alle Tiere werden schneller selbstständig, einfach alle, nur diese kleinen Gören von Menschen nicht!" 
Der Einstieg in diesen Roman beginnt mit einem Kapitel, in dem die hochbetagte Lucille auf ihr Leben zurückblickt. Dabei präsentiert sie sich als eine Person, die zeitlebens ihre Frau gestanden hat, die selbstbewusst war und das Leben geliebt hat. Im Gegensatz zu vielen Frauen ihrer Generation hing ihr Lebensglück nicht vom Muttersein ab. Diese Einstellung macht sie sehr sympathisch. Trotzdem will man ihr die offen zur Schau gestellte Abneigung gegenüber Kindern nicht so recht abnehmen. Lucille scheint diesbezüglich Witze zu machen, die den Leser fröhlich einstimmen und ihn auf eine falsche Fährte locken. Nach diesem Einstieg in den Roman rechnet man mit einer Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt ein entspanntes und liebevolles Miteinander zwischen einer Mutter und ihren Töchtern steht. So wie sich Lucille dem Leser präsentiert hat, wird sie in dieser Familie zwar den Ton angeben. Doch da man sie als liebevolle Matriarchin einschätzt, gesteht man ihr dies gerne zu. 
Später wird sich dann herausstellen, dass der erste Eindruck nicht der richtige ist.

Die Erzählperspektive wechselt zwischen den Frauen der Familie Bellanger, maßgeblich kommen hier Enkelin Lisa und ihre Mutter Marie zu Wort. Die Perspektive von Lisa bewegt sich in der Gegenwart, unterbrochen von ihren Erinnerungen an die wenigen Besuche bei ihrer Großmutter sowie an die letzten Jahre mit ihrer Mutter Marie, die ihr Leben lang unter dem Einfluss ihrer Mutter Lucille zu leiden hatte. Maries Erinnerungen hingegen konzentrieren sich auf ihre  Kindheit in Tunesien und das Erwachsenwerden in Paris. Im Mittelpunkt steht dabei der Einfluss von Lucille, den diese ihr Leben lang auf Marie hatte. 

Dabei wird von Lucille ein völlig anderes Bild gezeigt, als jenes aus dem ersten Kapitel. Schenkt man den Erinnerungen von Marie Glauben, wundert man sich nicht, warum Marie ihr Leben lang mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte. Denn mit einer Mutter wie Lucille war es schwierig, als Tochter zu bestehen. 
"Sie war eine Lügnerin, hat sie gesagt. Lisa hat sie nicht verteidigt. Solange hat ihre Mutter angegriffen, und sie hat nichts gesagt. Weil sie sich nicht ganz sicher war. Vielleicht stimmt es ja. Lisas Mutter hat oft gelogen. Wenn sie getrunken hat, und sie hat oft getrunken oder Geschichten verdreht, und vielleicht hat sie diese Geschichte verdreht, fragen kann Lisa sie jedenfalls nicht mehr."
Es fällt nicht leicht, in diesem Roman Partei zu ergreifen. Denn auch Tante Solange gibt ihre Einschätzung über Mutter Lucille zum Besten. Zwar hat sie ihre Mutter als schwierig und eigenwillig in Erinnerung, hat aber dennoch eine völlig andere Sichtweise als ihre Schwester Marie, was die Mutter-Töchter-Beziehungen angeht. Die Wahrheit über Lucille und ihrem Verhältnis zu ihren Töchtern scheint also im Auge des Betrachters zu liegen.

Diese Thematik des Mutter-Tochter-Konflikts, in der die Autorin mit unterschiedlichen Sichtweisen spielt, hat mir ausgesprochen gut gefallen. 

Für mich hätte das konfliktgeladene Zusammenspiel der starken Frauencharaktere ausreichend Potenzial für einen herausragenden Roman gehabt. Doch die Autorin wollte scheinbar mehr, weswegen sie weitere unterschiedliche Themen in diesem Roman verpackt hat.

Einzig das Thema "Pieds Noirs" scheint für dass Zusammenspiel der Frauen Bellanger eine Rolle zu spielen. Unter "Pieds Noirs" versteht man französische Auswanderer, die in den damaligen Kolonien Tunesien, Marokko oder Algerien gelebt haben und später nach Frankreich zurückkehren mussten, so auch die Familie Bellanger. Durch die Unabhängigkeit der arabischen Länder in den 60ern, waren die französischen Kolonialisten nicht mehr erwünscht. Die Rückkehr nach Frankreich glich also einer Flucht. Und damals wie heute stoßen Flüchtlinge in der Gesellschaft auf Ablehnung.
"Ich frage mich, was das soll, Rückkehrer. Ich jedenfalls bin nicht zurückgekehrt, wenn du mich fragst, ich bin in Tunesien aufgewachsen, ich kannte gar nichts anderes, ..., ich bin in Tunesien geboren, und ich habe mich auch nie dazu entschieden, Tunesien zu verlassen und nach Frankreich zu gehen. Verschleppt wurde ich, meine Mutter hat mich aus meinem Heimatland nach Frankreich verschleppt."
Die Autorin schlägt einen Bogen zur heutigen Situation arabisch-stämmiger Flüchtlinge, mit der Lisa während ihres Aufenthalts in Paris konfrontiert wird. Diese Ähnlichkeit zwischen den sogenannten Pieds-Noirs-Familien und der heutigen Flüchtlingssituation lassen das Einbinden dieser Thematik in die Handlung also durchaus rechtfertigen. 

An dieser Stelle hätte die Autorin einen Schlussstrich ziehen sollen. 
Doch indem sie weitere gesellschaftspolitische und historische Themen aufgreift, welche die Handlung um die Frauen begleiten, lässt sie den Roman insgesamt überfrachtet erscheinen. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Mein Fazit:
Der Roman "Couscous mit Zimt" erzählt eine Familiengeschichte über 3 Generationen. Die Handlung wird dabei von den Konflikten, welche die weiblichen starken Charaktere zeitlebens geprägt haben, dominiert. Dieser Part des Romans hat mich gefesselt. Darüberhinaus greift die Autorin in ihrem Roman weitere gesellschaftskritische Themen auf, die für mich leider des Guten zuviel waren. Dieser Themen-Overflow hat meiner Begeisterung am Ende einen Dämpfer verpasst. 

© Renie