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Mittwoch, 30. Dezember 2015

Jahresrückblick 2015, Teil 2 (und sonst?)


Nachdem ich mich im ersten Teil meines Jahresrückblicks den Büchern gewidmet habe, möchte ich im 2. Teil darauf zurück blicken, was sonst noch so war.

Man Booker Prize Challenge

Ich bin immer wieder erstaunt, wieviele Challenges in der Buchblogger-Welt gerade laufen und auch für das nächste Jahr bereits avisiert sind. Eine beliebte Challenge ist der SuB-Abbau innerhalb eines bestimmten Zeitraumes. SuB-Abbau funktioniert bei mir nicht - egal, wieviel Zeit ich zur Verfügung habe. Daher habe ich mir eine Challenge auferlegt, die eher zu  bewältigen ist (das dachte ich zumindest): das Lesen sämtlicher Preisträger des Man Booker Prize, der seit 1969 jährlich vergeben wird. Angefangen habe ich damit im Juni. Gelesen habe ich bisher erst 4 Bücher (wie peinlich). Alle 4 Bücher waren sehr speziell, fernab von der Literatur, die man heutzutage in den Bestseller-Listen findet. Das Lesen dieser Bücher ist schon eine besondere Herausforderung für mich, der ich mich auch im nächsten Jahr stellen werde.

Renie's Leseweltreise

Beim Lesen auf Reisen gehen... Natürlich denkt man sofort an eine Reise der Fantasie, an wundervolle Geschichten, die einen den Alltag vergessen lassen.
Ich habe noch etwas anderes festgestellt. Beim Lesen kann man tatsächlich die Welt bereisen. Jeder Roman spielt an mindestens einem Schauplatz. Wie wäre es, wenn man auf einer Weltkarte einzeichnet, in welche Länder man beim Lesen entführt worden ist? Gesagt, getan. Mitte des Jahres ging es mit meiner Leseweltreise los. Im Juli hatte ich bereits 7 % der Länder dieser Erde bereist, mittlerweile bin ich bei 17 %. Dies entspricht 38 Länder, in die mich meine Bücher in den letzten Monaten geführt haben. Ich bin also viel rumgekommen.
rot = belesene Länder

Tatsächlich hat es mich zwischendurch auch noch in eine andere Welt verschlagen (Xerubian). Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich andere Welten und Planeten (für den Fall, dass ich Science Fiction lesen sollte) abbilden soll. Aber mir wird schon noch etwas einfallen.

Helden

Ab und zu tauchen in "Büchern" Charaktere auf, die mich ganz besonders beeindrucken. Das sind meine persönlichen Helden. Egal, ob Haupt- oder Nebencharakter - durch irgendetwas haben meine Helden an sich, das mich berührt. Ich habe daher eine Liste meiner großen und kleinen Helden erstellt, damit ich diese besonderen Charaktere nicht vergesse. Im letzten Jahr gab es tatsächlich jemanden, der mein Herz im Sturm erobert hat und somit mein Held 2015 geworden ist:
Muliks aus Xerubian  Aath Lan'Tis - ein kleiner Drache, mit einem Kämpferherz, der über sich hinausgewachsen ist. Auch die Kleinen können Großes leisten.

Und, wo wir gerade bei Helden sind .... 

Mit einem halben Jahr Blogger-Erfahrung kann man mich noch als Frischling bezeichnen. Ich habe in dieser Zeit viele wundervolle Bloggerkollegen kennengelernt, die mir das Blogger-Leben leicht gemacht haben, die mir die anfängliche Unsicherheit genommen haben und mich bestätigt haben, in den Dingen, die ich mache. Ich habe viel von diesen Kollegen gelernt - wahrscheinlich sind sie sich dessen gar nicht bewusst.
Und diese Blogger meine ich:
Parden von Litterae Artesque
Mira von Literatur

Und dann ist da noch Helmut Pöll, Autor von Die Elefanten meines Bruders und Chef meiner Lieblings-Leseplattform Whatchareadin, meine 2. Leseheimat - neben meinem Blog. Helmut hält die Fäden bei Whatchareadin zusammen, ist sehr kreativ und immer offen für die Vorschläge anderer. Und er hat einen exzellenten Buchgeschmack. In 2015 haben wir manches Buch zusammen gelesen. Diese Leserunden waren immer etwas Besonderes. 

So, das musste ich mal loswerden. Aber genug des Lobes. Ich danke Euch allen für den Spaß, den Ihr mir bereitet habt und freue mich auf viele gemeinsame Lesestunden mit Euch in 2016.

Dieses war der 2. Teil meines Jahresrückblicks. Einen dritten Teil, wird es nicht geben ... obwohl, Ideen hätte ich noch genug ;-) Tschüss 2015!

Eure Renie

Montag, 28. Dezember 2015

Jahresrückblick 2015 - Teil 1 (Die Bücher)

Als ich im Mai dieses Jahres den Blog von einer Blogger-Kollegin übernommen habe, war mir noch nicht klar, wieviel Spaß mir das Bloggen machen würde. Ich war eher skeptisch. Letztendlich habe ich einen Job, eine Familie, andere Hobbys außer Lesen. Da bleibt nicht viel Spielraum für andere Dinge. Und doch habe ich es irgendwie geschafft, den Spagat zwischen der Bloggerei und den anderen Dingen in meinem Leben hinzukriegen.
Wenn ich also auf die Bücher sehe, die ich in diesem Jahr gelesen und besprochen habe, bin ich überzeugt, dass ich mit meiner Entscheidung für das Bloggen alles richtig gemacht habe. Ich könnte jetzt eine Hitparade der Bücher erstellen, die ich gelesen habe, das Ganze noch durch gefloppte Bücher ergänzen, die gelesenen Bücher durchzählen ... und fertig wäre mein Jahresrückblick.
Dies wird jedoch den vielen unterschiedlichen Büchern nicht gerecht. Daher habe ich mich für meine ganz besondere Übersicht "meiner" Bücher 2015 entschieden (Die Bücher, die ich jetzt nennen werde, sind nicht alle in 2015 veröffentlicht worden. Es sind daher auch ältere Schätzchen dabei.)

... das spannendste Buch...
Ich bin mir immer noch nicht sicher, um welches Genre es sich handelt: Belletristik oder Krimi? Auf jeden Fall sehr gut gemacht, intelligent geschrieben, mit einem außergewöhnlichen Aufbau und spannend bis zum Schluss. War Harry Quebert ein Mörder? Viele Optionen waren möglich, spekuliert habe ich bis zum Schluss.

... das unheimlichste Buch ...
Aus dunklen Federn - eine Horroranthologie, herausgegeben von Sonja Rüther
Horror - nicht unbedingt mein Genre. Dank dieser Sammlung unheimlicher Kurzgeschichten - mal subtil spannend, mal blutig - habe ich Blut geleckt (ich liebe dieses Wortspiel ;-)). Horror ist vielfältig. Das hat mir diese Anthologie bewiesen.

... das Buch, das ich mit der größten Erwartungshaltung gelesen haben .....
Das 8. Leben von Nino Haratischwili
Ich hatte nur Gutes über dieses Buch gehört. Egal, in welchen Portalen und auf welchen Blogs ich unterwegs war, überall tauchte dieses Buch auf. Ich konnte einfach nicht daran vorbeigehen - auch, wenn mehr als 1200 Seiten sehr respekteinflößend sein können. Irgendwann habe ich mich dran gewagt. Leider wurde dieses Buch meiner Erwartung nicht gerecht. Es ist gut gemacht, hat ein interessantes Thema (Familienroman, mehrere Generationen, Georgien), aber deshalb in Verzückung auszubrechen? Der Funke ist bei mir nicht übergesprungen, auch, wenn ich bis zum Ende durchgehalten habe.

.... das entspannendste Buch....
Ein ganzes Leben von Robert Seethaler
Wie der Titel schon sagt, wird hier das ganze Leben eines Mannes in einem österreichischen Bergdorf zum Thema gemacht. Dabei strahlt die Geschichte eine Ruhe aus, die beim Lesen wohltuend entschleunigt.

... das beeindruckendste Buch .....
Schattenlicht (Gesamtausgabe) von Martin Bühler
Da findet jemand auf dem Dachboden die Tagebücher seines verstorbenen Vaters und macht daraus eine Biografie, die ein beeindruckendes Stück deutscher Zeitgeschichte dokumentiert. Schattenlicht ist ein sehr persönliches Buch, denn Martin Bühler lässt den Leser am Leben seiner Familie, insbesondere seines Vaters teilhaben. Davor habe ich sehr großen Respekt und möchte mich an dieser Stelle bei Martin Bühler bedanken. Deutsche Geschichte habe ich in dieser Form noch nicht erlebt.

