Von Einem, der auszog, ein Mann von Welt zu werden. Dieser Eine ist Oppen Porter, ein Mann von 27 Jahren, der in allem etwas langsamer ist als andere. Doch, was genau ist ein Mann von Welt? Oppen hat seine eigene Definition und die versucht er, dem Leser in diesem Roman zu vermitteln.
Quelle: Suhrkamp/Insel |
Worum geht es in diesem Buch?
Oppen Porter, ein gutmütiger Riese, ein Kindskopf, stirbt. Glaubt er jedenfalls. 27 Jahre lang war sein Leben ereignislos, dann ging alles ganz schnell. Er hat seinen Vater begraben, er hat zum ersten Mal seinen kalifornischen Geburtsort verlassen und ist in die Stadt gezogen, er hat in einem Fastfood-Restaurant gearbeitet und einem Freund beigestanden, er hat sein Glück gesucht und gefunden. Und jetzt liegt er, davon ist er überzeugt, auf dem Totenbett. Doch bevor er abtritt, will er seinem ungeborenen Sohn hinterlassen, was er auf seinem abenteuerlichen Ausflug gelernt hat. Also schaltet er das Tonband an und erzählt: von seinen Begegnungen mit Menschen, die alle glauben, ihr Weg sei der beste für ihn. Von Carmen, die ihn so nimmt, wie er ist. Und von seiner Entschlossenheit, ein Mann von Welt zu werden. (Klappentext)
Oppen ist einfach unglaublich. Er ist ein Kind in der Gestalt eines Erwachsenen - eines sehr großen Erwachsenen (1,98 m). Er geht herrlich unbelastet auf die Dinge, die das Leben betreffen, zu. Er beschäftigt sich mit seinen Mitmenschen, mit Politik, Religion, das Arbeitsleben. Und dabei ist er völlig unvoreingenommen. Er beschäftigt sich ausführlich und geduldig mit seiner Umwelt und bildet sich am Ende eine Meinung. Seine Meinung ist jedoch selten im Einklang mit der Meinung anderer, insbesondere derjenigen, die nur sein Bestes wollen. Manche würden sagen, er sei naiv. Aber wie heißt es so schön: "Kindermund tut Wahrheit kund". Also sollte man Oppen genau zuhören, denn egal wie naiv seine Aussagen sind, in jeder steckt ein dicker Funken Wahrheit.
„…, aber ich weiß nicht mehr so richtig, was ich gesagt habe, es ist einfacher, sich daran zu erinnern, was andere Leute gesagt haben, als sich daran zu erinnern, was man selbst gesagt hat, deine Worte kommen aus deinem Kopf raus und ihre Worte kommen in deinen Kopf rein, das leuchtet ja ein, dass am Ende des Tages dein Kopf mit den Worten von jemand anderem voll ist.“ (S. 63 f)
Da ist seine Tante Liz, die in der Großstadt lebt.Sie führt ein angepasstes und spießiges Leben. Sie nimmt Oppen auf, nachdem sein Vater gestorben ist. Tante Liz ist der Meinung, dass er in seinem Geburtsort unter seinen Möglichkeiten gelebt hat, dass sein Vater ihn nicht genügend gefördert hat und Oppen deshalb von allen als der Dorftrottel angesehen wurde. Sie nimmt Oppen in ihre Obhut, beschafft ihm einen Job in einem Fastfood-Restaurant, besorgt ihm einen Psychiater und sorgt dafür, dass er die richtigen Freunde findet, indem sie ihn in einer religiösen Gemeinschaft unterbringt. Tante Liz bestimmt Oppen's Tagesablauf, sie weiß, was sein Bestes ist und hat ihn unter Kontrolle. Das denkt sie zumindest.
