Donnerstag, 1. September 2016

Ingvar Ambjørnsen: Aus dem Feuer


Die Schriftsteller, denen ich bisher begegnet sind, habe ich alle als sehr sympathische Zeitgenossen erlebt. Und dann traf ich in dem Roman „Aus dem Feuer“ von Ingvar Ambjørnsen auf einen Krimiautor namens Alexander Irgens. Diesen Alexander Irgens kann man durchaus als echtes Ekel seiner Zunft bezeichnen. Nur gut, dass es sich bei ihm um eine fiktive Person handelt - das hoffe ich zumindest ;-)

Quelle: Edition Nautilus

Worum geht es in diesem Roman?
Norwegens Krimikönig Alexander Irgens schlägt gemeinsam mit seiner Geliebten Vilde einen zudringlichen Fan krankenhausreif - nach einem opulenten Dinner mit elf Buchhändlerinnen. Daraufhin flieht er vor der skandalbegeisterten Presse, seiner Geliebten und seiner Ehefrau und taucht in Island und Deutschland ab. Zurück in Norwegen, scheint er unverhofft zu sich selbst und zu etwas wie Heimat zu finden. Doch dann holt ihn seine Vergangenheit ein - und dieser Roman wird selbst zum Krimi. (Klappentext)

Die Reaktionen der Presse auf Alexanders Angriff auf seinen Fan sind Fluch und Segen zugleich. Alexander steht kurz vor der Veröffentlichung eines weiteren Krimis aus seiner Erfolgsserie rund um seinen Helden Stig Hammer. Und scheinbar gibt es seitens des Verlages keinerlei Skrupel, die negative Publicity für den Erfolg seines neuen Buches auszuschlachten. Alexander setzt sich zwar ins Ausland ab, doch Negativ-Werbung ist auch eine Werbung. Und so ist sein Buch in aller Munde. Ein weiterer Bestseller aus der Stig Hammer-Reihe scheint damit vorprogrammiert.
„‚…Solange er nicht den Geist aufgibt, bringt dir das nur jede Menge Aufmerksamkeit. Man könnte fast glauben, das sei so arrangiert worden.’“ (S. 153)
Apropos Skrupel. Skrupel scheint generell für Alexander Irgens ein Fremdwort zu sein. Sein bisheriger Erfolg ist ihm zu Kopf gestiegen. Alexander Irgens gestaltet sein Leben nach seinen eigenen Gesetzen. Ich habe selten einen derart selbstherrlichen, überheblichen und egoistischen Protagonisten in einem Roman erlebt, wie Alexander Irgens. Der Mittelpunkt seiner Welt ist Alexander Irgens. Er ist das Maß aller Dinge, und seiner Ansicht nach ist er zu gut für diese Welt. Schuldempfinden hat er sich abgewöhnt. So ist der Betrug an seiner Ehefrau eine Selbstverständlichkeit für einen Mann seines Kalibers. Und dass er einen seiner Fans krankenhausreif geprügelt hat, ist diesem selbst zuzuschreiben. Warum ist er dem großen Alexander Irgens auch auf die Nerven gegangen? Die Liste der Negativ-Eigenschaften von Alexander Irgens ließe sich endlos weiterführen. Aber eine Schwachstelle hat er doch. Er wäre gern ein „richtiger“ Schriftsteller und nicht nur jemand, der massentaugliche Krimis schreibt. In seinen Anfängen hat er sich mit Novellen versucht, die vielversprechend für seinen weiteren schriftstellerischen Werdegang waren. Nur leider hat er diesen Weg nicht weiterverfolgt. Es ist halt einfacher, Krimis nach Schema F zu produzieren, als ein literarisch anspruchsvolles Werk zu schreiben.