... das Buch mit dem besten Plot .....
Weinhebers Koffer von Michel Bergmann
Die Idee, aus dem Kauf eines alten Koffers eine Geschichte zu zaubern, die mehrere Handlungsebenen, Schauplätze und Erzählperspektiven vereint und die alle durch diesen Koffer miteinander verbunden sind, ist schon sehr besonders.

... das "beste" Buch ....
Ein Leben mehr von Jocelyn Saucier
Bei diesem Buch stimmte einfach alles: das Thema, die Umsetzung, die Sprache, die Charaktere, der erste Satz, das Ende, das Cover .... Dieses Buch hat mich 100 %ig überzeugt und war mein Highlight in 2015.

... das traurigste Buch ....
Charlotte von David Foenkinos
Das Leben und Sterben der deutsch jüdischen Malerin Charlotte Salomon. Kein Buch hat mich derartig aufgewühlt und zu Tränen gerührt wie dieses.

... das lustigste Buch ....
Xerubian -Aath Lan'Tis von Andreas Hagemann
Ein Fantasy-Roman, mit außergewöhnlichen Charakteren, einer unglaublichen Geschichte, die voller Überraschungen steckt und einem äußerst fantasievollen Humor, der mich mehrfach zum Lachen gebracht hat

... das schönste Buch ....
Über Bord von Rudyard Kipling, in der Ausgabe der Edition Büchergilde
Ein Klassiker, neu aufgelegt, mit wundervollen Illustrationen. Ein Buch für alle Sinne.

... das schlechteste Buch ...
Ich wage es kaum zu schreiben. Den prämierten Roman eines Booker Prize-Trägers als schlechtestes Buch zu bezeichnen ist fast schon frevelhaft. Aber es gab einfach kein schlechteres Buch für mich in diesem Jahr.
Das schlechteste Buch war daher für mich
G von John Berger - zu chaotisch, zu experimentell, zu wirr, zu sinnlich ... das waren mir ein paar "zu" zuviel. 

© Renie

Samstag, 26. Dezember 2015

Aus dunklen Federn - Horroranthologie, herausgegeben von Sonja Rüther



Der Begriff Horrorliteratur (engl. horror = Entsetzen, Schauder) ist in der modernen Literaturwissenschaft eine Sammelbezeichnung für Werke, in denen Unheimliches, Makabres, Schreckenstaten, Furcht oder Abscheu erregende Ereignisse dargestellt werden. Die Bezeichnung umfasst also verschiedene literarische Genres wie z. B. Schauergeschichte oder Gothic Novel. Die Horrorliteratur ist an keine bestimmte literarische Gattung gebunden, am häufigsten ist sie in der Epik zu finden. Die Epik hat die bedeutsamsten Zeugnisse der Horrorliteratur hervorgebracht. Das liegt vor allem daran, dass epische Formen wie Roman, Erzählung, Novelle und Short Story besonders geeignet sind, um den Leser an den Gefühlserlebnissen anderer teilnehmen zu lassen. (Quelle: Bücher-wiki)

Ein hervorragendes Beispiel für die Vielseitigkeit der Horrorliteratur ist die Anthologie „Aus dunklen Federn“, herausgegeben von Sonja Rüther. Ich hatte bereits das Vergnügen, zwei ihrer Bücher zu lesen: ihren intelligenten Thriller „Blinde Sekunden“ sowie ihre originelle Horrorgeschichte „Eine Spur aus Frost und Blut“ - beides Bücher, die mich von ihrer Schreibkunst und ihrem Gespür für das Außergewöhnliche überzeugt haben.
Daher war ich gespannt, was Sonja Rüther zusammen mit ihren Schriftstellerkollegen in der Horroranthologie "Aus dunklen Federn" gezaubert hat.

Thomas Finn, Lena Falkenhagen, Markus Heitz, Hanka Jobke, Boris Koch, Sonja Rüther und Vincent Voss haben also ihre dunkle Feder gespitzt und Horrorgeschichten geschrieben, die unterschiedlicher nicht sein können, sowohl vom Stil her als auch von der Thematik. Diese Geschichten sorgen für Herzklopfen, hoher Pulsfrequenz und Grusel. Und am Ende ist man erstaunt, wie vielseitig Horrorgeschichten sein können.

In ihrem Vorwort beschreibt Sonja Rüther, wie es zu dieser Anthologie gekommen ist, wie sie die Autorinnen und Autoren für ihr Projekt begeistern konnte und welchen Spaß alle bei der Umsetzung dieser Idee hatten. Man merkt diesem Buch den Spaß an. Besonders gelungen sind dabei auch die Zeichnungen und Illustrationen der Autoren und Autorinnen, die diese im Zusammenhang mit ihrer Geschichte angefertigt haben. Diese Illustrationen sind der jeweiligen Geschichte vorausgestellt. Zeichnen ist nicht Jedermann's Sache. Insofern ist es umso bemerkenswerter, dass alle Beteiligten ihren Beitrag geleistet haben (Sonja kann scheinbar sehr überzeugend sein). Durch diese Illustrationen bekommt die Anthologie etwas sehr Persönliches und dadurch Besonderes.

Diese Geschichten findet man in der Sammlung:

Der Rummel von Hanka Jobke .....UNHEIMLICH …. 
Diese Geschichte ist der Appetitanreger in der Anthologie. Die Geschichte ist kurz, eigentlich passiert nicht viel.... eigentlich .... und doch macht sich Unbehagen breit. Wie bekommt Hanka Jobke das nur hin?

Keine sieben Tage von Boris Koch .... ENTSETZLICH .....
Eine Geschichte, erzählt aus der Sicht eines Kindes. Entsetzliches geschieht in einem Dorf. Nur, was genau? Keine sieben Tage, in denen sich in einem Dorf die Furcht zur Angst und von der Angst zum Horror entwickelt. Und dann ist das Leben wieder wie es war. 

O Tannenbaum von Sonja Rüther ....MAKABER .....
Die Weihnachtszeit bekommt in einer Familie mit einem Mal eine ganz besondere Bedeutung. Man kann daraus nur lernen. Von jetzt an werde ich meinen Weihnachtsbaum mit äußerster Sorgfalt auswählen.

Exemplum von Markus Heitz ... GEHEIMNISVOLL ....
Die Geschichte fängt harmlos an. Auf einmal ist da dieses Unbehagen, das sich langsam zu Entsetzen entwickelt. Plötzlich wird man mit Horrorszenarien konfrontiert, die es eigentlich nicht geben darf. Oder doch? Am Ende der Geschichte betrachtet man sein Spiegelbild mit ganz anderen Augen 


Alles ganz normal von Lena Falkenhagen ....VERZWEIFELT .....

Eine Schwangerschaft kann etwas Wundervolles sein, wenn da nicht diese Hormone wären. Und auf einmal wird aus einem Glücksgefühl ein Horrorgefühl.

Bittere Wahrheit von Tom Finn ... WAHNSINNIG ...
Eine Geschichte über einen Mann, der eine merkwürdige Art hat, mit Kritik umzugehen.

Menschliches Versagen von Hanka Jobke ...SCHAUDERHAFT ...
Die täglichen Hiobsbotschaften in den Medien lassen einen abstumpfen. Doch irgendwann horcht man auf. Woher kommen die tagtägliche Gewalt, das Böse und der Zorn. "Menschliches Versagen" bietet einen ungewöhnlichen Erklärungsansatz.

Farben des Frühlings von Vincent Voss .... GRAUENVOLL ....
Eine Geschichte über die schrecklich schöne Idylle eines Rapsfeldes.

Destruenten von Vincent Voss ... GRUSELIG ...
In dieser Geschichte geht es um die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. Man sollte meinen, dass dies schon Horror genug ist. Aber Vincent Voss bringt noch einen ganz anderen Horror ins Spiel.

Fräulein Angstfrei von Markus Heitz .... NERVENKITZEL .....
Eine Geschichte, die dem Märchen "Von Einem, der auszog das Fürchten zu lernen." nachempfunden ist.

Walpurgia von Sonja Rüther ... ABSCHEULICH....
Eine Geschichte über eine einsame Frau, die mit ihrer neuen Freundin die Festtage verbringen möchte. Einsamkeit macht wunderlich!


