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Sonntag, 8. Oktober 2017

John Williams: Nichts als die Nacht

Quelle: Pixabay/harutmovsisyan
Der Amerikaner John Williams hat sich seit der Wiederentdeckung und Neuauflage seines Romanes "Stoner" im Jahre 2006 posthum zum Kultautor entwickelt. Die meisten Leser, die sich mit den Büchern von Williams beschäftigen, sind von seinem kraftvollen Sprachstil angetan.

In der vorliegenden Novelle "Nichts als die Nacht" handelt es sich um das Erstlingswerk des Autors, das er im Alter von 22 Jahren geschrieben hat. Die Umstände, unter denen dieses Buch entstand, sind mehr als ungewöhnlich: Williams trat während des 2. Weltkrieges in das US Army Air Corps ein und wurde zum Kriegseinsatz nach Indien und Burma versetzt. Nach einem Flugzeugabsturz über dem Dschungel Burmas, wartete er schwerverletzt und von Todesangst geplagt auf seine Rettung. In dieser Zeit schrieb er sein Erstlingswerk "Nichts als die Nacht".
Quelle: dtv
"Dann aber glaubt er plötzlich, dass ihm nie ein Vorwurf für das gemacht werden konnte, was immer ihm auch im Laufe seines Lebens widerfuhr. Denn er handelte nicht aus eigenem Antrieb, hatte es nie getan. Irgendeine unsagbare Kraft drängte ihn von einem Ort zum anderen, und dies auf Wegen, die er vielleicht gar nicht nehmen wollte, durch Türen, von denen er nicht wusste, wohin sie führten, und es auch nicht wissen wollte. Alles war dunkel, namenlos, und er ging durch diese Dunkelheit." (S. 90)
"Nichts als die Nacht" behandelt 12 Stunden im Leben des Arthur Maxley. Während dieser 12 Stunden präsentiert sich dem Leser ein verstörter und seelisch zerrissener Protagonist, angetrieben von einer traumatischen Kindheitserinnerung, die er zwar zu unterdrücken weiß, die ihn aber trotzdem ständig unterschwellig begleitet. Diese Kindheitserinnerung scheint der Schlüssel zu seinen seelischen Problemen zu sein. Während dieser 12 Stunden wird Arthur nach einem morgendlichen Spaziergang einen Bekannten in einer Bar treffen. Später ist er mit seinem Vater verabredet, der aus beruflichen Gründen nur selten in Amerika ist, ebenfalls auf der Flucht vor der Vergangenheit. Zum Ende des Tages wird er wieder in einer Bar landen, wo durch ein banales Ereignis die Erinnerung, die ihn seelisch quält, auf einmal präsent sein wird. Er wird von einer Frau aus der Bar mit in ihre Wohnung genommen. Am Ende wird der Abend jedoch nicht so verlaufen wie beide gehofft haben.

Die Frage, welche den Leser von Beginn an beschäftigt, lautet: "Was ist in Arthurs Kindheit passiert, dass er zu dem geworden ist, der er ist?" Zum Ende wird der Leser zwar eine Antwort auf diese Frage erhalten. Doch trotzdem wird er nicht mit dieser Antwort zufrieden sein. Zu intensiv ist Arthurs innere Getriebenheit und das damit verbundene Gedankenchaos, das sich auf den Leser überträgt. Natürlich fragt man sich auch, wieviel John Williams in der Figur des Arthur Maxley steckt. Diese Frage lässt sich nur ansatzweise beantworten und lässt daher viel Raum für Spekulationen. Das hochinteressante Nachwort von Simon Strauß in der Ausgabe des dtv Verlages liefert dankenswerterweise einige Erklärungsansätze, die am Ende für ein wenig Entspannung und Ordnung in dem Gedankenchaos sorgen.
"Der Morgen hatte etwas an sich, was er nicht mochte, etwas, wie er fand, geradezu Obszönes. Es war, als erhöbe sich die Zeit allmorgendlich aufs Neue aus ihrem nächtlichen Grab, um über die Erde zu schleichen und sie sowie alles, was darauf wandelte, mit klammen Händen zu berühren. Und der Morgentau verströmte einen modrigen, übel riechenden Duft, der ihm so unangenehm in die Nase drang wie der muffige Geruch düsterer Zimmer in verlassenen Häusern." (S. 18)
Wer "Stoner" gelesen hat, wird sich fragen, ob diese Novelle wirklich von John Williams ist. Denn den wundervollen Sprachstil in dem "Stoner" geschrieben ist, der den Leser in einen Zustand innerer Ruhe versetzt, gibt es hier nicht. Stattdessen erwartet den Leser Zerrissenheit, Getriebenheit und Tragik. Das macht das Lesen sehr anstrengend, lässt man sich doch von dieser hohen Emotionalität anstecken. Der damals erst 22-jährige Williams, schriftstellerisch noch völlig unerfahren, entwickelte in seinem Erstlingswerk eine förmliche Gier nach der ultimativen Metapher. Ich bin sonst Freund einer metapherreichen Sprache. Doch hier war es mir einige Male des Guten zu viel. Zu abstrus und gezwungen wirkten die Sprachkonstruktionen. Simon Strauß erklärt dies in seinem Nachwort mit "dem jugendlichen Drang nach Vergegenwärtigung" und dem "allgegenwärtigem Wunsch nach Intensität, nach unbedingter Wirkung eines jungen Autors". Diesen Erklärungsansatz will ich gern akzeptieren. Glücklicherweise hat Williams diese Gier mit den Jahren in den Griff bekommen.

Fazit:
Dem Nachwort entnehme ich, dass John Williams sein Erstlingswerk in seinen späteren Jahren verleugnet hat. Der Verfasser des Nachworts vermutet, dass Williams die Geschichte "zu unfertig, zu verletzlich und angreifbar" erschien. Vielleicht war es dem späteren Williams auch einfach nur peinlich, was er als Jüngling in dieser damals hochdramatischen Situation im Dschungel fabriziert hat.

Wie auch immer, seine Selbstkritik ist meines Erachtens übertrieben. Denn diese Novelle ist nichts, wofür man sich schämen muss. Sie ist das Werk eines unerfahrenen Schriftstellers, der sich seine Todesangst von der Seele geschrieben hat. Dass daraus eine Geschichte entsteht, die verstörend und anstrengend ist, ist dabei nur verständlich.

© Renie





Über den Autor:
John Williams wurde 1922 in Texas geboren. Trotz seiner Begabung brach er sein Studium ab. Widerstrebend beteiligte er sich an den Kriegsvorbereitungen der Amerikaner und wurde Mitglied des Army Air Corps. Während dieser Zeit entstand die Erstfassung seines ersten Romans, der später von einem kleinen Verlag publiziert wurde. Williams erlangte an der University of Denver seinen Master. 1954 kehrte er als Dozent an diese Universität zurück und lehrte dort bis zu seiner Emeritierung 1985. Er veröffentlichte zwei Gedichtbände und vier Romane, von denen einer mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde.John Williams starb 1994 in Fayetteville, Arkansas. (Quelle: dtv)