Roger ist der Chef des Fastfood-Restaurants, indem Tante Liz ihrem Oppen einen Hilfsjob besorgt hat. Roger ist von dem Verhaltenskodex der Fastfood-Kette überzeugt. Er macht es sich zur Aufgabe, Oppen in die Verhaltensregeln der Fastfood-Kette einzuweihen. Oppen versucht, diese Verhaltensregeln zu leben. Doch schnell stellt er fest, dass diese Regeln nicht wörtlich zu nehmen sind. Denn schließlich geht es nur darum, Burger und Pommes zu verkaufen. Der Verhaltenskodex, der das Wohl der Angestellten und Kunden zum Ziel haben sollte, ist nichts anderes als ein Hilfsmittel, um den Umsatz zu steigern.
Oppen's Psychiater, Dr. Rosenkleig, ist der verlängerte Arm von Tante Liz. Sie bezahlt ihn schließlich, also kann sie auch erwarten, dass er ihre Interessen vertritt, die natürlich nicht deckungsgleich mit denen Oppen's sind. Bei den Therapiegesprächen geht es also nicht so sehr um das Seelenleben von Oppen sondern darum, dass Dr. Rosenkleig Oppen's Seele im Sinne von Tante Liz zurechtbiegt.
Die Leuchtturmgemeinde mit ihrem geistigen Anführer Scott Valdez ist nach Tante Liz‘ Wunsch für Oppen‘s Freizeitgestaltung zuständig. Bei seiner Arbeit im Imbiss wird Oppen mit den ethischen Grundsätzen einer Fastfood-Kette konfrontiert, in der Leuchtturmgemeinde hat er es dagegen mit Bibel und Glaubenslehre zu tun. Oppen setzt sich mit der Religion auseinander. Er ist zwar etwas langsamer, was ihn jedoch nicht davon abhält, die Dinge kritisch zu hinterfragen.
„…, ich hatte angefangen, den Eindruck zu bekommen, dass Gott mich prüfte, dass, statt die Dinge selber zu prüfen, statt der Leiter in meiner eigenen klinischen Studie zu sein, Gott hier eine klinische Studie durchführte, in der ich das zentrale Testobjekt war, aber so kann man nicht leben,…, jeder mit ein bisschen Verstand im Kopf hätte mir sagen können, dass Gott kein ganzes Universum am Laufen hält, nur um mich zu prüfen. Und dennoch gab es die Bibel, und in der Bibel prüfte Gott ständig jemanden, immer wieder nahm sich Gott Zeit, um neben seinem sehr vollen Programm aus Erdbeben und Eroberungen und wunderbaren Sonnenuntergängen individuelle Frömmigkeit zu testen. So ein Denken kommt mir jetzt absurd vor, es erscheint mir auf fünf verschiedene Arten absurd, aber in diesem Moment war es sehr real.“ (S. 183)
Und dann ist da noch Paul Renfroe. Oppen bezeichnet ihn als Denkerkollegen. Paul ist ein Betrüger, den Oppen im Bus kennengelernt hat. Bei der Figur von Paul bin ich mir nicht sicher, ob es sich bei ihm um einen verkannten Philosophen handelt oder einfach um einen Spinner mit merkwürdigen Ansichten. Paul's Weltanschauung entspricht genauso wenig derjenigen der breiten Masse wie Oppen's. Wahrscheinlich verstehen die beiden sich deshalb so gut, weil sie herrlich über Gott und die Welt nachdenken und diskutieren können. Für Oppen ist er der einzige Freund, wobei die Freundschaft einseitig zu sein scheint. Oppen's Freundschaft wird in der Regel von Paul nur in Notsituationen eingefordert. Er scheint Oppen auszunutzen. Selbstlos wie dieser ist, steht er seinem Freund dann auch jedesmal zur Seite.
Oppen braucht zwar für alles etwas länger als andere, aber dafür ist er umso gründlicher. Wenn er eine Entscheidung trifft, kann man davon ausgehen, dass er sämtliche Argumente, die zu dieser Entscheidung geführt haben, genauestens abgewägt hat. Komisch, eigentlich selbstverständlich, dass man sich verschiedene Standpunkte anhört, bevor man selbst zu einer Meinung kommt. Nur warum gelingt es Oppen und allen anderen in seinem Umfeld nicht? Diejenigen, die Oppen's Bestes wollen, scheinen die wahren Unmündigen und Zurückgebliebenen zu sein - zumindest, wenn man sie mit den Augen eines Oppen Porter betrachtet.