Die Geschichten behandeln Alltägliches aber auch Besonderes. Einige dieser Geschichten sind makaber und komisch, andere sind gruselig und fantastisch. Die Horrorszenarien, die hier kreiert werden, finden Zuhause statt, aber auch im Irgendwo. Die Geschichten können einen subtilen Horror vermitteln, der beim Leser ein anfängliches Unbehagen verursacht, das sich irgendwann steigert und am Ende für erhöhten Puls sorgt. Diese Geschichten kommen ohne viel Blut aus, denn sie spielen mit der Psyche des Lesers und sprechen die dunkle Fantasie an, die wohl in jedem von uns schlummert.
Es gibt aber auch diejenigen Geschichten, die mit Blut geschrieben sind und Ekel verursachen. Und trotzdem liest man diese Geschichten, denn auch Ekel übt eine Faszination aus. Insofern gehören blutrünstige Geschichten einfach zu einer Horror-Anthologie dazu.
Der Leser wird am Ende selbst entscheiden, welcher Horror bei ihm den größten Nervenkitzel verursacht hat.
Bei mir waren es eindeutig die Kurzgeschichten der AutorINNEN. Hier kam der Horror subtil rüber. Wenig Blut, viel Spannung und viel Nervenkitzel! Es geht doch nichts über die dunkle Seite einer Frau.

Ich habe dieses Buch im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin gelesen. Ich habe selten eine Leserunde erlebt, die so lebhaft und lustig war wie diese - was wahrscheinlich auch daran lag, dass die Schriftsteller klar in der Überzahl waren. Da gab es keine Zurückhaltung - weder auf Autoren- noch auf Leserseite. Hier wurde frei "von der Leber" kommentiert, was diese Leserunde zu einem besonderen Erlebnis machte.

Bisher habe ich auf meinem Blog nur ein einziges Horrorbuch besprochen. Insofern kann man nicht behaupten, dass Horror eines meiner bevorzugten Genres ist - das wird es auch nie werden. Und trotzdem habe ich Blut geleckt. Diese Vielfalt des Horrors in "Aus dunklen Federn" hat mich einfach überzeugt. Sollte mir also zukünftig ein interessantes Horrorbuch vor die Lesebrille kommen, wird es vorbehaltlos gelesen. Auf jeden Fall warte ich bereits voller Ungeduld auf die Fortsetzung "Aus dunklen Federn 2", die im Frühjahr 2016 erscheinen soll.

© Renie


Aus dunklen Federn, herausgeben von Sonja Rüther

ISBN 978-3981557466

Mittwoch, 16. Dezember 2015

Titus Müller: Stille Nacht

Sollte man eine Liste bekannter Weihnachtslieder erstellen, stünde das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ ganz weit oben. Weihnachten ohne dieses stimmungsvolle Lied ist nicht vorstellbar. Aber wo hat es seinen Ursprung? Wer hat es geschrieben? 

Die Erzählung „Stille Nacht“ von Titus Müller behandelt das Leben des Musikers und Geistlichen Joseph Mohr, der den Text zu diesem Lied geschrieben hat.



Worum geht es in dieser Erzählung?:
"Stille Nacht, heilige Nacht" – am Heiligabend 1818 erklang das Lied zum ersten Mal. Heute gilt es als das bekannteste Weihnachtslied der Welt. Eingewoben in eine Geschichte voller Licht und Schatten, Brüche und Versöhnung erzählt Titus Müller, wie es entstand. (Quelle: Klappentext)

Joseph Mohr ist ein tieftrauriger Mensch. Als uneheliches Kind hat er es bisher in seinem Leben nicht leicht gehabt. Denn unehelich geboren zu sein, war in der damaligen Zeit ein Makel, der nicht nur an der Mutter haftete sondern insbesondere an dem Kind. Dieser Makel hat Joseph bisher nur Steine in seinen Lebensweg gelegt. Trotz aller Widerstände hat Joseph es jedoch bis zum Hilfsgeistlichen gebracht. Ein Umstand, den er sicherlich seinem besonderen Talent – der Musikalität – zu verdanken hat. Nun ist er auf der Suche nach seinen familiären Wurzeln. 
„‘Philosophie, Musik, Theologie – das habe ich alles für ihn studiert. Und dann, als ich endlich meinte, gut genug zu sein, um von ihm geliebt und akzeptiert zu werden, und mich mithilfe meiner Mutter auf die Suche nach ihm gemacht hatte, musste ich hören, dass er gerade gestorben war. Er ist gegangen, ohne mir Lebewohl zu sagen. Ohne mich auch nur einmal anzusehen, bloß anzusehen, und seinen Sohn zu nennen.‘“ (S. 11)
In seiner neuen Gemeinde lebt sein Großvater – der Vater seines Vaters. Von ihm erhofft sich Joseph die Zuneigung, die ein Enkel normalerweise von einem Großvater bekommt. Die beiden haben jedoch kaum Gelegenheit sich kennenzulernen. Der Großvater stirbt nach kurzer Zeit und Joseph ist wieder allein. Er ist Geistlicher mit Leib und Seele. Er liebt die Menschen und versucht sich der Sorgen und Probleme seiner Gemeindemitglieder anzunehmen. Nach Außen hin wirkt er freundlich und offenherzig, doch in seinem tiefsten Innern bleibt diese Traurigkeit. Einzig in seiner Musik findet er Trost.
„Sie hörte Musik. War das eine Gitarre? Und wer sang dazu? ... Sanft und verletzlich hörte sich die Stimme an. Das musste Joseph Mohr sein. Man hörte seine Seele singen. Er stand nicht stark über den Dingen und beherrschte sie, nein, auch er war herumgestoßen worden, das hörte sie deutlich, er kannte einen Schmerz, der mit ihrem verwandt war.“ (S. 66)
Sophie lebt ebenfalls in der Gemeinde. Sie ist mit einem Flussschiffer verheiratet und hat jeden Tag aufs Neue zu kämpfen, um ihre Familie satt zu bekommen. Ihr größter Wunsch ist, dass ihr Sohn es später besser im Leben hat. Seine Schulbildung liegt ihr am Herzen – sehr zum Unwillen ihres Mannes Karl, für den die Schulbildung seines Sohnes überflüssig ist. Denn schließlich soll der Junge so schnell wie möglich in die Fußstapfen seines Vaters treten. Die Ehe von Sophie und Karl ist zerrüttet. Nur aus Rücksichtnahme auf ihren Sohn bleibt sie bei Karl.
Und natürlich fühlt sich Sophie zu den Hilfspfarrer Joseph Mohr hingezogen. Denn er ist so anders als ihr Ehemann. Mit Joseph kann sie reden, fühlt sich von ihm verstanden. Auch Joseph empfindet etwas für sie. Doch am Ende widersteht er der Versuchung und ordnet seine Gefühle den Pflichten eines Geistlichen unter.
„Sophie fühlte sich angeregt von seinen Worten. Er machte die Welt größer. Und er sah mehr Verantwortung bei den Menschen als bei der Geisterwelt. Ein gewöhnlicher Priester war das nicht.“ (S. 48)
Das Dorf, in dem die Geschichte spielt, ist arm. Es besteht aus Bauern und Flussschiffern. Die Familien in dem Dorf leben am Limit, mit wenig Hoffnung, dass es ihnen eines Tages besser gehen wird.
Die Sorgen seiner Gemeinde, genauso wie seine eigene Traurigkeit bringen Joseph am Ende dazu, dieses Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ zu schreiben. Er möchte damit seinen Mitmenschen und sich selbst ein Stück Hoffnung geben.

Titus Müller hat mit dieser Erzählung ein wundervolles Buch für die Weihnachtszeit geschrieben. Insbesondere sein bildhafter Sprachstil trägt dazu bei, dass man sich in eine weihnachtliche und winterliche Stimmung versetzt fühlt. Bei Titus Müller häuft sich Schnee zu „märchenhaften Formen“ auf, „stäubt“ von den Dächern und treibt in „weißen Schwaden“ durch die Straßen. Das ist einfach nur schön! Und schon ist man verzaubert!

Tatsächlich ist dies jedoch keine reine Weihnachtserzählung. Der Höhepunkt der Geschichte findet zwar an Weihnachten statt, aber tatsächlich stehen andere Dinge im Vordergrund. Am Ende wird man feststellen, dass es in diesem Buch in erster Linie um die Menschen geht: um Joseph, um Sophie und ihrer Familie sowie der Gemeinde von Joseph. Es geht um Liebe und Schmerz sowie Trauer und Hoffnung. Es ist eine Geschichte, die berührt, aber weder sentimental noch rührselig ist. 

© Renie

Stille Nacht von Titus Müller, erschienen im adeo Verlag
ISBN 9783863340742






Donnerstag, 10. Dezember 2015

Carl Nixon: Lucky Newman

Manchmal reichen ein paar Begriffe in einer Rezension oder Buchbeschreibung aus, um meine Neugier zu wecken. So auch bei „Lucky Newman“ von Carl Nixon: ein Ballonfahrer, ein Blauwal, ein majestätischer Tiger, eine Mondjungfrau?!


