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"Als Großvater zu uns rausgefahren kam und mich und meine Schwester Lula abholte und zur Fähre karrte, ahnte ich nicht, dass alles bald noch viel schlimmer werden oder dass ich mich mit einem schießwütigen Zwerg zusammentun würde, mit dem Sohn eines Sklaven und mit einem großen, wütenden Eber, geschweige denn, dass ich mich unsterblich verlieben und jemand erschießen würde, aber genau so war's."
Dies ist der erste Satz des Romans „Das Dickicht“ von Joe R. Lansdale. Und wäre „Das Dickicht“ ein Kinofilm, wäre er mit Sicherheit von Quentin Tarrantino gedreht worden. Ein Western, der spannend, grotesk, skurril, humorvoll und vor allem blutig ist.
Joe R. Lansdale war mir bis dahin als Thriller-Autor ein Begriff, der seine Geschichten vorzugsweise im tiefsten Süden Amerikas angesiedelt hat. Aber, dass er auch ein Meister anderer Genres ist, stellt er mit „Das Dickicht“ unter Beweis.
Die glorreichen Wildwest-Zeiten stehen kurz vor ihrem Ende. Der Fortschritt hält in Texas langsam Einzug. Tatsächlich trifft man auf die ersten Ölbohrtürme, Automobile und Telefone. Dennoch sind Lansdales Protagonisten immer noch in guter alter Wildwest-Manier zu Pferd unterwegs und die Zeichen des Fortschritts werden mehr als exotisch wahrgenommen.
Mit Wildwest-Romantik hat Lansdales Western also herzlich wenig zu tun. Kein strahlender Held und Retter der Schwachen. Kein makelloses, quasi auf den Leib geschneidertes Cowboy-Outfit der Protagonisten, das schlimmstenfalls durch einen Blutfleck, verursacht durch eine saubere Schusswunde, verunreinigt wird – selbstverständlich auswaschbar. Bei Lansdale sind die Menschen schmuddelig, ihre Kleidung ist zusammengeklaut, passen irgendwie, meistens gar nicht, erfüllen aber ihren Zweck. Gestorben wird dreckig, brutal und qualvoll. Meistens durch Schüsse, die dem Erschossenen einige Körperteile wegballern. Hinzu kommt, dass bei Lansdale diejenigen, die töten und verletzen eine unvorstellbare Fantasie bei der Auswahl ihrer Mittel zutage legen.
Wer zart besaitet ist, braucht an dieser Stelle nicht weiterlesen. Denn der Roman ist eh nichts für ihn. Wer aber neugierig auf einen unkonventionellen Western ist, sollte unbedingt weiterlesen.
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"Allmählich wurde ich, wohin ich auch ging, mit dem Tod konfrontiert, und wenn ich es nicht selbst miterlebte, wurde mir davon erzählt."
In „Das Dickicht“, erzählt aus der Sicht des 16-jährigen Jack Parker, geht es um die Entführung von Jacks Schwester Lula. Zur falschen Zeit am falschen Ort und schon wird die 14-Jährige von üblen Kerlen zur Gespielin zwangsrekrutiert. Die üblen Kerle sind steckbrieflich gesuchte Mörder und Bankräuber. Auf ihre Ergreifung (Dead or alive) steht ein Kopfgeld aus – eines der wenigen Argumente, mit denen Jack zwei Kopfgeldjäger überzeugen kann, ihm bei der Befreiung von Lula zu helfen. Die beiden Kopfgeldjäger sind ein Farbiger und ein Zwerg. Jack muss nehmen, was er kriegen kann. Denn mit Hilfe der Sheriffs ist in einer gesetzlosen Zeit nicht zu rechnen. Also begeben sich die Drei auf eine waghalsige Verfolgungsjagd, die über mehrere Tage geht. Dabei wird ihr ungewöhnliches Grüppchen mit der Zeit um weitere Aussenseiter der Gesellschaft ergänzt. Am Ende kommt es natürlich zum Showdown, bei dem es einige Tote sowohl bei den Verfolgern als auch bei den Verfolgten geben wird.
Die Charaktere
Man hat den Eindruck, dass inmitten einer Gesellschaft von skrupellosen und selbstsüchtigen Menschen, die nach dem Motto „Fressen oder Gefressen werden“ leben, die Außenseiter die einzigen menschlichen Menschen sind. Blickt man hinter die Fassade von Jacks Kopfgeldjägern, zeigen sich Charaktere, die zwar ebenfalls nicht zimperlich sind, wenn es um ein Menschenleben geht, aber dennoch tiefgründige Seiten offenbaren. Insbesondere der Zwerg ist ein Brunnen an Lebensweisheit und Wissen.
Jack hat anfangs natürlich seine Schwierigkeiten, mit den Männern zurechtzukommen, die nicht vor Gewalt zurückschrecken, wenn sie erforderlich ist. Er ist anfangs noch ein Kind, der von jetzt auf sofort seinen Mann stehen muss. Durch seine christliche Erziehung gerät Jack in manchen Gewissenskonflikt während er mit seinen Begleitern auf der Straße der Gewalt unterwegs ist. Aber er scheint an diesen Konflikten zu reifen und tut am Ende das, was getan werden muss.
Die Truppe, die mit der Zeit größer wird, wächst am Ende zusammen. Hat man sich anfangs nur geduldet, da man ein gemeinsames Ziel hatte, stehen am Ende Freundschaften auf Lebenszeit.
"In gewissem Maße ist es mit der Sünde wie mit Kaffee. Als ich klein war und zum ersten Mal davon kostete, fand ich ihn bitter und ekelhaft, aber später machte ich dann immer etwas Milch rein, und irgendwann trank ich ihn schwarz. Mit der Sünde ist es genauso. Erst süßt man sie ein wenig mit Lügen, und irgendwann schmeckt sie einem unverdünnt."
Der Humor
Die Geschichte an sich ist für einen Western nicht ungewöhnlich. Gut gegen Böse, und am Ende gewinnen die Guten.
Was sie jedoch ungewöhnlich macht, ist die Art, wie sie erzählt wird. Denn trotz aller Brutalität und Gewalt schwingt eine gehörige Portion Galgenhumor durch. Lansdale hat nicht mit Situationskomik gespart. Es sind nicht nur seine ungewöhnlichen Charaktere, die für Skurrilität sorgen, sondern insbesondere ihre Dialoge. Die Protagonisten schenken sich nichts und liefern sich verbale Schlagabtausche, die richtig Spaß machen.
Leseempfehlung!
© Renie