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Mittwoch, 24. Februar 2016

Emanuel Bergmann: Der Trick

Ein Buch wie ein Zaubertrick. Es steckt voller Überraschungen. Fast, als ob man damit rechnet, dass das berühmte Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird und verblüfft ist, wenn ganz andere Dinge zum Vorschein kommen. Genauso erging es mir mit diesem Buch. Emanuel Bergmann spielt in seinem Roman "Der Trick" mit vielen Überraschungsmomenten, die den Leser einfach nur verzaubern.






Worum geht es in diesem Roman?

1934, in Prag, bestaunt der fünfzehnjährige Rabbinerssohn Mosche Goldenhirsch im Zirkus die Zauberkunststücke des legendären "Halbmondmanns" und seiner liebreizenden Assistentin - es ist um ihn geschehen, und zwar gleich doppelt. Er rennt von zu Hause weg und schließt sich dem Zirkus an, der nach Deutschland weiterzieht.
2007, in Los Angeles, klettert der zehnjährige Max Cohn aus dem Fenster seines Zimmers, um den Großen Zabbatini zu finden, einen alten, abgehalfterten Zauberer. Der Junge ist überzeugt: Nur Magie kann seine Eltern, die vor der Scheidung stehen, wieder zusammenbringen. (Klappentext)



Hier werden also 2 unterschiedliche Geschichten in 2 Handlungssträngen erzählt. Die erste behandelt den Werdegang des Mosche Goldenhirsch und spielt im Europa zur Zeit des 2. Weltkrieges. Der Leser schnuppert Zirkusluft und bekommt einen Einblick in die Geheimnisse der Zauberei. Er begleitet den jungen Mosche auf seinem Weg von Prag bis ins Berlin des Adolf Hitler. Als jüdischer Künstler lernt Mosche die Vorzüge und Schattenseiten des Künstlerdaseins während des Nationalsozialismus kennen. Aber auch der Holocaust macht nicht vor ihm halt. 
Bergmann präsentiert dem Leser eine Welt, die fremd und faszinierend ist. Gleichzeitig lässt er den Leser an einer der dunkelsten Seite der deutschen Geschichte teilhaben. 
"Die Vorstellung war überwältigend. Nicht zuletzt, weil der Halbmondmann eine hübsche, junge Assistentin hatte, die er als Prinzessin Ariana von Persien vorstellte. Nach einer Löwendressur- und einer Akkrobatiknummer stieg sie in einen großen Überseekoffer, der die ganze Zeit unbeachtet am Rand der Zirkusarena gestanden hatte. Der Halbmondmann machte den Koffer zu, packte den Silberknauf seines Gehstocks und zog plötzlich ein Schwert aus dem Schaft. Er hielt es so hoch, damit die Zuschauer es im Rampenlicht funkeln sahen. Dann holte er ein Seidenband hervor und schnitt es entzwei, somit war bewiesen, dass die Klinge scharf war." (S. 93)
"Was für eine Welt, dachte er, wo schöne Frauen aus Gepäckstücken steigen!" (S. 94)
Im 2. Handlungsstrang befinden wir uns 60 Jahre später in Los Angeles, lernen die Familie Cohn kennen. Harry und Deborah Cohn haben Eheprobleme und wollen sich scheiden lassen. Sohn Max (10) versucht dies zu verhindern, indem er die rührende Idee hat, seine Eltern mittels eines Zaubers, den nur der Große Zabbatini beherrscht, wieder zusammen zu bringen.


Mittwoch, 17. Februar 2016

Sandra Hughes: Fallen


Quelle: DÖRLEMANN
"Dann fuhr das Auto weg, und Luca setzte sich in Bewegung. Gedankenlos wie Federvieh, das nach seiner Enthauptung weiterrannte. Seinen halb tauben Rumpf stemmte er vorwärts mit dem einen Bein, Zentimeter für Zentimeter. Sein Knie schürfte er blutig. Er sah den Mann nicht, der wenig später Geld holte, die junge Frau auch nicht, auch nicht den zweiten Mann und später die zweite Frau. Er sah den Mann nicht, der beim Bankomaten Geld holte und den anderen Mann auch nicht. Nichts sah er mehr vom schönen Sommerspätnachmittag. Auch die ältere Dame nicht, die zum Bankomaten ging, und später den Mann und den anderen Mann und die Frau nach diesem. Er sah nichts mehr. Er kroch, bis ein Passant sich über ihn beugte, das Handy am Ohr: Da liegt ein junger Mann an der Hauptstraße 114, beim Bankomaten, ohne Bewusstsein." (S. 66)