Worum geht es in dem Buch?
Der Roman spielt in der Kleinstadt Mansfield in Neuseeland, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der 1. Weltkrieg ist gerade zu Ende gegangen. Die Krankenschwester Elizabeth Whitfield hat während des Krieges ihren Mann kennengelernt und geheiratet. Sie haben einen kleinen Sohn, Jack. Doch der hat seinen Vater nie kennengelernt, denn dieser gilt nach einem Fronteinsatz als verschollen. Elizabeth gibt jedoch die Hoffnung nicht auf, dass ihr Mann eines Tages zurückkommen wird und so versucht sie, als Krankenschwester über die Runden zu kommen und ihrem Sohn ein normales Leben zu ermöglichen. Eines Tages erhält sie ein lukratives Angebot der reichen und alteingesessenen Familie Blackwell aus Mansfield. Paul, das Familienoberhaupt ist aus dem Krieg heimgekehrt, ist aber nur noch ein Schatten seiner selbst. Er hat eine schwere Kopfverletzung und leidet unter extremen Gedächtnisschwund. Er kann sich an nichts erinnern, was vor seiner Verletzung war. Sein Zuhause und die Ehefrau sind ihm völig fremd. Er ist extrem aggressiv und gewaltbereit. Elizabeth soll nun die häusliche Pflege von Paul übernehmen.
"Die Männer auf Station sechs sind samt und sonders in Elizabeth verliebt. Nicht etwa, weil sie toll aussieht. Da sind andere Schwestern attraktiver. Auch nicht, weil sie so liebevoll mit ihnen umgeht; eher das Gegenteil ist der Fall. Elizabeth sieht ihre Patienten als das, was sie sind: Männer ohne Augen, Arme, Beine, Lungen, Nieren - in diversen Kombinationen, mal schlimmer, mal weniger schlimm. Sie sind verstümmelt, innerlich gebrochen, Krüppel." (S. 30)
Was haben jetzt Ballonfahrer, Wal, Tiger und Mondjungfrau mit der Handlung zu tun?

Elizabeth tut es in der Seele weh, dass sie ihrem Sohn keine Erinnerungen an seinen Vater mitgeben kann. Da sie selbst keine Gelegenheit hatte, längere Zeit mit ihrem Mann zusammenzuleben, sind die Geschichten, die sie ihrem Sohn über seinen Vater erzählt äußerst dürftig. Daher erfindet sie für ihren Sohn die Geschichte über den Ballonfahrer, der in die Welt hinaus flog und auf seiner Reise viele Abenteuer erlebte. Ob John den Ballonfahrer oder eine andere Figur aus dieser Geschichte stellvertretend für seinen Vater ansieht, bleibt offen.
"Der Ballonfahrer wird häufig genug verlangt und gehört so zum festen Inventar ihres Lebens. Jedesmal, wenn die Geschichte erzählt wird, tritt etwas Neues in sie ein, bis sie von vielen unterschiedlichen Figuren bevölkert ist. Es gibt da einen Afrikaner namens Mboli, dem der Ballonfahrer zuerst begegnet, als Mboli einen Wasserfall hinabzustürzen droht, über den ihn ein wütendes weißes Nashorn jagen will." (S. 72)
Dadurch ergeben sich in dem Roman 2 Erzählstränge: Zum Einen wird erzählt, wie es Elizabeth in ihrem Alltag ergeht und wie sie langsam das Vertrauen von ihrem Patienten Paul gewinnt. Zum Anderen wird die Geschichte des Ballonfahrers erzählt. Ich hatte allerdings Schwierigkeiten, die beiden Erzählstränge in Einklang zu bringen. Als Leser ist man versucht, eine Symbolik in der Geschichte des Ballonfahrers zu erkennen. Das ist mir jedoch leider nicht gelungen. Trotzdem möchte ich betonen, dass beide Erzählstränge für sich sehr unterhaltsam sind. Die phantasievolle Geschichte des Ballonfahrers ist ein Traum für „das Kind“ im Leser. Und auch die Handlung um Elizabeth und Paul ist sehr spannend geschrieben, liest sich flüssig und nimmt am Ende eine sehr schöne Entwicklung. 

Carl Nixon hat einen sehr angenehmen, leicht ironischen Sprachstil. Man merkt, wie er bei seinen Protagonisten Sympathie und Antipathie verteilt. Sein Herz schlägt für Elizabeth und Paul. Andere kommen nicht so gut weg. Insbesondere die Upper Class von Mansfield wird von Carl Nixon gern literarisch "abgewatscht".
"Ihr erster Eindruck eines Wesens, das sich aus Baumwipfeln ernährt, verwischt nicht komplett bei näherer Betrachtung. Mrs. Blackwell hat ein längliches Gesicht mit großen Augen, auf denen ein dunkler Schatten liegt." (S. 41)
„Lucky Newman“ wird aus einer auktorialen Perspektive erzählt. Ein Erzähler tritt in Erscheinung, der eine übergeordnete Rolle in dem Geschehen hat. Er lässt in seiner Erzählung gern seine Kommentare, Andeutungen und Rückschauen einfließen. Das Buch beginnt, in dem der Erzähler berichtet, wie es zu diesem Roman gekommen ist: ein 90-jähriger Herr hat ihn beauftragt, die Geschichte seiner Mutter (=Elizabeth) niederzuschreiben. Ob dieser Erzähler jetzt identisch mit Carl Nixon ist, bleibt nur zu vermuten.
"An dieser Stelle werden manche Leser ungehalten sein. 'Unmöglich! oder 'Soll das nicht auf einer wahren Geschichte basieren?' Vielleicht haben Sie das Buch schon zugeklappt, und es fliegt gerade in Richtung der Wand gegenüber ihrem Bett. Bestimmt gibt es wesentlich glaubwürdigere Erzählungen in dem Bücherstapel auf Ihrem Nachttisch. Vielleicht aber sind Ihnen die vorsätzlich unglaubwürdigen ohnehin lieber - fremde Planeten oder Kobolde und Drachen." (S. 95)
Fazit: Ein gut gemachter Roman mit zwei Handlungssträngen, von denen jeder für sich sehr unterhaltsam ist, sich von mir aber nicht in Einklang bringen ließen. Es gibt viele Kleinigkeiten, die mir an diesem Roman gefallen haben. Das sind der ironische Sprachstil, die fantasievolle Geschichte um den Ballonfahrer und die Entwicklung zum Ende. Denn zum Schluss bekommt der Titel des Buches "Lucky Newman" eine ganz spezielle Bedeutung ;-)

© Renie

Lucky Newman von Carl Nixon, erschienen im Weidle Verlag
ISBN: 978-3-938803-71-4


Donnerstag, 3. Dezember 2015

Anne Enright: Rosaleens Fest

Ein Roman, der faszinierend und deprimierend zugleich ist. Faszinierend, weil er sprachlich auf sehr hohem Niveau ist und mich mit seiner Ausdrucksstärke beeindruckt hat. Deprimierend, weil hier eine Geschichte erzählt wird, die eigentlich nichts Besonderes ist. Das, was hier passiert, findet sich wahrscheinlich in viel zu vielen Familien wieder. Aber gerade dieses Alltägliche macht betroffen. Es ist, als ob Anne Enright ihren Lesern einen Spiegel vor das eigene Familienleben hält und am Ende hofft man, dass man sich doch um einiges von der hier beschriebenen Familie unterscheidet.




Worum geht es in dem Buch?
Rosaleen ist eine Frau, die nichts tut und von den anderen alles erwartet. Sie ist Mitte siebzig, die vier Kinder sind schon lange aus dem Haus. Die Brüder Dan und Emmett sind vor der Enge der irischen Heimat in die Ferne geflohen; das Nesthäkchen Hanna wollte auf den Theaterbühnen der Welt reüssieren, spricht aber nun dem Alkohol zu, und Constance, die Älteste, hat sich selbst verloren. Doch abgenabelt hat sich keines der Kinder. Noch immer versucht jedes auf seine Weise, es dieser besten aller Mütter recht zu machen. Und scheitert. 
Da kommt die Einladung zu einem letzten Weihnachtsfest in Ardeevin. Rosaleen möchte das Haus, in dem die Kinder groß geworden sind, das voller Erinnerungen an glückliche Momente und Verletzungen steckt, verkaufen. Die Geschwister reisen mit diffuser Hoffnung auf Versöhnung an – und doch endet es, wie noch jedes Weihnachten geendet hat. (Quelle:DVA Verlag)
Der Roman wird aus Sicht der Familie Madigan erzählt. Die ersten Kapitel konzentrieren sich dabei auf die Kinder. Jedes der ersten Kapitel trägt den Namen eines der Kinder. Hier stellt Anne Enright ihre Protagonisten vor. Gleich im ersten Kapitel geht es um Hanna, die Jüngste. Aus ihrer Sicht wird das Familienleben ihrer Kindheit in den 80er Jahren geschildert. Im Mittelpunkt steht dabei die Mutter, die sich als Meisterin der Dramatik präsentiert. Alles dreht sich um diese Person, die Kinder dienen ihrer Selbstverwirklichung. Und wenn die Kinder nicht so funktionieren, wie sie es von ihnen erwartet, stürzt sie in eine Depression, unter der sie alle bewusst leiden lässt. 
„Ein kleines unartikuliertes Stöhnen entrang sich ihr. Das Geräusch schien sie nicht nur zu überraschen, sondern auch zu erfreuen, und so versuchte sie es gleich noch einmal. Das nächste Stöhnen begann verhalten und dauerte an, und als es ein letztes Mal anschwoll und abklang, hörte es sich fast wie Sprechen an. ‚O Gott‘, sagte sie. Sie warf den Kopf zurück und blinzelte ein, zwei Mal zur Decke empor. ‚O du lieber Gott.‘ Tränen begannen zu fließen, eine nach der anderen, bis zum Haaransatz; eine, zwei-drei, vier. So verharrte sie einen Augenblick lang, während die Kinder zusahen, aber so taten, als sähen sie nicht zu,…“ (S. 18 f.)
Statt mit Liebe werden die Kinder mit Schuldgefühlen aufgezogen. Anne Enright gibt ihrer Protagonistin in den ersten Kapiteln keinen Namen. Sie taucht hier lediglich als „Mutter“ auf. Für mich ist dies klar ein Indiz dafür, dass dieser Charakter sich über die Mutterrolle definiert. Sie ist die Über-Mutter.

