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"Ellroy ist der wohl wahnsinnigste unter den lebenden Dichtern und Triebtätern der amerikanischen Literatur." (Süddeutsche Zeitung)
"Er schreibt die blutigsten Krimis Amerikas." (ZEITmagazin)
"Anarchisch kaputt, sexbesessen und mit einem unheimlichen Gespür für alles Pathologische, Zerstörerische ... Aus seinen Büchern weht der Wind des Bösen." (Bücherjournal)
Nimmt man die Pressemeldungen für bare Münze, scheint James Ellroy auf der dunklen Seite der Literatur zu leben. Seine Romane sind düster, brutal, verstörend, Angst einflößend. In ihnen scheint Ellroy den schwarzen Teil seiner Seele auszuleben. Welche Motivation ihn dabei antreibt, schildert er in seinem autobiografischen Roman "Die Rothaarige". Die Geschichte, die er hier erzählt, ist einfach unvorstellbar: Als Ellroy 8 Jahre alt ist, wird seine Mutter brutal ermordet. Ihr Tod wurde nie aufgeklärt. Nach ca. 40 Jahren entschließt sich nun Ellroy, die Aufklärung selbst in die Hand zu nehmen. Von diesem Aufklärungsversuch und den Hintergründen des Verbrechens handelt dieser Roman.
"Ich dachte, ich würde dich kennen. Ich tat meinen kindischen Hass als intimes Wissen ab. Ich habe nie um dich getrauert. Ich habe die Erinnerung an dich bekämpft." (S. 118)
Der Roman ist in 4 Teile gegliedert:
1. Der Mord
Im Juni 1958 wird die Leiche von Jean Ellroy gefunden. Sie wurde vergewaltigt und erdrosselt. Die Hintergründe der Tat sind unbekannt. Potenzielle Täter gibt es einige. Zeugenbefragungen bringen ein paar Spuren, die jedoch im Sande verlaufen. Dieser Teil des Romanes liest sich wie ein Polizeibericht und liefert ein genaues Bild der Polizeiarbeit im früheren Los Angeles. Bezeichnend für die Polizei der damaligen Zeit war ein hohes Maß an Korruption und das Verfolgen persönlicher Interessen. Die Verbrechensquote war extrem hoch, die Aufklärungsquote relativ gering. Die Polizei ertrank förmlich in Mordfällen, so dass ein Mord wie der an Jean Ellroy schnell ad acta gelegt wurde. Man konzentrierte sich lieber auf Mordfälle, die eine höhere Chance einer Aufklärung boten. Ellroy vermittelt dabei ein hässliches Bild von Los Angeles, das wenig mit der schillernden und glamourösen Stadt der Engel zu tun hat.
In diesem ersten Teil nimmt James Ellroy eine Nebenrolle ein. Trotzdem er der kleine Junge ist, dessen Mutter gerade ermordet wurde, bleibt er im Hintergrund. Man erfährt nichts über sein Seelenleben. Bestenfalls präsentiert er sich bei den Ermittlungsarbeiten als einer von vielen Zeugen. Denn er wird von der Polizei wiederholt zu dem Verhältnis seiner Eltern befragt. Das Foto des Buchcovers zeigt im Übrigen den kleinen James in einer, von der Presse konstruierten Situation, zu einem Zeitpunkt, an dem das Verbrechen an Ellroys Mutter noch von öffentlichem Interesse war. Doch dieses Interesse hielt leider nicht lange an. Erst Jahre später, als Ellroy als Schriftsteller bekannt ist, kommt dieses Interesse wieder hoch.
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"Ein Mann mit einer Kamera ging mit mir nach hinten zu Mr. Kryckis Geräteschuppen. Er drückte mir eine Ahle in die Hand und stellte mich an eine Werkbank. Ich hielt einen kleinen Holzblock fest und tat so, als würde ich ihn bearbeiten. Ich schaute in die Kamera - ohne zu blinzeln, zu lächeln, zu weinen oder zu zeigen, wie gut es mir ging." (S. 120)
2. James Ellroys Kindheit und sein Weg zum Schriftsteller
Der persönlichste und emotionalste Teil dieses Romans: Ellroy war ein Scheidungskind, instrumentalisiert von seinen Eltern, um ihn gegen den jeweils anderen Elternteil aufzubringen. Sein Vater hatte dabei die größere Überzeugungskraft und konnte James mit seiner Ablehnung und seiner Wut auf Mutter Jean anstecken. Anfangs himmelt James seinen Vater an. Erst Jahre später begreift er, dass sein Vater zeitlebens ein Schwätzer war, der sich sein berufliches wie menschliches Versagen schön reden konnte. Nach dem Tod seiner Mutter entwickelt sich James zu einem schwierigen Kind und Jugendlichen, der nach Aufmerksamkeit lechzt, indem er andere mit rassistischen Ansichten schockiert. Sein Rassismus ist für ihn lediglich Mittel zum Zweck. Ob seine Äußerungen im Widerspruch zu seiner tatsächlichen Überzeugung stehen, ist für mich leider nicht deutlich geworden. Sein Vater ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, so dass er nicht mitbekommt, dass sein Sohn immer mehr abdriftet: Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, Strafvollzug. James Ellroy nimmt alles mit und landet in der Gosse. Dass er schließlich wieder die Kurve kriegt und Schriftsteller wird, liegt unter Anderem an seiner Liebe zu Kriminalromanen, die er bereits in seiner Kindheit verschlungen hat und die seine Fantasie beflügelt haben. Die Verbrechen, von denen er liest, beschäftigen ihn. Er träumt sich eine brutale Wirklichkeit zurecht, in der seine Mutter nicht selten eine Rolle spielt. Es ist seine Art, sich seiner Mutter anzunähern. Dabei erkennt er, dass er sehr wenig über seine Mutter weiß. Das Bild, das er von ihr hatte, indoktriniert durch seinen Vater, erweist sich als zweifelhaft. Daran hat er Jahre zu knabbern. Vierzig Jahre später erkennt er, dass der einzige Weg, seine Mutter zu verstehen darin liegt, dass Verbrechen an ihr aufzuklären. Im Zuge der Nachforschungen erhofft er sich, dass ihm der Mensch Jean Ellroy näherkommt.