Unfassbar! Da bricht ein 15-Jähriger mit einem Hirnschlag auf der Straße, vor einem Geldautomaten, zusammen. 10 Personen ignorieren ihn, gehen an ihm vorbei, lassen ihn liegen. Erst die 11. Person ruft Hilfe. Wertvolle Minuten verstreichen. Minuten, die Einfluss auf das Leben einer ganzen Familie nehmen. Sandra Hughes beschreibt in ihrem Roman "Fallen", dem eine wahre Zeitungsmeldung zugrunde liegt, wie die Familie Gerber mit den Auswirkungen dieses Schicksalsschlages umgeht.

Anfangs überkam mich das Entsetzen. Eine derartige Situation möchte man sich einfach nicht vorstellen. Man weiß, dass solche Dinge passieren. Keiner ist vor Schicksalsschlägen gefeit. Und doch hofft man immer, dass das Schicksal einen übersieht.
Insofern leidet man mit der Mutter Vera mit. Sie, die eine besondere Beziehung zu ihrem Sohn hatte, die für ihn da war, deren Lebensinhalt ihre Familie ist, ist mit der Situation völlig überfordert. Sie versinkt in Trauer und Wut, handelt irrational, ist für ihren Sohn Luca in dieser Situation eher Belastung als Hilfe. Und oft fragt man sich, wie man selbst mit solch einer Lage umgehen würde, kommt aber nicht weit bei dieser Überlegung. Denn spätestens, wenn einem vor Entsetzen die Luft wegbleibt, weist man diese Überlegungen weit von sich.

Sonntag, 14. Februar 2016

Henry James: Eine Dame von Welt

"Dieser Schriftsteller wird Sie nicht mehr aus den Fängen lassen, sobald Sie eine Zeile von ihm gelesen haben" Alexander Cammann, DIE ZEIT

Stimmt! Henry James hat mit seiner Novelle "Eine Dame von Welt" einen eindrucksvollen Beweis für seine Erzählkunst geliefert. 

Quelle: Aufbau Verlag
Worum geht es in dieser Erzählung?
Der reiche Amerikaner Littlemore trifft in einem Pariser Theater auf Mrs. Headway, eine alte Angebetete aus San Diego. Sie bittet ihn, als ihr Fürsprecher den Edelmann Arthur Demesne ihrer »Ehrbarkeit« zu versichern. Littlemore zögert: Sie hat ein skandalträchtiges Leben geführt, eine vorteilhafte Ehe ist ihre einzige Möglichkeit auf gesellschaftliche Anerkennung. Soll er aus alter Verbundenheit lügen? Eine schwierige Frage, denn von nun an zählen Littlemore und Demesne zu den regelmäßigen Gästen im Salon Mrs. Headways. Bestechend frisch erzählt Henry James von einer unerschrockenen Amerikanerin, die die zugeknöpfte Welt der europäischen Aristokratie aufmischt, um sich gegen alle Konventionen ihren Platz zu erkämpfen. (Quelle: Aufbau Verlag)

Diese Novelle besticht durch Henry James' Sprachstil. Wenn man bedenkt, dass diese Erzählung schon einige Jährchen auf dem Buckel hat - geschrieben wurde sie von James in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts - , ist man doch erstaunt, wie zeitlos seine Sprache ist. "Eine Dame von Welt" hätte auch in der heutigen Zeit geschrieben sein können. Die lebhafte und humorvolle Sprache sorgt für einen angenehmen Lesefluss. Die Seiten gleiten nur so dahin. Henry James ist ein Meister der Ironie. Er hat großes Vergnügen daran, seine Landsleute - sowohl Amerikaner als auch Briten - auf's Korn zu nehmen. Insbesondere die Affektierheit und Blasiertheit der englischen vornehmen Gesellschaft hat es ihm angetan. 
"'Die Engländer sind so speziell, ich halte sie für ziemlich einfältig.'" (S. 29)
"Die Engländer sind furchtbar verschroben! Waterville gönnte sich im Geiste diesen Ausruf, zu dem er seit der Ankunft in England immer wieder seine Zuflucht nahm, wann immer sich vor ihm eine Lücke in der Logik auftat." (S. 86)