Wer so aufwächst, hat später mit sich und seinem Umfeld zu kämpfen. Ein derartiges Mutter-Kind-Verhältnis kann nicht spurlos an einem Menschen vorübergehen. Und so lernt man die Kinder in den folgenden Kapiteln kennen: Dan, der schwul ist, aber Schwierigkeiten hat, zu seinem Schwulsein zu stehen; Emmet, der Bindungsunfähige, der nicht in der Lage ist, Gefühle zu zeigen und die Frauen, die ihn lieben dazu bringt, ihn zu verlassen; Hanna, die Alkoholikerin, die ihre Träume aufgeben musste, weil sie ein Baby bekommen hat und mit ihrer Mutterrolle und dem Alltag völlig überfordert ist; und Constance, die versucht, es jedem Recht zu machen und unter mangelndem Selbstbewusstsein leidet.

Constance Madigan ähnelt in ihrem Verhalten erschreckend dem ihrer Mutter. Auch sie hat Kinder, auch sie neigt dazu, sich eine „depressive“ Auszeit zu nehmen, wenn es mal wieder mit ihrer Familie nicht so läuft, wie sie erwartet. Es ist nicht von ungefähr, dass mit dem ersten Kapitel über Constance, Rosaleen erstmalig beim Namen genannt wird. Die beiden bewegen sich sozusagen auf Augenhöhe. Nur die eine Mutter kann verstehen, was die andere Mutter erdulden und erleiden muss. Constance ist die Einzige der Kinder, die sich um die „alte“ allein lebende Rosaleen kümmert. Dabei ist sie – wie in ihrer Kindheit – den Bevormundungen und abfälligen Sticheleien ihrer Mutter ausgesetzt und erträgt sie.
"Denn Rosaleen tat nie etwas. Diese unerträgliche Frau, sie verbrachte ihr ganzes Leben damit, anderen Menschen Dinge abzuverlangen und anderen Menschen die Schuld zu geben, sie lebte in einem Zustand der Hoffnung oder des Bedauerns und wollte nicht, konnte sich nicht damit befassen, was vor ihr lag, was immer es war. Oh, ich habe vergessen, zur Bank zu gehen, Constance, ich habe vergessen, zur Post zu gehen. Sie kam mit den Dingen nicht klar. Mit Geld. Details. Hier. Heute." (S. 312)
Jedes Jahr erwartet Rosaleen ihre Kinder zum Weihnachtsfest im Familienkreis, was eigentlich alle Kinder als Horrorszenario empfinden. So auch dieses Mal. Das Weihnachten 2005 verläuft anders als die bisherigen. Ob es daran liegt, dass es das letzte Mal in dem Haus ihrer Kindheit stattfindet? Schwer zu sagen, zumindest versuchen alle nachgiebiger im Umgang miteinander zu sein. Zwischendurch keimt bei mir die Hoffnung auf, dass die Familie versucht, nach all den Jahren der Distanziertheit doch wieder zueinander zu finden. Aber dann wird es doch wieder wie all die Jahre zuvor. Zu tief sitzen die seelischen Wunden, die man sich zugefügt hat.
"Für Emmet's Familie war das Weihnachtsessen zäher als kenianische Blutsuppe, deshalb konnte keiner der Menschen, die Emmet am liebsten hatte, dabei sein, nicht einmal Menschen, deren Gesellschaft er genoss. Es gab nur einen Weg zum Weihnachtstisch der Madigans, und der führte durch einen vorab akkreditierten Schoß. Verheiratet. Gesegnet. Es tut mir leid. Ich kann dich Weihnachten nicht zu mir nach Hause einladen, denn ich bin Ire, und meine Familie ist verrückt." (S. 264)
Was mich an diesem Roman fasziniert hat, ist die Ausdrucksstärke von Anne Enright. Ich weiß nicht, wie sie es gemacht hat, aber in jeder Erzählperspektive hatte ich den Eindruck, dass sie einen anderen Erzählstil annimmt: 5 Protagonisten – 5 unterschiedliche Sprachstile. Dadurch wird dieser Roman sehr authentisch. Jeder Protagonist hat seine eigenen seelischen Probleme, die sich in dem jeweiligen Erzählstil widerspiegeln.

In dem Buch tauchen immer wieder Begriffe auf, bei denen man als Leser nicht zimperlich sein sollte. Anne Enright lässt urplötzlich Wörter einfließen, die das Gelesene mit einem Mal hässlich erscheinen lassen. Sie benutzt Ausdrücke, die schockieren und den Lesefluss zum Stocken bringen. Aber dieser Erzählstil passt zu der Geschichte. Denn er verdeutlicht, dass hinter dem schönen Schein der von der Familie Madigan angestrebten Familienidylle immer auch eine hässliche Seite steckt.

In krassem Gegensatz dazu, steht Anne Enright's Wortwahl, wenn es um Irland geht. Bei jeder Landschaftsbeschreibung merkt man die Liebe zu diesem Land.
"Es war Juni. In wenigen Wochen, wenn das Torfmoor nach Klee duftete, würde sie mit den Kindern ans Meer fahren. Sie könnte sich darauflegen - auf den flachen aromatischen Teppich aus Grün, der das Land hinter den Dünen bedeckte -, ...., und selbst die zähen kleinen Saftpflanzen lockten mit ihrem überraschend süßen Duft die Bienen durch die Salzluft an." (S. 131)
Fazit: Ein aufwühlender Roman, der sehr ausdrucksstark geschrieben ist. Es ist die Geschichte einer zerrütteten Familie. Hier wird aufgezeigt, was erdrückende und vereinnahmende Mutterliebe bei einem Menschen anrichten kann. Ein sehr gutes Buch, das nachdenklich macht.

© Renie


Rosaleens Fest
Autorin: Anne Enright
Verlag: DVA Verlag
ISBN: 978-3-421-04700-7


Der Verlag über die Autorin:
Anne Enright wurde 1962 in Dublin geboren und lebt heute im irischen Bray, County Wicklow. Die vielfach ausgezeichnete Autorin zählt zu den bedeutendsten englischsprachigen Schriftstellern der Gegenwart und wurde jüngst zur ersten Laureate for Irish Fiction ernannt. Ihr Roman „Das Familientreffen“ wurde unter anderem 2007 mit dem renommierten Booker-Preis ausgezeichnet, ist in gut dreißig Sprachen übersetzt und weltweit ein Bestseller. Nach "Anatomie einer Affäre" (2011), der die Andrew Carnegie Medal for Excellence in Fiction erhielt, legt sie nun mit „Rosaleens Fest“ ihren sechsten Roman vor, der wieder Leser wie Kritiker begeistert, auf der Shortlist für den Costa Prize steht und den Irish Book Award 2015 gewonnen hat. (Quelle: DVA Verlag)

Sonntag, 29. November 2015

Joël Dicker: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert



Wenn ich ein Buch beginne, habe ich immer eine gewisse Erwartungshaltung, hervorgerufen durch die Buchbeschreibung, anderen Rezensionen oder auch der Titel und das Buchcover. Umso großartiger ist es, wenn diese Erwartung um Längen übertroffen wird, so auch bei diesem Buch. Ich habe über „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ nur Gutes gehört, habe mit einem spannenden Krimi gerechnet. Aber, dass dieser Roman vieles mehr ist, damit habe ich nicht gerechnet.