Der Autor Ingvar Ambjørnsen hat mit diesem Roman eine herrliche Satire auf den Literaturbetrieb und das Schriftstellertum geschaffen. Vieles erscheint übertrieben. Doch man wird den Verdacht nicht los, dass mehr Wahres dabei ist, als man sich wünschen möchte. Die Geschichte wird natürlich aus der Sicht von Alexander Irgens erzählt. Man hat den Eindruck, dass Irgens ständig auf der Suche nach neuen Ideen für einen Krimi ist. Man ertappt ihn dabei, wie er häufig versucht, sich und seine Umgebung in mögliche Plots für einen Kriminalroman einzubauen. Er scheint unter einem permanenten Erfolgsdruck zu stehen. Denn mit jedem weiteren erfolgreichen Krimi, den er veröffentlicht hat, scheint die Erfolgsmesslatte für sein nächstes Buch ein Stückchen höher zu liegen. 
„‚ … Es ist nicht so leicht, wenn man dauernd von fremder Aufmerksamkeit verwöhnt wird. Man wird, natürlicherweise, das, was wir auf gut Norwegisch als verwöhntes Arschloch bezeichnet.‘“ (S. 313)
Quelle: Unsplash/Steinar La Engeland
Als Leser kann man keinerlei Sympathien für Alexander Irgens entwickeln. Wie auch? Denn schließlich hat er absolut nichts Nettes an sich. Man schwankt zwischen Sich Wundern, Aufregung und Ärger über diesen Charakter. Aber es gibt auch viele lustige Momente in diesem Roman, die mich völlig unvorbereitet getroffen und mich zum Lachen gebracht haben. Zum Ende nimmt dieser Roman eine überraschende Wendung an, die sich in keiner Weise vorhersagen lässt. Nur soviel sei gesagt: am Ende überwog bei mir die Schadenfreude.

Ich möchte noch auf eine sprachliche Besonderheit Ingvar Ambjørnsen hinweisen. Ambjørnsen versteht es, Naturszenen in einer einzigartigen Weise darzustellen. Man lässt sich durch die Bilder, die dabei hervorgerufen werden, verzaubern. Das Kopfkino läuft dabei auf Hochtouren. Man hat das Gefühl, das beschriebene Szenario mit allen Sinnen wahrzunehmen. Das ist fast wie ein kleiner Urlaub in der Natur Norwegens.
„Aber Luft und Licht gehören dem Oktober, wie ich ihn aus früheren Jahren kenne, so weit ich mich zurückerinnern kann. Der blaue klare Herbsthimmel und das Sonnenlicht, das durch die farbenfrohen Baumwipfel sickert. Der große Laubfall hat noch nicht eingesetzt. Noch ist der Waldboden nackt. Das Gras steht grün an den Hängen. Noch hängen die Farben an den Zweigen, Milliarden, Myriaden von wehenden Wimpeln in Gold, Rot, Braun und Orange, in allen Schattierungen.“ (S. 8)
Ich kann diesen Roman Lesern empfehlen, die sich für den Literaturbetrieb interessieren. Und gerade Leser, die diesen Literaturbetrieb gern mit einem verklärten Blick betrachten, werden durch dieses Buch schnell auf den Boden der Tatsachen geholt. Der Hauptprotagonist ist ein selbstherrlicher Widerling, der seinesgleichen sucht und zum Ende von seinem hohen Ross heruntergeholt wird. Ingvar Ambjørnsen hat damit eine eindrucksvolle Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor geschaffen, die mich großartig unterhalten hat.

© Renie

Aus dem Feuer von Ingvar Ambjørnsen, erschienen bei Edition Nautilus
Erscheinungsdatum: 31. August 2016
ISBN: 978-3-96054-012-0


Über den Autor:
Ingvar Ambjørnsen, geb. 1956 in Tønsberg, Norwegens kneipenreichster Stadt, aufgewachsen in Larvik. Nicht vollendete Gärtnerlehre und mancherlei Jobs in Industrie und Psychiatrie. Erste Buchveröffentlichung 1981: 23-salen, seitdem zahlreiche Romane, Welterfolg mit den Elling-Romanen. Lebt seit 1985 in Hamburg. Bei Edition Nautilus erschienen zuerst der autobiografische Roman Weiße Nigger und zuletzt der Roman Die Nacht träumt vom Tag. Ingvar Ambjørnsen wurde mit dem Willy-Brandt-Preis 2012 ausgezeichnet. (Quelle: Edition Nautilus)