„Für das Leben gibt es einfach keine Gebrauchsanweisung, es gibt keine Pfeile, die darauf verweisen, was wichtig ist und was nicht, man muss sich da so durchtasten, und wenn man tausend Jahre hätte, kömmte man es vielleicht allein schaffen, aber keiner kriegt tausend Jahre, die meisten kriegen nicht mal hundert, das Leben ist kurz, selbst wenn es lang ist, und deshalb müssen wir anderen Leuten zuhören, wir müssen anderen zuhören und dann auf Grundlage dessen, was wir gehört haben, selbst entscheiden, was wichtig ist und was nicht, was einfach erscheinen mag, aber in Wirklichkeit schwierig ist, denn wenn alle etwas glauben, dann ist es wahrscheinlich gerade nicht wahr.“ (S. 273)
Was ist ein Mann von Welt?
Anfangs hat Oppen das Bild des Mannes von Welt an materialistischen Dingen festgemacht. Wohlstand und Ansehen waren die Dinge, die für ihn erstrebenswert waren. Aber irgendwann löst er sich von diesem Bild und findet neue Kriterien, die den Mann von Welt ausmachen. Welche das sind? Es gibt einige Ansätze, die am Ende darauf hindeuten, was Oppen wichtig geworden ist. Leider bin ich nicht in der Lage, diese in Worte zu fassen. Ich kann nur spekulieren, was ich lieber bleiben lasse. Da soll jeder Leser seine eigene Antwort auf die Frage "Was ist ein Mann von Welt?" finden.
„Ich dachte, ich wäre nach Panorama City gekommen, um ein Mann von Welt zu werden, während ich tatsächlich nach Panorama City gekommen war, um mich in einen Spießer zu verwandeln, weil ich dachte, so würde man zu einem Mann von Welt. Hätte ich Erfolgt gehabt, wäre ich nie eines Besseren belehrt worden, wie man so sagt, dann wäre ich wirklich ein Spießer geworden und würde dir jetzt sagen, ich wäre ein Mann von Welt, und als Beweis würde ich meinen Golfschläger hochhalten.“ (S. 293)
Sprache
Die Roman ist aus der Sicht von Oppen (Ich-Erzähler) geschrieben. Seine Langsamkeit und Gründlichkeit findet sich auch in seinem Sprachstil wieder. Extrem lange Sätze und Wiederholungen machen das Lesen nicht leicht. Oppen kommt von "Hündchen auf Stöckchen". Das fordert Geduld und "Zuhörenkönnen" vom Leser. Aber am Ende macht sich die Geduld bezahlt. Denn wie ich bereits sagte: "Kindermund tut Wahrheit kund"!
„Es war ein ziemlicher Tiefpunkt. Aber Tiefpunkte sind wertvoller als Höhepunkte, denn wenn du einen Höhepunkt erreichst, willst du, dass es immer so weitergeht, was unmöglich ist, während du, wenn du einen Tiefpunkt erreichst, überall nach einem Ausweg suchst, und dabei siehst du Dinge, die dir vielleicht sonst gar nicht aufgefallen wären.“ (S. 152)
Fazit:
Dieser Roman ist lesenswert, wobei mich die Handlung eher überzeugt hat, als das Ende. Oppen's eigene Art, sich eine Meinung zu bilden, hat schon philosophischen Charakter. Die Denkansätze, die Oppen dem Leser dabei mit auf den Weg gibt, sind ungewöhnlich und bemerkenswert. Bei aller Ernsthaftigkeit der Themen, die hier angesprochen werden, kommt der Humor jedoch nicht zu kurz. Durch Oppen's kindliche Art und Ausdrucksweise wird man oft überrascht und kommt aus dem Schmunzeln nicht mehr raus. Ein toller Roman, der mir viel Freude gemacht hat!
© Renie