Quelle: Piper

Worum geht es in diesem Buch?

Es ist der Aufmacher jeder Nachrichtensendung. Im Garten des hochangesehenen Schriftstellers Harry Quebert wurde eine Leiche entdeckt. Und in einer Ledertasche direkt daneben: das Originalmanuskript des Romans, mit dem er berühmt wurde. Als sich herausstellt, dass es sich bei der Leiche um die sterblichen Überreste der vor dreiunddreißig Jahren verschollenen Nola handelt und Quebert auch noch zugibt, ein Verhältnis mit ihr gehabt zu haben, ist der Skandal perfekt. Quebert wird verhaftet und des Mordes angeklagt. Der einzige, der noch zu ihm hält, ist sein ehemaliger Schüler und Freund Marcus Goldman, inzwischen selbst ein erfolgreicher Schriftsteller. Überzeugt von der Unschuld seines Mentors – und auf der Suche nach einer Inspiration für seinen nächsten Roman – fährt Goldman nach Aurora, und beginnt auf eigene Faust im Fall Nola zu ermitteln. (Klappentext)
"'... ein junger Mann, der im Leben nichts auf die Reihe bekommen hat - bis er Harry begegnet ist. Harry hat mir beigebracht, wie ich Schriftsteller werde. Er hat mir beigebracht, wie wichtig es ist, fallen zu können.'" (S. 86)
Der Schriftsteller Marcus Goldman möchte seinen langjährigen Freund und Mentor Harry Quebert in dessen schwersten Stunden unterstützen. Dieser wird beschuldigt, vor 30 Jahren die damals 15-jährige Nola umgebracht zu haben, mit der er ein Liebesverhältnis hatte. Marcus Goldman steht unter Druck. Nach seinem ersten und sehr erfolgreichen Roman, gelingt es ihm nicht, an seinen Erfolg anzuknüpfen. Er hat eine Schreibblockade, für die sein Verleger leider kein Verständnis hat. Der Skandal um Harry Quebert könnte nicht passender kommen. Marcus glaubt an die Unschuld von Harry Quebert und entschließt sich, ein Buch über die Hintergründe des Verbrechens und dessen Aufklärung zu schreiben.
"Hatte die große Mehrheit Amerikas einen Triebtäter für gesellschaftsfähig erklärt, indem sie ihn zum Starautor gekürt hatte?" (S. 52)

Dienstag, 24. November 2015

Maria Semple: Wo steckst du, Bernadette?

Dieses Buch ist nicht das, was es vorgibt zu sein - und das ist gut so. Wenn ich nicht vorher schon von dem Buch gehört hätte, wäre ich aufgrund des Buchcovers nicht auf die Idee gekommen, es zu lesen. Mit dem Cover assoziiere ich seichte Frauenliteratur im Sinne von "jung, frech, spritzig, am Ende kriegen sie sich" - also nicht unbedingt das von mir bevorzugte Genre.
Doch die Reaktionen auf dieses Buch lassen aufhorchen: "ein wunderbar durchgeknalltes Buch"…… "erfrischend anders, mit vielen Ecken und Kanten, voller Überraschungen"….. "stand zu Recht über 30 Wochen auf der „New-York-Times“-Bestsellerliste". Soviel Lob hat mich neugierig gemacht.


Worum geht es in dem Buch:
Bernadette Fox ist chaotisch, überfordert – und ungeheuer liebenswert. Ihr Ehemann Elgie, der neue Hoffnungsträger bei Microsoft, mag ihren Witz. Und ihre verrückten Ideen. Irgendwie auch ihre Unsicherheit, wenn sie mal wieder von quälenden Ängsten heimgesucht wird. Die anderen Mütter, allesamt perfekt organisiert, halten Bernadette allerdings für eine Nervensäge. Verantwortungslos. Schließlich beschäftigt sie online eine indische Assistentin, die den Alltag für sie regelt. Zum Stundensatz von 0,75 Dollar reserviert Manjula den Tisch im Restaurant, erledigt mal eben die Bankgeschäfte und bucht den Familienurlaub in die Antarktis. Und für ihre 15jährige Tochter Bee, die kleine Streberin, ist Bernadette, na ja, eine Mutter. Bee kennt ja keine andere. Doch irgendwann beschließt Bernadette auszubrechen. Ihr wird das alles zu viel. Und auf einmal ist sie verschwunden … (Quelle: Klappentext)
Der erste Abschnitt des Buches behandelt die Zeit vor dem Verschwinden Bernadette’s. Dabei entwickelt sich die Vorgeschichte aus einzelnen Bruchstücken. Der Leser erfährt über Mailverkehr, Briefwechsel, Protokollen etc. von verschiedenen Charakteren, die mehr oder weniger mit Bernadette’s Verschwinden zu tun haben, was zu dem Geschehen beigetragen hat. Dabei kommen auch Bernadette sowie ihre Tochter Bee zu Wort. Die Geschichte, die sich dabei dem Leser offenbart ist einerseits urkomisch, zum Anderen aber auch haarsträubend und stimmt nachdenklich.

Sonntag, 22. November 2015

Sonja Rüther: Eine Spur aus Frost und Blut

Frau Holle - ein Märchen, überliefert von den Gebrüdern Grimm. Dieses Märchen ist mir in meiner Kindheit unzählige Male vorgelesen worden. Die nette Frau Holle, die ihre Betten schüttelt, dass es auf der Erde schneien möge. Dabei wird sie unterstützt von Goldmarie, einem wohlerzogenen, gehorsamen, fleißigen, hilfsbereiten, hübschen, bescheidenen Mädchen, das keine Mühe scheut, um Frau Holle die schwere Arbeit abzunehmen. Soviel Hingabe muss belohnt werden. Als Goldmarie's Zeit bei Frau Holle vorbei ist, wird sie zur Belohnung über und über mit Gold begossen. Ganz anders die faule und habgierige Pechmarie, die Goldmarie's Nachfolge antritt. Sie erledigt ihre Arbeit nicht so, wie es von ihr erwartet wird, und zur Strafe wird sie zum Abschied mit Pech übergossen. Geschieht ihr auch recht! Auf Erwachsene muss man hören! Man muss immer hilfsbereit sein! Bescheidenheit ist eine Tugend!



Ja, mit diesem Märchen bin ich aufgewachsen. Meine Favoritin bei den beiden Maries war ganz klar Goldmarie. Soviel Tugendhaftigkeit und Liebreiz hat mich schlichtweg beeindruckt. Und dann halte ich heute dieses Buch von Sonja Rüther in den Händen. Und was stelle ich fest: Die Geschichte ist gar nicht so verlaufen, wie man mir seit mehr als 40 Jahren vorgegaukelt hat!


Freitag, 20. November 2015

Doris Luser: Ich ritt Gaddafis Pferde

Ich und ein Buch über Pferde? Wenn mir jemand vor einiger Zeit gesagt hätte, dass ich ein Pferdebuch lesen würde - und das auch noch mit Hochgenuss – den hätte ich für verrückt erklärt. Ich bin weder Pferdefreund noch Pferdehasser. Ich bin eher pferdeneutral. Warum sollte ich ein Buch über Pferde lesen? Ich habe dieses Buch gelesen, weil Doris Luser viel mehr zu erzählen hat als von ihren Erlebnissen mit Gaddafi's Pferden: Es ist die faszinierende Geschichte einer Österreicherin, die für einige Jahre allein in Libyen gelebt hat – ein islamisches Land, das durch die Politik seines langjährigen Staatsoberhauptes Gaddafi geprägt worden ist und dessen Bevölkerung unter einem langjährigen Bürgerkrieg leidet. Ein Land, das man nicht mit Toleranz gegenüber Frauen und anderen Religionen in Verbindung bringt. Ich habe mich gefragt, wie es eine westeuropäische selbstbewusste und emanzipierte Frau in diesem Land aushalten kann? Das Buch liefert die Antworten.










Worum geht es in dem Buch?
Doris Luser lebte fünf jahre in Libyen. Als passionierte Reiterin und durch ihre Liebe zu Pferden erhält sie Zugang zu Kreisen, die anderen Ausländern verschlossen bleiben. Sie erlebt ein Libyen, das andere niemals in dieser Form kennenlernen dürfen. Mit dem Buch "Ich ritt Gaddafis Pferde" hat sie ihre einzigartigen Erlebnisse niedergeschrieben und eröffnet somit dem Leser Einblicke in eine fremde und faszinierende Welt.