"Mein Vater war ein Lügner. Meine Mutter eine Schwindlerin. Ich hatte sie sechs Jahre zusammen und vier Jahre getrennt erlebt. Ich verbrachte weitere sieben Jahre mit meinem Vater. Immer wieder fing er von meiner Mutter an, nur um vernichtend über sie herzuziehen. Seine Tiraden waren selbstgefällig und gehässig. Seine Tiraden waren suspekt. Die letzten sieben Jahre seines Lebens verleumdete er meine Mutter bei jeder Gelegenheit." (S. 465)
3. Bill Stoner
Bill Stoner ist der Kriminalbeamte, mit dem James Ellroy versucht, das 40 Jahre zurückliegende Verbrechen an seiner Mutter aufzuklären. Anhand des langjährigen Polizeidienstes von Stoner, präsentiert Ellroy wie im ersten Teil ein Stück amerikanischer Polizeigeschichte. Bill Stoner geht in den Ruhestand. In den letzten Jahren hat er in der Abteilung für ungelöste Mordfälle gewirkt, wo er auch einige beachtliche Erfolge erzielen konnte. Der Leser lernt Stoner als einen erfahrenen, besonnenen und hartnäckigen Polizisten kennen, der sich an einem Mordfall festbeißen kann. Und solch einen Menschen braucht Ellroy, um an sein Ziel zu kommen.
4. Die Aufklärung des Mordes an Jean Ellroy
Stoner und Ellroy schweißt die lang andauernde Suche nach Jeans Mörder zusammen. Es gibt Momente der Hoffnung, aber auch der Verzweiflung. Viele Spuren erweisen sich als Sackgasse. Und trotzdem geben die beiden nie auf. Es ist schon faszinierend, wie es ihnen gelingt, ein Ermittlungspuzzle zusammenzusetzen, das seit über 40 Jahren herumliegt und dessen Einzelteile in großen Teilen Amerikas verstreut sind.
"Wir bekamen Namen aus der Akte. Wir bekamen Namen von alten Cops. Wir bekamen Namen von alten Kneipenhockern und Leuten, die ihr Leben lang nicht aus El Monte herausgekommen waren. Wir arbeiteten acht Monate lang an dem Fall. Wir säten Namen und ernteten Namen. Wir brachten keinen immer größer werdenden Kreis von Namen zustande. Wir hatten es mit einem ausgedehnten Ort und einem großen Abschnitt verlorener Zeit zu tun. Wir gaben nicht auf. (S. 409)
An diesem Roman hat mich zunächst die Idee fasziniert, ein Verbrechen, das 40 Jahre zurückliegt, aufklären zu wollen. Die größere Faszination ging jedoch im Verlauf der Handlung von James Ellroys Sprachstil aus.
Im ersten Teil wirkt der Roman wie der Text eines Polizeiberichtes: eine Aneinanderreihung von Fakten, sehr nüchtern dargestellt. Da dieser erste Teil auch gleichzeitig ein Bericht über die Ermittlungsarbeit ist, ging ich davon aus, dass sich der Sprachstil mit der Zeit ändern wird. Fehlanzeige! James Ellroy hat diesen Sprachstil beibehalten. Nun sollte man meinen, dass ein nüchterner und emotionsloser Sprachstil nicht gerade das probate Mittel ist, um Spannung zu vermitteln und den Leser zu fesseln. Wieder Fehlanzeige. Man wird sich wundern, wie wenig Stilmittel nötig sind, um den Leser zu packen und emotional zu berühren: James Ellroy konzentriert sich auf das Wesentliche. Keine Ausschmückungen, Adjektive oder bildhafte Sprache. Subjekt - Prädikat - Objekt ... mehr braucht James Ellroy nicht, um deutlich zu machen, dass nichts schlimmer sein kann als die Realität. Denn das muss man sich bei diesem Buch immer wieder vor Augen führen: James Ellroy berichtet über Fakten.
Fazit:
Ein faszinierender Roman, der mich durch die persönliche Geschichte des Autors überzeugt hat sowie dem fast unmöglichen Versuch, ein 40 Jahre altes Verbrechen aufzuklären. Hinzu kommt der unglaubliche Sprachstil des Autors, der mit ganz wenigen sprachlichen Mitteln eine ungeheure Spannung erzeugen kann. Leseempfehlung!
© Renie