Donnerstag, 11. Februar 2016

Cormac McCarthy: Der Feldhüter

Warum nur lässt Cormac McCarthy die Männer in seinem Roman "Der Feldhüter" so primitiv erscheinen? Fressen, Saufen, Prügeln, Mord....? Man sollte meinen, dass McCarthy ein Problem mit seinen Artgenossen hat. Die Spezies Mann kommt in  "Der Feldhüter" nicht gut weg. Und Männer gibt es einige in diesem Roman.
Quelle: Rowohlt





Worum geht es in diesem Roman?
Die Geschichte von Arthur Ownby, Hüter eines verwilderten Apfelhains, dem jungen John Wesley Rattner und dem Schnapsschmuggler Marion Sylder spielt zwischen den Kriegen im gottverlassensten Tennessee. Marion hat vor Jahren in Notwehr Johns Vater getötet und in einer Mischgrube im Garten versenkt, ohne zu ahnen, dass Arthur sein stummer Augenzeuge war. Als Marion einen Autounfall hat, rettet John ihm das Leben. Der Junge, der den Tod seines Vaters rächen möchte, weiß so wenig mit wem er es zu tun hat, wie umgekehrt Marion, und so entsteht eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen den beiden in diesem vergifteten Garten Eden. (Klappentext)

"Die Straße war nun schon eine ganze Weile verlassen, noch immer weiß und glühend heiß, obwohl die Sonne schon den Himmel im Westen rötete. Er ging langsam durch den Staub, blieb von Zeit zu Zeit stehen und hüpfte wie ein gedrungener, unansehnlicher Vogel auf einem Bein, während er den Pfropf aus Klebeband betrachtete, der durch seine Schuhsohle kam. Er drehte sich erneut um. Weit hinten auf dem gleißenden Betonstreifen war eine kleine, formlose Masse aufgetaucht und mühte sich auf ihn zu. Sie rückte stetig näher, wabernd und grotesk wie etwas, das man durch minderwertiges Glas betrachtet, nahm kurz Form und Festigkeit eines Pick-ups an, sauste an ihm vorbei und löste sich wieder auf in die fließende Form, in der sie gekommen war." (S. 11)
Wenn ich den Inhalt dieses Romans in wenigen Sätzen hätte zusammenfassen sollen, ich hätte es nicht gekonnt. Cormac McCarthy legt einem riesige Steine in den Weg, die einen dabei behindern, der Handlung überhaupt folgen zu können. Seine Charaktere erscheinen anonym, man kann sich kein Bild von ihnen machen. Er nennt seine Protagonisten fast nie beim Namen. Sie erscheinen als "er", "der Alte", "der Junge", "der Mann". Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, gleichzeitig gibt es Sprünge zwischen mehreren Handlungsebenen. So lassen sich die Charaktere sowie Gegenwart und Vergangenheit nur sehr schwer auseinander halten. Selten habe ich einen Klappentext als so hilfreich empfunden, wie bei diesem Buch. Mit der Inhaltsbeschreibung habe ich mir oft in Erinnerung rufen müssen, worum es in diesem Roman überhaupt geht.

Sonntag, 7. Februar 2016

Wilson Collison: Das Haus am Kongo

Eine Glücksritterin, die die Zukunft voraussagt, ein Frauenheld, der wegen Mordes gesucht wird, eine gelangweilte Ehefrau, ein Arzt, der seinem Erfolg hinterher jagt und eine spröde englische Lady treffen im Afrika der 30er-Jahre in einem "Haus am Kongo" aufeinander. Warum es sie hierhin verschlagen hat und in welcher Beziehung sie zueinander stehen, erfährt man in diesem sehr unterhaltsamen Roman von Wilson Collison, erschienen im LOUISODER Verlag.
Quelle: LOUISODER