Wenn man das Buch beginnt, ist man als Leser sofort mittendrin im Geschehen. Doris Luser hält sich nicht lange mit einer Einleitung auf. So wie sie sich von einem Moment auf den anderen in einem neuen Kulturkreis befindet, so ist der Leser sofort von der Geschichte gepackt. Man spürt die anfängliche Einsamkeit und das Gefühl der Verlorenheit von Doris. Ihr Apartment – sie nennt es scherzhaft „Alcatraz" – ist nicht sehr einladend, die Menschen mit denen sie es anfangs zu tun hat, wirken seltsam teilnahmslos. Alles ist fremd.
"Ich sage ihm, dass ich mir irgendwie betäubt vorkomme, wie unter einem Glassturz, ich kann es gar nicht genau erklären, und er erwidert, dass ich wohl einen Kulturschock habe. Wie? Jetzt schon? Ich habe doch noch gar nichts gesehen von diesem Land! Huh, wie geht das denn weiter?"
Mit den ersten Freunden und Bekannten fängt Doris an, sich in ihrer Umgebung einzuleben. In Camp Regatta, einer Siedlung, in der sie ihre Wohnung hat, leben hauptsächlich Expatriates - also Angehörige international tätiger Unternehmen, die für eine gewisse Zeit ins Ausland gesendet werden. Ihr neuer Freundeskreis setzt sich hauptsächlich aus Botschaftsangehörigen verschiedener Nationen und Arbeitskollegen zusammen. Das Leben, das dieser Personenkreis in Libyen führt, erinnert mich sehr stark an das Auftreten der Briten in Indien z. Zt. des Kolonialismus. Es ist von Dekadenz und Luxus geprägt. Durch Doris' Kontakte zu ihren Botschafterfreunden hat sie auch Zugang zu Angehörigen des libyschen Geheimdienstes und Militärs, die sich ebenfalls in diesen Kreisen bewegen. Diese Beziehungen ermöglichen ihr irgendwann den Zugang zum legendären Reitstall Forusia. Hier werden die Pferde Gaddafis' trainiert und auf internationale Wettkämpfe vorbereitet - für die Tierfreundin und Pferdenärrin Doris das Paradies auf Erden. Der Reitsport in Libyen ist eine Männerdomäne. Aber durch ihre besonderen Fähigkeiten im Umgang mit Pferden hat Doris sich schnell den Respekt der anderen Reiter verdient. Sie wird akzeptiert und hat auf einmal die Gelegenheit - genauso wie der Leser mit ihr - Seiten vom Leben in Libyen kennenzulernen, die anderen Ausländern verwehrt bleiben.

Freitag, 13. November 2015

Håkan Nesser: Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Welch' ein Titel für ein Buch! Hätte ich eine Hitliste über Bücher mit schrägen Titeln, stünde dieses Buch mit Sicherheit ganz weit oben.

Wie bin ich an dieses Buch geraten? Ganz einfach! Bei Whatchareadin fand eine Genreleserunde statt. Diesmal ging es um Krimis. Dieses Buch ist von einem der Teilnehmer vorgeschlagen worden und ich habe mich gern eingeklinkt. Håkan Nesser hat dieses Buch bereits 2007 veröffentlicht. Die Presse war voll des Lobes für diesen Krimi. Der größte Teil der Leserschaft war begeistert und ist es noch. Mittlerweile ist dieses Buch zur Schullektüre an Schwedens Schulen erklärt worden. Also, bei soviel Lorbeeren muss dieser Krimi doch einfach gut sein - dachte ich. Falsch gedacht! Ich scheine zu den wenigen Lesern zu gehören, die mit diesem Buch nicht viel anfangen können. Und warum das so ist, möchte ich hier erklären.

Quelle: btb
Worum geht es in diesem Buch?
Schweden in den 60er Jahren. Ein kleines Sommerhaus an einem der unzähligen Seen. Hier verbringen der 14jährige Erik und sein Freund Edmund die Ferien. Sie schwärmen von der jungen Aushilfslehrerin Ewa, die aussieht wie Kim Novak und sich bald beim Dorffest in voller Blüte zeigt. Zwei Tage später findet man die Leiche von Ewas Verlobtem. (Klappentext)
Was ist passiert? Die Polizei tut sich schwer, dieses Verbrechen aufzuklären. Irgendwann wird der Fall als ungelöster Mordfall ad acta gelegt. Erst 25 Jahre später stellt sich heraus, was damals wirklich passiert ist.

Eigentlich ein schöner Plot für einen Krimi. Also, was hat mich an diesem Buch gestört?

Donnerstag, 5. November 2015

Rudyard Kipling: Über Bord (Edition Büchergilde)

Bis vor Kurzem war mir nicht bewusst, wie besonders die Bücher des Verlages "Edition Büchergilde" sind. Geht man auf die Webseite des Verlages, liest man Begriffe wie "Gute mit dem Schönen verbinden", "Inhalte und Form werden zu mehr als Buchstaben und Papier", "ein besonderes Buch gestaltet Gedanken zum Genuss". Das ist hört sich gut an, klingt aber verdächtig nach werbewirksamen "Marketing-Deutsch". 

Als ich dann den Klassiker "Über Bord" von Rudyard Kipling in der Post hatte, wurde mir bewusst, dass jedes Wort der Beschreibung auf der Verlagsseite zutrifft.
Kipling hat dieses Buch bereits 1897 geschrieben. Die Edition Büchergilde hat diesen Roman anlässlich des 150. Geburtstags Kiplings in diesem Jahr in ihr Programm genommen. Dabei ist ihr eine wunderschöne Ausgabe gelungen, die das Herz des Bibliophilen höher schlagen lässt.


Worum geht es in diesem Buch?
Der 15-jährige Harvey ist der einzige Sohn des Multimillionärs Cheney senior. Dass er der Erbe eines Millionenvermögens, hat Harvey nicht gut getan. Er ist verwöhnt und verweichlicht, hat in seinem Leben noch keinen Finger gerührt. Arbeit ist für ihn ein Fremdwort.
"Wie viele andere unglückliche junge Leute hatte Harvey nie im Leben einen direkten Befehl erhalten - jedenfalls nie ohne lange und manchmal tränenreiche Erläuterungen der Vorzüge des Gehorchens und der Gründe für die Forderung. Mrs. Cheyne lebte in der Furcht davor, sein Gemüt zu knicken, was vielleicht der Grund dafür war, dass sie selbst ständig am Rand eines Nervenzusammenbruchs wandelte." (S. 20)
Bei der Überfahrt mit einem Passagierdampfer von Amerika nach Europa, wird Harvey über Bord gespült und gilt von da an als verschollen. 

Donnerstag, 29. Oktober 2015

Ben Aaronovitch: Die Flüsse von London

Covent Garden ist eines meiner Lieblingsviertel in London. Eine wuselige Mischung aus Kultur und Shopping. Die kleinen, originellen Läden sowie die unzähligen Straßenkünstler tragen zu einer besonderen Atmosphäre bei. Vor einigen Wochen saß ich noch hier im "Punch & Judy" bei einem Pint of Bitter und genoss den Trubel in den alten Markthallen.
Quelle: Wikimedia Commons

Und hier, in Covent Garden, beginnt auch das Buch, welches mich auf meiner Reise nach London begleitet hat und in welchem Punch & Judy eine besondere Rolle spielen.
Dieses Buch mit nach London zu nehmen, war eine gute Entscheidung.
Denn während ich mir tagsüber die Füße platt gelaufen habe, konnte ich mich abends mit diesem Buch entspannen und die Straßen und Gegenden, in denen ich tagsüber unterwegs war noch einmal unter völlig neuen Aspekten erleben. Was das für Aspekte sind, möchte ich hier erzählen.

Donnerstag, 22. Oktober 2015

Jean-Paul Didierlaurent: Die Sehnsucht des Vorlesers

Schon mal darüber nachgedacht, was mit Büchern geschieht, die nicht verkauft werden? Ein Großteil dieser Bücher erwartet ein grausames Schicksal: sie werden recycelt. Nun sollte man meinen, dass Recycling etwas Positives ist, von wegen Material, das wiederverwertet wird. Jedoch nicht für den Bibliophilen! ;-)

Für einen Bibliophilen ist der Vorgang des Recyclings von Büchern grausam. Man stelle sich all die Bücher vor, die LKW-weise in eine gigantische Maschine gekippt werden und dort mit einem Höllenlärm zerfleddert, zerhächselt, zermatscht werden. Mich schüttelt’s bei dieser Vorstellung.

Leider gibt es Menschen, die den lieben langen Tag nichts anderes machen, als Bücher zu zerstören- ganz einfach, weil es deren Beruf ist. Guylain Vignolles ist einer davon… und er hasst seinen Beruf.

„Fett und bedrohlich thronte die Bestie mitten in der Werkhalle. Ja, ‚die Bestie‘: Über fünfzehn Jahre arbeitete Guylain nun schon in der Fabrik, aber bis heute weigerte er sich, ihren richtigen Namen laut auszusprechen, denn irgendwie glaubte er, dass er damit ihre Gräueltaten gutheißen würde, und das wollte er wirklich unter keinen Umständen. Sie nicht bei ihrem wahren Namen zu nennen war für ihn eine Art Schutzwall, der ihn davor bewahrte, ihr auch noch seine Seele zu verkaufen. Nein, das durfte nie geschehen: Die Bestie musst sich mit der Arbeit seiner Hände begnügen.“ (S. 22)
Guylain Vignolles liebt Bücher. Unglücklicherweise arbeitet er in einer Papierverwertungsfabrik. Leider kann man sich nicht immer aussuchen, wie man seinen Lebensunterhalt verdient. Guylain ist ein schüchterner und unscheinbarer Typ. Doch er hat ein Geheimnis. Jeden Tag gelingt es ihm, dieser grausamen Maschine, die seine Lieblinge zerstört, heimlich ein paar Blätter zu entreißen. Und jeden Morgen im Regionalzug auf dem Weg zur Arbeit liest er seinen Mitreisenden aus diesen Seiten vor. Egal, worum es in diesen Texten geht – Roman, Kochbuch, Reiseführer – seine Mitreisenden lieben ihn dafür.

Guylain sitzt immer auf dem gleichen Platz in dem Zug. Eines Tages findet er vor seinem Sitz einen USB-Stick, den er an sich nimmt. Und mit dem Inhalt dieses Sticks ändert sich sein Leben von Grund auf.

Freitag, 16. Oktober 2015

Andreas Hagemann: Xerubian - Aath Lan'Tis

Vor einiger Zeit stellte sich Andreas Hagemann bei Whatchareadin mit den Worten vor, er schreibe witzige Fantasy und seine Bücher sollen die Leser zum Lachen bringen, aber auch zum Nachdenken anregen. Sein Fantasyroman "Xerubian" wäre nicht so wie andere Fantasybücher. Ok, das ist leicht gesagt. Aber ich bin neugierig geworden. Eigentlich bin ich ja eher zurückhaltend, was die Lektüre von Fantasybüchern angeht. Es gibt nur ganz wenige Fantasy-Autoren, die ich lese. Tad Williams und Walter Moers gehören dazu; und ich liebe die Scheibenwelt-Bücher von Terry Pratchett. Daher bin ich mit einer sehr großen Erwartungshaltung an "Xerubian" heran gegangen. Und was soll ich sagen, Xerubian hat meine Erwartungen übertroffen. Und jedem, der gerne Terry Pratchett liest, kann ich "Xerubian" wärmstens empfehlen. Ein echter Geheimtipp!
Worum geht es in dem Buch?
In einer Stadt namens Punkt in der Welt Xerubian findet ein Verbrechen statt. Ein Gegenstand unschätzbaren Wertes wird aus der Kathedrale von Punkt gestohlen. Dalon, Inspektor der königlichen Polizei, beschäftigt sich mit der Aufklärung des Verbrechens. Dabei wird er von Martandi, einem Kollegen des königlichen Nachrichtendienstes unterstützt sowie den Drachen Nerol, Dragon und Muliks. Auf der Suche nach dem Täter begibt sich das Fünfergespann auf eine abenteuerliche Reise mit einem fantastischen Ziel.
"Irgendwie entwickelt sich die Reise zu einem größeren und vor allen Dingen unkalkulierbareren Abenteuer, als er es sich ausgemalt hat." (S. 235)
Die Charaktere
Inspektor Dalon ist so etwas wie ein Antiheld. Er steht kurz vor der Penionierung und versucht, möglichst unauffällig durch den Alltag zu kommen und sich nicht in seiner Bequemlichkeit stören zu lassen - weder durch seine Arbeit noch durch seine nervige Ehefrau. Die Aufklärung des Diebstahls ist für ihn die willkommene Gelegenheit, endlich aus dem Alltagstrott auszubrechen und sein Leben umzukrempeln.
"Bereits vor Jahren hat er sich nämlich angewöhnt, nicht mehr dem 'Prinzip der zehn großen A der kollegialen Zusammenarbeit' zu folgen: 'Alle anfallenden Arbeiten auf andere abschieben, anschließend anscheißen, aber anständig.'" (S. 33)
Der junge Martandi ist beim königlichen Nachrichtendienst beschäftigt. Er ist pflichtbewusst und ehrgeizig. Mit seinem Scharfsinn unterstützt er Dalon bei der Aufklärung des Verbrechens und hilft ihm das eine oder andere Mal aus der Patsche.

Und dann sind da noch die Drachen:
Anfangs lernt man die Drachen Nerol und Dragon als Haustiere und Transportmittel von Dalon und Martandi kennen. Doch mit der Zeit übernehmen sie einen großen Part in der Geschichte. Sie haben etwas "Menschliches" an sich, was nicht allein daran liegt, dass sie sprechen können.
Nerol ist ein verfressener Tollpatsch - ich fühlte mich immer an Obelix, den dicken Gallier erinnert, der in den Comics nie weiß, wohin mit seiner Kraft, aber das Herz auf dem rechten Fleck hat.
Dragon ist eher der smarte Draufgänger. Zwischen den beiden Drachen stimmt die Chemie, sie scheinen sich hervorragend zu ergänzen. Die beiden werden Freunde und haben einen Höllenspaß miteinander. Manchmal benehmen sie sich wie kleine Kinder und strapazieren die Nerven ihrer Besitzer.
Der dritte Drache ist Muliks, der eher zufällig in die Gruppe kommt. Wohingegen Nerol und Dragon riesengroß sind und Feuer speien können, ist Muliks eher der untypische Drache. Er hat ganz andere Qualitäten als die beiden Großen.
"Es ist Nerol, der in die Rückenlage gerollt ist, um nach dem Erwachen erst einmal genüsslich alle viere von sich zu strecken. Mit dem kurzen Schütteln der nicht gerade grazilen Gliedmaßen erhebt er sich laut polternd, verschließt mit der Pranke das rechte Nasenloch und bläst nach einem tiefen Atemzug einen beachtlichen Feuerstrahl durch das linke aus. Dasselbe dann noch einmal auf der anderen Seite - und schon blickt er halbwegs munter in die Runde. Natürlich bleiben ihm die Blicke, die seine eigenwillige Morgentoilette begleiten, nicht verborgen." (S. 123)
Ich versuche bewusst, möglichst wenig über den Inhalt zu verraten. Denn, was bei diesem Buch einen Riesenspaß macht, sind die großen und kleinen Überraschungen. Es ist gar nicht so sehr die Geschichte, die mich begeistert hat, sondern eher der Humor, der mit einer großen Portion Ironie und Sarkasmus gewürzt ist. Außerdem beweist Andreas Hagemann Sinn für Details. Egal, auf welcher Seite man in diesem Buch ist, man hat zu jeder Zeit den Eindruck, dass die Figuren und die Welt "Xerubian" mit "viel Liebe" und "Herzblut" entwickelt worden sind. Und das macht Spaß und überzeugt.
"Neben einem kleinen Fenster der Tür gegenüber steht ein völlig verstaubtes Regal, das sich unter der Last zahlreicher und zum Teil offensichtlich antiken Büchern biegt. Hinter den Glastüren eines mindestens ebenso alten Schrankes kann Dalon gläserne Gefäße mit eigenartigen Pflanzen und konservierten Lebewesen sehen, die er noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hat. er rutscht auf die Sesselkante vor, um ein paar der Buchtitel aus dem Regal besser erkennen zu können: 'Ich war einmal, also dachte ich' - 'L. S-M.: Die Venus ohne Pelz - Lernen sie lustvoll zu leiden: Ein Handbuch für Kenner und Genießer'" (S. 107)
Dieser Roman ist vieles: Krimi, Fantasy, Märchen und Komödie, oft auch eine Persiflage auf bekannte Fantasyromane. Und eines ist er mit Sicherheit: richtig witzig und unterhaltsam. Wie ich bereits anfangs schon erwähnte lese ich nur ganz wenige Fantasy-Autoren. Andreas Hagemann wird zukünftig dazu gehören. Für November ist die Veröffentlichung der Fortsetzung zu Xerubian geplant. Den Termin werde ich im Auge behalten. Denn ich bin gespannt, wie es mit Xerubian weiter geht.

© Renie

Xerubian - Aath Lan'tis
Autor: Andreas Hagemann
ISBN: 978-3738616682

Andreas Hagemann hat übrigens eine interessante Webseite. Hier erfährt man einiges über die Entstehung des Buches, über die Welt Xerubian, die Charaktere etc., aber auch über das Autorendasein Andreas Hagemanns, und was er macht, wenn er keine Bücher schreibt.