Worum geht es in diesem Roman?
Die 26-jährige Dolly strandet mit ihrem Begleiter Bill nach einem Schiffbruch auf dem Kongo-Fluss in dem Haus des Ehepaares Warwick. Begleitet werden Dolly und Bill dabei von Lady Essex, einer englischen Adeligen sowie der Crew des Flussdampfers, mit dem sie unterwegs waren. Dolly und Bill sind Abenteurer und Glücksritter. Sie verdient ihren Lebensunterhalt mit Wahrsagerei und macht dabei gemeinsame Sache mit Bill. Er sieht verboten gut aus und hat eine gewisse Wirkung auf das weibliche Geschlecht. Bill wird wegen Mordes gesucht, da er in Amerika einen seiner Widersacher umgebracht hat. Diese Gruppe kommt nun bei den Warwicks unter. Dr. Warwick ist Arzt in einem Urwaldkrankenhaus. Neben der Behandlung von Kranken und Verletzten widmet er sich fast fanatisch der Forschung. Er ist auf der Suche nach der einzigartigen Entdeckung, die ihm den Ruhm als angesehener Mediziner sichert. Seine Frau Arline - die beiden sind seit ca. 1 Jahr verheiratet - hat aus dem gemeinsamen Haus eine Oase im Dschungel geschaffen. Das Anwesen mit seinem Garten ist bemerkenswert. Mrs. Warwick verbringt viel Zeit mit der Gestaltung ihres Heimes. Das ist auch die einzige Beschäftigung, mit der sie ihren Alltag verbringt. Folglich ist ihr Leben von Langeweile geprägt. Die Ankunft der "Schiffbrüchigen" ist eine willkommene Möglichkeit, für einige Tage Abwechslung in ihr langweiliges Leben zu bringen. Die Gruppe verbringt einige Tage im Haus der Warwicks und wartet auf die Ankunft eines weiteren Flussdampfers, mit dem sie ihre Reise fortsetzen können. Als der Dampfer schließlich eintrifft, sind die "Schicksals-Karten" der Charaktere neu gemischt.
"Sie stellte ihre Ellbogen auf die Reling, stützte ihr Gesicht auf die Hände und starrte hinab ins schlammige Flusswasser. Das gleichmäßige Klopfen der Motoren und das Platschen des Schaufelrads im trüben Wasser drangen zu ihr herauf. Am Ufer sonnten sich träge riesige Krokodile und wirkten dabei so selbstvergessen, dass Dolly ganz fasziniert war und sich wünschte, sie wäre als Krokodil im Kongo geboren worden." (S. 7 f.)

Donnerstag, 4. Februar 2016

Sam Millar: True Crime

Wer ist Sam Millar?

Sam Millar, Jahrgang 1955, ist der Kopf hinter einem der größten Raubüberfälle der Geschichte.

Nach langen Jahren im Gefängnis lebt er heute in Belfast, wo er neben Kriminalromanen mit True Crime den Thriller seines Lebens geschrieben hat, für den er mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet wurde. (Quelle: Atrium Verlag)

Quelle: Atrium Verlag/Politycki & Partner
Sam Millar hat einen großen Teil seines Lebens mit diesem autobiografischen Thriller verarbeitet … und zu verarbeiten gab es einiges. Seine Geschichte beginnt in seiner Kindheit in Belfast. Er wächst in einer trostlosen Atmosphäre auf, wird tagtäglich mit dem Hass zwischen Katholiken und Protestanten konfrontiert. Als er 17 ist, findet ein unbeschwerter Ausflug mit seinem Bruder ein fürchterliches Ende in Derry. Sie erleben den schrecklichen Angriff englischer Soldaten auf friedliche Demonstranten, bei denen 13 Menschen erschossen werden. Dieser Tag geht später als „Bloody Sunday“ in die Geschichte ein. Dieses Erlebnis hat den weiteren Werdegang von Sam Millar geprägt. Er sympathisiert mit der IRA, die den Kampf gegen die Briten verschärft. Durch einen dummen Zufall wird Sam verhaftet. Ohne ein anständiges Gerichtsverfahren kommt Sam mit 17 Jahren erstmalig nach Long Kesh, dem gefürchteten Gefängnis vor den Toren von Belfast. 

"Insgeheim wollte ich Rache dafür, nur deshalb im Kesh gelandet zu sein, weil ich Ire war. Wenn die Briten die Frechheit besaßen, mich in meinem eigenen Land einzusperren, nur weil ich ein Patriot mit republikanischem Hintergrund war, konnte ich mich auch wie einer benehmen. Die Rache würde mein sein. Ich wollte ein Stachel im Fleisch der britischen Regierung sein und den Wichsern Manieren beibringen." (S. 86 f.)

In Long Kesh beginnt eine Leidenszeit, die so unvorstellbar ist, dass man sich fragt, wie ein Mensch so etwas überleben kann. Sam’s Gefängnisalltag wird bestimmt von Misshandlungen, Folter, Demütigungen, Angst. Er und seine Mitgefangenen leben unter menschenunwürdigen Bedingungen und sind der Willkür der Gefängniswärter ausgesetzt. Und trotzdem schaffen Sie es, den Kampf der IRA mit ihren eigenen Waffen zu kämpfen. Ihr Wille ist ihre stärkste Waffe. Trotz aller Schikanen, Brutalität und Psychoterror schaffen sie es, ihren Gegnern die Stirn zu bieten und lassen sich nicht brechen.